Matthias Pöhlmann

Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen

Radikal irrational

Matthias Pöhlmann: Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen, Herder, Freiburg i. Br. u. a. 2021, 304 Seiten, 22,00 Euro.

Zu den Themen, die in der deutschen Öffentlichkeit ebenso leidenschaftlich wie polemisch diskutiert werden, gehören die Fragen nach den „Impfverweigerern“ und nach dem dahinterstehenden Weltbild. Offensichtlich ist, dass Diskurse hier kaum noch rational geführt werden, weil die Quellen, aus denen viele Menschen ihr Wissen ziehen, wissenschaftlicher Überprüfung kaum standhalten können. Die Möglichkeiten, die das Internet und hier vor allem Foren und soziale Netzwerke bieten, sind dabei durchaus ambivalent: Neben seriösen Diskussionsforen stehen solche, die mehr oder weniger ungefiltert Verschwörungstheorien und unwissenschaftliche Halbbildung verbreiten. Und fast beiläufig nimmt man zur Kenntnis, dass man dann, wenn man „Sturm und Reichstag“ als Suchbegriffe bei DuckDuckGo eingibt, direkt als zweites „Reichstag Sturm und Fake“ angeboten bekommt. Anders gesagt: Einmal daneben geklickt macht aus einem veritablen Verbrechen eine perfide Verschwörung von … – ja, von wem denn eigentlich? Die Tatsache, dass im Internet sachliche Informationen und unsachlicher Unsinn häufig nur einen Klick voneinander entfernt sind, zeigt, wie schwierig Recherche im Internetzeitalter geworden ist und wie notwendig die auf Seite 245 der vorliegenden Publikation geforderte „digitale demokratie-relevante Medienkompetenz“ inzwischen ist. Neben dem Internet hat vor allem „Telegram“ traurige Berühmtheit als Vernetzungsplattform von Querdenkern und Demokratiegegnern erreicht. Dass es neben rechtsstaatlich legitimierter Meinungsäußerung auch kriminelle Aktionen gibt, zeigen Drohungen gegen Politiker und Politikerinnen ebenso wie der versuchte „Sturm des Reichstags“ am 29. August 2020.

Dem früheren EZW-Referenten und heutigen Weltanschauungsbeauftragten der bayrischen Landeskirche Matthias Pöhlmann nun kommt das Verdienst zu, auf eine Wurzel derartigen Denkens und Treibens hinzuweisen, die sonst eher unter dem Wahrnehmungsschirm stattfindet: die rechte Esoterik. Zwar sind die Beziehungen zwischen Esoterik und rechtsextremem Denken in den letzten Jahren immer mal wieder dargestellt worden – hier wären vor allem Rüdiger Sünners Buch „Schwarze Sonne“ von 1999 und die umfassende wissenschaftliche Gesamtdarstellung der Genese der Esoterik in Linus Hausers dreibändiger „Kritik der Neomythischen Vernunft“, aber auch regelmäßige Beiträge im Materialdienst der EZW und den EZW-Texten zu erwähnen – die Aktualität aber ist heute deutlich drängender geworden.

Aktuell ist das vorliegende Buch: Abgeschlossen wurde es am 6. August 2021, und noch bis kurz vor diesem Redaktionsschluss hat Pöhlmann bei einschlägigen Versammlungen und Demonstrationen recherchiert.1  Aktualität ist also ein wesentlicher Punkt dieses Buches. Gleichwohl bleibt es nicht bei aktuellen Berichten stehen: So wird die Frage „Was ist Esoterik?“ ebenso kurz wie prägnant erörtert. Und natürlich umfasst die Darstellung deutlich mehr als die aktuellen Corona-Demonstrationen. Denn so sehr diese Szene durch esoterische Autoren und Redner (mit)geprägt wird, so sehr greift rechte Esoterik auch über diese Szene hinaus: Demokratiefeindlichkeit, Antisemitismus, elitärer Erkenntnisanspruch, der in der Konsequenz zur Ablehnung einer wissenschaftlich gestützten Diskurskultur führt, sowie eine dualistische „gut / böse“-Scheidung – dies alles kann die aktuelle Impfdiskussion als Aufhänger nutzen. Und dies alles geht deutlich in die rechte Ecke, wenn es sich nicht von Anfang an bewusst dort verortet. Es ist zugleich aber schon vor der Impfdiskussion vorhanden gewesen und wird sicher auch nach Ende der Pandemie weiter vorhanden sein. Und – so wird in Teilen der sozialen Medien bereits spekuliert – es ist gut vorstellbar, dass rechte Esoterik dann auf die Klimaproblematik in ähnlicher Weise anspringt.

