Liane Wobbe

Religiöse Feste in der Diaspora

Traditionsveränderung und öffentliche Präsenz (Teil 1)

Zu den Feiertagen in Deutschland, die sich durch starkes religiöses Empfinden und gleichzeitig durch Konsumverhalten auszeichnen, gehören das Weihnachts- und das Osterfest. Christlichen Ursprungs zwar, jedoch von zahlreichen vorchristlichen Riten geprägt, wird vor allem das Weihnachtsfest von Christen, Atheisten und Andersgläubigen feierlich begangen. Doch zu wenige deutsche Bürger wissen bzw. nehmen öffentlich wahr, dass für Einwanderer aus anderen Ländern ganz andere Feste eine bedeutende Rolle spielen. So begehen Juden und Muslime, orientalische und orthodoxe Christen, Hindus und Buddhisten sowie Anhänger vieler kleiner ethnisch gebundener Religionsgemeinschaften auch in Deutschland ihre eigenen religiös und kulturell tradierten Feste – so gut es die Diasporabedingungen eben zulassen.

Feste und Feiertage fügen eine besondere Zeit in den Alltag ein, die den Gläubigen als „heilig“ gilt. Diese Zeit wird in der Familie, in der religiösen Gemeinschaft und in der Öffentlichkeit in besonderer Weise begangen. Die Menschen putzen ihre Wohnungen und kommen in festlicher Kleidung zusammen. Man tauscht gute Wünsche aus, beschenkt sich gegenseitig und nimmt am Festessen teil. Den Armen und Bedürftigen lässt man in dieser Zeit einen Geldbetrag, Essen oder andere Dinge zukommen. In den religiösen Gebäuden zelebrieren die Gläubigen besondere Rituale wie Lichteranzünden, rituelle Waschungen oder die Weihe von Opfergaben. Sie sprechen besondere Gebete, singen festspezifische Lieder und spenden eine größere Summe an Geld als zu anderen Zeiten. Anschließend findet meist ein gemeinschaftliches Essen statt. Prozessionen werden durchgeführt, Basare aufgebaut, festspezifische Artikel verkauft und in manchen Läden Süßigkeiten verschenkt.

Jedem Fest liegt ein besonderer Anlass zugrunde, z. B. die ursprüngliche Markierung des Übergangs der Jahreszeiten, das Ende der Regenzeit (Kathina), die Heldentaten eines Menschen oder Volkes (Chanukka), die Geburt oder der Tod eines Propheten oder Religionsgründers (Weihnachten, Vesak). Solche Anlässe wurden im Laufe der Zeit oft in besondere Legenden gekleidet, die man, ausgeschmückt mit wundersamen Ereignissen, in den jeweiligen Heiligen Schriften finden kann und die bei den entsprechenden Festen thematisiert werden.

Die Art der Gestaltung eines Festes steht oft in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Anlass und der Festtagslegende und wurzelt demzufolge in einem ganz bestimmten geografisch, landwirtschaftlich, historisch-politisch, sozial und religiös bedingten Kontext des Herkunftslandes. Werden solche Jahresfeste jedoch in andere Länder transportiert, treten bei der Zelebrierung starke Veränderungen in zeitlicher und ritueller Hinsicht auf, da sich die herkömmlichen Hintergründe und Bedingungen nicht einfach auf das neue Land übertragen lassen. So sind zwar viele ethnisch-religiöse Gruppen bemüht, die Traditionen ihrer Festgestaltung auch fern der Heimat beizubehalten. Jedoch kann man bei genauerem Hinsehen feststellen, dass zahlreiche Anpassungen an die neuen Gegebenheiten erfolgt sind. Es kommt zu Veränderungen von Kultorten, -zeiten und -gegenständen, von Ritualabläufen und, wie wir sehen werden, nicht zuletzt zur Integration christlicher, insbesondere weihnachtlicher Bräuche. Und es stellt sich die Frage: Wie präsent sind jüdische, christlich-orthodoxe, muslimische, hinduistische und buddhistische Feste eigentlich für die deutsche Mehrheitsgesellschaft?

