Islam

Perspektiven auf die Finanzierung muslimischer Organisationen in Deutschland

Perspektiven auf die Finanzierung muslimischer Organisationen in Deutschland. Die Frage nach der Finanzierung muslimischer Organisationen in Deutschland ist seit vielen Jahren Gegenstand religionspolitischer Debatten. Sie äußert sich häufig als Kritik an ausländischen Finanzierungen von muslimischen Organisationen. Diese Diskussion hat sich vor allem durch Ereignisse wie die Affäre um Spitzeleien türkischer Imame verschärft. Denn hierdurch festigte sich die begründete Annahme, dass ausländische Regierungen Einfluss auf den Islam in Deutschland nehmen können.

Der politische Wille der Bundesregierung, ausländische Einflüsse auf den Islam in Deutschland einzuschränken, zeigt sich gegenwärtig v. a. in den Ausbildungszentren für islamische Theologie an deutschen Universitäten. An das dort ausgebildete religiöse Personal wird die Erwartung adressiert, einen spezifisch deutschen Islam zu prägen, gezielter auf die Anfragen und Konfliktlagen von deutschen Muslimen einzugehen und eine Professionalisierung von muslimischen Organisationsstrukturen in Deutschland zu erreichen. Offen gelassen wird in der Regel jedoch die Frage, wie solche Neuausrichtungs- und Professionalisierungsprozesse in den muslimischen Gemeinden finanziert werden können. Diese Frage stellt sich beispielsweise für die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DİTİB), wenn sie auf die finanzielle und personelle Unterstützung aus Ankara verzichten soll. Sie stellt sich aber auch für kleinere Gruppen und Verbände wie etwa den Liberal-Islamischen Bund (LIB), der bislang weder feste Räumlichkeiten noch hauptamtliche Mitarbeiter finanzieren kann.

In dieser Debatte kristallisieren sich gegenwärtig vor allem drei Diskussionspunkte heraus: die finanzielle Förderung aus dem Ausland, die Eigenfinanzierung sowie die Finanzierung durch öffentliche Gelder. Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) hat diese Fragen mit juristischen und religiösen Experten in der Reihe „Religion und Politik“ im Forum Berlin diskutiert. Daraus ist ein Arbeitspapier zur Finanzierung muslimischer Organisationen in Deutschland entstanden, das am 19.3.2018 präsentiert wurde.

Die muslimischen Akteure greifen die zentralen Diskussionspunkte der Debatte auf und entwickeln in dem Papier sowohl Perspektiven auf die ausländische Finanzierung muslimischer Organisationen in Deutschland als auch auf die Finanzierung muslimischer Organisationen durch öffentliche Gelder sowie auf eigene Finanzierungmöglichkeiten – etwa durch eine Art Moscheesteuer.

Nushin Atmaca stellt hierfür zunächst die Strukturen des LIB vor. Der Bund liberal-islamischer Muslime wird gegenwärtig durch ehrenamtliches Engagement getragen und verfügt nicht über feste Räumlichkeiten. Atmaca spricht sich deshalb für direktere und vereinfachtere staatliche Förderangebote aus. Zur Anschubfinanzierung und Professionalisierung von islamischen Strukturen plädiert sie dafür, eine Finanzierung durch staatliche Fördergelder über eine Vermittlungsinstanz, beispielsweise in Form einer Stiftung, zu erwägen, über die staatliche Gelder nach eingehender Prüfung an muslimische Vereine übergeben werden. In dieser Vorgehensweise sieht Atmaca eine Möglichkeit, konkrete religiöse Projekte öffentlich zu fördern, ohne die Neutralitätspflicht des deutschen Staates zu gefährden.

Lydia Nofal, Sprecherin des Arbeitskreises muslimischer Sozialdemokraten und stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes Berlin des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), bringt hingegen die Idee ein, eine transparente Finanzierung muslimischer Organisationen in Berlin durch ausländische Gelder über die Gründung einer breit angelegten, interreligiös besetzten Stiftung zu realisieren. Nofal betrachtet eine solche Stiftung als Option, die finanzielle Lage der Muslime in Berlin zu verbessern und trotzdem sicherzustellen, dass ausländische Geldgeber keinen Einfluss auf die Berliner Gemeinden ausüben. Das Gründungskapital für eine solche Stiftung will Nofal aus Spenden der Berliner Muslime generieren. Es solle durch „Zu-Stiftungen“ – auch aus dem Ausland – ergänzt werden können.

