Matthias Pöhlmann

Okkult-Organisationen in Deutschland

Neue Literatur über magische Gesellschaften im 20. Jahrhundert

Volker Lechler: Heinrich Tränker als Theosoph, Rosenkreuzer und Pansoph (unter besonderer Berücksichtigung seiner Stellung zum O.T.O. und seines okkulten Umfeldes), Bausteine zum okkulten Logenwesen, Bd. 1, Verlag Volker Lechler, Stuttgart 2013, 720 Seiten.

Volker Lechler: Die ersten Jahre der Fraternitas Saturni. Unter Berücksichtigung des Schriftwechsels zwischen Gregor A. Gregorius (d. i. Eugen Grosche) und Rah-Omir (d. i. Wilhelm Quintscher), Bausteine zum okkulten Logenwesen, Bd. 2, Verlag Volker Lechler, Stuttgart 2015, 400 Seiten.

Iris Blum: Mächtig geheim. Einblicke in die Psychosophische Gesellschaft 1945 – 2009, Limmat Verlag, Zürich 2016, 328 Seiten.

Gesamtdarstellungen und Analysen zu Okkult-Bewegungen des 20. Jahrhunderts gibt es in England und in den USA in einer beträchtlichen Anzahl. Deutschsprachige Veröffentlichungen sind eher die Ausnahme. Seit Kurzem aber liegen mehrere Einzelstudien vor, die sich der Geschichte des organisierten Okkultismus in Deutschland zuwenden. Sie verdanken sich dem glücklichen Umstand, dass ein Teilnachlass des wichtigen Protagonisten Heinrich Tränker sowie Privatsammlungen zugänglich wurden. Darin werden interessante Details und Hintergründe, Rivalitäten und handfeste Auseinandersetzungen einzelner Persönlichkeiten geschildert. Die Aktenlage über Okkult-Organisationen hat sich infolge der deutschen Wiedervereinigung deutlich verbessert. Bislang unbekannte Quellen und biografische Details über die zeitgenössischen Protagonisten sind nun zugänglich, wovon die beiden Darstellungen von Lechler deutlich profitieren konnten.

Impulsgebend für den organisierten Okkultismus in Deutschland war die anglo-indische Theosophie. Von Beginn an spaltete sie sich international und auch hierzulande nicht zuletzt aufgrund von Auflösungen, Zusammenschlüssen und personellen Veränderungen in verschiedene Richtungen auf.

Als „Bausteine zum okkulten Logenwesen“ verstehen sich die beiden Publikationen von Volker Lechler, der neben einem Verlag auch die Internetseite www.magie.de betreibt. Die schwergewichtigen Bände umfassen zahlreiche Fotografien und Dokumente, die für die Geschichte des organisierten Okkultismus im 20. Jahrhundert von besonderem Interesse sind. Lechler, geb. 1962 in Stuttgart, hat Rechtswissenschaften studiert und betrieb bis 2005 ein Spezialantiquariat für Okkultismus. Akribisch und in ansprechender Aufmachung präsentiert er das Material zu Heinrich Tränker und zur frühen Fraternitas Saturni.

Weniger voluminös, jedoch nicht weniger interessant ist die Untersuchung der Historikerin Iris Blum zur Psychosophischen Gesellschaft zwischen 1949 und 2009.

Einflüsse Aleister Crowleys

Vor 70 Jahren, am 1. Dezember 1947, verstarb der englische Okkultist Aleister (Edward Alexander) Crowley in Hastings hochverschuldet an einer Herzmuskelschwäche. Wie kein anderer hat er die verschiedenen Okkult-Organisationen des 20. Jahrhunderts geprägt und gespalten. Die höchst umstrittene Persönlichkeit mit einem ausgeprägten Hang zur Selbstinszenierung und zur okkult-magisch motivierten Großmannssucht war ein Enfant terrible seiner Zeit. Dennoch ist es Crowley infolge seiner enormen literarischen Schaffenskraft gelungen, mit den von ihm geschaffenen Termini „Magick“ und „Thelema“ einen nachhaltigen Einfluss auf esoterische, neopagane und okkult-magische Systeme, wie z. B. auf Gerald B. Gardners Wiccanismus, auszuüben. Die Rezeption Crowley‘scher Ideen lässt sich beim heute noch existierenden Ordo Templi Orientis (O.T.O.) wie auch bei der deutschen Thelema Society beobachten.