Mehrere Neujahrsfeste in einem Jahr

Obwohl sich der Gregorianische Kalender als offizielle Zeitrechnung weltweit durchgesetzt hat, gibt es allein in Deutschland neben dem Neujahrstag am 1. Januar mindestens fünf weitere Tage, an denen das neue Jahr von Menschen anderer Religionen und Länder begrüßt wird. So feiern zum Neumond zwischen dem 21. Januar und dem 21. Februar Buddhisten aus China das „Guo nian“-Fest und Buddhisten aus Vietnam das Tet-Fest. Iraner, Afghanen und verschiedenstämmige Kurden begehen am 20. und 21. März das persische Neujahr „Nouruz“. Im arabischen Monat Muharram1 wird das muslimische Neujahr „Al Hijrah“ eingeleitet. Hindus aus Südindien und Sri Lanka begrüßen mit dem Pongal-Fest, Buddhisten aus Thailand, Laos und Kambodscha mit dem Songkran-Fest den Jahresanfang am 13.und 14. April. Den Abschluss im Jahreskreis bildet das jüdische Neujahr „Rosh ha-Shana“ am 29. und 30. September, an dem jüdische Gläubige den Beginn der Schöpfung feiern. Interessant ist, dass all diese Gemeinschaften sich auch noch in der Diaspora am jahreszeitlich bedingten Kalender ihres Herkunftslandes orientieren und ihre religiösen Feste danach ausrichten.

Jüdische Feste: Pessach und Chanukka

Jedes Jahr im jüdischen Monat Nissan (März/April) wird in jüdischen Familien sieben Tage lang das Pessachfest gefeiert. Mythologische Anlässe dafür bieten Geschichten in der Tora, die den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten beschreiben.2 Juden unterschiedlicher nationaler Herkunft und religiöser Richtung putzen schon eine Woche vor dem Fest ihre Wohnung und befreien sie von allen Resten gesäuerten (mit Hefe zubereiteten) Teigs, genannt Chamez. Den Höhepunkt bildet der Sederabend am ersten Festtag. Die Familie versammelt sich an einem großen Tisch und begrüßt sich mit „Chag Pessach Sameach“ (Fröhliches Pessachfest). Auf dem Sederteller werden ungesäuertes Brot (Mazze), ein gegrillter Fleischknochen, ein Fruchtmus, ein Bitterkraut, Sellerie und ein gekochtes Ei serviert, Nahrungsmittel, die an den Auszug der Vorfahren erinnern sollen. Anschließend verzehren die Familienmitglieder die symbolischen Speisen nach einem rituell vorgegebenen Ablauf, bei dem spezielle Pessachlieder, z. B. „Dayenu“ („Ilu hotzi‘anu ...“ – Hätte Er uns alle aus Ägypten geführt), die Exodusgeschichte aus der Haggada3 und ein festliches Abendessen mit vier Bechern Wein eingebunden sind. Auch in ihren Gebetshäusern feiern die jüdischen Gemeinden Pessach. Nach einem festlichen Gottesdienst versammelt man sich in der Diaspora meist am zweiten Abend der Festwoche in den Gemeinschaftsräumen der Synagogen oder in gemieteten Festsälen zur Sederfeier und zelebriert in einem poetisch, kulinarisch und rituell abgestimmten Ablauf den Auszug aus Ägypten.

Ein anderes wichtiges Fest im jüdischen Kalender ist Chanukka. In der zweiten Hälfte des jüdischen Monats Kislew feiern jüdische Gläubige acht Tage lang den Sieg der Makkabäer und die Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem.4 In dieser Zeit stellen jüdische Familien zu Hause einen achtarmigen Leuchter (Chanukkia) ins Fenster. Am ersten Tag nach Sonnenuntergang wird das erste Licht angezündet. Jeden Abend kommt eine weitere Flamme hinzu, bis am achten Abend schließlich alle Lichter brennen. Die Kinder erhalten jeden Tag ein kleines Geschenk. Die abendlichen Stunden verbringen die Familien mit Singen, Geschichtenerzählen und Spielen. Zu den kulinarischen Besonderheiten gehören vor allem in Öl gebackene Gerichte wie Kartoffel-Latkes. Sie erinnern an die biblische Geschichte vom Ölwunder, nach der ein winziger Rest Öl acht Tage lang für das Brennen des Tempelleuchters reichte. Auch in den Synagogen werden jeden Tag nach Sonnenuntergang die Chanukka-Lichter angezündet. Rabbiner und Kantoren thematisieren im Gottesdienst den siegreichen Aufstand der Makkabäer über die griechische Besatzungsmacht und das Ölwunder im Tempel.

Die jüdischen Feste werden von den Gläubigen auch in der Diaspora immer zu den kalendarisch festgelegten Zeiten des jüdischen Kalenders begangen. Eine Schulbefreiung der Kinder ist in kleinen Städten deshalb nötig, in großen Städten eher nicht, da hier die meisten eine jüdische Schule besuchen. Öffentliche Rituale, wie sie in Israel üblich sind, werden aus Sicherheitsgründen unterlassen.

Beim Chanukka-Fest lassen sich einige rituelle Elemente des Weihnachtsfestes ausmachen, die von der Mehrheitsgesellschaft übernommen wurden. So werden z. B. Pfefferkuchen zum Verkauf angeboten, die mit einer Menora aus Zuckerguss verziert sind. Des Weiteren weist die bekannteste Melodie des populären Chanukka-Liedes „Maos Zur“eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Weihnachtslied „Nun freut Euch lieben Christen g’mein“ von Martin Luther auf. Und die Annahme liegt nahe, dass sich der Brauch, Kindern in dieser Zeit Geschenke zu überreichen, aus der weihnachtlichen Tradition der Bescherung entwickelt hat.

