Almut-Barbara Renger

„ÖkoDharma“

Engagierter Buddhismus in Zeiten der Klimakrise (Teil II)

Die im ersten Teil dieses Artikels (ZRW 4/2022, 261 – 272) vorgenommene Einführung in die Analysekategorie „Engaged Buddhism“, die in einem Teilbereich der Buddhismus-Studien zur Anwendung kommt, hat den sogenannten „Engagierten Buddhismus“ als ein sich in einem dynamischen Aushandlungsprozess befindendes Phänomen begreifen lassen. Kontrovers diskutiert wird in diesem Aushandlungsprozess u.a. die Frage nach dem Verhältnis, in dem die zumindest theoretisch segmentierten Rollen und Umgebungen des in der akademischen Forschung tätigen Wissenschaftlers (scholar) und des in buddhistischen Zusammenhängen und Institutionen lebenden und wirkenden Praktikers (practitioner) zueinander stehen. Im Anschluss hieran geht es im zweiten Teil des Artikels um den Buddhismusforscher und Zen-Lehrer David Loy, der sich als scholar und practitioner versteht. Loy verschafft sich seit einigen Jahren mit seinem Konzept des ÖkoDharma international Gehör, indem er, wie für den engagierten Buddhismus kennzeichnend, globale Austauschbeziehungen und Netzwerke nutzt und hierüber, in zunehmendem Maße, auch in den deutschsprachigen Raum hineinwirkt.


Scholar und practitioner – Der Zen-Buddhist David Loy und das „ÖkoDharma“

David Loy ist ein scholar-practitioner, in dessen Wirken als Zen-Lehrer aktivistische und wissenschaftliche Interessen zusammenfließen. Er tritt für ein sozial engagiertes Zen ein und schreibt dazu in populären buddhistischen Magazinen wie „Lion’s Roar“ (ehemals „Shambhala Sun“) und „Tricycle: The Buddhist Review“. Unter Menschen, die dem Buddhismus angehören oder mit ihm sympathisieren, weitläufig vernetzt, ist er beratend für eine Reihe traditionsübergreifender buddhistischer Organisationen tätig, die mit humanitären Projekten Minderheiten, Randgruppen oder anderweitig gesellschaftlich Benachteiligten helfen. Seine Homepage führt unter dem Reiter „Home“ eine Auswahl an, darunter: das internationale Netzwerk der Zen-Peacemaker, die in den 1990er Jahren von dem Zen-Lehrer Bernie Glassman (1939 – 2018) in den USA gegründet wurden, um Zen-Praxis und Sozialarbeit mit sozial benachteiligten Menschen zu verknüpfen; sowie Buddhist Global Relief, eine Hilfsorganisation, die 2007 von dem US-amerikanischen theravāda-buddhistischen Mönch Bhikkhu Bodhi (geb. 1944) in New York ins Leben gerufen wurde und sich in Asien, Afrika und Südamerika engagiert.1  In Deutschland sind Erstere seit 2013 in Form der Peacemaker-Gemeinschaft Deutschland e. V. – Verein für gesellschaftlich engagiertes Zen vertreten und in Bonn eingetragen; Partner von Buddhist Global Relief ist der in Teil I dieses Beitrags (S. 262) erwähnte Verein Mitgefühl in Aktion e. V., der seit 2019 in Hamburg als gemeinnützige Organisation für Entwicklungszusammenarbeit eingetragen ist.2

Während seiner Promotion in Singapur hat Loy eine wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen, die er mit seinen aktivistischen Anliegen verbindet. Von 1978 bis 1984 war er Senior Tutor am Philosophy Department der National University of Singapore und von 1990 bis 2005 Professor an der Faculty of International Studies der Bunkyo University, Chigasaki, Japan. 2006 wurde er Besl Family Chair Professor of Ethics / Religion and Society an der Xavier University in Cincinnati, Ohio, eine Gastposition, die 2010 endete. Stipendien und Einladungen als Gastwissenschaftler haben ihn zudem u. a. an die University of Cape Town, Südafrika, und an das Institute for Advanced Study der Hebrew University, Jerusalem, geführt.

