Islam

Pierre Vogel in Hamburg

(Letzter Bericht: 10/2009, 374ff, vgl. auch den Bericht in diesem Heft, 374ff) Am 9. Juli 2011 trat der salafitische Prediger Pierre Vogel, genannt Abu Hamza, auf dem Hamburger Dag-Hammarskjöld-Platz beim Bahnhof Dammtor auf. Trotz heftiger Regenschauer waren ca. 500 Menschen gekommen (wohl kaum die in der Presse genannten 1100), darunter auffallend viele junge Leute. Neben der Anhängerschar des Predigers und Interessierten versammelten sich Gegendemonstranten von rechts und links. Pappschilder wurden hochgehalten, Flugblätter verteilt. Die Polizei war massiv vertreten, auch die Presse zahlreich erschienen. Dazwischen fanden sich ratlose Reisende, die mit ihren Rollkoffern einfach nur den Zug erreichen wollten.Bevor Pierre Vogel sprach, wurden die Auflagen verlesen, die vonseiten der Behörden gemacht worden waren, darunter: Verbot der Geschlechtertrennung, keine Nennung von Al Qaida, keine staatsfeindlichen oder frauenfeindlichen Parolen, Vermummungsverbot. Vorn unter seinen Anhängern sortierten sich die Geschlechter jedoch von selbst, die Männer mit Bärten auf der einen, die Frauen mit unterschiedlichen Kopfbedeckungen, teilweise Gesichtsschleiern, auf der anderen Seite.Vogel spricht frei und emphatisch, immer wieder angriffslustig – und lang. Die Rede, häufig unterbrochen von Hohngelächter und Zwischenrufen der Gegner, aber auch von „Allahu akbar“-Rufen der Anhänger, ist mit ausführlichen arabischen Koranzitaten geschmückt, was auf manche Zuhörer sicher den beabsichtigten Eindruck macht. Sie dreht sich um die Wahrheit des Islam und die Verblendung der „Ungläubigen“, um die Überlegenheit der göttlichen Gebote und die Nichtigkeit der dekadenten, materialistischen „westlichen“ Kultur und Lebensweise. Aktuelle Konfliktthemen werden aufgegriffen, Angriffe gegen „den Islam“ als haltlos entlarvt und dem jungen Publikum Argumente zur Gegenwehr beigebracht. Politisch hält Vogel sich zurück, er weiß genau, wie weit er gehen kann. In Hamburg beließ er es bei einigen spitzen Bemerkungen zum Krieg in Afghanistan.Ein zentrales Thema war die Frau im Islam. Selbstverständlich betonte Vogel, dass der Islam seit Jahrhunderten die Befreiung der Frau betreibe. Die Zitate zu ihrer „Unterdrückung“ fänden sich in der Bibel, so z. B. „Das Weib sei dem Mann untertan“. Vogels Ausführungen klangen sehr liberal: Alles wurde als freiwillig dargestellt, auch die Verschleierung, die allerdings wünschenswert sei. Seine eigene Frau sei verschleiert. Auf die Frage, wer von den Frauen den Schleier freiwillig trage, gingen viele Hände hoch. Frauen hätten auch mehr Rechte als Männer, so Vogel: Sie müssten während ihrer Periode, während Schwangerschaft und Stillzeit nicht fasten und das Versäumte auch nicht nachholen. Zudem hätten die Mütter eine besonders geehrte Stellung im Islam, wie schon das Beispiel der Mutter Jesu zeige, die im Koran eine hervorgehobene Rolle spiele. Frauen seien demnach im Grunde nicht nur gleichberechtigt, sondern genau genommen höher stehend als Männer. Freilich versäumte Vogel nicht, darauf hinzuweisen, dass Gott den Menschen geschaffen habe und er allein wisse, was für den Menschen gut sei. So erklärten sich die Unterschiede, die es nun einmal doch zwischen Mann und Frau gebe – und man müsste ergänzen: die mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten einhergehen, die die Scharia für Männer und Frauen geltend macht. Dass die Frau schwächer sei als der Mann, sei nun einmal eine Tatsache, die man schon daran ablesen könne, dass es Frauenfußball und Männerfußball gibt (eine Feststellung aus aktuellem Anlass während der Frauenfußball-WM). Eine weitere Differenz ist im Eherecht zu verzeichnen: Ein muslimischer Mann darf zwar, wie der Koran vorgibt, eine Christin oder Jüdin heiraten, nicht aber umgekehrt ein Christ oder Jude eine Muslimin. Dies sei darin begründet, erklärte Vogel, dass ein Muslim alle Propheten – Jesus eingeschlossen – verehre, während das von einem Christen oder Juden im Blick auf den islamischen Propheten nicht