Prozess gegen Edir Macedo und andere Leiter der „Universalkirche vom Reich Gottes“
(Letzter Bericht: 10/2007, 386ff) Seit August 2009 wird gegen Edir Macedo und neun andere Leiter der brasilianischen „Universalkirche vom Reich Gottes“ (Igreja Universal do Reino de Deus) ein Prozess wegen Veruntreuung von Spendengeldern, Geldwäsche und Gründung einer kriminellen Vereinigung geführt. Der Prozess ist das Ergebnis einer zweijährigen Untersuchung der Staatsanwaltschaft des Bundeslandes São Paulo. Laut den Ergebnissen der Untersuchung haben die Angeklagten im großen Stil jahrelang steuerfreie Spendengelder durch illegale Transaktionen in Steueroasen veruntreut und diese Gelder in Form von Krediten an private Personen wieder ins Land geholt. Das Geld sei schließlich für den Erwerb von Fernseh- und Radiosendern, Unternehmen und Immobilien verwendet worden.
Die „Igreja Universal do Reino de Deus“ wurde 1977 in Rio de Janeiro gegründet und zählt heute zu den größten evangelischen Kirchen Brasiliens. Weltweit ist sie in über hundert Ländern tätig. In Deutschland bietet sie unter dem Namen „Hilfszentrum“ ihren religiösen Dienst in zehn Städten an, darunter Berlin, Hamburg und München (www.hilfszentrum.de). Die Universalkirche vom Reich Gottes gilt als eine neupfingstlerische Kirche und vertritt eine Wohlstandstheologie (vgl. MD 6/2007, 223).
Die Staatsanwaltschaft schätzt die Einnahmen der Kirche für den Zeitraum von 2001 bis 2008 auf umgerechnet 3 Milliarden Euro und wirft der Führung vor, einen Teil dieser gigantischen Summe veruntreut zu haben. Weil die illegalen Transaktionen der Staatsanwaltschaft zufolge zum Teil durch in den Vereinigten Staaten ansässige Finanzfirmen abgewickelt wurden, haben auch US-amerikanische Justizbehörden eine Untersuchung der Geschäfte der Universalkirche und ihres Führungskreises eröffnet.
Spendengelder an religiöse Gemeinschaften sind in Brasilien steuerfrei, solange sie für religiöse oder wohltätige Zwecke verwendet werden. Der Führung der Universalkirche wird vorgeworfen, Spenden in Milliardenhöhe für den Aufbau des zweitgrößten Medienkonzerns Brasiliens und für den Erwerb von verschiedenen Unternehmen und Immobilien rechtswidrig verwendet zu haben. Es handelt sich um ein Fernseh- und Radionetz mit 22 bzw. 42 Sendern, drei regionale Zeitungen, zwölf Unternehmen (darunter Verlage, zwei Bankgesellschaften, ein Reise- und ein Lufttaxiunternehmen). Tatsächlich sind die Firmen auf Edir Macedo und andere Personen aus dem Führungskreis der Universalkirche eingetragen. Auch Mitglieder aus Macedos Familie gelten als Mitbesitzer, zum Beispiel seine Frau, der vermutlich 10 Prozent der Fernsehanstalt „TV Record“ gehören. Die Fernseh- und Radiosender sowie die anderen Unternehmen werden hauptsächlich kommerziell geführt und dienen nur zum Teil religiösen Zwecken. Beispiel TV Record: Religiöse Programme der Universalkirche werden nur in der Nacht ausgestrahlt. Tagsüber und abends hat der Sender ein rein profanes und kommerzielles Programm, das sich von dem der Konkurrenz in keinerlei Form unterscheidet.
Die Führung der Universalkirche bestreitet alle Vorwürfe. Sie weist darauf hin, dass bereits 2006 ein ähnlicher Prozess vom höchsten Tribunal des Landes eingestellt worden sei, und fragt nach dem Zweck dieses neuen Prozesses. Aus ihrer Sicht stecken die Interessen der Konkurrenten dahinter, des größten Medienkonzerns des Landes, „Rede Globo“, und des Zeitungsverlags „Folha de São Paulo“, die durch die Vorwürfe die Expansion von TV Record zu stoppen versuchten.
TV Record ist dabei, in der brasilianischen Medienlandschaft auf den zweiten Platz nach Rede Globo zu rücken. Es ist daher tatsächlich nicht auszuschließen, dass bei dem Prozess verschiedene und nicht zuletzt auch kommerzielle Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen eine Rolle spielen. Auch wenn das so sein mag, müssen die Angeklagten ihre Unschuld beweisen und die Vorwürfe nicht mit Vorwürfen gegenüber Dritten, sondern mit Fakten zurückweisen.
Unabhängig davon, wie der Prozess ausgehen wird: Er wirft erneut Schatten auf die Glaubwürdigkeit und Ehrenhaftigkeit des Führungskreises der Universalkirche vom Reich Gottes. Die Enthüllungen der Presse darüber, dass Edir Macedo Immobilien in Millionenhöhe sowohl in Brasilien als auch in den Vereinigten Staaten besitzen soll, haben darüber hinaus den Vorwurf der persönlichen Bereicherung auf Kosten der Anhänger seiner Kirche nahgelegt.
Da es sich bei der Universalkirche um eine von der Führung autokratisch geleitete, stark hierarchisch strukturierte Organisation handelt, stellt sich die Frage, inwieweit die Kirchenarbeit in den örtlichen Gemeinden von den finanziellen Motiven einer vermutlich sich persönlich bereichernden Führung missbraucht wird. Die in der Öffentlichkeit bereits vorhandene Unterstellung, Macedos Kirche sei eine Sekte, die unter dem Deckmantel der Religion gute Geschäfte macht, bekommt durch den neu aufgerollten Prozess neuen Aufwind.
Der Prozess hat aber auch tiefere Dimensionen: Er gibt einen Einblick in die in der aktuellen brasilianischen Gesellschaft vorhandene vielseitige Verstrickung von Staat, Wirtschaft und Religion. Die Universalkirche ist nicht die einzige religiöse Gemeinschaft, die in Massenkommunikationsmedien investiert und in der Politik ihre Interessen durchzusetzen vermag. Auch andere Kirchen – die römisch-katholische inklusive – tun es, wenn auch nicht so erfolgreich wie die Universalkirche. Diese Verstrickung und die damit verbundene wirtschaftliche und politische Macht von Kirchen in Brasilien zeigen auch die Schwächen einer jungen Demokratie, die noch viele rechtliche Grauzonen besitzt und noch keine klaren demokratischen Regeln für die Präsenz religiöser Gemeinschaften bestimmt hat.
Bisher wurden alle Prozesse gegen Edir Macedo und seine Kirche entweder eingestellt oder mit einem Freispruch beendet. Weil dieses Mal auch eine Untersuchung in den Vereinigten Staaten läuft, kann man gespannt auf das Ergebnis sein, denn dort kann Edir Macedo nicht wie in Brasilien auf seinen politischen Einfluss bauen.
João Carlos Schmidt, Aalen