Chanukka ist das Fest, das gerade in der Diaspora am meisten vermarktet und somit auch für Nichtjuden sichtbar gemacht wird. In einigen deutschen Städten findet auf Marktplätzen ein allabendliches Lichtzünden an einer großen Chanukkia statt. In Berlin können Passanten vor dem Brandenburger Tor und vor dem Jüdischen Museum einen solchen Leuchter bewundern.

Sehr zu empfehlen ist auch der Chanukka-Markt im Jüdischen Museum. Besucher haben hier die Möglichkeit, Chanukka-Utensilien wie Karten, Musik, Spiele und Süßigkeiten zu kaufen und nach Sonnenuntergang dem rituellen Zünden der Kerzen, verbunden mit einem kleinen Chanukka-Konzert, beizuwohnen.

Serbisch-orthodoxe Weihnachten

Serbisch-orthodoxe Christen feiern die Geburt Jesu nach dem Julianischen Kalender in der Nacht vom 6. zum 7. Januar und an den drei darauffolgenden Tagen. Die sechs Wochen vor Weihnachten einschließlich des Heiligen Abends gelten als Fastenzeit. In dieser Zeit sollten außer Fisch keine tierischen Produkte verzehrt werden. Dafür stehen Salat und Bohnen auf dem Speiseplan. Am 6. Januar wird der Badnjak, ein junger Eichenbaum, geschlagen und im Haus aufgestellt. In der Diaspora ersetzen viele Familien den weihnachtlichen Eichenbaum allerdings durch einen Strauß aus Eichenzweigen und Stroh. Unter den Wohnzimmertisch wird Stroh gelegt, und darin werden Süßigkeiten versteckt. Am ersten Weihnachtsfeiertag besuchen sich serbische Christen und begrüßen sich mit dem Spruch „Hristos se rodi – Vaistinu se rodi!“ (Christus ist geboren – Er ist wahrhaftig geboren!). Es findet ein großes Festmahl statt, zu dessen Köstlichkeiten vor allem Hammel- und Spanferkelfleisch gehören. Ein beliebtes Gebäck ist der Cesnica, ein weihnachtlicher Kuchen, in dem eine Münze versteckt ist. Wer die Münze findet, hat das ganze Jahr über Glück. Bedürftige werden mit Geld und gekochten Speisen beschenkt.

In der Nacht vom 6. zum 7. Januar gehen viele serbisch-orthodoxe Christen in die Weihnachtsmesse. In der Serbisch-Orthodoxen Kirche in der Ruppiner Straße in Berlin zum Beispiel stehen die Besucher jedes Jahr dicht gedrängt, und die Messe wird bis nach Mitternacht von einem ständigen Kommen und Gehen bestimmt. Der Eingangsbereich des Gotteshauses erstrahlt in hellem Lichterglanz, und jeder neue Gottesdienstbesucher zündet eine weitere Kerze an. Der Gang zum Altar ist mit Stroh ausgelegt, das symbolisch für das Stroh in der Krippe steht. Lange Weihnachtsgesänge und -lesungen bestimmen den liturgischen Ablauf. Den Höhepunkt der Messe bildet das prozessionsähnliche Tragen eines Eichenbaumes in die Kirche, begleitet von dem serbischen Weihnachtslied: „Oj Badnjadsche“ (O Weihnachtsbaum). Im Anschluss daran begeben sich die Gottesdienstbesucher zum Altar, wo sie von den Priestern einen Strauß aus Stroh und Eichenzweigen erhalten, der dann zu Hause neben die Jesus-Ikone gelegt wird. Um die Weihnachtsmesse kulinarisch und in heiterer Stimmung ausklingen zu lassen und die familiären Feierlichkeiten einzuleiten, tauschen viele Familien vor der Kirche Selbstgebackenes aus und stoßen mit einem Gläschen Sliwowitz an.

Russisch-orthodoxes Osterfest

Bei russisch-orthodoxen Christen wird, wie auch bei serbisch-orthodoxen, die Auferstehung Jesu eine Woche später als in anderen christlichen Kirchen gefeiert, da man sich auch hier am Julianischen Kalender orientiert. Vor dem Osterfest besteht streng genommen eine 40-tägige Fastenzeit mit einem Verbot von Wurst, Schinken, Käse und Milch. Diese findet ihren Höhepunkt am Ostersamstag, denn da sollte man so gut wie gar nichts essen. Weitere Traditionen sind das Färben der Eier am „sauberen Donnerstag“ und das Zubereiten von Osterkuchen am Ostersamstag. Die häusliche Festtafel wird mit frischen Blumen, Weidensträußen und farbigen Eiern dekoriert. Eine kulinarische Spezialität ist an diesem Tag Kulitsch mit Paskha (Osterbrot mit Quark).

