Säkularer Humanismus

Reformationstag als gesetzlicher Feiertag - Humanisten sind dagegen

Wenn über die Feiertagskultur in Deutschland debattiert wird, hat dies unterschiedliche Aspekte. Im Vergleich der Bundesländer fällt ein Gefälle zwischen Süd- und Norddeutschland auf: 12 bzw. 13 Feiertage in Bayern und Baden-Württemberg, 9 in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen. Politikerinnen und Politiker in Norddeutschland suchen nach einer Angleichung zwischen den Ländern und wollen einen weiteren Feiertag einführen. In Schleswig-Holstein und Hamburg ist inzwischen entschieden worden, dass der neue Feiertag der 31. Oktober, also der Reformationstag, sein wird. Das Kieler und Hamburger Votum wird auch die Entscheidungen in Bremen und Niedersachsen beeinflussen. Im Vertrag der Großen Koalition in Niedersachsen wurde bereits festgeschrieben, dass ein weiterer gesetzlicher Feiertag eingeführt werden soll. Der Bürgermeister der Stadt Bremen, Carsten Sieling, möchte keine „Insellösung“, eine Übereinstimmung mit Hannover sei „eine Sache der Vernunft“. Er plädiert wie der Ministerpräsident von Niedersachsen für den Reformationstag als weiteren Feiertag. Endgültige Entscheidungen werden in den nächsten Wochen (April, Mai) erwartet. Die bundesweiten Feiern zum Reformationsjubiläums 2017 haben offensichtlich Impulse für die Weiterentwicklung der Feiertagskultur hinterlassen. Noch im Frühjahr 2018 könnte es dazu kommen, dass der 31. Oktober auch in Bremen und Niedersachsen als weiterer Feiertag eingeführt wird. Die nach der Wende eingeführte Tradition der neuen Bundesländer würde damit in ganz Norddeutschland aufgegriffen werden.

Atheistischer und humanistischer Protest richtet sich ausdrücklich nicht gegen die Absicht, einen neuen Feiertag einzuführen, wohl aber – und dies pointiert – dagegen, ein Datum zu wählen, das mit dem Thema Reformation verbunden ist. In Bremen haben der Humanistische Verband Deutschlands (HVD), die Giordano Bruno Stiftung (gbs) und der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) dem „konfessionsfreien Bürgermeister“ vorgehalten, er betreibe eine rückwärtsgewandte Politik („Verbeugung vor dem Mittelalter“), eine Besinnung auf den Reformator Martin Luther sei nicht zeitgemäß, die Politik scheue die Auseinandersetzung mit der einflussreichen evangelischen Kirche und mit den Evangelikalen, die in Bremen besonders präsent seien (https://hpd.de/artikel/luther-feiern-nicht-mehr-zeitgemaess-15293).

Vertreterinnen und Vertreter des HVD in Niedersachsen beklagen die politische Ignoranz gegenüber der „säkulare(n) Position“. Ein Drittel der Bevölkerung Niedersachsens bleibe bei einem weiteren religiösen Feiertag unberücksichtigt. Ein neuer gesetzlicher Feiertag, so der HVD Niedersachsen, der Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, müsse ein Tag sein, an dem alle einen Grund zum Feiern haben. Kein neuer religiöser und konfessioneller Feiertag sei zu etablieren, sondern ein nichtreligiöser „Feiertag für alle“. Dies sei beispielsweise dann der Fall, wenn der 10. Dezember als Tag der Menschenrechte nicht nur 2018 – in Erinnerung an 1948 –, sondern dauerhaft gefeiert werde (Humanismus leben 1/2018).

Die Argumentation sogenannter säkularer Verbände bleibt dabei widersprüchlich. Wenn es um die christlichen Kirchen geht, wird mit dem Rückgang der Kirchenmitgliedschaft, also quantitativ argumentiert und auf unübersehbare Pluralisierungsprozesse und die religiös-weltanschauliche Vielfalt verwiesen. Wenn es um den eigenen Verband geht, spielen Mitgliedszahlen keine Rolle. Denn diese sind verschwindend gering. Nur ca. 0,1 Prozent der Konfessionsfreien (25000) sind in Deutschland in Weltanschauungsgemeinschaften organisiert. Um diesem Dilemma zu entgehen und mehr politische Beachtung zu finden, nimmt der Humanistische Verband für sich in Anspruch, die Stimme aller Konfessionsfreien zu sein. „Medienvertreter und Politiker müssen … die Faustregel verinnerlichen: ‚Wenn ich es für angebracht halte, Kirchenvertreter zu bestimmten Themen zu befragen, dann muss ich auch an den Rest denken, der zum allergrößten Teil nicht religiös ist und sich an humanistischen Werten orientiert.‘“

Mit dem Motto „Luther feiern ist nicht mehr zeitgemäß“ wird die Kritik gegenüber den politischen Absichten zusammengefasst. Aus der Perspektive des HVD ist das Reformationsnarrativ verbunden mit Antisemitismus, Kirchenspaltung, Bauern- und Religionskriegen, Hexenverbrennungen, dem Dreißigjährigen Krieg. „Luther ist eine historische Figur, die an diesen mittelalterlichen Ereignissen entscheidenden Anteil hatte. Mehr nicht.“ So pauschal wird im Blick auf die Reformation argumentiert. Reformationserinnerungen werden in ein kirchenkritisches Wahrnehmungskonzept eingeengt. Keine Berücksichtigung findet in dieser Betrachtungsweise, dass mit der Reformation zahlreiche kulturelle, bildungsorientierte und religionsrechtliche Impulse verbunden sind, die auch unabhängig von religiöser und weltanschaulicher Zugehörigkeit prägend bleiben. Die Geschichte vieler Städte Deutschlands und Europas lässt sich ohne Erinnerung an die Reformation nicht erzählen. Bis heute sind Humanistische Verbände von der Vision einer religionsfreien Gesellschaft bestimmt. Der säkulare Rechtsstaat, der sich religionsfreundlich versteht, soll zum säkularisierenden Staat umgeprägt werden, der in der Feiertagskultur auf religiöse Bezüge möglichst verzichtet.

Die politische Antwort auf den fraglos wachsenden religiös-weltanschaulichen Pluralismus der Gegenwart muss jedoch keineswegs eine laizistische Verhältnisbestimmung zwischen Religion und Politik sein. Zukunftsfragen der Gesellschaft und ethische Orientierungen lassen sich von religiösen und weltanschaulichen Bezügen nicht loslösen. Auch „weltliche gesetzliche Feiertage“ können dirigistisch und exklusiv sein, und religiöse Feiertage sind offen für eine weltliche Rezeption. Im Jahr des Jubiläums 2017 wurde immer wieder deutlich, dass die kulturellen Gedächtnisgestalten reformatorischer Impulse nicht von religiösen und weltanschaulichen Bekenntnissen abhängig sind. Die Freiheit eines Christenmenschen fördert weltliche Freiheitsräume und eine Kultur der Besinnung und der Unterbrechung des Alltags. Die christlichen Kirchen haben sich zugleich der Aufgabe zu stellen, dem Traditionsabbruch entgegenzuwirken und die Impulse der Reformation zu erinnern, zu entdecken und zu gestalten. Nur eine gelebte Fest- und Feiertagskultur wird dem Anspruch gerecht, zur Humanisierung der Gesellschaft beizutragen.


Reinhard Hempelmann