Loys Doppelrolle entsprechend sind seine Vorträge je nach Publikum mal stringent wissenschaftlich angelegt, mal Dharma-Talks für aktivistisch Interessierte, wobei soziale und ökologische Themen überwiegen. In jüngerer Zeit befasst er sich vor allem mit der Frage, welche Schlüsse sich aus den buddhistischen Lehren für die aktuelle individuelle und die kollektive Unheilssituation in der ökologischen Krise ziehen lassen und inwiefern sich in den Lehren konkrete Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten ausmachen lassen. Dabei knüpft er an Überlegungen an, wie sie z. B. in „Zen Buddhism and Environmental Ethics“3  angestellt werden, und nimmt Ideen der drei Personen auf, denen er sein Buch „ÖkoDharma“ gewidmet hat. Das sind Joanna Macy, Pionierin im Umfeld von Robert Aitken, die buddhistische Meditation und sozialen Aktivismus im Stil der 1960er Jahre verbindet; Bhikkhu Bodhi, mit dem Loy seit Jahren in intensivem Gesprächsaustausch steht; und Guhyapati, von dem inspiriert Loy das Rocky Mountain Ecodharma Retreat Center in Colorado mitbegründete. Letzterer, 1994 im Triratna Buddhist Order (bis 2010 Western Buddhist Order) ordiniert, rief 2007 das Eco-Dharma Centre im Nordosten Spaniens ins Leben und stieß Diskussionen über „Ecodharma“ an, bevor sich der Begriff im westlichen buddhistischen Vokabular etablierte.4

Nachdem im 20. Jahrhundert der Begriff „Engaged Buddhism“ konstituierend bei der Bildung der gleichnamigen Bewegung wirkte, hat Loy den relativ jungen Terminus „Ecodharma“ adaptiert, um mit ihm und der Neubildung „Ecosattva“ als konstituierenden Schlüsselbegriffen eine Bewegung gleichen Namens mitzuformieren. Wie moderne Buddhisten Anfang und engagierte Buddhisten Ende des 20. Jahrhunderts setzt Loy dabei auf die Nutzung und den Ausbau von Netzwerken für das Rocky Mountain Ecodharma Retreat Center. Sein Ziel ist es, über bestehende und zu initiierende Projekte und Kooperationen ökologisch engagierter Einzel- und Kollektivakteure eine „neue ÖkoDharma-Tradition“ (new Ecodharma tradition) zu begründen – und damit „eine neue Entwicklung im zeitgenössischen Buddhismus, die auf die ökologische Krise reagiert, die die Zivilisation, wie wir sie kennen, bedroht“6. Viele seiner Kontakte, mit denen er Beziehungen der gegenseitigen Unterstützung unterhält, werden am Ende seines Buchs mit Dank bedacht.7

Mit seinem Vorhaben nimmt Loy als Buddhist performativ Stellung in der internationalen Debatte zur Rolle der Religionen in der ökologischen Krise, die im akademischen Bereich maßgeblich von John A. Grim (geb. 1946) und Mary E. Tucker (geb. 1949) angestoßen wurde. Mit der Vision, ein neues Studiengebiet zu schaffen, das Auswirkungen auf die Umweltpolitik haben könnte, organisierten Tucker und Grim von 1995 bis 1998 am Center for the Study of World Religions der Harvard University eine Konferenzreihe zum Wechselverhältnis von Ökologie und Religion – mit einem Output von zehn Bänden, darunter „Buddhism and Ecology“ – und gründeten im Anschluss das Yale Forum on Religion and Ecology an der Yale University. Nach Tucker sind alle Religionen dazu aufgerufen, in eine ökologische Phase einzutreten und sich selbstkritisch damit zu befassen, was sie zur Lösung der ökologischen Probleme, die die Erde betreffen, produktiv beitragen können und was eher hinderlich sein kann.9  Ihre Aufforderung, dass Religionen mit anderen Bereichen aus Kultur und Gesellschaft zusammenarbeiten müssen, um Antworten auf aktuelle Umweltherausforderungen zu finden, hat zahlreiche weitere Studien und Projekte innerhalb und außerhalb der Wissenschaft inspiriert. Loy ist im Forum u. a. mit einem Dharma-Talk vertreten, den er 2019 im Great Mountain Zen Center über den Pfad des „Ecosattva“ hielt.10  Darin erklärt er sein Verständnis des „Ökosattva“ als eine Person, die sich als Bodhisattva versteht und – mithilfe buddhistischer Lehrtexte und Meditationstechniken – Klarheit des Geistes, ein mitfühlendes Herz sowie den Boden für ökologisch engagiertes Handeln kultiviert.11

