Lutz Lemhöfer

Plastikblume im Garten Gottes

Die Christlich-Essenische Kirche

Der in den Medien mittlerweile konstatierte Boom neuer oder vermeintlich neuer Religiosität bringt neben ernsthaften spirituellen Suchbewegungen auch manche Merkwürdigkeit hervor. Zu diesen Merkwürdigkeiten zählt eine Kirche, die jetzt gelegentlich durch die Gazetten geistert und unlängst die Besucher des Kölner Weltjugendtages mit fröhlichen Frauen im katholischen Priestergewand überraschte: die „Christlich-Essenische Kirche“, im Folgenden kurz CEK genannt.

Nach der Selbstdarstellung im Internet (www.cek-int.org/de) wurde die CEK in Deutschland 1971 „auf der Basis des Urchristentums“ gegründet. Weder wird ein Gründer genannt noch das Datum einer Gründungsversammlung oder ähnliches. Man bezeichnet sich als „überkonfessionell“ und akzeptiert „alle Glaubensrichtungen als zu uns gehörig“. Weder die Zuordnung zu einer konkreten christlichen Konfession ist erkennbar noch die Herkunft der Gründer aus einer benennbaren konfessionellen Tradition. Von den im Namen genannten Essenern heißt es an anderer Stelle, sie hätten Verbindung zu den Engeln gehabt, geistiges Heilen praktiziert und mit Tieren und Pflanzen zusammengearbeitet. Das klingt weniger nach den historischen Essenern als nach der in esoterischen Zirkeln nicht ungewöhnlichen Spiritualisierung der Natur. „Kommunikation mit den Engeln als Lebenshilfe“ zählt denn auch zum ausdrücklich genannten seelsorglichen Angebot. Es werden Gottesdienste gefeiert, die sich ausweislich der Bilder im Internet (Altartisch, Messbuch, Kelch, liturgische Gewänder) an die katholische Messe anlehnen. In diesen Feiern, die „Gleichdenkenden aller Religionen“ offen stehen, soll die Liebe Gottes „in Form von lichtvoller Energie in Brot und Wein (alkoholfrei)“ einfließen und dann geteilt werden. Segen und Handauflegen sollen dem „Heilen von Körper, Seele und Geist“ dienen. Heilung soll auch ein spezielles Heilwasser bringen, das an der „Gnadenstätte“ Burg Raiffershardt im rheinischen Windeck-Werfen aus einem eigens gebohrten Brunnen fließt. Mehreren Menschen sei auf Burg Raiffershardt die Gottesmutter erschienen und habe auf dieses Heilwasser aufmerksam gemacht. Namentlich genannt werden die vorgeblichen Visionäre allerdings nicht.

Ein Bekenntnis und viele Ämter

Die CEK betrachtet das Johannes-Evangelium als ihre heilige Schrift, allerdings nicht in der in allen christlichen Konfessionen gültigen Fassung. Vielmehr habe das Oberhaupt der Kirche, der Großerzbischof und Primash (sic) Pax Immanuel II. dieses Evangelium „nach Quellen altaramäischer und altgriechischer Schriften sowie apokrypher Texte“ neu geschrieben und um Fehlendes ergänzt. So werden zum Beispiel mehrfach die (im Urtext nicht vorkommenden) Essener eingeführt. Auf dieser Grundlage ergibt sich ein eigenes Bekenntnis jenseits der altkirchlichen Bekenntnisse: „Unser Vater ist Gott, unsere Mutter die Erde, Jesus der Christus, Maria die Königin der Engel, die Engel unsere Schwestern und Brüder.“ Die CEK kennt zwei Arten von Taufe, die dem Anschein nach aufeinander aufbauen: Die „Taufe mit heiligem Wasser“ sei ein Reinigungsritual, die „Taufe mit dem Heiligen Geist“ sei vergleichbar mit der Einweihung bei den Katharern und sei „hilfreich bei unseren irdischen Lernprozessen“ und stelle „eine Harmonie in diesen und in uns“ her. Eine Aufnahme in die Gemeinschaft sei damit nicht verbunden.

Oberhaupt der CEK ist der „Großerzbischof und Primash Seine Heiligkeit Pax Immanuel II“. Auf der deutschsprachigen Homepage wird er zwar im Bild gezeigt, nicht aber mit bürgerlichem Namen genannt. Letzterer taucht lediglich auf der ungarischen Homepage auf: Eckard Strohm (zur Person später mehr). Eigenen Angaben zufolge verfügt die CEK über Landeskirchen in Deutschland, Ungarn, der Slowakei, Spanien und der Schweiz. Der deutschen „Bischofskonferenz“ gehören dreizehn (sowohl männliche wie weibliche) Mitglieder an, darunter fünf Erzbischöfe, ein Bischof, drei Titularbischöfe, zwei Äbtissinnen und zwei Priester. Vierzig (nebenamtliche) Priesterinnen und Priester zählt die Homepage mit Adresse auf. Offen bleibt die Zahl der Schäfchen, die sich geistlicher Betreuung durch diese Bischöfe und Priester erfreuen. Die Ausbildung zur Priesterin oder zum Priester findet in drei „Modulen“ statt, bei denen es sich offenbar um drei einwöchige Kurse handelt. Mit „Praxiszeiten“ dazwischen erstreckt sich die Ausbildung über ca. ein Jahr. Ein theologisches Studium wird weder gefordert noch vorausgesetzt. Bilder auf der Homepage zeigen als äußeres Merkmal der Priesterschaft die liturgische Kleidung im Gottesdienst bzw. das Kollar im Alltag.

