Reaktionen auf den Film „Guru - Bhagwan, His Secretary & His Bodyguard“
(Letzter Bericht: 11/2010, 425f) Im September 2010 lief der Film „Guru – Bhagwan, His Secretary & His Bodyguard“ in Deutschland an. Er zeigt die Entwicklung der Bewegung um Bhagwan Shree Rajneesh (später Osho) von den Anfängen im indischen Poona bis zum vorläufigen Zusammenbruch der Kommune „Raj-neeshpuram“ in Oregon aus der Sicht zweier enger Anhänger des indischen Gurus, seiner Sekretärin Sheela und seines Leibwächters Hugh Milne.Der Film hat unter ehemaligen Neo-Sann-yasins um Rajneesh kontroverse Reaktionen ausgelöst. Auf der einen Seite begrüßen manche früheren Anhänger den Film als gelungenen, tiefgründigen und kritischen Anstoß zur Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und mit Meister-Schüler-Beziehungen im religiösen Feld. Auf der anderen Seite sehen ehemalige Neo-Sannyasins die Bewegung durch den Film verunglimpft. Sie werfen den Regisseuren eine einseitige, parteiliche Sicht vor. Gemeinsam ist beiden Sichtweisen, dass sie nach wie vor grundsätzlich eine tiefe Verehrung für Osho teilen.
Beispielhaft zeigt sich dies in zwei Zeitschriften aus dem Umfeld der Bewegung, die von ehemaligen Sannyasins verantwortet werden.Wolf Schneider würdigt in „connection spirit“ (9/2010, 32f) den Film grundsätzlich als gelungen und „aufrüttelnd“. Er stimmt der kritischen Einschätzung des ehemaligen Bodyguards Rajneeshs, Hugh Milne, im Film zu, dass die schiefe Entwicklung der Bewegung begann, als der Inder sich als Messias von Amerika bezeichnete. Dieser Größenwahn sei ein Verrat an „Poona I“ gewesen, der ersten Kommune in Indien vor dem Umzug der Bewegung nach Oregon. Kritisch sieht Schneider außerdem die „Schwäche“ des Gurus, Lachgas zu konsumieren, sowie vor allem seinen „unwahrhaftigen, disloyalen“ Umgang mit seiner Sekretärin Sheela Birnstiel, der er mehr oder weniger die Führung in Oregon überlassen hatte. Anders als viele Kommentatoren des Films glaubt Schneider Sheelas Beteuerung, der Guru selbst habe alle Anweisungen zum harten Regime in Oregon gegeben, das Rajneesh später als „Faschismus“ bezeichnete. Schneider wirft ihm vor, alle Verantwortung auf Sheela abzuwälzen. Er spricht an dieser Stelle vom „unbekümmerten Umgang [Oshos] mit Fakten“ und ist letztlich doch bereit, sein Verhalten zu rechtfertigen: „Osho vertrat eine Ebene von Wahrheit, in der Fakten keine so große Rolle mehr spielen – an diesem Punkt leider zum Schaden von Sheela.“Die Befürchtung Schneiders, dass die Wahl der Interviewpartner in den Augen ehemaliger Anhänger Rajneeshs den Vorwurf der Parteilichkeit des Films aufkommen lassen könnte, findet sich in Leserbriefen und in einem Beitrag von Jörg Andrees Elten im Magazin „Osho Times“ (10/2010, 6f) bestätigt. Elten, der als Sannyasin den Namen Satyananda trägt, zeigt sich von dem Film „Guru“ zutiefst enttäuscht. Statt in der Dokumentation Osho oder „Osho-Lovern“ zu begegnen, habe er „Osho-Projektionen der beiden enttäuschten Hauptpersonen Sheela und Shiva“ gesehen. Elten verurteilt die Kritiker und entlastet Rajneesh in jeder Hinsicht. Sheela und Milne hätten den Fehler begangen, in Osho einen „Über-Vater“ zu sehen. Statt selbst Verantwortung zu übernehmen, wie es der Meister geboten habe, hätten sie die Verantwortung an ihn abgegeben. Die harten Arbeitsbedingungen in der Siedlung der Sannyasins, „Rajneeshpuram“ in Oregon, interpretiert Elten als „Test“, den nicht alle bestanden hätten. Das Verhalten des Gurus entschuldigt er damit, dass der Meister das „Ego“ der Schüler „zertrümmern“ wollte. „Totalität war angesagt. Halbheiten gab es mit Osho nicht.“ Weder die eigene Verführbarkeit und Ideologieanfälligkeit noch die des Gurus werden von Elten reflektiert, noch wird die Gefahr gesehen, die in jeder Totalität liegt. Die Skandale um seine 92 Rolls Royce und die „karnevalistischen ‚Drive Bys’“ hätte Osho geschickt genutzt, um seine eigentliche Botschaft global zu verbreiten. „Was so aussieht wie die eitle Selbstdarstellung eines verrückten Narzissten, war in Wahrheit ein genialer Werbe-Witz.