Ökosattva – Selbstlosigkeit und Leidüberwindung durch ökologisches Engagement

Seinen Überlegungen zum Ökosattva-Pfad legt Loy eine Reihe buddhistischer Konzepte zugrunde. Das Fundament bildet die wohl bekannteste Lehrformel des frühen Buddhismus: das Schema der vier Edlen Wahrheiten (Sanskrit āryasatya), wie es u. a. Nr. 22, „Das große Lehrgespräch über die Grundzüge des Bewußtseins“ („Mahāsatipaṭṭhāna-Suttanta“), in der „Langen Sammlung“ („Dīghanikāya“) des Pāli-Kanons enthält.12  Es besagt, dass alle, die nach Befreiung vom Leid (Sanskrit duḥkha, Pāli dukkha) streben, seine Ursache erkennen und zudem anerkennen müssen, dass erst durch Beseitigung der Ursache auch ihre Wirkung, das Leid, verschwinden kann. Wer die Ursache überwunden hat und das Wesen der Wirklichkeit erkennt, ist befreit: Die Antriebskräfte des saṃsāra – die drei sog. Geistesgifte (Sanskrit mūla) Gier, Hass und Verblendung (eine zentrale Begrifflichkeit der buddhistischen Ethik) – sind beseitigt.

Nach Loy geht es darum, sich diesen buddhistischen Grundsatz in individueller und kollektiver Ausrichtung zu eigen zu machen; seien doch persönliche und gesellschaftliche Transformation miteinander verbunden. Während die traditionelle Auffassung davon bestimmt sei, dass Bodhisattvas anderen bei der individuellen Befreiung von duḥkha helfen, arbeite der Ökosattva an der kollektiven Befreiung der Menschheit vom Leid, das dadurch verursacht sei, dass die Menschen sich für voneinander und von der Erde getrennt halten. Dieses Postulat Loys gründet auf der Engführung seines duḥkha-Verständnisses mit dem von anattā (Nicht-Selbst oder Selbstlosigkeit; Sanskrit anatman), der Wesenslosigkeit aller körperlichen und geistigen Daseinserscheinungen: Voraussetzung für die Beendigung von duḥkha sei die Einsicht in anattā und damit die sich beständig wandelnde Interdependenz von allem. Loy erklärt es zur Herzenspflicht eines Ökosattva, auf der Basis dieser Einsicht anderen dabei zu helfen, zur Erkenntnis der Nicht-Getrenntheit „zu erwachen“ (bodhi) und sich aktiv für den Wandel sozialer, politischer und ökonomischer Strukturen einzusetzen – Strukturen, die tiefgreifend von der Institutionalisierung der drei schädlichen Geistesgifte gezeichnet sind und soziale Ungerechtigkeit ebenso wie die ökologische Krise hervorgebracht haben.13

