Kai Funkschmidt

Reha-Maßnahmen für Hakenkreuz und NS-Erinnerungsorte?

Religiöse Bearbeitung von NS-Erinnerungsorten

Schon seit geraumer Zeit versuchen sich Gruppen und Einzelvertreter neureligiöser, insbesondere esoterischer Weltanschauungen an eigenen Bewältigungsformen der NS-Vergangenheit. 2016 „reinigte“ der bayerische Neoschamane Danny Gross das Reichsparteitagsgelände Nürnberg und das bayerische KZ Hersbruck von „negativen Energien“, indem er dort Sand-Mandalas legte, die u. a. Swastikas (Hakenkreuze) und Davidsterne enthielten.1 Im März 2018 vollzog die Gemeinschaft Bhakti Marga im KZ Buchenwald wie zuvor schon an anderen NS-Orten ein Reinigungsritual, um „Tragödien der Vergangenheit zu überwinden und gemeinsam für eine bessere Zukunft zu wirken“2. Solche Vorgänge führen immer wieder zu heftigen Reaktionen. Während etwa Vertreter politischer Parteien und gegen Antisemitismus engagierte Stellen dagegen protestierten, kamen der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen und ein Rabbiner zur Bhakti-Marga-Aktion in Buchenwald und nahmen sie grundsätzlich in Schutz. Tatsächlich sind manche Einwände eher reflexhaft empört als durchdacht, so etwa der stereotype Vorwurf der „Holocaustrelativierung“, weil eine bestimmte Gruppe ihre Gedenkrituale auch an anderen Verbrechensorten vollziehe.3 Denn das gilt naturgemäß für jedes Gedenkritual, z. B. auch für christliche Gottesdienste und säkulare Veranstaltungen.

Der richtige Umgang von Religionen mit Symbolen und Schauplätzen der NS-Vergangenheit ist allerdings nicht nur heikel, sondern seit langem ein Kampffeld. In unguter Erinnerung sind die jahrelangen internationalen Auseinandersetzungen mit teilweise antisemitischen Begleitklängen sogar von höchster katholischer Stelle, die auftraten, als sich 1985 polnische Karmelitinnen in den SS-Baracken von Auschwitz ansiedelten. Damals erklärte der französische Großrabbiner René Sirat: „Auf das Schweigen Gottes und die schuldhafte Gleichgültigkeit der Menschen kann allein das Schweigen der Überlebenden die angemessene Antwort sein. Heute in Auschwitz beten hieße, das absolut Böse zu banalisieren. Niemand darf diesen Ort des schrecklichsten Götzendienstes in einen Ort des Gebets verwandeln.“4 Und doch gibt es heute bei mehreren KZ-Gedenkstätten verschiedener Länder katholische Klöster. Schweigen? Beten? „Energien reinigen“? Wer darf, wer kann wie und wo den Holocaust religiös bearbeiten? Auch solche Fragen ordnen sich mit zunehmender religiöser Pluralisierung neu.

Filmreihe zur „Heilung“ der Swastika

Neben den Erinnerungsorten haben es manchen neureligiösen Gruppen seit einiger Zeit auch die Symbole der NS-Zeit angetan. Der in heidnischen Kreisen als „Voenix“ bekannte Künstler Thomas Vömel hat Anfang Februar 2018 eine lange angekündigte vierteilige Filmreihe zur „Heilung“ bzw. „Rehabilitierung der Swastika“ (Sanskrit-Begriff für das Hakenkreuz5) gestartet.6 In seinem YouTube-Kanal „Heiden-TV“ veröffentlicht Vömel normalerweise kleine Dokumentationen über Heiden-Events wie bei der Berliner Langen Nacht der Religionen oder über die einige Jahre lang von ihm organisierten Protestveranstaltungen gegen das Bonifatiusdenkmal in Fritzlar.7