gelte (und deshalb von einem solchen Familienoberhaupt eine angemessene Erziehung der gemeinsamen Kinder nicht zu erwarten ist!). Vogel polemisierte in diesem Zusammenhang gegen das für westliche Gesellschaften charakteristische Konzept der „Selbstverwirklichung“, das die gottgewollten Unterschiede verwische und den Frauen im Grunde ihre „Rechte“ entziehe. Im Westen könne man sich eben die Erfüllung durch Kinder nicht vorstellen. Beim Jüngsten Gericht habe die Frau übrigens weniger Verantwortung als der Mann. Auch wenn dies nicht begründet wurde – es sollte wohl als ein Plus für die Frauen wirken. Gleichberechtigung? Man durfte nicht zu tiefsinnig darüber nachdenken. Die langen Koranzitate des Pierre Vogel mussten offenbar für die Stimmigkeit Beweis genug sein.Zur Pause – nach einer dreiviertel Stunde – rief Vogel zur Bekehrung auf. Beschwörend wurde der Koran hochgehalten. Die „Einladung zum Islam“ (da’wa), ja die „Einladung zum Paradies“ (so der Name des Vereins um Pierre Vogel) steht im Zentrum der salafitischen Missionsveranstaltungen. Was Vogel selbst vor zehn Jahren erlebt hat, als er vom Profiboxer zum frommen Muslim konvertierte, soll möglichst vielen zuteil werden. Die Willigen sollten nach vorn auf die Bühne kommen; sieben Personen folgten dieses Mal dem Aufruf. Nur wenige Sätze wurden dann dort gewechselt, es ist nicht viel Aufwand nötig, um Muslim zu werden. Das Glaubensbekenntnis, das auf Arabisch vorgesprochen wird, muss Satz für Satz nachgesprochen werden. Die Frage drängt sich auf, ob sich die zumeist jungen Menschen der Tragweite ihres Schritts bewusst sind oder inwieweit sie aus der Stimmung des Augenblicks heraus oder einfach aus spontaner Sympathie nach vorne auf die Bühne kommen. Die Szene hat jedenfalls großen Zulauf durch junge Konvertiten, nicht selten zum Leidwesen von Angehörigen und Freunden.Viele Muslime distanzieren sich deutlich von Pierre Vogel und seinen Leuten. Dass Moscheevereine und Kommunen den salafitischen Predigern häufig keine Räume (mehr) zur Verfügung stellen, beklagt Vogel als Preisgabe eines der wichtigsten Werte der Demokratie, der Versammlungsfreiheit. Es sei zudem ein Zeichen dafür, dass sich diese Muslime auf dem falschen Weg befänden. Man werde sich aber nicht einschüchtern lassen und habe deshalb vor einiger Zeit begonnen, Kundgebungen im Freien durchzuführen.Interessant ist die Beobachtung, dass sich Pierre Vogel und seine Mitstreiter offensichtlich einiges bei Christen abgeschaut haben. Manche Elemente erinnern jedenfalls auffällig an Formen christlicher Evangelisationsveranstaltungen: besonders eindrücklich der erwähnte Aufruf, zur Bekehrung nach vorne zu kommen. Aber auch Pierre Vogels Rede hat teilweise im Duktus und in nicht wenigen Formulierungen Ähnlichkeit mit evangelistischen Erweckungspredigten. Argumente kommen einem bekannt vor, ebenso die „bodenständige“ Art mit vielen praktischen Beispielen. Am Rande fallen dann auch Details auf wie die lockere Frage am Anfang, wer denn aus Hamburg und wer aus Bayern oder dem Rheinland käme: „Bitte mal die Hand heben!“ Und Vogel rät seinen Anhängern, „Hauskreise“ zu bilden, um über den Koran und Glaubens- und Lebensfragen persönlich zu sprechen. Offenkundig wirken Vogels Image „vom Boxer zum gläubigen Muslim“, seine rheinische Hemdsärmeligkeit, verbunden mit demonstrativer Sachkenntnis des Korans, auf nicht wenige junge und jüngere Menschen anziehend. Hinzu kommen eine starke Identifizierung mit der Gemeinschaft der wahren Gläubigen – und dies in strikter, teilweise aggressiver Abgrenzung von Andersgläubigen, auch von Muslimen, die „falschen Lehren“ anhängen – sowie klare moralische Vorgaben.Als Beobachterin bleibt für mich unverständlich, dass sich offenbar viele junge Frauen für Vogel begeistern. Denn selbst wenn das Buch über „Die Frau im Schutz des Islam“ nicht ausgelegt wird (weil dies inzwischen behördlich verboten ist), ist deutlich, dass die Frau ein Wesen zweiter Klasse ist, mit weniger Verantwortung vor Gott als der Mann.


Gabriele Lademann-Priemer, Hamburg