Ein rhetorisches Mittel Loys ist der argumentativ untermauerte Appell, mit dem er Leserschaft und Publikum zu ökologischem Engagement zu motivieren sucht. So kritisiert er z. B. den mangelnden buddhistischen Einsatz im Kampf gegen Klimaprobleme und Biodiversitätsverlust und begründet dies damit, dass der Buddhismus Kontingenz auffange14  – ein Argument, das nicht unberechtigt ist. Kontingenzverarbeitung bzw. -bewältigung ist eine der Hauptfunktionen aller Religionen und so auch des Buddhismus. Die Mehrheit der buddhistischen Schulen und Strömungen versprechen jeweils auf ihre Weise, Unbestimmbares und Unkontrollierbares (zumindest teilweise) bestimmbar und kontrollierbar zu machen – vom Wetter über die Gesundheit des Menschen bis zu seinem Sterben und Tod. Gebannt durch dieses Versprechen, ziehen sich Buddhistinnen und Buddhisten, so Loy, auf Praktiken zurück, die auf die individuelle Befreiung von duḥkha zielen – was sich zuungunsten des Kollektivs, der Gesellschaft, des Planeten Erde auswirke.15  Laut Loy werden im Streben nach dem eigenen Heil pressierende kollektive, ja globale Probleme vernachlässigt und Formen der Ausbeutung von Mensch und Natur nicht verhindert – eine Dynamik, die es zu durchbrechen gelte. Es sei an der Zeit, auf der Basis der Einsicht, dass wahrhaftige innere Bewusstwerdung notwendig mit öko-sozialem Engagement verknüpft sei, Verantwortung in der Klimakrise zu übernehmen – ein Postulat, das Loy bereits 2009 als „buddhistische Erklärung zum Klimawandel“ auf der Website „ecobuddhism.org“ veröffentlichte. Sie wurde u. a. vom 14. Dalai Lama unterschrieben.16

Zu Loys häufigsten Referenzen rund um Klimakrise und Biodiversitätsverlust zählen die buddhistische Umweltaktivistin Joanna Macy und Thích Nhất Hạnh, die sich beide, so Loy, nicht nur „über den Ernst der ökologischen Krise“ einig waren, sondern auch „betonten, dass unsere düstere Situation den besten Anreiz bietet, zu erwachen und etwas über den gegenwärtigen Moment zu erkennen, etwas, das für unsere Reaktion auf die sich entfaltende Katastrophe von großer Bedeutung ist“17  Durch seine Rekurse vor allem auf Macy rückt Loys Ansatz in die Nähe der Tiefenökologie (deep ecology), die ein Leben im Einklang mit der Natur postuliert. Von Thích Nhất Hạnh übernimmt Loy insbesondere die Verknüpfung der Vorstellung der wechselseitigen Verbundenheit allen Lebens mit dem Postulat, meditative Praxis mit mitfühlender sozialpolitischer und ökologischer Achtsamkeit für alle Wesen zu verbinden.18  Solange der Mensch weder die Allverwobenheit aller Dinge in einem unendlich komplexen Netz von Beziehungen erkenne noch begreife, dass alles in diesem Netz vielfachen Bedingtheiten unterliegt, fühle er sich von seiner Umwelt getrennt, verbrauche durch Konsumverhalten mehr Ressourcen, als im Prozess der Erneuerung entstehen können – und die Beziehung des Menschen zur Erde bleibe in einer Krise, die die gesamte Zivilisation auf den Prüfstand stelle.19  Erst eine konsequente Meditationspraxis und die Einübung von Mitgefühl, das hierdurch potenziell mögliche Erleben von Verbundenheit und Nicht-Getrenntsein und der praktische Ausdruck dessen im Handeln im Alltag und gesellschaftlichen Leben vermögen nach Loy Bedingungen zu schaffen, die dauerhaft helfen können.