Besonders in der deutschen Okkult-Szene der Zwischenkriegszeit genoss der britische Okkultist höchstes Ansehen, wenngleich er infolge seiner massiven Selbstüberhöhung auch auf Ablehnung stieß und als „Schwindler“ betrachtet wurde. Die vorliegenden Untersuchungen liefern auf der Basis von einschlägigem Aktenmaterial, das infolge der deutschen Wiedervereinigung zugänglich wurde, eine Vielzahl interessanter Details über persönliche Beziehungen und auch Rivalitäten zwischen den Okkultisten jener Zeit. Zusätzlich ermöglichen die vorliegenden Bücher spannende Einblicke in die Organisation okkult-magischer Organisationen in Deutschland und der Schweiz. Zugleich wird deutlich, wie stark die damalige Szene auch von menschlichen Schwächen, Machtansprüchen und gegenseitigem Misstrauen der Hauptakteure geprägt war. Die Protagonisten der damaligen Okkult-Szene in Deutschland und der Schweiz waren vor allem Heinrich Tränker (1880 – 1956), Hermann Joseph Metzger (1919 – 1990) und Eugen Grosche (1888 – 1964).

Pansophische Loge

Der Buchhändler, Antiquar, Verleger, Rosenkreuzer, Okkultist und Gründer der Pansophischen Loge, Heinrich Tränker, wurde 1880 als zweiter Sohn eines Landwirts in der Nähe von Erfurt geboren. Die Familie war gut situiert. In jungen Jahren interessierte er sich für Philosophie und Theologie. Eigene religionswissenschaftliche Forschungen brachten ihn mit der theosophischen Bewegung in Kontakt. Besonders inspiriert hatte ihn dabei sein Lehrer Franz Schulze, Theologe und Theosoph, sowie der Theosoph Franz Hartmann (1838 – 1912). Die Initialzündung für die theosophische Prägung Tränkers war die Begegnung mit der 1897 von Hartmann ins Leben gerufenen „Internationalen Theosophischen Verbrüderung“ (I.T.V.), die ein Jahr später ihren Sitz von München nach Leipzig verlegt hatte. In dieser Phase erhielt der junge Tränker viele Impulse: So beschäftigte er sich mit Alchemie, Astrologie, Buddhismus, Karma, Reinkarnation, Zahlensymbolik und naturwissenschaftlichen Überlegungen. Maßgeblich geprägt wurde er u. a. von dem Freimaurer und Theosophen Otto Gebhardi (1852 – ca. 1929ff). 1905 gab Tränker seinen Beruf als Landwirt auf und trat in Leipzig ein Volontariat in einer theosophischen Buchhandlung an. Dort kam er auch mit dem namhaften Theosophen Franz Hartmann in Kontakt, der schon bald zu seinem Lehrer wurde. Tränkers okkultistische Karriere hing eng mit seiner Tätigkeit als Buchhändler und Antiquar zusammen. Unermüdlich sammelte er Okkult-Literatur, die aber in den Kriegswirren unwiederbringlich verloren ging. Als er 1956 in Berlin starb, würdigte ihn ein enger Weggefährte als „letzten großen Repräsentanten der alten hermetischen Rosenkreuzeridee“.

Das Werk Lechlers über Tränker dokumentiert im Anhang auf 84 Seiten „Beispiele für pansophische Logenabende“ sowie mehrere pansophische Rituale, die im Blick auf den Charakter von Wechselgesprächen stark an die freimaurerische Tempelarbeit erinnern, inhaltlich wegen ihres Okkult-Charakters aber deutlich davon abweichen.

Fraternitas Saturni

Am Samstag, dem 8. Mai 1926, wird unter der Leitung des Buchhändlers und Schriftstellers Eugen Grosche die Fraternitas Saturni (FS) durch fünf sog. Fratres und 17 Neophyten aus dem Umfeld der aufgelösten Pansophischen Loge in Berlin offiziell gegründet. Das Ziel dieser magisch arbeitenden Okkult-Loge ist die Erforschung und Praxis von Rosenkreuzertum, Alchemie und esoterischer Astrologie. Grosche wird der erste Großmeister der FS und führt seither den Logennamen Gregor A. Gregorius.