Im strahlend weißen päpstlichen Outfit präsentiert sich dort der mutmaßliche Gründer der CEK, Eckard Strohm. Der „Primash“ scheint ein spirituelles Multitalent zu sein. Im Klappentext eines seiner Bücher wird er als „Medium, Geistheiler und Seminarleiter“ vorgestellt sowie als „Reiki-Großmeister“; er trage den Ehrentitel „Magus“, das heiße „Eingeweihter“. Nach Zeitungsberichten aus dem Jahr 1999 wurde gegen Strohm alias „Wunderheiler Magus“ ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren wegen Betruges und Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz eingeleitet; dessen Ausgang ist nicht bekannt. In diesem Zusammenhang wurde Strohm vom damaligen Weltanschauungsbeauftragten der Erzdiözese Köln als „Scharlatan“ bezeichnet; am 15. Juli 2002 veröffentlichte das Amtsblatt der Erzdiözese Köln eine Warnung vor Strohm bereits mit Bezug auf die hier erstmals genannte „Christlich-Essenische Kirche“.

Überschneidung mit Reiki-Schule

Eine Reihe von Namen aus dem Kreis der Priester und Priesterinnen der CEK taucht auch auf einer anderen website (www.essenia.net) auf, dort werden sie als Reiki-Meister und -Meisterinnen aufgeführt. Die Seite steht für ein „Essenisches Schulungs- und Handelszentrum GmbH“ in Erfurt. Hier können esoterische Bücher, u.a. von Eckard Strohm, erworben werden wie z. B. die „Engel von Atlantis“ oder das „Meisterwissen von Atlantis“. Auch Schutzamulette stehen zum Verkauf oder Engelweihrauch „nach original essenischer Rezeptur“. Es werden aber auch Behandlungen und Seminare der „Reiki Association International“ (R.A.I.) angeboten, die wiederum von Eckard Strohm 1990 gegründet wurde und als deren Sitz wieder Burg Raiffershardt in Windeck genannt wird: zugleich die „Gnadenstätte“ der CEK. Die R.A.I. pflegt „energetische Heilmethoden“ abseits der großen Verbände, in denen Reiki, eine aus Japan stammende Form der Geistheilung, sonst organisiert ist. Sie ist in der esoterischen Zunft umstritten; von den größeren Verbänden wurde der R.A.I. und Eckard Strohm Ausbildung zu Dumpingpreisen vorgeworfen. Eben auf der Liste dieses ALDI unter den Reikianbietern tauchen viele Namen aus der Priesterschaft der CEK auf.

Fazit

Bei der „Christlich-Essenischen Kirche“ handelt es sich allem Anschein nach um ein Kunstprodukt, das keiner christlichen Konfession gleichzusetzen oder zuzuordnen ist. Im Wesentlichen handelt es sich wohl um Anhänger/-innen und Mitarbeiter/-innen eines Mannes, der bisher als dubioser Anbieter esoterischer Lebenshilfe in Erscheinung getreten und dabei anscheinend auch mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist. Gesucht werden offenbar die äußeren Insignien einer christlichen Kirche in starker Annäherung an katholische Formen und Symbole. Auffallend ist die reichliche Vergabe hoher kirchlicher Titel, die offenbar auch mit feierlichen Weihehandlungen einhergeht. Denkbar ist, dass auch die Titelvergaben und Weihehandlungen Teil des Geschäftsbetriebs von Eckard Strohm sind. Immerhin wird die CEK an ihrem „Firmensitz“ Erfurt außer mit einer Postfachadresse noch beim Amtsgericht mit einer Handelsregisternummer und beim Finanzamt mit einer Steuernummer geführt. Zu der vorher schon praktizierten esoterischen Lebenshilfe käme damit ein neues Angebot hinzu: eine vermeintliche spirituelle Alternative für Menschen, die sich im herkömmlich verfassten Christentum nicht zu Hause fühlen, christlichen Traditionen aber näher stehen als etwa fernöstlichen Religionen. Dass aber ausgerechnet die „Christlich-Essenische Kirche“ ernsthafte religiöse Substanz zu bieten hätte, ist aufgrund ihrer diffusen Lehraussagen und wegen ihrer Vorgeschichte nicht zu vermuten.


Lutz Lemhöfer, Frankfurt a. M.