Pfingstbewegung
Sie erheben ihre Hände beim Singen. Sie sprechen in unverständlichen Sprachen. Sie fallen zu Boden, weil sie das Wirken des Geistes als umwerfende Kraft erleben. Außergewöhnliche Ergriffenheitserfahrungen manifestieren sich bis ins Körperliche hinein. In enthusiastisch geprägten Gottesdiensten geht es um ein Frommsein mit Begeisterung, um die „Enttabuisierung der Glaubensemotion“. Im Zentrum stehen neben der Predigt Lobpreis, Segenshandlungen, ein Siegesbewusstsein im Kampf gegen die Mächte des Bösen. Hervorgehoben wird das Wirken des göttlichen Geistes in Visionen und Träumen, in Eindrücken, Bildern und Liedern. Betont werden eher Symbolik als Logik, eher Fantasie als Vernunft, eher Gefühl als Reflexion. In Europa begegnet enthusiastische Spiritualität vielgestaltig: in klassischen Pfingstgemeinden, in afrikanischen, koreanischen, brasilianischen internationalen Gemeinden, in neuen charismatischen Gemeinden.
Merkmale und Wirkungen
Die Pfingstbewegung ist eine weltweite christliche Erweckungs- und Missionsbewegung, die das grenzüberschreitende Wirken des Heiligen Geistes und die Praxis der Charismen (vor allem Heilung, Glossolalie und Prophetie, vgl. Apg 2; 1. Kor 12-14) in den Mittelpunkt ihrer Frömmigkeit stellt. Angesichts ihrer wirkungsvollen Ausbreitung kann rückblickend auf das 20. Jahrhundert gesagt werden: Ihre Entstehung stellt für die Christentumsgeschichte ein ähnlich folgenreiches Ereignis dar wie die der ökumenischen Bewegung.
Die Wirkung der Pfingstbewegung ist in unterschiedlichen politischen und kulturellen Kontexten je verschieden. In der westlichen Welt artikuliert sie sich im Protest gegen ein geheimnisleeres Wirklichkeitsverständnis und gegen ein Glaubensverständnis, das die Dimension des Wunders und des Wunderbaren ausschließt. Mit ihren Erfahrungsangeboten geben enthusiastische Bewegungen einen Antwortversuch auf die Vergewisserungssehnsucht der Menschen in einem durch religiös-weltanschaulichen Pluralismus bestimmten Lebenszusammenhang. Die Vergewisserung wird in sichtbaren Geistmanifestationen gesucht, die als Zeichen, manchmal als Beweise göttlicher Gegenwart angesehen werden.
Viel stärker als im Kontext westlicher Industriegesellschaften breitet sich pfingstlerische Frömmigkeit in Afrika, in Asien und in Südamerika aus, wo es chancenreichere kulturelle Anknüpfungsmöglichkeiten gibt. Für viele, die sich ihr anschließen und deren Lebensperspektiven durch Armut, Hunger und Analphabetismus eingeschränkt sind, ist dies mit der Hoffnung auf ein menschenwürdigeres Leben verbunden. Die soziale Bedeutung pfingstlicher Bewegungen kann beinhalten: Stärkung des Selbstvertrauens, Erschließung der eigenen Emotionalität, Interesse an Bildung und sozialer Neugestaltung. Der ethische Rigorismus vieler Pfingstler, der aus der Perspektive europäischer Christentumskultur als gesetzlich erscheint, ist Chance zu sozialem Aufstieg.
Geschichte und Ausprägungen
Die Pfingstbewegung wurzelt im Erweckungschristentum (v. a. der Heiligungsbewegung) der USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, für das u. a. ein starker missionarischer Antrieb (Großstadt- und Massenevangelisation), die Bildung eines erwecklichen Laienchristentums und die Betonung der Unabhängigkeit der Einzelgemeinde (Kongregationalismus und Independentismus) verbunden mit dem Ideal der Glaubenstaufe charakteristisch waren. Hinzu kam die Offenheit dafür, dass sich göttliche Kraft in besonderen enthusiastischen Erfahrungen manifestiert, die den Bereich des Rationalen übersteigen und als „übernatürlich“ und wunderbar erlebt und gedeutet wurden.