Am 8. Mai 2016 konnte die geheimnisumwitterte Okkult-Loge Fraternitas Saturni (FS) ihr 90-jähriges Jubiläum begehen. Dies nahm sie zum Anlass, ihre eigene Geschichte zu erforschen. Es handelt sich um die wichtigste okkult-magische Loge im deutschsprachigen Raum. Der in Berlin eingetragene Verein hat damit begonnen, sämtliche Jahrgänge der „Blätter für angewandte Lebenskunst“ (1950 – 1963) neu zu publizieren. Die FS begreift sich der Selbstdarstellung auf www.fraternitas.de zufolge als „rein esoterische Wissensloge, die den Impuls des Wassermannzeitalters von geistiger Klarheit und Freiheit zu verwirklichen trachtet“. Im Mittelpunkt von Lehre und Praxis stehe „die Gesamtentwicklung der Menschheit durch Entwicklung und Förderung des Einzelnen“. Ermöglicht werde dies „in erster Linie durch eine geistige und ethische Schulung der Persönlichkeit für den allgemeinen Lebenskampf und die Beherrschung sämtlicher okkulter und esoterischer Disziplinen“. Dazu hat die FS ein 33-Grad-System geschaffen.

Lechler möchte Licht in das Dunkel der Gründungsgeschichte der magischen Gesellschaft bringen, was ihm zweifelsohne gelingt. Dabei geht er auch auf die Vorläufer ein, die „astrologisch-esoterische Arbeitsgemeinschaft“ (1924), die „Esoterische Logenschule“ (1924 – 1926) und die „Pansophische Loge der lichtsuchenden Brüder Orient Berlin“ (1924 – 1926). Bei seiner historischen Darstellung stützt er sich auf die Mitgliedsakten der FS, wobei einige fehlen dürften. 1931 hatte die Okkult-Loge nur 50 Mitglieder. 1934 stellte die FS ihre Aktivität im nationalsozialistischen Deutschland ein, um einem möglichen Verbot zu entgehen.

Psychosophische Gesellschaft

Hermann Joseph Metzger, Luzerner Bäcker, Konditor und Leiter der Psychosophischen Gesellschaft, gründete 1966 gemeinsam mit seinen Anhängerinnen Anita Borgert, Annemarie Aeschbach und anderen die Abtei Thelema in Stein (Appenzell, Schweiz). Dort entstanden im Laufe der Zeit auch eine Druckerei, ein alchemistisches Labor, eine Wetterstation, ein Biotop mit biomechanischer Kläranlage, eine Geistes- und Lebensschule, die allesamt der Psychosophischen Gesellschaft gehörten. Sie verfügte außerdem über ein Gasthaus mit Hotelbetrieb namens Rose. Unter theosophischem Einfluss hatte Metzger bereits 1945 in Zürich die Psychosophische Gesellschaft gegründet. Ihr Ziel sollte es sein, die „Höherentwicklung des Menschen auf einer spirituell begründeten, demokratischen Lebensform“ zu ermöglichen (Blum, 294).

Leitendes Interesse der Historikerin Iris Blum in ihrer Studie ist die Frage, „wie das Wissen um das Esoterische produziert und publiziert wurde, wie sich das Zusammenleben dieser esoterischen Gemeinschaft gestaltete, wie sich die Glaubensinhalte auf den Alltag und Festtag auswirkten, wie die esoterische Praxis – wenn überhaupt – von aussen wahrgenommen wurde und in welches (internationale) Netzwerk die Protagonistinnen und Protagonisten eingespannt waren“ (12). Das Buch enthält 20 kürzere und längere Lebensgeschichten zu Kenneth Anger, Franz Bardon, Aleister Crowley, Karl Germer, Albin Grau, Hermann Metzger und Theodor Reuss. Damit erschließt sich eine wahre Fundgrube biografischer Details dieser zeitgenössischen Okkult-Avantgarde. Hinzu kommt ein Überblick über die verschiedenen Tätigkeitsfelder von der Abtei Thelema über die Fraternitas Saturni, die Freimaurer, die Gnostisch-Katholische Kirche bis hin zum Labor Thelema, zum Ordo Templi Orientis (O.T.O.) und zur Wetterstation Thelema. Abgerundet wird der Band durch zahlreiche, mitunter farbige Fotos und Porträtaufnahmen.