ÖkoDharma – Anliegen und Aufbau einer neuen Bewegung in Netzwerken

Die eingangs angeführten, von der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) (mit)organisierten Veranstaltungen zeigen, dass Loys Bestreben, ein internationales ÖkoDharma-Netzwerk aufzubauen, in denen Menschen die beschriebenen Bedingungen zu schaffen suchen, auch in Deutschland Früchte trägt. Nachdem der von ihm 2009 mitherausgegebene Band „A Buddhist Response to the Climate Emergency“20  nur wenig Beachtung erfahren hatte, ist Loys Terminkalender seit Erscheinen seines jüngsten Buchs mit Veranstaltungen durch Gruppen nicht nur in den USA, sondern auch in Europa gefüllt. So hielt er am 26. Mai 2022 in Bonn – von Spanien und Paris kommend und auf dem Weg zu einem Wochenend-Workshop in Gent – den Abendworkshop „Der Ökosattva-Weg: Gelassen, mitfühlend und handlungsstark in der Klimakrise“. Eingeladen hatte die Peacemaker-Gemeinschaft Deutschland e. V. in Kooperation mit dem Evangelischen Forum Bonn, dem Arbeitskreis philosophisch-psychologische Kaffeehausgespräche und dem Netzwerk Buddhismus Bonn. Von Gent fuhr Loy weiter zu Veranstaltungen vom 30. Mai bis zum 2. Juni 2022 in den Niederlanden, erst an die Radboud University in Nimwegen, dann nach Amsterdam, bevor er nach London reiste. Dort gab es zwei Veranstaltungen, zu denen auch die DBU während des – im Eingangspassus dieses Beitrags (Teil I, S. 261) erwähnten – dreistündigen Online-Workshops am 2. Juni 2022 einlud: „What Does the Ecological Crisis Mean for Buddhism?“, ein 90-minütiger Abendvortrag am 3. Juni 2022 im Hybrid-Format, und „The Bodhisattva / Ecosattva Path Today“, ein in Präsenz stattfindender Workshop am 4. Juni 2022.Organisator der beiden Londoner Veranstaltungen mit Loy, die die DBU auch auf ihrer Homepage gemeinsam mit dem deutschen Workshop bewarb,21  war das Eco Dharma Network, das 2019 aus dem in Teil I dieses Beitrags (S. 262) erwähnten Network of Buddhist Organizations (NBO) hervorgegangen ist. Es besteht aus buddhistischen Einzelakteuren und Gemeinschaften, die sich zum Ziel gesetzt haben, auf den Handlungsbedarf aufmerksam zu machen, der sich daraus ergibt, dass die Menschheit durch Nutzung fossiler Brennstoffe, Abholzung von Wäldern, Viehzucht u.v.m. zunehmend das Klima und die Temperatur auf der Erde beeinflusst (Treibhauseffekt und Erderwärmung). Initiiert und getragen von einer Arbeitsgruppe in Reaktion auf die Klimakrise, bietet das Netzwerk eine Plattform mit dem erklärten Ziel, Kapazitäten für konkrete Klimaschutzmaßnahmen zu stärken und entsprechende Projekte mit möglichst großer Reichweite zu koordinieren.22  Beide Events mit Loy wurden im London Ikeda Peace Centre (SGI-UK) der 1975 von Daisaku Ikeda (geb. 1928) gegründeten Sōka Gakkai International angeboten. Unter den kooperierenden Partnern waren lokale britische Organisationen wie das Centre for Applied Buddhism, das 2011 ins Leben gerufen worden war, aber auch globale Initiativen wie XR Buddhists, eine 2019 initiierte Untergruppe der 2018 gegründeten Umweltschutzbewegung Extinction Rebellion (XR). Die Mitglieder von XR Buddhists gehen davon aus, dass gewaltfreie direkte Aktion und buddhistische Praxis dasselbe sein können, und setzen sich dafür ein, „Systeme der Gier und Unterdrückung sowohl in der Welt als auch in uns selbst zu überwinden“23

Das Eco Dharma Netzwerk richtet sich zuvörderst an Großbritannien, lädt aber auch Interessierte aus anderen Ländern zu seinen Veranstaltungen ein. Diese führe es, so die Auskunft auf seiner Homepage, das ganze Jahr über durch, um Menschen aus aller Welt, die dem Buddhismus anhängen, angesichts der Klima- und Umweltkrise zu unterstützen und ihnen zu helfen, einen Beitrag zu sozialem Wandel und zum Umweltschutz zu leisten.24  Besonders unterstützt wird es dabei von zwei Organisationen: dem interreligiösen Netzwerk Faith for the Climate, das 2014 gegründet wurde und dessen Mitglieder sich für Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise einsetzen, und der bekannten, in über 70 Ländern vernetzten NGO Religions for Peace (RfP) mit Sitz in New York City (gegründet 1961), auch bekannt als World Conference of Religions for Peace (WCRP), die Friedensarbeit durch interreligiösen Dialog zu leisten sucht. Ein weiterer Partner des Eco Dharma Network ist das Dharma Action Network for Climate Engagement (DANCE), das 2013 gegründet wurde. Es versteht sich als Forum buddhistischer Wortführer für die buddhistische Gemeinschaft, das Dharma-Antworten auf die Klimakrise zu finden sucht.