Schon die Ankündigung der Swastika-Videos versetzte die heidnische Szene in Aufregung. Innerhalb kürzester Zeit, noch vor Veröffentlichung der Filme, nahmen zwei germanische Gemeinschaften, sogenannte „Ásatrú“, scharf ablehnend Stellung: die kleine Gruppe Nornirs Ætt und der Eldaring, die mit über 300 Mitgliedern größte Ásatrú-Vereinigung Deutschlands. Beide gehen seit geraumer Zeit aktiv gegen rechtsextreme Ideologeme ihrer Tradition und völkische Ásatrú-Vertreter vor, sodass die bis in die 1990er Jahre hinein oft gültige Gleichung germanisch-neuheidnisch = rechtsextrem schon seit längerem nur noch auf mitgliederschwache und marginalisierte Randgruppen zutrifft. Die Kritiker sehen nun durch Vömels Aktion diese Distanzierungsarbeit und das Image der Heidenszene insgesamt in Gefahr. Dabei ist die Stellungnahme von Nornirs Ætt unter dem Titel „Einladung an Nazis und völkische Verharmloser“ in einem aggressiven Antifa-Duktus gehalten, der den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben gewillt scheint und ihrerseits eher suspekt wirkt.8 Vömel war nach eigener Aussage von der Vehemenz der Reaktion überrascht.

Der 35-minütige Film enthält nichts offensichtlich Anstößiges. Eigenartig wirkt allenfalls, dass im letzten Viertel lange, fast unkommentierte Passagen aus Leni Riefenstahls Olympia-Film und anderem NS-Propagandamaterial ablaufen, die eher durch NS-Ästhetik faszinieren, als dass sie diese analysieren. Der Film beginnt aber mit einem Besuch in der Gedenkstätte des KZ Dachau und thematisiert auch anschließend wiederholt die NS-Zeit ohne Beschönigung oder Relativierung.9 Nach dem Einstieg in Dachau geht es zu einer Sprachanalyse des Begriffs „Swastika“ („Glücksbringer“) und einer Erklärung des alten Glücks- und Segenssymbols. Dazu nimmt Vömel den Betrachter mit auf eine ausführliche Reise durch die jahrtausendelange Hakenkreuz-Verwendung in verschiedenen Kulturen: Indien, Sibirien, Tibet, Römer, Goten und Kelten, europäische Kirchenmalereien und Taufsteine. Allerdings ohne deutlich zu machen, dass die Swastika in Europa und Amerika v. a. als dekoratives Element ohne kultisch-religiöse Bedeutung verbreitet war. Um 1900 gab es in ganz Europa eine breite populärkulturelle Verwendung (Postkarten, Amulette, Kleidung, Werbung). Sogar auf einem Kriegerdenkmal vor dem schottischen Königsschloss Balmoral wird britischer Gefallener des Zweiten Weltkriegs bis heute unter einer Hakenkreuzdekoration gedacht. Gerade in Asien bleibt die Swastika als religiöses Symbol in buddhistischen und hinduistischen Kontexten weit verbreitet.

So weit, so bekannt. Das Hakenkreuz war und ist mancherorts ein harmloses religiöses Symbol. Aber ändert das etwas an seiner Bedeutung im nach-nationalsozialistischen Europa? Vömel geht es um mehr als nur um eine Einordnung in die Geschichte und eine dadurch plausibilisierte Entdämonisierung der Swastika. Sein Anliegen ist ein religiöses: Er will das Symbol und das, wofür es seit 1945 steht, „heilen“, weil dies „als unverarbeitetes Kollektivtrauma ein klägliches Dasein im Schatten der deutschen Geschichte“ friste. Er diagnostiziert also eine Art Volkstrauma. Nun sei das „Kollektivtrauma behutsam an[zugehen], um es auf individuelle Weise persönlich zu verarbeiten. Erklärtes Ziel dabei ist, das einstige Glückssymbol als solches zu erkennen, wahrzunehmen und es seiner ursprünglichen Bedeutung wieder zuzuführen.“ Die Swastika sei ein „Menschheitssymbol“, das es den Nazis zu entreißen gelte und das geradezu Einigungspotenzial für die zerrissene Menschheit enthalte.

Daniel Jäckels vom Eldaring-Stammtisch Trier sieht das ganze Problem unabhängig vom Inhalt des Films: „Es wird den Leuten außerhalb des Heidentums zu verstehen geben, dass wir in unseren Reihen immer noch braune Symbole oder gar Ideologien verstecken und dulden oder verharmlosen. Das ist nicht die Aufklärung für die wir stehen und hat mit unserem Selbstverständnis nichts zu tun. Diese ‚Umarmung‘ des Hakenkreuzes im heidnischen Kontext kann die jahrelange Arbeit der Vereine, regionaler Gruppen und Einzelner die für ein wirkliches Ankommen in der Gesellschaft stand und steht um Jahre zurückwerfen oder ganz zerstören.“10 Der Vorstand des Eldaring erklärt sarkastisch: Wir „haben ... die sogenannte Swastika als Symbol im deutschen Heidentum ähnlich schmerzhaft vermisst wie einen Ausbruch der Beulenpest.“11