Die „Konferenz von Weida“

Besonders interessant sind die von Lechler präsentierten Hintergrundinformationen zur sog. „Konferenz von Weida“ (1925), bei der es vor allem darum ging, wer die Leitung des O.T.O. übernehmen sollte. Das O.T.O.-Oberhaupt Theodor Reuss (1855 – 1923) hatte die Nachfolgeregelung offengelassen. Infrage kamen damals eigentlich nur Aleister Crowley und Heinrich Tränker, da sie sich im Blick auf die magischen Grade, die sie im O.T.O. erworben hatten, gleichberechtigt gegenüberstanden. In Weida sollte die Nachfolge geklärt werden. Daher kam Aleister Crowley am 22. Juni 1925 im thüringischen Hohenleuben an und bezog für etwa 35 Tage Quartier bei Tränker in Hohenölsen. Es kam aber zu Spannungen mit Tränker, weshalb Crowley es vorzog, dessen Haus mit seinem Gefolge zu verlassen. 1925 hatte der Offizier und Okkultist Karl Germer (1885 – 1962) Crowley persönlich kennengelernt und brachte ihn nun bei sich in Weida unter.

Lechler kann in seinem Werk zur Fraternitas Saturni irrige Aussagen zur Weida-Konferenz in gängigen Darstellungen bei Adolf Hemberger u. a. überzeugend widerlegen (41-56). Ausführlich geht der Autor auf die Weida-Konferenz auch in seinem Werk „Heinrich Tränker“ ein (280-312).

Die Initiative für die sog. Weida-Konferenz war demzufolge von Tränker ausgegangen. Er hatte Crowley zu dieser Tagung in sein Waldschlösschen eingeladen, die nicht geheim war, sondern an der täglich bis zu 28, meist wechselnde Personen teilnahmen, darunter vor allem Pansophen und Leser der Schriften Crowleys, die den englischen Okkultisten persönlich erleben wollten. Regelmäßige Teilnehmer an den Besprechungen waren das Ehepaar Tränker, Karl Germer sowie Crowley und sein Gefolge, bestehend u. a. aus Dorothy Olsen, Leah Hirsig und Norman Mudd. Es ist nach Aktenlage auszuschließen, so Lechler, dass bestehende Okkult-Organisationen Emissäre nach Weida geschickt hatten. Es war wohl so, dass Vertreter einzelner, unabhängiger pansophischer Ortslogen nach Thüringen gereist waren.

Beim Konflikt zwischen Tränker und Crowley spielten offensichtlich neben persönlichen Animositäten vor allem finanzielle Aspekte eine nicht unerhebliche Rolle, die schließlich zum Zerwürfnis zwischen den beiden führten.

Wertvolles Quellenmaterial mit interessanten Einblicken

Die vorliegenden Spezialpublikationen schließen eine empfindliche Lücke in der Erforschung des neuzeitlichen organisierten Okkultismus. Gerade die Arbeiten Lechlers zeichnen sich durch enormen Fleiß und große Akribie aus. Die beiden aufwendig ausgestatteten Bände mit zahlreichen Dokumentationsmaterialien bieten ausführliche Analysen. Die Fülle an Details, die zahlreichen Querverweise, die zeitgeschichtlichen Analysen, vor allem des Nationalsozialismus, und die Einblicke in persönliche Beziehungen der Okkult-Avantgarde zu zeitgenössischen Schriftstellern, die wie Franz Kafka der Psychosophie bzw. dem Okkultismus gegenüber aufgeschlossen waren, sind für Esoterikforscher sehr gewinnbringend.

Das gilt ebenso für die Arbeit Blums, die einen originellen lebensgeschichtlichen Zugang zu den Okkultprotagonisten wählt. Insgesamt werden das Beziehungsgeflecht und die wechselseitigen, allzu menschlichen und magisch überhöhten Rivalitäten zwischen den Akteuren anschaulich.

Bei der Erforschung und historischen Darstellung von Okkult-Orden des 20. Jahrhunderts kommt man an den hier angezeigten Werken keinesfalls vorbei.


Matthias Pöhlmann