Schlussbemerkungen

Die Teilnahme der DBU am buddhistischen Aktionsmonat und die Bewerbung von Eco Dharma Network-Veranstaltungen mit David Loy überraschen nicht. Zum einen ist in der Satzung der DBU die „Integration des Buddhismus in die Gesellschaft“ mithilfe von Maßnahmen wie „Kontakte[n] zu buddhistischen Organisationen im Ausland“ verankert.25 Zum anderen erfährt das Thema Ökologie, wie Vorstands- und Ratsmitglieder während des – eingangs in Teil I dieses Beitrags (S. 261) angeführten – Online-Workshops am 2. Juni 2022 berichteten, seit über zwölf Jahren verstärkt Aufmerksamkeit.

2009 erschien z. B. in „Buddhismus aktuell“ ein Heft mit dem „Themenschwerpunkt: Die Erde heilen“.26  Darin sind Texte von Joanna Macy („Am Tanz des Lebens teilnehmen“) und Thích Nhất Hạnh („Damit wir eine Zukunft haben – Plädoyer für einen gewaltlosen Umgang mit der Natur“) abgedruckt. Weitere Beiträge stammen u. a. von DBU-Mitgliedern wie Manfred Folkers (geb. 1950, „Ausstieg aus dem Wachstumswahn“) und von Franz-Johannes Litsch (geb. 1945, „Der Griff ins Leere – Buddha und der Schutz unserer Umwelt“), beide Schüler von Thích Nhất Hạnh. Litsch war zwanzig Jahre lang Mitarbeiter des Umweltbundesamts Berlin / Dessau und hat das deutschsprachige Netzwerk engagierter Buddhisten initiiert. Folkers ist seit über 25 Jahren Vorsitzender des Vereins Achtsamkeit in Oldenburg und leitet die DBU-AG mit dem Namen „(Buddhismus und) Umwelt“. Zu den erklärten Zielen der AG rund um „Ökologie, Nachhaltigkeit und Transformation“ gehört die Ermutigung „individuellen und gemeinsamen Engagement[s]“ sowie die Vernetzung „bestehender Initiativen, auch in Telefon- und Video-Konferenzen“ zu Themen wie „Klima-Krise“ und „Artensterben“.27  Ein rezentes Beispiel für eigene Aktionen der AG bildet eine Kundgebung am 11. Juni 2022, die zugleich der Vorbereitung des Workshop-Tags „Buddhistisches Engagement – und seine Grundlagen im Dharma“ vor der DBU-Mitgliederversammlung am 24. Juni 2022 in Berlin diente. Die Kundgebung fand vor zwei Zementfabriken der Firmen „HeidelbergCement“ und „Holcim“ in Hannover und Umgebung statt, mit dem Ziel, „auf die schädlichen Wirkungen von Beton hinzuweisen und Veränderung anzustoßen“28.

Der dreistündige Online-Workshop am 2. Juni 2022 ergab, dass das Thema Ökologie auch über die AG Umwelt hinaus ein Anliegen in der DBU ist.29  Etwa 85 % der Anwesenden aus verschiedenen deutschen Bundesländern waren DBU-Mitglieder. Eine erste moderierte Diskussionsrunde veranschaulichte die Besorgnis aller Anwesenden angesichts der vielfältigen regionalen und globalen Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels auf Natur, Gesellschaft, Wirtschaft und das tägliche Leben. Zudem wurde deutlich, dass etwa 70 % der Anwesenden bereits zum Zeitpunkt der Veranstaltung in organisierter Form zivilgesellschaftlich engagiert waren. In einer zweiten Diskussionsrunde zeigte sich, dass die Mehrheit der Teilnehmenden ökologisches Engagement als Erweiterung des klassischen Fokus des Buddhismus auf individuelles Leid begreift und neben der individuellen die kollektive Beseitigung von Leid, das durch gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Strukturen und Systeme erzeugt wird, als anzustrebendes Ziel im Sinne Loys versteht – ob dieses Ziel erreichbar ist oder nicht.