Sowohl Atmaca als auch Nofal entwickeln ihre Finanzierungskonzepte für muslimische Organisationen in Deutschland über die Idee einer Stiftung. Da der LIB ein kleiner und junger Verein ist, sucht Atmaca Möglichkeiten, staatliche Gelder als Anschubfinanzierung zu akquirieren. Sie setzt dafür auf eine Stiftung als Vermittlungsinstanz, durch die eine direkte Förderung der von ihr anvisierten genuin religiösen Aufgaben durch den deutschen Staat möglich wird – ohne die staatliche Neutralitätspflicht zu verletzen. Nofals Entwurf zielt hingegen auf eine Stiftung, die es muslimischen Organisationen ermöglichen soll, ausländische Gelder zu nutzen, ohne aber eine Einflussnahme aus dem Ausland zu riskieren.

Bekir Alboğa, Generalsekretär der DİTİB, fokussiert hingegen bestehende Regelungen. Er hebt die religiösen und sozialen Projekte in Deutschland hervor, die durch finanzielle Leistungen der Diyanet ermöglicht worden sind. Alboğa verlangt deshalb eine stärkere Wertschätzung seitens der deutschen Politik und Gesellschaft für dieses Engagement der Diyanet.

Auch Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, stellt keine neuen Konzepte zur Finanzierung muslimischer Organisationen in Deutschland vor, sondern insistiert auf der Anerkennung muslimischer Organisationen als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dieser Status ist für Mazyek entscheidend, um (auch) die finanzielle Stellung muslimischer Organisationen zu verbessern. Dieser Weg hat sich für muslimische Verbände in Deutschland bislang allerdings als wenig gangbar erwiesen, weil sich die Voraussetzungen für die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts – die erforderliche Gewähr der Dauer bezüglich der Verfassung sowie die Mindestmitgliederzahl – als wenig kompatibel mit muslimischen Organisationsstrukturen erwiesen hat. Allein der muslimischen Sondergruppe der Ahamdiyya Muslim Jama‘at wurde bislang in Hessen und Hamburg der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen. Mazyek moniert, dass der Staat die Bemühungen vieler Muslime, sich nach den staatlichen Vorgaben als Religionsgemeinschaft zu verfassen, nicht ausreichend würdige und weiterhin versuche, die im Staatskirchenrecht entwickelten Merkmale eins zu eins auf die muslimischen Organisationen zu übertragen. Diese Situation werde von Muslimen in Deutschland zunehmend als Stagnation empfunden. Die daraus resultierende Frustration drückt sich Mazyek zufolge darin aus, dass viele Gruppierungen nicht mehr auf gemeinsame Vereinbarungen setzten, sondern den Weg über das Gericht erwägen.

Neben diesen muslimischen Perspektiven auf die Gestaltung der Finanzierung muslimsicher Organisationen in Deutschland, haben sich auch Juristen mit der Thematik befasst. Während Stefan Muckel und Lukas Hentzschel einen informativen Überblick über die rechtlichen Möglichkeiten und die Grenzen öffentlicher Finanzierung muslimischen Lebens in Deutschland entwickeln und prägnant die rechtlichen Eckpunkte und den Status quo der finanziellen Förderung von Religionsgemeinschaften durch den Staat erläutern, bearbeitet der ehemalige Innensenator von Berlin, Ehrhart Körting, die Frage, ob Muslime aufgrund der Nicht-Förderung durch den Staat gegenüber den Kirchen in Deutschland diskriminiert werden. Eine Frage, die nicht nur unter Muslimen, sondern auch unter Weltanschauungsgemeinschaften immer wieder diskutiert wird. In Bezug auf muslimische Organisationen in Deutschland bilanziert Körting nach einer detaillierten Prüfung, dass die staatliche Finanzierung der christlichen Kirchen weitgehend eine Legende sei und der Nicht-Finanzierung muslimischer Verbände keine Diskriminierung durch den deutschen Staat zugrunde liege. Der Schlüssel, um beispielsweise vom Steuerbegünstigungsrecht profitieren zu können, bestehe vor allem in der Anerkennung des Attributs „Gemeinnützigkeit“. Körting fordert Moscheen und Verbände deshalb dazu auf, weiterhin darauf hinzuwirken, bestehende Zweifel an der „Gemeinnützigkeit“ der muslimischen Organisationen in Deutschland auszuräumen. Mit diesem Appell spielt Körting den Ball an die muslimische Community zurück.

Das Arbeitspapier der Friedrich-Ebert-Stiftung führt verschiedene Ansätze zur Finanzierung muslimischer Organisationen in Deutschland zusammen. Juristische Prüfungen und politische Diskussionen müssen entscheiden, ob sich darunter Ansätze befinden, die sich als Modellversuche oder gar als verbindliche Regelungen eignen. Das deutlichste Ergebnis des Papiers besteht jedoch darin, dass die Diskussion über die Finanzierung muslimischer Organisationen in Deutschland noch lange nicht abgeschlossen ist.


Hanna Fülling