Owen Davies

Paganism. A Very Short Introduction

Owen Davies, Paganism. A Very Short Introduction, Oxford University Press, Oxford 2011, 148 Seiten, 8,70 Euro.

Was ist ein Heide? Ein kurzes Nachdenken zeigt, dass der in der Gegenwart nur noch ironisch oder in Redewendungen (Heidenangst, Heidenlärm) gebrauchte Begriff äußerst unscharfen Inhalts ist. „Heide“ ist letztlich der religiös „Andere“. Heide war immer Fremdzuschreibung, ein christliches Wort für Nichtchristen. Diese sehr breite Themenabgrenzung liegt der Einführung von Owen Davies, Professor für Sozialgeschichte (Universität Hertfordshire), zugrunde. Das Werk wird dadurch recht heterogen, weil nicht nur die Abgrenzung an den Rändern, sondern schon der Kern des behandelten Themas schwer zu fassen ist.

In sechs Kapiteln entfaltet der Autor sein Thema nach einem kurzen Exkurs in die Vorgeschichte als Durchgang durch die 2000 Jahre Religionsgeschichte seit Auftreten des Christentums: 1. Die antike Welt, 2. Heidentum auf dem Rückzug, 3. Götter des Nordens, 4. Heiden jenseits der Meere, 5. Wiederaufnahme der heidnischen Vergangenheit, 6. Rückkehr der alten Götter. Behandelt werden das griechisch-römische, das germanische, das keltische, das afrikanische, das asiatische und das gegenwärtige Heidentum, wobei die Antike den Schwerpunkt bildet (inkl. Rezeption in der Renaissance). Zum Thema gehören definitionsgemäß sogar innerchristliche Streitschriften, in denen z. B. der Papst als „Heide“ firmiert. Das kleine Werk wird auf diese Weise über weite Strecken weniger eine Geschichte der Heiden als religiöser Gruppen, als vielmehr eine Geschichte christlicher Apologetik, Mission und der Verfolgung Andersgläubiger.

Davies‘ Ansatz ergibt sich aus dem zentralen Problem der Paganismusforschung, i. e. der dürftigen und einseitigen Quellenlage: „Die Geschichte hat sich leider nur bequemt, bei der Beerdigung des Heidentums anwesend zu sein“, meinte der französische Historiker Beugnot 1835. Unser spärliches Wissen stammt überwiegend aus christlichen Quellen. Die differenzierte Darstellung der Quellenprobleme zieht sich durch das Buch. Neben der Färbung der christlichen Quellen ist dies z. B. die Unzuverlässigkeit der Archäologie, deren Funde hinsichtlich der Kultpraxis viele Interpretationen erlauben. Inhaltlich wird das Heidentum aus christlicher Sicht nur minimal, vor allem durch Polytheismus, Opferdienst und Götzendienst definiert.

Davies übernimmt die verbreitete Sicht, wonach die römische Religion für religiöse Toleranz und Vielfalt in einer Zeit wachsender Intoleranz und des Staatskirchentums stand. Bis heute wird das Diktum Quintus Aurelius Symmachus‘, neuplatonischer Senator am christlichen Hof, aus dem Jahr 384 zitiert: „Auf einem einzigen Weg kann man nicht zu diesem großen Geheimnis gelangen.“

Davies verweist auf Gesetze gegen den heidnischen Kultus und auf Zerstörungen von Kultstätten, allerdings konzedierend, diese seien eher die Ausnahme gewesen. Dabei nimmt er vor allem in den Städten organisierten heidnischen Widerstand gegen die neue intolerante monotheistische Fremdreligion an. Das ist zwar eine populäre Sicht, allerdings kommt der Althistoriker Alan Cameron in seiner monumentalen Studie zu dem Schluss, dass das griechisch-römische Heidentum keineswegs jene florierende alte Religion war, die Widerstand gegen die Ausrottung durch das intolerante Christentum leistete. Vielmehr ging es nicht primär unter christlichem Druck kämpfend unter, sondern entschlief sanft, als ihm Ende des 4. Jahrhunderts der staatliche Geldhahn zugedreht wurde. Ohne diese Finanzierung gab es keinen öffentlichen Kultus und damit die Religion nicht mehr, da sie kaum andere Lebensäußerungen gekannt hatte. Sie war Staatskult, nicht Volksreligion gewesen (vgl. Alan Cameron, The Last Pagans of Rome, 2010).

Für die Weltanschauungsarbeit ist besonders das Kapitel über das „Neuheidentum“ des 19. und 20. Jahrhunderts interessant. Nun, da der „Heide“ im christlichen Sprachgebrauch verschwindet, wird das Wort erstmals in seiner Geschichte eine Selbstbezeichnung. Dabei entsteht aber nichts prinzipiell Neues, sondern es handelt sich um die gleiche Semantik wie vordem, nun aber ex negativo. Das heißt, so wie einst die Kirche(n) sich vom Anderen als „Heiden“ distanzierten, setzen sich die Neuheiden nun ihrerseits kritisch von der Kirche ab. Dafür taugt der alte Begriff vortrefflich.

