Plädoyers für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit
Am 15. Dezember 2017 haben die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zum zweiten Mal die Broschüre „Ökumenischer Bericht zur Religionsfreiheit von Christen weltweit 2017“ vorgestellt.1 Sie weisen darin auf „Bedrohungen“, „Einschränkungen“ und „Verletzungen“ der Religions- und Weltanschauungsfreiheit hin. „Menschen müssen praktizieren können und öffentlich zeigen und bekennen dürfen, woran sie glauben und was ihnen heilig ist“, formulierte die Auslandsbischöfin der EKD Petra Bosse-Huber. Ausdrücklich wird unterstrichen, dass „unseren Brüdern und Schwestern im Glauben“ die „besondere Solidarität der Kirchen in Deutschland“ gilt (Erzbischof Ludwig Schick). Als Nagelprobe für die Religionsfreiheit wird der Glaubenswechsel bezeichnet. Der Menschenrechtsexperte Heiner Bielefeldt verfasste dazu das dritte Kapitel des Berichts (Schwerpunktthema Apostasie).
Ein differenzierender und detaillierter Blick wird auf verschiedene Regionen der Welt geworfen. Beklagt wird u. a., dass in den Regionen Naher Osten und Nordafrika das Recht auf Religionsfreiheit durch die Ausbreitung einer wahhabitischen Lesart des Korans am stärksten bedroht sei. In Indonesien sei das friedliche Zusammenleben zunehmend gefährdet. Auch in Europa gebe es Einschränkungen der Religionsfreiheit, Ressentiments und Bedrohungen, u. a. gegenüber Muslimen und Juden. Besonders bedrückend ist, dass die Christen aus den Ursprungsregionen des Christentums immer mehr vertrieben werden und fliehen müssen, weil ihnen fundamentale Rechte und Freiheiten vorenthalten werden. An verschiedenen Stellen des Berichts findet sich der Hinweis, dass Religionsfreiheit ein universales, ein unteilbares und individuelles Menschenrecht darstelle. Religion sei weit zu verstehen und umfasse auch „nichtreligiöse gewissensgetragene Überzeugungen und Weltanschauungen sowie agnostische und atheistische Überzeugungen und Praktiken“. Verletzungen der Religionsfreiheit geschehen gegenüber religiösen und nichtreligiösen Menschen.
Anfang Dezember 2017 hatte die International Humanist and Ethical Union (IHEU), eine internationale Organisation der weltlichen Humanisten, einen Bericht über die Diskriminierung und Verfolgung von nichtreligiösen Menschen vorgelegt (Freedom of Thought Report 2017).2 Die 1952 in Amsterdam gegründete IHEU tritt für einen „wissenschaftlichen Humanismus“, die strikte Trennung von Staat und Kirche und weltliche Riten als Religionsersatz ein. Weltanschaulich gibt es zwischen den christlichen Kirchen und dieser Vereinigung fundamentale Differenzen, im Einsatz für die Gewissens-, Rede- und Glaubensfreiheit könnten sie Partner sein. Aus humanistisch-atheistischer Perspektive prangert der IHEU-Präsident Andrew Copson die Verletzung der Religionsfreiheit an. „Immer mehr Menschen kommen zu uns ... aus Saudi Arabien oder Afghanistan oder Pakistan und erzählen: ‚Ich bin Humanist‘ oder ‚Ich bin Atheist, aber ich kann nicht frei sprechen …, nicht mal online‘.“ Sie „haben Angst, dass man sie angreift oder vielleicht sogar tötet … In mehreren Ländern wurden Menschen umgebracht und ihre Mörder gingen weitgehend straffrei aus.“ Copson ruft die internationale Gemeinschaft dazu auf, „nicht mit ihrem Kuschelkurs gegenüber Staaten fort[zu]fahren, die das Ablegen der Religion als Kapitalverbrechen kriminalisieren“.
Das Engagement für die Freiheit der Religionsausübung schließt immer den Einsatz für alle Menschen ein. Die wegen ihres Glaubens Verfolgten sind „exemplarisch, aber nicht exklusiv“ (Erzbischof Schick) zu sehen. Wo immer die Religions- und Weltanschauungsfreiheit eingeschränkt wird, müssen Christen ihre Stimme erheben und die Zusammenarbeit mit Andersdenkenden suchen. Er bleibt dabei eine wichtige Aufgabe, mit Begriffen präzise umzugehen: Was ist Einschränkung, was ist Verletzung von Religionsfreiheit, was ist Benachteiligung, was ist staatliche Diskriminierung, was ist Verfolgung? Beide Berichte sind im Blick auf solche Fragen verbesserungsfähig. Für ein friedliches und gerechtes Zusammenleben ist Religionsfreiheit ein unteilbares Gut. Es zeigt sich: Wenn Christen bedrängt, systematisch benachteiligt und verfolgt werden, was in globaler Perspektive deutlich zugenommen hat, geht es anderen religiösen und nichtreligiösen Minderheiten meist ähnlich. Viel deutlicher als bisher gehört dies auf die Tagesordnung kirchlichen und politischen Handelns. Die eine Kirche Christi, die in den konkreten Kirchen geglaubt wird, ist keine nationale Größe. Sie nimmt diejenigen, die hinsichtlich ihrer ethnischen Zugehörigkeit Fremde sind, als Glaubensgeschwister wahr und erkennt in jedem Menschen das Ebenbild Gottes. Deshalb dürfen der interreligiöse Dialog und der Dialog der Weltanschauungen den Menschenrechtsdiskurs zur Frage Freiheit der Religionsausübung nicht ausklammern. Er gehört ins Zentrum jeder Dialogkultur.
Reinhard Hempelmann
Anmerkungen