Pentekostalismus. Die Pfingstbewegung als Anfrage an Theologie und Kirche
Tobias Keßler/Albert-Peter Rethmann (Hg.), Pentekostalismus. Die Pfingstbewegung als Anfrage an Theologie und Kirche (Weltkirche und Mission 1), Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2012, 230 Seiten, 29,95 Euro.
2009 wurde das Institut für Weltkirche und Mission an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen (Frankfurt am Main) gegründet. Im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz behandelt es – wie der Name schon sagt – Fragen zu Weltkirche und weltkirchlicher Arbeit mit besonderem Blick auf das Thema Mission. Aus der ersten Jahrestagung des Instituts im Jahr 2010 zum Thema Pentekostalismus ist der vorliegende Band hervorgegangen.
Der Pentekostalismus – verstanden als ein Überbegriff nicht nur für die Pfingstkirchen, sondern auch für charismatische Bewegungen innerhalb von Kirchen – treibt seit Jahren Religionswissenschaftler, Soziologen und Theologen um. Während die entsprechenden Anhänger in Deutschland zahlenmäßig kaum ins Gewicht fallen, schießen in Lateinamerika und Teilen Afrikas die Pfingstkirchen wie Pilze aus dem Boden. Und mögen Schätzungen von über 500 Millionen Pfingstlern und Charismatikern weltweit auch übertrieben sein, so ist die gewaltige Dynamik, die ganze Länder religiös umkrempelt, unübersehbar.
Der weltweite Fokus ist die große Stärke dieses Bandes. Fachleute – nicht nur Theologen, sondern auch Sozialwissenschaftler – bieten Berichte und Analysen aus verschiedenen Kontinenten: oftmals aus eigener Anschauung, sozusagen aus erster Hand. Und dadurch wird deutlich: Pentekostalismus ist keine einheitliche Größe, sondern zeigt in verschiedenen Weltregionen ganz unterschiedliche Ausprägungen.
Besonders lesenswert ist der Beitrag von Paul Gifford, der in den letzten Jahrzehnten neopentakostale Gruppen in verschiedenen Ländern Afrikas beobachtet hat. Er hebt zwei Eigenschaften hervor: die Betonung des Erfolgs (Wohlstandstheologie, aber auch bezogen auf das rasche Wachstum der jeweiligen Pfingstkirche) und die Einbeziehung magischer Vorstellungen aus der traditionellen afrikanischen Religion in dieses Christentum. Die indischen Pfingstkirchen, von denen Jerry Rosario berichtet, zeichnen sich dagegen stärker dadurch aus, dass sie auch Hinduisten ansprechen und damit Religionsgrenzen überschreiten. Dass pfingstliche Strömungen in Lateinamerika nicht nur außerhalb der katholischen Kirche Zulauf haben, sondern auch die Charismatische Erneuerung innerhalb der Kirche im Glaubenskampf nach Kräften mithält, zeigt Brenda Carranza: Wesentliche Faktoren sind dabei Fernsehstationen, mitreißende Musik und markante Führungsfiguren, also ein professionelles Marketing. Weitere Aufsätze befassen sich mit den Philippinen, einzelnen afrikanischen Ländern und der charismatischen Bewegung in Polen.
Einen anderen Charakter haben dagegen die Beiträge von Hildegard Wustmans, Klaus Vellguth und Margit Eckholt: Sie reflektieren aus einer (europäischen, katholischen) theologischen Perspektive einzelne Themen und Fragen, die die Pfingstbewegung aufwirft, z. B. im Bereich der Ekklesiologie und der Liturgie. Dieser pastoraltheologische Fokus findet sich auch in vielen Länderberichten: Worin liegt die Herausforderung durch den Pentekostalismus für die herkömmlichen Kirchen, insbesondere die katholische Kirche? Wiederholt genannt wird die Fähigkeit der Pfingstkirchen, lebendige Gotteserfahrungen zu ermöglichen, Gemeinschaft zu stiften und das Potenzial der Laien (z. B. für Gemeindedienste oder missionarisches Wirken) zu erschließen.
Sinnvoll ist die allgemeine Einführung in die Thematik von Albert-Peter Rethmann zu Beginn des Buches. Insgesamt bietet der Band keinen umfassenden, systematischen Überblick über das weltweite Phänomen von Pfingstkirchen und charismatischen Bewegungen in bestehenden Kirchen, dafür aber vielfältige Eindrücke, die nachdenklich machen, hilfreiche Analysen und theologische Reflexionen zu einem nur in seiner internationalen Vielfalt verständlichen Phänomen.
Martin Hochholzer, Erfurt