Dabei kam schon vor über hundert Jahren die Idee auf, es hätte als Unterströmung unter der christlichen Kultur eine geheime, Jahrtausende währende Weitergabe der heidnischen Traditionen und Riten gegeben. Diese Vorstellung verknüpfte sich mit allerlei anderen Geistesströmungen (Ökologie, Lebensreformbewegung, Feminismus). Gemeinsam war ihnen die Projektion der eigenen Ideale in eine verklärte Vergangenheit, über die erfreulich wenig Konkretes bekannt war, sodass plötzlich allerlei „alte“ Schriften mit Hexenwissen usw. auftauchen konnten. Bis heute erkennen nur wenige Neuheiden an, dass ihre Religion eine moderne Konstruktion mehr oder weniger aus dem Nichts ist. Neben dem Polytheismus ist heute laut Davies v. a. der Schamanismus als Interpretament allgegenwärtig – Ausdruck der neuheidnischen Sehnsucht nach der Destillation einer einheitlichen universalen Weltsicht in der Vielzahl (neu-)heidnischer Traditionen?

Obwohl Davies diese fantasievollen Konstruktionen der Vergangenheit und einer Traditionslinie überzeugend als Wunschdenken analysiert, ist er doch selbst nicht immer frei vom Mythos des naturverbundenen Edlen Wilden, der sich im Begriff „earth-centered religions“ ausdrückt. Die zahlreichen Beispiele, wo indigene Kulturen ganz ohne europäische Hilfe die eigenen Lebensgrundlagen zerstört haben, die er aber ignoriert, sollten solche Romantisierungen verbieten (vgl. Jared Diamond, Collapse. How Societies Choose to Fail or Succeed, 2005). Die Ökologiebewegung ist ein Kind des abendländischen Denkens im Industriezeitalter, nicht des Animismus.

Das Buch ist spannend geschrieben und materialreich, doch zieht sich leider phasenweise ein latent antichristlicher Grundton durch das Werk, der die Lesart von Teilen des Neuheidentums wiedergibt. Schon auf Seite 4 tauchen die ersten Zwangstaufen auf und Kapitel 4 bietet eine recht einseitige Sicht der christlichen Missionsgeschichte, indem es fast ausschließlich jene Quellen zitiert, die eine negative Sicht auf die Heiden dokumentieren. „Heiden“ schließt nun auch Buddhisten, Hindus, Muslime ein. Dadurch wird in diesem Kapitel der Forschungsgegenstand des Buches verschoben. Es geht nun gar nicht mehr darum, die heidnische Religiosität selbst darzustellen – das wäre eine Geschichte der Weltreligionen. Sondern das Thema ist nun eine Kritik der christlichen Rezeption des Heidentums, also eine kritische Missionsgeschichte. Ein spannendes, gut erforschtes Thema. Dazu würden aber dann auch andere Aspekte gehören, z. B. die regelmäßigen Probleme Europas mit jenen Missionaren, die in Übersee plötzlich allzu viel Sympathie und Faszination für die Heiden und ihre Religion entwickelten und deren Heimatberichte daher vor der Veröffentlichung zensiert wurden. Vieles, was wir über das Heidentum in Afrika und Asien wissen, verdanken wir der Sammelwut und Neugier von Missionaren.

Diese Kritik mag vielleicht vor allem Christen einleuchten. Gravierender aber ist, dass Davies oft in die eurozentrische Sicht verfällt, der zufolge allein die Europäer handelnde Akteure der Geschichte waren. Wie aber wurde der religiöse Übergang durch die „Heiden“ selbst wahrgenommen? Wie konstruierten sie ihr Bewusstsein der eigenen Kultur als „Religion“ im Gegensatz zur Neureligion „Christentum“? Bei Davies sind die „Heiden“ auch in neuerer Zeit nie autonom handelnde Subjekte, sondern immer Opfer und Objekt. Ihre aktive Rolle, ihr Widerstand, ihre bisweilen geschickte Instrumentalisierung der Europäer für ihre Zwecke, ihre kreative und selektive Übernahme religiöser Elemente bleiben unbeachtet und undifferenziert. Die Möglichkeit, dass es neben den Nützlichkeitserwägungen auch Menschen gegeben haben könnte, die tatsächlich von einem neuen Glauben überzeugt wurden und ihn als Befreiung erlebten, kommt für Davies gar nicht in Betracht. Das scheint beim Thema Religion eine unangemessene methodische Engführung.


Kai Funkschmidt