“ Das „Kommune-Experiment“ in Oregon sei kein katastrophaler Fehlschlag gewesen, so Elten, sondern im Gegenteil: „Die Ranch war Oshos ‚Mysterienschule’ – das größte, schärfste, riskanteste und erfolgreichste ‚Human Growth’-Experiment aller Zeiten.“Wolf Schneider empfiehlt eine Filmbesprechung Martin Frischknechts zur Lektüre. Der Chefredakteur und Herausgeber des in Winterthur in der Schweiz erscheinenden „Magazins für neues Bewusstsein“, „Spuren“, zeigt sich gegenüber der Osho-Bewegung freundlich distanziert (www.spuren.ch/news_comments/952_0_3_0_C). Er begrüßt den „bemerkenswert unaufgeregten“ und „lehrreichen“ Film mit „exzellentem“ Bildmaterial und hofft, dass er die ehemaligen Anhänger Oshos 20 Jahre nach dessen Tod zum Nachdenken bringen möge. Die Kritik, die beiden Interviewpartner im Film seien voreingenommen, bezeichnet Frischknecht als „Freund-Feind-Schema von vorgestern“. Ganz anders als Elten kommt er zu dem Schluss, dass das „Experiment“ vermutlich an einem „Geburtsfehler“ litt und „von vornherein zum Scheitern verurteilt“ war. „Die kollektive Projektion auf eine einzige vermeintlich leuchtende Lichtgestalt liess die Bewegung von Oshos Neo-Sannyasins Schatten verdrängen, die schließlich im Zusammenbruch der Stadt-Ranch in Oregon offenkundig wurden. Wollen wir daraus Lehren ziehen, sollten wir nicht länger über die enigmatische Persönlichkeit des Gurus rätseln, sondern uns beherzt jenen Anteilen in uns zuwenden, aus denen wir spirituelle Lichtgestalten konstruieren und sie hoch über uns auf ein Podest stellen.“ Das Befangensein zwischen „der Ekstase von einst und der Ernüchterung, die unweigerlich folgte“, wie sie an Sheela Birnstiel und Hugh Milne beobachtet werden könne, sei wohl exemplarisch für die Verfassung vieler einstiger Sannyasins, so Frischknecht. „Sie hängen alten Zeiten nach, die vielleicht gar nie ‚gute alte Zeiten’ waren.“
Die drei Wortmeldungen zeigen beispielhaft Positionen in der Szene der ehemaligen Neo-Sannyasins und deren Umfeld. Der Film hat offenkundig Bewegung in die Szene gebracht. Filmbesprechungen, Berichte über lebhafte Diskussionen nach Filmvorführungen und Leserreaktionen zeigen, wie mit der eigenen Vergangenheit und der Verehrung Rajneeshs umgegangen wird. Die Reaktionen reichen von Ärger, Verletztsein und Verschlossenheit für Kritik („Warum noch mal die alten Sheela-Geschichten? Warum nicht endlich ein Film über Oshos Botschaft?“) bis zur Nachdenklichkeit und Selbstkritik („Was lief schief auf der Ranch? Es lief einiges schief! Wir sonnten uns im Lichte ‚Bhagwans’, des besten und größten Meisters aller Zeiten ... Wir hatten ein gigantisches spirituelles Ego aufgebaut, waren arrogant und glaubten: Wir sind die (etwas) Besseren ... All das flog uns auf der Ranch um die Ohren. Wir landeten im spirituellen Faschismus und hatten Gelegenheit, uns unsere ‚Schatten’ anzuschauen“, Osho Times 11/2010, 46f).Interessant ist an der Debatte, wie eine spirituelle Bewegung, die zu den sogenannten Jugendkulten der 1970er und 1980er Jahre gehörte, beginnt, sich der eigenen schwierigen Vergangenheit zu stellen. Das ist ein schmerzhafter Prozess. Die größte Herausforderung dabei scheint zu sein, zu einer kritischen Sicht des Meisters zu gelangen. Gerade beim Schritt hin zum Eingeständnis der Fehlbarkeit und Schuld des als Guru verehrten Menschen zeigen sich bis heute starke Immunisierungsmuster. Alles, auch die Täuschung im Meister, wird noch als dessen Lehrstück ausgelegt, den Schüler auf sich selbst zurückzuwerfen. Mit Sheelas mangelnder Schuldeinsicht und ihrer Weigerung konfrontiert, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen, stellt sich den ehemaligen Sannyasins die Frage nach ihrer eigenen oft kritiklosen, devoten Gefolgschaft und ihrer je eigenen Verantwortung. Dem Film von Beat Häner und Sabine Gisiger ist damit ein wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung innerhalb der Bewegung der Neo-Sannyasins gelungen.
Claudia Knepper