Populäre Religion. Auf dem Weg in eine spirituelle Gesellschaft
Hubert Knoblauch, Populäre Religion. Auf dem Weg in eine spirituelle Gesellschaft, Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2009, 311 Seiten, 24,90 Euro.
Seit einiger Zeit ist vermehrt von einer „Wiederkehr der Religion“ die Rede. Ohne Zweifel sind spätestens seit dem traumatischen Datum des 11. September 2001 Religionen verstärkt in das Licht der Öffentlichkeit gerückt. Am lautesten vernehmbar sind dabei die Fundamentalismen politisch-religiöser und atheistischer Natur. Weit verbreitet sind aber auch alternative Formen von Spiritualität. Es ist chic geworden, Yoga oder Schamanismus zu praktizieren. Pilgerreisen auf dem Jakobsweg genießen hohe Popularität, viele glauben an Engel oder Reinkarnation, und zum ganzheitlichen Wohlbefinden wird auf Ayurveda oder Feng Shui zurückgegriffen. Hubert Knoblauch widmet sich in seinem Buch „Populäre Religion“ dem bunten Kosmos all dessen, was heute unter Spiritualität verbucht werden kann und eben hohe Popularität genießt. In Anlehnung an Thomas Luckmann und dessen Beschreibung des Religiösen als im sozialen Wesen des Menschen gründendem Akt des Transzendierens spricht Knoblauch allerdings nicht von einer Wiederkehr, sondern von einer Transformation der Religion. Teil dieser Transformation ist nach ihm, dass heute durch veränderte Kommunikationsstrukturen (v. a. durch neue Medien) sichtbar und damit beschreibbar wird, was Luckmann noch als unsichtbare Religion bezeichnete: Das Private wird öffentlich.
Das, was Knoblauch als populäre Religion beschreibt, ist durch eine mehrfache „Entgrenzung“ gekennzeichnet. Sie umfasst:
1. Formen der volkstümlichen Religiosität wie Aberglaube, UFO-Glaube, Glaube an die Wirksamkeit von Wünschelruten, Erdstrahlen oder die Kraft von Steinen,
2. Kommunikationsformen der populären Kultur, die auch in die Kirchen eindringen, wie Eventisierung, Popmusik, Showelemente,
3. einst als sakral geltende Formen, die in andere Kontexte versetzt werden, etwa Rituale von Sportfans, Technopriester, Fernsehhochzeiten und schließlich
4. das Auswandern von typischen Themen aus dem „Heiligen Kosmos“. Als besonders eindrückliches Beispiel hebt Knoblauch hier eine neue „Kultur des Todes“ außerhalb der Kirchen hervor, zu der u. a. Friedwälder, Nahtoderfahrungen und Reinkarnationsglaube gehören. Die mehrfache Entgrenzung führt dazu, dass eine deutliche Grenzziehung zwischen Religion und dem, was nicht Religion ist, kaum mehr möglich ist.
Dreh- und Angelpunkt der populären Religion ist die Erfahrung und damit der Begriff der Spiritualität mit einem antiinstitutionellen, antidogmatischen, ganzheitlichen, populären und auf das Subjekt und seine unmittelbare, persönliche und außergewöhnliche Erfahrung bezogenen Charakter. Das Subjekt spielt in der populären Religion mit ihren veränderten Kommunikationsstrukturen eine doppelte Rolle: Der Einzelne ist nicht mehr nur Rezipient, sondern Akteur, der das Religiöse durch „Rekomposition“ verschiedener religiöser Elemente neu erfindet und vor allem durch eigene subjektive Erfahrungen füllt. Allerdings ist er bei dieser Rekomposition nicht frei, sondern als Adressat religiöser Kommunikation, die von ihm Subjektivität und Erfahrung fordert, darauf angewiesen, welches Wissen ihm die populäre Kultur aus einem globalen Fundus anbietet. Die Legitimität der populären Religion ist damit nicht mehr von Experten abhängig, sondern besteht in ihrer Akzeptanz als breites Allgemeinwissen.
Knoblauchs Entwurf einer Transformation der Religion ist ein erhellender und spannender Beitrag zur religionssozilogischen Deutung der gegenwärtig so bunten und unscharfen religiösen Lage in den westlichen Gesellschaften.
Claudia Knepper