Die Bezüge auf David Loy in der DBU sowie die Nutzung und Förderung von Netzwerken machen lokale und globale Dynamiken greifbar, wie sie für den modernen und engagierten Buddhismus charakteristisch sind. Sie zeigen, wie in einer globalisierten Welt des Austauschs personale und digitale Kooperationsbeziehungen und Netzwerke eine entscheidende Rolle als Katalysator für religiösen Wandel spielen und zumal im Bereich des Aktivismus bewusst für Neuerungen genutzt werden. Es wird zu sehen sein, inwiefern die Eco Dharma-Bewegung, an deren Aufbau Loy arbeitet und die bislang vor allem im angloamerikanischen Raum als Vielfalt buddhistischer Bedeutungs- und Praxiszusammenhänge in Erscheinung tritt, im deutschsprachigen Raum unter dem Namen ÖkoDharma Fuß fasst – und inwiefern die DBU dabei eine maßgebliche Rolle spielt. Die deutschsprachigen Peacemaker mit ökologischer Orientierung jedenfalls, die eng mit Loy zusammenarbeiten und ihn für den 26. Mai 2022 nach Bonn eingeladen hatten, veranstalten bereits seit dem 31. Oktober 2020 „ÖkoDharma-Workshops“ – und sind mit der Projektierung und Errichtung lokaler und globaler Netzwerke befasst.30


Almut-Barbara Renger, 15.9.2022


Anmerkungen

1  www.davidloy.org/index.html (Abruf der in diesem Beitrag angegebenen Internetseiten: 25.8.2022).
www.mia.eu.com; https://zen-peacemakergemeinschaft.de.
3  James 2004.
4  Vgl. Rocky Mountain Ecodharma Retreat Center 2021, Min. 07:00 – 09:20.
5  Science and Wisdom Live 2021, Min. 16:31 – 16:36.
6  Loy 2017.
7  Vgl. Loy 2021, 287 – 314.
8  Tucker / Williams 1997.
9  Vgl. Tucker / Grim 2001; Tucker 2003.
10  Das Yale Forum on Religion and Ecology informiert auf einer umfassenden Website über Konferenzen und Bände zum Thema Religion und Ökologie. Ein Dropdown-Menü unter dem Reiter „World Religions“ z. B. führt zu zahlreichen Unterseiten. Eine dieser Unterseiten – „Buddhism“ – hält eine Fülle von Informationsmaterial bereit, in der Sparte „Multimedia“ (https://fore.yale.edu/World-Religions/Buddhism/Multimedia) auch Loys Dharma-Talk.
11  Vgl. Great Mountain Zen Center 2019.
12  Vgl. Mylius 2018, 127 – 149. Vgl. aus der kanonischen Pāli-Literatur auch ebd., 242 – 246, Die Lehrrede vom Antrieb des Rades der Lehre (Dhammaccakkappavattana-Sutta), die als erste Lehrrede des historischen Buddha gilt.
13  Vgl. Loy 2021, 166 – 198.
14  Vgl. ebd., 79 – 88.
15  Ebd., 88 – 122.
16  Vgl. ebd., 287 – 294.
17  Ebd., 220.
18  Hạnh 2009, 19 – 141.
19  Loy 2021, 290 – 292.
20  Stanley / Loy / Dorje 2009.
21  Vgl. Deutsche Buddhistische Union 2022a.
22  Vgl. Network of Buddhist Organisations 2022.
23  Buddhists UK 2022. Weitere Kooperationspartner wurden zu Beginn der Veranstaltung genannt und zudem in einer Informationsemail, die allen Angemeldeten vom Absender „eco@nbo.org.uk“ zuging, aufgeführt: „The Eco Dharma Network, Centre for Applied Buddhism, Triratna Earth Sangha, XR Buddhists, the Network of Buddhist Organisations and Buddhists Across Traditions are collaborating together on these events, and we are grateful to SGI-UK for providing the venue free of charge.
24  Vgl. Network of Buddhist Organisations 2022.
25  Deutsche Buddhistische Union 2021.
26  Deutsche Buddhistische Union 2009.
27  Deutsche Buddhistische Union 2022b.
28  Deutsche Buddhistische Union 2022c.
29  Berichtet wurde im Workshop z. B., dass die erst kürzlich gegründete DBU-AG mit dem Namen „Transformation“ Formen entsprechenden Engagements in Präsenzformaten und unter Nutzung digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien plant.
30  Vgl. Peacemaker-Gemeinschaft Deutschland 2020.