Die Glossolalie erlangte in der Pfingstbewegung zentrale Bedeutung, sodass auch von „Zungenbewegung“ gesprochen wurde. In der Geburtsstunde der Pfingstbewegung 1901 in der Bibelschule von Charles Parham in Topeka (Kansas) wurde sie zum Erkennungszeichen (initial physical sign) der ersehnten Taufe im Heiligen Geist. 1906 wurden die Heiligungsversammlungen des schwarzen Predigers William J. Seymour in der Azusa Street in Los Angeles zum Ausgangspunkt einer wirkungsvollen weltweiten Verbreitung pfingstlerischer Frömmigkeit in bald eigenständigen Gemeinden, missionarischen Unternehmungen, Glaubenswerken und Bibelschulen.
Am Anfang der Bewegung stand keine überragende Gründerpersönlichkeit mit theologischem Profil und organisatorischem Geschick. Charles Parham und William J. Seymour nahmen beide in je verschiedener Weise Anliegen der aus dem Methodismus kommenden Heiligungsbewegung auf und wurden nur in einer kurzen Phase im Zusammenhang der Entstehung und Verbreitung der Pfingstbewegung bedeutsam.
Soziologisch gesehen wurden zuerst die unteren Schichten, die einfachen Leute erreicht. Sie suchten eine tiefere Begegnung mit dem auferstandenen Christus und wollten die Gegenwart des Heiligen Geistes in den Charismen erleben. Der die Schranken der Rassen und Kulturen überwindende Charakter der Pfingsterfahrung war v. a. in der Anfangsphase der Bewegung ein wichtiges Merkmal. Die Erweckungsversammlungen der Azusa Street sind bis heute Vorbild für pentekostale und charismatische Versammlungen. Zugleich zeichnete sich eine durch Übertreibung gekennzeichnete Struktur der Frömmigkeit ab, die in der Geschichte der Pfingstbewegung mit krassen Entfernungen von der Realität – z. B. durch überzogenen Wunderglauben – einhergehen und sich teilweise mit einem dualistischen Weltbild verbinden konnte.
Der pfingstlerische Impuls, der seit Anfang des 20. Jahrhunderts zur Entstehung zahlreicher Pfingstkirchen führte (u. a. Assemblies of God, Apostolic Faith Churches, Church of God, Pentecostal Holiness Church), erfasste seit 1959/1960 durch die charismatische Bewegung die historischen Kirchen, zuerst in den USA, wurde 1967 auch in der katholischen Kirche wirksam. In nahezu allen Kirchen entstanden charismatische Gruppenbildungen, deren Anliegen die geistliche Erneuerung der eigenen Kirche war. Dieser „zweite Ansatz“ wollte keine neuen Kirchenspaltungen, sondern das kirchliche Leben von innen erneuern. Soziologisch wurde der pfingstlerische Impuls zu einem Phänomen der Mittelschicht und akademisch gebildeter Kreise. Auf der Ebene theologischer Reflexion war man deutlicher als die Pfingstbewegung um eine adäquate Pneumatologie bemüht. Durch die Entstehung zahlreicher „überkonfessioneller“ Initiativen (Geschäftsleute des vollen Evangeliums/Christen im Beruf, Jugend mit einer Mission etc.), Christlicher Zentren (Christliches Zentrum Frankfurt, Karlsruhe etc.), Gemeindeverbände (u. a. Vineyard-Bewegung, International Christian Fellowship, ICF) und Richtungen (u. a. Wort-des-Glaubens-Bewegung) veränderte und diversifizierte sich das Erscheinungsbild. Hat die Pfingstbewegung teilweise an Dynamik eingebüßt, so breitet sich heute pfingstlerisch geprägte Frömmigkeit auch durch freie, ihrem Selbstverständnis nach nicht konfessionsgebundene Gemeinden und Initiativen (nondenominational) aus, die in der Anfangsphase Wert auf eine Selbstunterscheidung gegenüber der traditionellen Pfingstbewegung legten. Nicht selten sind sie für viele etablierte Pfingstgemeinschaften zu einer starken Konkurrenz geworden, auch wenn sie ihnen in Lehre und Frömmigkeitspraxis sehr nahe stehen und sich ihnen im Laufe weiterer Konsolidierung anschließen können. Seit einigen Jahrzehnten ist auch die Zahl ausländischer christlicher Gemeinden mit pentekostalem Frömmigkeitsprofil aus dem europäischen Ausland wie aus asiatischen und afrikanischen Ländern insbesondere in den europäischen Großstädten kontinuierlich gewachsen.