Daher ist das Buch deutlich breiter angelegt, als es der Einstieg, der von der aktuellen Impfdiskussion ausgeht, vermuten lässt: In immer neuen Anläufen stellt Pöhlmann Personen, Gruppen, Verlage und Internetseiten vor, die ebenso esoterisch sind wie politisch rechtsaußen stehend. Dabei werden vor allem die beiden wohl größten und in ihrem Gesamtauftritt gefährlichsten Gruppen – QAnon (195 – 202) und die Anastasia-Bewegung (203 – 219) – umfassend dargestellt. Allein wegen dieser konzentrierten Behandlung zweier Gruppen, die die Szene prägen, lohnt die Lektüre des Buches. Dass nicht jede Esoterik rechts ist, wird immer wieder ausdrücklich vermerkt, so vor allem in der Darstellung von Anastasia, wo darauf hingewiesen wird, dass es inzwischen auch deutliche Abgrenzungen von dieser Bewegung gibt (219).

Deshalb ist es aus meiner Sicht schwierig zu sagen, dass Esoterik vielfach als „Trojanisches Pferd“ für rechtsextremes Denken fungiert. Eher ist es m. E. so, dass sich Menschen – durchaus mit guten Absichten – an einem Workshop, einer Fortbildung oder einer Demonstration beteiligen, ohne genau zu wissen, welche Trägergruppen sich dahinter verstecken und mit wem man gemeinsam auf die Straße geht. Dies gilt vor allem deshalb, weil es neben den großen und medial präsenten Gruppen wie QAnon und Anastasia eine große Anzahl von kleinen und kleinsten einschlägigen Gruppierungen, Verlagen, Tagungs- und Fortbildungszentren und Internetportalen gibt, über die nur noch wenige Fachleute den Überblick haben. Neben den bekannten „Stars“ der Szene wie Jo Conrad und Jan van Helsing existiert eben eine kaum überschaubare Szene. Es gibt immer wieder Verflechtungen und Vernetzungen, die aber erst dann offensichtlich werden, wenn man die notwendige Sachkenntnis mitbringt und Zusammenhänge erkennen kann.

Diese Sachkenntnis zu vermitteln, ist die ganz große Leistung dieses Buches. Nach der Lektüre wird man auf alle Fälle aufmerksam fragen, mit wem man sich einlässt, wenn man es z. B. mit einer vorgeblich harmlosen Gruppierung wie der „Friedenswegcommunity“2  zu tun bekommt. Da viele dieser Gruppen auf den ersten Blick nicht deutlich machen, dass sie nicht nur in der Esoterik verankert, sondern auch „rechts“ beheimatet sind, ist es gut, hier Zusammenhänge aufgezeigt zu bekommen. Nur so sind Abgrenzungen und Distanzierungen möglich, Distanzierungen, die es zwar bisweilen gibt – Pöhlmann nennt die Firma Dreschflegel (219) –, die aber eben viel zu selten vorgenommen werden.

Wie gesagt: Die Darstellung ist notwendig und hilfreich. Sie wird dazu beitragen, die Geister zu unterscheiden – und dies aufgrund des umfassenden Registers durchaus auch mal mit einem schnellen Blick ins Buch. Trotzdem würde ich mir eine Fortschreibung in Form eines Lexikons wünschen. Die vorliegende Form und die kaum lesbare Übersicht (235) lässt leider einiges an Übersichtlichkeit vermissen.

Das Buch wird mit einer Einschätzung aus christlicher Sicht abgeschlossen. Das Plädoyer für eine „Kultur der Barmherzigkeit“, die der esoterischen Egozentrik deutlich entgegengesetzt ist, ist ebenso von Bedeutung wie die Aufforderung, sich im Sinne des Doppelgebots der Liebe innerhalb der demokratischen Gesellschaft zu engagieren. Das ist unbedingt wichtig. Wenn es aber nicht (mehr) geht? Wenn die Pandemie mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht mehr beherrschbar ist? Wenn die Katastrophe ganz individuell erfahren wird, durch wirtschaftlichen Bankrott, durch Krankheit, womöglich durch den Tod? Dann ist es gut, dass das christliche Hoffnungspotenzial, der „Mut zum Sein“3, in Anspruch genommen werden kann. Christen können sich auch in der Pandemie und auch im Angesicht des Todes von Gott gehalten wissen. Dies esoterischen Verschwörungsnarrativen entgegenzuhalten, die immer Angst und Unsicherheit verstärken, bleibt aufgegeben. Das vorliegende Buch leistet hier wesentliche Aufklärungsarbeit.


Heiko Ehrhardt, 13.05.2022

 

Anmerkungen

1  Die „Aktualisierungen und Bilder“, die laut Seite 249 unter www.rechte-esoterik.de abzurufen sind, sind leider noch überschaubar – sie sollen aber zügig ergänzt werden.

2  Vgl. 227 – 229. Ich kenne einige der aufgelisteten Personen, die vermutlich tief betroffen wären, wenn sie wüssten, was hinter dem „Friedensweg“ eben auch steht.

3  Vgl. das entsprechende Zitat von Paul Tillich (247).