Literatur und Quellen

Deutsche Buddhistische Union (2009): Buddhismus aktuell 3: Die Erde heilen, München.

Deutsche Buddhistische Union (2021): Satzung der Deutschen Buddhistischen Union e. V. – Buddhistische Religionsgemeinschaft, Fassung vom 30.6.2021, https://buddhismus-deutschland.de/wp-content/uploads/2021/07/Satzung-der-Deutschen-Buddhistischen-Union-e.V.-Fassung-30.05.2021.pdf.

Deutsche Buddhistische Union (2022a): DBU-Workshop „Buddhismus in Aktion – Weisheit, Mitgefühl und Engagement in Zeiten der Klimakrise“, 8.5.2022, https://buddhismus-deutschland.de/dbu-workshop-buddhismus-in-aktion-weisheit-mitgefuehl-und-engagement-in-zeiten-der-klimakrise.

Deutsche Buddhistische Union (2022b): AG Umwelt,https://buddhismus-deutschland.de/ag-umwelt.

Deutsche Buddhistische Union (2022c): Buddha – und nicht Beton. Kurzbericht über die Kundgebung am 11. Juni im Rahmen des Buddhistischen Aktionsmonats, 13.6.2022, https://buddhismus-deutschland.de/buddha-und-nicht-beton.

Great Mountain Zen Center (2019): Ecodharma – Buddhism and Ecology, 7.5.2019, www.youtube.com/watch?v=gUkt7EBxhKo.

Hanh, Thich Nhat (2009): Die Welt ins Herz schließen. Buddhistische Wege zu Ökologie und Frieden, Bielefeld.

James, Simon P. (2004): Zen Buddhism and Environmental Ethics, Aldershot, VT.
Loy, David (2017): How a Growing Buddhist Movement Is Responding to the Ecological Crisis, in: Trycicle, 21.4.2017, https://tricycle.org/trikedaily/growing-buddhist-movement-responding-ecological-crisis.

Loy, David R. (2021): ÖkoDharma: Buddhistische Perspektiven zur ökologischen Krise, Berlin.
Mylius, Klaus (Hg., 2018): Die vier edlen Wahrheiten. Texte des ursprünglichen Buddhismus, Ditzingen.

Network of Buddhist Organisations (2022): Eco Dharma Network, www.nbo.org.uk/eco-dharma-network.

Peacemaker-Gemeinschaft Deutschland (2020): ÖkoDramaÖkoDharmaÖkoKarma: Frieden stiften als Teil der Erde, 31.10.2020, https://zen-peacemakergemeinschaft.de/event/2020-10-31-oeko-dharma-im-dialog-fuer-peacemaker-und-interessierte.

Rocky Mountain Ecodharma Retreat Center (2021): Ecodharma Past and Future. A Conversation with David Loy and Guhyapati 1, 18.9.2021, www.youtube.com/watch?v=n8mxm-UxPdQ&t=1208s.

Science and Wisdom Live (2021): Our Gift to the Earth, with David Loy, 19.11.2021, www.sciwizlive.com/podcast/david-loy-ecodharma-interview.

Stanley, John  / Loy, David / Dorje, Gyurme (Hg., 2009): A Buddhist Response to the Climate Emergency, Boston.

Tucker, Mary Evelyn (Hg., 2003): Worldly Wonder. Religions Enter Their Ecological Phase, Chicago / La Salle.

Tucker, Mary Evelyn / Grim, John A. (Hg., 2001): Religion and Ecology: Can the Climate Change? [Dædalus. Journal of the American Academy of Arts and Sciences 130/4], Proceedings of the American Academy of Arts and Sciences: Cambridge, MA, 2001.

Tucker, Mary Evelyn / Williams, Duncan Ryūken (Hg., 1997): Buddhism and Ecology. The Interconnection of Dharma and Deeds, Cambridge, MA.
XR Buddhists UK: Who Are We?, http://xrbuddhists.com/about.


Weitere Literatur am Ende von Teil I (ZRW 4/2022, 270 – 272).