Lehre und Glaubenspraxis
Die Pfingstbewegung ist kein neuer religiöser Entwurf wie zahlreiche Sondergemeinschaften und Neuoffenbarungsgruppen. In Theologie und Frömmigkeit unterscheiden sich Pfingstler nicht wesentlich von evangelikal und biblizistisch geprägten Christen. Ihr Bibelverständnis ist meist fundamentalistisch ausgerichtet im Sinne einer Orientierung an der Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift und der unmittelbaren Identifikation der eigenen Glaubenspraxis mit dem urchristlichen Vorbild. Pfingstgemeinschaften praktizieren meist die Erwachsenentaufe und feiern das Herrenmahl, sie verstehen beide jedoch nicht als sakramentale Zeichenhandlung. Ihre Gottesdienste sind durch Anbetung, Verkündigung und die Bitte um das Kommen des Heiligen Geistes mit seinen Gaben bestimmt. Nach dem Vorbild von 1. Kor 14,26 finden sie ihre Gestalt in der Dynamik von Hymnus und Gebet, Lehre und Offenbarung, Prophetie und Zungenrede. Typisch sind spontane Gebete, prophetische Eindrücke, Heilungszeugnisse und eine ausdrucksvolle Körpersprache. Im Zentrum der Frömmigkeit steht die Suche nach der Erfahrung des Geistes als „Kraft aus der Höhe“, die den Glaubenden ergreift, heilt und zu einem Zeugnis befähigt, das von Zeichen, Wundern und Dämonenaustreibungen (Mt 10,7ff) begleitet ist.
Die Pfingstbewegung ist in ihren vielfältigen Ausformungen vor allem als gesteigerte Erweckungsfrömmigkeit zu begreifen. Da sich die Steigerungen auch auf ekstatische und visionäre Ergriffenheitserfahrungen konzentrieren, die als außergewöhnlich und wunderbar erlebt werden, ergibt sich jedoch eine auffallende Parallelität zu anderen neuen religiösen Bewegungen, insbesondere zu solchen, in denen das ekstatische Erlebnis als religiöses „Urphänomen“ (Mircea Eliade) mit außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen revitalisiert wird. Aufgrund des nicht zu vermeidenden Vorgangs der Ritualisierung des ekstatischen Erlebens ist dieses in den meisten Pfingstgemeinschaften heute jedoch deutlich zurückgetreten. Nicht wenige Pfingstler sind deshalb der Meinung, dass die von ihnen praktizierte Glossolalie mit religiöser Ekstase nichts zu tun habe. Durch Phänomene wie den „Toronto-Segen“ und die „Erweckung in Pensacola (Florida)“ werden sie an ihre eigenen ekstatischen Anfänge in der Azusa-Street-Erweckung erinnert, wobei sich die religiöse Ekstase schon damals vielfältig artikulieren konnte und keineswegs auf die Glossolalie beschränkt war.
Nach einem Wort des Norwegers Thomas B. Barratt sind Pfingstler in ihrem Verständnis der Erlösung Lutheraner, in ihrem Taufverständnis Baptisten, in ihrem Heiligungsverständnis Methodisten, in ihrer aggressiven Evangelisationspraxis Heilsarmisten, in ihrem Verständnis der Geistestaufe jedoch Pfingstler. Deren Erfahrung und Verständnis ist Kristallisationspunkt ihrer Frömmigkeit. Berichte, die die individuelle Erfahrung umschreiben, sprechen von einem Durchströmtwerden des Körpers mit göttlicher Kraft, einem Ergriffenwerden, das in das Leben eingreift und es verändert. Die Taufe im Heiligen Geist ist zugleich nicht nur individuelle Erfahrung, sondern auch Strategie göttlichen Handelns in endzeitlicher Missions- und Erweckungsperspektive. Daneben hat das Gebet um Heilung zentrale Bedeutung. Der Zusammenhang zwischen Heilung, Glaube und Erlösung wird zwar unterschiedlich bestimmt. Eine enge Verbindung zwischen ihnen ist in nahezu alle pentekostalen „Bekenntnisse“ eingegangen. Zu einem isolierten Thema wird dies in den zum weiteren Umfeld der Pfingstbewegung gehörenden Heilungsbewegungen, deren grenzenloser Heilungsoptimismus zahlreiche Konflikte und Widerspruch hervorrufen hat.
