On the Road to Armageddon. How Evangelicals Became Israel´s Best Friend
Timothy P. Weber, On the Road to Armageddon. How Evangelicals Became Israel’s Best Friend, Baker Book House, Grand Rapids 2005, 336 Seiten, 21,82 Euro.
Millionen von US-Amerikanern betrachten die Gegenwart durch eine endzeitliche Brille. Dabei spielt die Bestimmung Israels und der Juden eine zentrale Rolle. Die Durchsetzung von Gottes Plan vollzieht sich an Wahlurnen und in politischen Kampagnen. Doch weshalb sind viele Evangelikale die besten Freunde Israels und wie wurden sie es?
Die Studie von Timothy P. Weber macht uns mit dem Aufstieg des Dispensationalismus (einer Einteilung der Heilsgeschichte in Abschnitte) von einer belächelten Randerscheinung zu einer amerikanischen Obsession bekannt. Nichts weniger als das Ende der Welt steht im Zentrum des Interesses. Die Sinngebung der eigenen Zeit als Endzeit ist zentral für den Millenarismus, zu dessen prämillenaristischen Spielarten (Wiederkunft Christi vor dem Anbruch des 1000-jährigen Reiches) der Dispensationalismus zählt. Weber vollbringt die Meisterleistung, in neun Kapiteln sowohl die Geschichte des Dispensationalismus zu entfalten als auch seinen Siegszug zu erklären. Die Darstellung ist prägnant und auch für Fachfremde verständlich.
In den ersten Kapiteln beschreibt Weber die Anfänge des Dispensationalismus in den USA. Das Schema der Endzeitereignisse geht auf Nelson Darby (1800-1881) zurück. Das System ruht auf zwei Säulen: der Einleitung der Endzeit durch die Wiedergründung des Staates Israel sowie der Entrückung der Gläubigen vor der Apokalypse. Nach 1865 etablierte sich der Dispensationalismus in evangelikalen Milieus. Er entwickelte ein eigenes Netzwerk an Ausbildungsstätten (Moody Bible Institute) und trat mit Publikationen wie der Scofield-Bibel hervor. Über die Bibelkonferenz-Bewegung wurde er zu einem Synonym für Fundamentalismus (Niagara Creed) und pentekostale Prophetie. Bereits damals erwies sich die Vorstellung der Entrückung als dynamische Kraft in einem determinierten Endzeitablauf, dessen schlichte Logik bis heute funktioniert: je näher die Stunde, umso größer der Einsatz für die Sache.
Die Geschichtsdeutung ist auf die Rolle der Juden am Ende der Zeit fixiert. Von daher war es nebensächlich, dass der Lauf der Realgeschichte in der Regel nicht den prophetischen Erkenntnissen entsprach. In der Folge des Ersten Weltkriegs scheiterten sowohl die traditionelle evangelikale postmillenaristische als auch die liberale Theologie mit ihrer Erwartung einer christianisierten Welt. Als Reaktion darauf gab der Dispensationalismus die erfolgreiche Parole „Christentum gegen Kultur“ aus. Der endzeitliche Blick auf die Juden fokussierte in diesen Jahren entweder auf die Rückkehr nach Israel oder die Mission. Jedoch unterblieb in der Regel der naheliegende Bezug auf den Zionismus, da dessen säkularer Hintergrund den prophetischen Vorgaben widersprach.
Im Umfeld der dispensationalistischen Judenmission entstanden bereits vor 1914 Ansätze zur Bildung messianischer Gemeinden, die seit den 1920er Jahren umgesetzt wurden. Das in den 1970er Jahren gegründete Missionswerk „Jews for Jesus“ oder die seit dieser Zeit entstandenen messianischen Gemeinden sind jedoch Neugründungen, jüdisch im Stil, charismatisch in der Liturgie, prämillenaristisch in der Theologie. Hintergrund ist die Auflösung der klassischen jüdischen Milieus.
In diesem Kontext ist die jüdische Kritik an jenen Gemeinden zugleich als Ausdruck eines innerjüdischen Identitätsproblems zu lesen – eine These, die u. a. von der Rabbinerin C. Harris-Shapiro geteilt wird. Spannend ist der Hinweis auf die wachsenden messianischen Gemeinden unter den säkularen russischen Juden in Israel.
Für den Siegeszug des Dispensationalismus sind vor allem drei Daten entscheidend: die „Balfour Declaration“ von 1917, die Staatsgründung Israels 1948 und schließlich die Eroberung Jerusalems im Jahr 1967. Die endzeitlichen Muster lagen bereit und konnten seit der Gründung Israels in die Politik hineingelesen werden. Aus Beobachtern wurden Teilnehmer eines Endzeitspiels.
Hal Lindseys „The Late Great Planet Earth“ brachte 1970 den Durchbruch auf dem säkularen Medienmarkt. Die Gattung der Endzeitliteratur wurde Teil der allgemeinen Kultur. Schließlich taten die Wahlsiege der Republikaner unter Reagan und Bush das ihre. Zudem übernahmen Vertreter der sogenannten „electronic church“ den Dispensationalismus und verwendeten ihn im inneramerikanischen Kulturkampf. Allerdings markierte das Ende der UdSSR die Aufgabe des Prämillenarismus durch die „electronic church“. Sie rezipierte den Sieg der USA über das „Reich des Bösen“. In der bedingungslosen Unterstützung Israels blieb jedoch die Kooperation bestehen.
Aufseiten des Dispensationalismus gelang es Tim LaHaye mit seiner „Left Behind“-Serie, die gewandelte politische Lage aufzunehmen. Die Ausführungen Webers zum Golfkrieg und zu den Nachahmern LaHayes geben hier gute Beispiele. Auf israelischer Seite wurde seit 1967 die Zusammenarbeit mit der amerikanischen religiösen Rechten forciert.
Weber stellt ironisch fest, dass der Dispensationalismus sich durch Israel historisch gewürdigt sieht, wobei die Motive innerhalb dieser unheiligen Allianz widersprüchlicher nicht sein könnten. Dieser Befund bestätigt sich bei den verschiedenen US-Organisationen, die Israel unterstützen. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner – keine Aufgabe der Siedlungen, kein geteiltes Jerusalem –, der die Kooperation ermöglicht.
Die Wiedererrichtung des Jerusalemer Tempels anstelle der Al-Aqsa-Moschee ist Teil des apokalyptischen Fahrplans der Dispensationalisten. Auch jüdisch-nationalreligiöse Gruppierungen teilen dieses Interesse. Um Gottes Plan umzusetzen, kooperieren die widerstreitenden Gruppen, wobei die einen das Kommen des Antichristen ermöglichen und die anderen einem national-religiösen Messias den Weg bereiten wollen.
Webers Studie zeigt, wie der Dispensationalismus durch die Entwicklung des 20. Jahrhunderts von einer religiösen Vision zu einem politischen Aktionsprogramm wurde. Die Unterstützung Israels erfüllt den Zweck, die Endzeitereignisse zu beschleunigen, an deren Ende der Antichrist das jüdische Volk vernichtet. Zum Finale wird aber Christus mit den entrückten Gläubigen in Harmaggedon den Antichristen besiegen. Es gilt: “Don’t just read about prophecy when you can be part of it.” Frieden für Israel ist hier keine Option.
Robert Giesecke, Schöningen