Trotz allem sehen sogar Heiden, die Vömel kritisch gegenüberstehen, bei diesem keine rechtsextremen Sympathien. Die Vorwürfe lauten eher auf naive Alleingänge und unangemessenen Umgang mit einem für das Heidentum potenziell rufschädigenden Thema. Um die Aufmerksamkeit nicht weiter zu steigern, wollen andere Heidengruppen, darunter die „Pagan Federation International“ (Sektion Deutschland), keine Stellungnahme publizieren.

Erfolgsaussichten hat die „Hakenkreuzheilung“ natürlich nicht. Eine „Rehabilitierung“ oder „Heilung“ der Swastika, konkret implizierend: ihre Legalisierung, steht hierzulande nicht auf der Tagesordnung. Abgesehen davon, dass das Symbol in der abendländischen Tradition keine Lücke hinterlässt, wäre es zu offensichtlich, dass die primären Nutzer einer etwaigen Entkriminalisierung nicht ein paar Heiden, sondern vor allem Neonazis wären. Vermutlich täten die Heiden besser daran, sich an die in ihrer eigenen Weltanschauung begründeten Vorstellungen von Traumatisierung und Verarbeitung zu erinnern: „Sieben Generationen“ soll es dauern, bis Traumata fertig bearbeitet sein können, sagt Vömel selbst. Das ist jenseits des Horizonts aller jetzt Lebenden und eine Ermutigung zur heidnischen Selbstbescheidung im Umgang mit der NS-Vergangenheit.


Kai Funkschmidt
 

Anmerkungen

  1. www.sueddeutsche.de/bayern/hersbruck-schamane-will-ehemaliges-kz-heilen-mit-hakenkreuzen-1.3179602  (Abruf der Internetseiten: 5.4.2018).
  2. www.welt.de/print/die_welt/politik/article174191148/Spirituelle-Gruppe-will-KZ-Gedenkstaette-mit-Ritual-reinigen.html . Vgl. auch MD 5/2018, 191f.
  3. Diesen Vorwurf erhob Alexander Rasumny von der Berliner Recherchestelle Antisemitismus (RIAS), 5.3.2018, www.welt.de/print/die_welt/politik/article174191148/Spirituelle-Gruppe-will-KZ-Gedenkstaette-mit-Ritual-reinigen.html . Für dieses „Einsammeln der herumirrenden Seelen“ wählen Esoteriker gerne typische Sehnsuchtsorte für Fremdbetroffenheit, so etwa die Stätten amerikanischer Indianermassaker oder das schottische Culloden, wo 1746 aufständische Katholiken von protestantischen Regierungstruppen geschlagen wurden.
  4. Zit. in: Einsicht 2/1994, www.einsicht-aktuell.de/index.php?svar=5&artikel_id=1248&searchkey=Vom%25
  5. Eigentlich vom Sanskrit her „der Swastika“, so auch in anderen europäischen Sprachen. Im Deutschen ist das männliche Genus zwar ebenfalls korrekt, doch hat sich das feminine eingebürgert.
  6. www.facebook.com/Heiden.TV/posts/888495107977975 (Ankündigung); www.youtube.com/watch?v=hDSbqa5kaxk  (Teil 1); www.youtube.com/watch?v=D0Hfxw3OSnI (Teil 2). Auch die ufologische Raël-Bewegung, deren Logo ein verfremdetes Hakenkreuz enthält, bemüht sich um dessen Re-Legalisierung. Sie veranstaltet jährliche „Swastika Rehabilitationstage“, wobei in manchen Ländern schon mal die Polizei das Ausstellungsmaterial beschlagnahmt.
  7. Vgl. MD 2/2017, 54-57.
  8. www.nornirsaett.de/heiden-tv-projekt-swastika-einladung-an-nazis-und-voelkische-verharmloser .
  9. Der zweite Teil des Films ist fast komplett dem „Verbrechen unter dem Hakenkreuz“, also der NS-Zeit, gewidmet.
  10. https://heidenstammtisch-trier.de/kommentar-und-distanzierung-zum-heiden-tv-projekt-swastika 
  11. www.eldaring.de/pages/posts/bdquoheilungldquo-der-swastika-ndash-ein-gegenvorschlag41.php .