Die implizite Ekklesiologie der Pfingstbewegung kann sich, wie deren Geschichte zeigt, mit sehr unterschiedlichen Organisationsstrukturen verbinden. Je älter Pfingstgemeinschaften werden, desto mehr gleichen sie sich anderen Kirchen an. Es gehört zum Selbstverständnis zahlreicher pfingstlerischer Gemeinschaften, überall „neutestamentliche“ d. h. freikirchliche, täuferische, pfingstlerisch-charismatische Gemeinden zu bauen.
Verbreitung
Die rasante Ausbreitung pfingstlich-charismatischer Bewegungen macht sie zu einer Art christlicher Trendreligion. Man muss freilich über Europa hinausblicken, um dies mit entsprechender Deutlichkeit zu erkennen. Dennoch tragen die pfingstlichen Bewegungen auch im europäischen Kontext mit dazu bei, die historischen Monopole des lateinisch-katholischen Südens und des protestantischen Nordens zu beenden. Wenn die Pfingstbewegung als größte Frömmigkeitsbewegung in der neueren Geschichte des Christentums bezeichnet wird, so darf man zwischen Charismatikern und Pfingstlern keine scharfen Trennlinien ziehen und muss von einer relativen Einheitlichkeit des Phänomens ausgehen, was durchaus umstritten ist. Das Bewusstsein, Teil einer weltweiten und in rasanten Wachstumsprozessen befindlichen Bewegung zu sein, ist jedoch für alle Pfingstler und Charismatiker – auch in Europa – fundamental. Sie verstehen die dramatische Ausbreitung ihrer Glaubenspraxis als sichtbares Zeichen göttlichen Segens.
David B. Barretts Statistiken zeigen alljährlich den Siegeszug pentekostaler Frömmigkeit, wenn auch seine Zahlen, die seit einigen Jahren von einer Gesamtzahl der Pentecostals/Charismatics von über 500 Millionen ausgehen, nur ungefähre Schätzungen darstellen und keine präzisen und belastbaren Zahlen. Im deutschsprachigen Bereich fallen die Zahlen eher bescheiden aus. Die größte Gemeinschaft in Deutschland, der Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP), hat nach eigenen Angaben ca. 49000 Mitglieder (Kinder und Freunde sind hinzuzurechnen) in 783 Gemeinden (davon ca. 285 internationale Gemeinden, zusammengeschlossen in der Arbeitsgemeinschaft Internationaler Gemeinden, die 20 Prozent hinsichtlich der Mitgliedschaft, 36 Prozent im Blick auf die Zahl der Gemeinden ausmachen). Der BFP ist Mitglied der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) und seit 2010 Mitglied im Gaststatus der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK). Der BFP kann von sich sagen, dass er eine wachsende Freikirche ist – dies allerdings deshalb, weil er sich als Sammlungsbewegung von verschiedenen Gemeinden versteht, deren Vielfalt und Autonomie betont wird, und weil sich ihm zahlreiche internationale Gemeinden angeschlossen haben. Alle anderen Pfingstgemeinschaften sind entschieden kleiner. Zum Mülheimer Verband Freikirchlich-Evangelischer Gemeinden (ehemals: Christlicher Gemeinschaftsverband Mülheim/Ruhr, CGV), zur Gemeinde Gottes (Cleveland), zur Gemeinde der Christen „Ecclesia“ und zur Volksmission entschiedener Christen (VMeC) gehören jeweils zwischen ca. 2500 und 4000 Mitglieder. Weitere pfingstlich geprägte Gruppen geben ihre Mitgliederzahlen mit 1000 bis 2000 an, wie das Freikirchliche Evangelische Gemeindewerk (fegw), das zur International Church of the Foursquare Gospel gehört.
Einschätzungen
Die historischen Kirchen haben die pfingstlerischen Bewegungen lange Zeit als sektiererische Bewegungen wahrgenommen. Umgekehrt hat die frühe Pfingstbewegung in den historischen Kirchen antichristliche Systeme gesehen. Diese Wahrnehmung hat sich von beiden Seiten verändert. Zur Veränderung dieser wechselseitigen Einschätzung haben charismatische Erneuerungsgruppen in den historischen Kirchen beigetragen und die Kooperation mit Pfingstlern im Kontext evangelikaler Missionsaktivitäten. In Deutschland vollzog sich nach Jahrzehnten großer Distanz ebenso eine deutliche Annäherung zwischen Pfingstlern und Evangelikalen, wozu u. a. internationale Entwicklungen beigetragen haben, z. B. die Präsenz von Pfingstlern und Charismatikern in nahezu allen Gremien der internationalen Lausanner Bewegung und der Weltweiten Evangelischen Allianz.
