Ökumene im Dritten Reich
Jörg Ernesti, Ökumene im Dritten Reich, Bonifatius-Verlag, Paderborn 2007, 411 Seiten, 49,90 Euro.
Kaum ein Zeitraum des 20. Jahrhunderts ist politisch-historisch so weit ausgeleuchtet wie die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland. Dahinter verblassen manche spannenden Entwicklungen der Kirchen- und Theologiegeschichte, die näherer Betrachtung durchaus würdig wären. Ein solches Projekt ist die vorliegende Geschichte der „Ökumene im Dritten Reich“ des katholischen Theologen und Kirchenhistorikers Jörg Ernesti.
Ökumene meint hier nicht die im Entstehen begriffene Ökumenische Bewegung mit Zentrum in Genf, sondern das spannungsvolle Zu- und Miteinander von Katholiken und Protestanten in Deutschland unter den Bedingungen der braunen Diktatur. In verschiedener Hinsicht ist dieses Buch spannend zu lesen.
1. Abseits der organisierten „Ökumenischen Bewegung“, an deren Treffen auch nur teilzunehmen Katholiken durch römisches Veto verboten war, entwickelte sich in Deutschland ein stark akademisch geprägter Kontakt zwischen profilierten Theologen katholischer wie evangelischer Konfession, um Gemeinsames und Trennendes abseits konfessioneller Polemik herauszuarbeiten. Ziel war zunächst ein gründliches Kennenlernen der jeweils anderen Seite. Auf katholischer Seite sind hier Romano Guardini und Erich Przywara SJ zu nennen oder der langjährige Kölner Stadtpfarrer Robert Grosche und der Bonner Fundamentaltheologe Arnold Rademacher, auf evangelischer Seite so unterschiedlich konfessionell geprägte Persönlichkeiten wie der Reformierte Karl Barth und der Lutheraner und Michaelsbruder Wilhelm Stählin oder der hochkirchlich engagierte Religionswissenschaftler Friedrich Heiler; gemeinsam ist diesen überaus unterschiedlich geprägten protestantischen Theologen allenfalls die Ferne zur früher dominierenden liberalen Theologie. Misstrauisch beäugt wurden diese Kontakte nicht nur von manchen katholischen Autoritäten, die eine Aufweichung der Glaubenslehre befürchteten, sondern auch von Partei und Staat. Die Behörden witterten Bemühungen um eine gemeinsame Abwehrfront gegen den NS-Staat und ließen ökumenische Treffen gründlich durch Spitzel überwachen. Ausführliche Berichte aus diesen staatlichen Quellen werden im Buch erstmals dokumentiert.
2. Zusätzlich zu den sehr fachtheologisch geprägten Treffen bildeten sich – angeregt vor allem durch den charismatischen katholischen Geistlichen und Pazifisten Max Josef Metzger – die auch gebildeten Laien offen stehenden „Una Sancta“-Kreise. Noch deutlicher als bei den Fachtheologen war deren Ziel die Verständigung, das Fernziel sicher auch eine einige Christenheit. Auch hier hatte die Gestapo Denunzianten eingeschleust; eine Denunziation führte 1943 zur Verhaftung und 1944 zum Todesurteil für Metzger.
3. Etwas kurz behandelt wird die politische, seltener explizit theologische Zusammenarbeit über Konfessionsgrenzen hinweg im deutschen Widerstand. Das gilt insbesondere für den „Kreisauer Kreis“ um Helmuth Graf Moltke, der für seine Zukunftsentwürfe eines neuen, nachnazistischen Deutschlands bewusst auf das christliche Menschen- und Gesellschaftsbild zurückgriff. So konnte im Kreisauer Kreis die katholische Soziallehre eine Brücke bilden nicht nur zwischen Katholiken und Protestanten, sondern auch zur sozialdemokratischen Arbeiterbewegung: eine im damaligen Deutschland beispiellose Überschreitung von Milieugrenzen. Ernesti behandelt diesen Teil der Ökumene eher kurz1 und betont sehr deutlich, dass es hier um eine von Respekt getragene praktische Zusammenarbeit, nicht um eine theologische Vereinigung der Kirchen gegangen sei. Faktisch ist aber zwischen den Beteiligten auch spirituell eine Nähe entstanden, die man in den Gefängnis-Notizen von Delp, Moltke oder Gerstenmaier ergreifend nachlesen kann, ähnlich bei den „Lübecker Märtyrern“, den katholischen Priestern Prassek, Müller und Lange sowie dem evangelischen Pastor Stellbrink.2 Dass dies auch ins Nachkriegsdeutschland überliefert wurde, war sicher nicht folgenlos.
4. Zu erwähnen ist schließlich auch der hier erstmals ausführlich dokumentierte groteske Versuch, eine Art „braune Ökumene“ mit dem Ziel der Überwindung konfessioneller Spaltung aus nationalen Gründen („Volksgemeinschaft“) voranzubringen. Die Protagonisten solcher Ideen, wie der von den Nazis erst installierte und dann fallen gelassene evangelische Reichsbischof Ludwig Müller oder der umtriebige katholische Priester Richard Kleine, blieben freilich Außenseiter, ihre Bemühungen erfolglos.
Ernesti gibt über all diese Entwicklungen einen soliden Überblick und veröffentlicht dabei viele bislang ungedruckte Quellen. Gründlich würdigt er auch die erstmalige und nicht unumstrittene Verankerung ökumenischer Gedanken im „Referat für Wiedervereinigungsfragen“ der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz; dank der langen Nachkriegs-Amtszeit des zuständigen Paderborner Erzbischofs Lorenz Jäger entstand hier eine weiter wirkende Kontinuität.
Insgesamt lässt sich zu diesem Buch sagen: Ernesti zeichnet aus katholischer Perspektive einen wichtigen, bisher zu wenig beachteten Abschnitt der Entwicklung ökumenischer Beziehungen nach. Das ist nicht nur höchst lehrreich zu lesen, sondern mahnt auch zur Gelassenheit gegenüber heutigen ökumenischen Spannungen und Stagnationen. Wer diese Vorgeschichte liest, kann sehen, welch ein weiter Weg denn doch zurückgelegt wurde. Der lange Atem der daran Beteiligten ist auch heutigen Ökumenikern zu wünschen.
Lutz Lemhöfer, Frankfurt a. M.
Anmerkungen
1 Ausführlicher nachzulesen etwa bei Günter Brakelmann, Helmuth James Graf von Moltke. Eine Biographie, München 2007.
2 Vgl. den Eintrag „Lübecker Märtyrer“ bei www.wikipedia.de. Bei Dietrich Bonhoeffer hingegen gibt es kaum eine Bezugnahme auf die kath. Kirche, intensiv aber auf die weltweite Ökumenische Bewegung, deren Protagonisten er gut kannte. Vgl. dazu Joachim Garstecki (Hg.), Die Ökumene und der Widerstand gegen Diktaturen. Nationalsozialismus und Kommunismus als Herausforderung an die Kirchen, Stuttgart 2007.