Wie keine andere Erweckungsbewegung hat die Pfingstbewegung zur Fragmentierung v. a. der protestantischen Christenheit beigetragen. Segregation scheint ein fundamentales Prinzip ihrer Ausbreitung zu sein, was u. a. in der hervorgehobenen Erfahrungsorientierung begründet liegt, aber auch in der von ihr praktizierten Gemeindegründungsprogrammatik und ihrem Verzicht auf die Ausbildung stabilerer Institutionen. Wie Pfingstbewegung und historische Kirchen in ein fruchtbares Verhältnis zueinander treten können, ist eine teilweise offene Frage und Zukunftsaufgabe, obgleich einzelne Pfingstkirchen seit 1961 Mitglieder des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) sind, David J. du Plessis als „Mr. Pentecost“ die Anliegen der Bewegung in den ÖRK und die katholische Kirche getragen hat und es in den letzten Jahren vonseiten des ÖRK und der katholischen Kirche zahlreiche Dialoge mit Pfingstkirchen gab. Bemerkenswert sind Annäherungen zwischen Pfingstlern und Katholiken. Durch Papst i. R. Benedikt XVI. und Papst Franziskus wurde und wird der Dialog mit Pfingstlern gefördert. Gemeinsame Anliegen sind entdeckt worden: in ethischen Orientierungen, etwa zu den Themen Ehe und Familie, Homosexualität, Lebensschutz am Anfang und Ende des Lebens, ebenso in dem Auftrag der Evangelisierung Europas. In ekklesiologischen und sakramententheologischen Fragen bleiben zugleich grundlegende Differenzen.
Was immer über außergewöhnliche Geistmanifestationen im Umfeld pfingstlich-charismatischer Frömmigkeit zu sagen ist, in ihnen melden sich reale Bedürfnisse nach Gottes-, Geist- und Selbst- bzw. Körpererfahrung, die auch Folge von Verdrängungsprozessen sind. In der Pfingstbewegung selbst haben sich in den letzten Jahrzehnten zahlreiche bemerkenswerte Versuche entwickelt, die pfingstliche Erfahrung in umfassenderen theologischen Zusammenhängen zu reflektieren. Gleichzeitig ist zu fragen, ob die christliche Erfahrung so einseitig in dem Bereich des Außergewöhnlichen und Wunderbaren anzusiedeln ist, wie dies in zahlreichen Ausprägungen pentekostal-charismatischer Frömmigkeit geschieht. Widerspruch ist insbesondere dann nötig, wenn die Wirksamkeit des Geistes auf bestimmte spektakuläre Manifestationen konzentriert wird, wenn die Vorläufigkeit und Gebrochenheit christlichen Lebens unterschätzt und eine seelsorgerliche Verarbeitung von bleibenden Krankheiten und Behinderungen verweigert wird oder wenn ein dualistisch geprägtes Weltbild für den Frömmigkeitsvollzug beherrschend in den Vordergrund tritt. Kritik an Fehlformen pfingstlerischer Bewegungen sollte in einer Form geschehen, die die gemeinsamen christlichen Orientierungen nicht außer Acht lässt.
Reinhard Hempelmann
Literatur
Michael Bergunder, Der „Cultural Turn“ und die Erforschung der weltweiten Pfingstbewegung, in: EvTh 69 (2009), 245-269
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Ludwig D. Eisenlöffel, Freikirchliche Pfingstbewegung in Deutschland. Innenansichten 1945 – 1985, KKR 50, Göttingen 2006
Reinhard Hempelmann, Pfingstbewegung, in: ders. u. a. (Hg.), Panorama der neuen Religiosität. Sinnsuche und Heilsversprechen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Gütersloh 22005, 462-479
Walter J. Hollenweger, Charismatisch-pfingstliches Christentum, Herkunft – Situation – Chancen, Göttingen 1997
Frank D. Maccia, Das Reich und die Kraft. Geistestaufe in pfingstlerischer und ökumenischer Perspektive, in: EvTh 69 (2009), 286-299
Bernhard Olpen, Die Pfingstbewegung und ihre Väter, in: Ökumenische Rundschau 60 (2011), 338-346