Von besonderer Bedeutung ist die Osternacht, in der sich viele russisch-orthodoxe Christen zur Ostermesse einfinden. Nachdem der Priester „Christus ist auferstanden“ verkündet hat, erfolgt eine Prozession mit der Ikone vom auferstandenen Christus, zuerst um den Altar und dann um die Kirche herum. Am Ostersonntag tragen die Gläubigen Osterbrote und Eier in die Kirche und lassen sie vom Priester weihen. Alle begrüßen sich mit „Christos woskrjess – Woistinu woskrjess!“ (Christus ist auferstanden – Er ist wahrhaftig auferstanden!). Da man traditionell das Essen zum Fest mit anderen teilt, besuchen sich die Familien nach dem Gottesdienst gegenseitig und tauschen die geweihten Eier und das Osterbrot. Zur russisch-orthodoxen Ostertradition gehört außerdem, am Ostersonntag auf den Friedhof zu gehen und hier ein Picknick zu veranstalten, damit auch die verstorbenen Angehörigen an den Feierlichkeiten teilhaben können. Diese in russischsprachigen Ländern üblichen Picknickversammlungen fallen in Deutschland weg.

Dass sich russisch-orthodoxe (wie auch serbisch-orthodoxe) Christen bei den Weihnachts- und Osterfeiertagen auch in Deutschland an den Julianischen Kalender halten, hat zur Folge, dass sich Schüler und Arbeitnehmer an Feiertagen in der Woche eine Schul- bzw. Arbeitsbefreiung einholen. Die Feiertage russisch- und serbisch-orthodoxer Christen treten für die deutsche Bevölkerung sonst aber kaum sichtbar in Erscheinung.

Muslimische Feste: Fastenbrechen und Opferfest

Im neunten Monat des islamischen Mondkalenders, dem Ramadan, fasten Muslime verschiedener Nationen 29 bis 30 Tage lang, so auch in Deutschland. Anlass dazu geben ihnen verschiedene Koranstellen, die von bestimmten Regeln zum Fasten und Fastenbrechen sprechen.5 Vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang enthalten sich die Gläubigen jeglicher Speisen und Getränke. Am ersten Tag des folgenden Monats, genannt Schawwal, findet das Id al-Fitr (türk.: Ramazan Bayrami), das Fest des Fastenbrechens, statt. Die Familien besuchen sich gegenseitig. Arabische Muslime begrüßen sich mit „Eid Mubarak!“, türkische Muslime mit „Bayram mübarek olsun!“ („Gesegnetes Fest!“). Alle sind festlich gekleidet, besonders die Frauen. Zahlreiche Speisen, die man tage- und nächtelang gekocht hat, werden aufgetischt. Besonders beliebt sind Süßigkeiten wie Baklawa, Halwa oder Fereni. An diesem Tag wird die pflichtgemäße Almosensteuer, die Zakat al-Fitr, entrichtet.

Doch nicht nur in der Familie, auch in Moscheen und Festsälen versammelt man sich zum Fest des Fastenbrechens. Ein besonderes Gebet, das an diesem Tag gesprochen wird, ist das Takbir al Id, das Festtagsgebet. In predigtartigen Ansprachen thematisieren die Imame den Sinn des Fastens und bedauern gern, dass viele Muslime gerade im Ausland das Fasten nicht mehr so ernst nehmen. Danach setzen sich die Besucher zusammen, tauschen die mitgebrachten Speisen aus, spenden Geld und beschenken sich untereinander oder die Kinder mit kleinen Gaben.

Am zehnten Tag des islamischen Wallfahrtsmonats Dhul-hidjdja findet das viertägige Opferfest Id al-Adha (türk.: Kurban Bayrami) statt. Es gründet auf einer Erzählung im Koran, nach der Abraham/Ibrahim für seine Bereitschaft, Gott seinen Sohn Ismail zu opfern, an dessen Stelle einen Widder darbringen soll.6 Aus diesem Anlass lässt eine muslimische Familie zum Opferfest ein Rind, eine Ziege oder ein Schaf schlachten. Das Opferfleisch wird an Arme verteilt. Auch an diesem Tag besuchen sich die Familien gegenseitig. Es werden vor allem Fleischgerichte angeboten wie Saleeg – ein arabisches Reisgericht mit Huhn – oder der in Pakistan, im Iran und in Afghanistan beliebte Pulaw (gewürzter Reis mit Rosinen, Karotten und Hammelfleisch). Es ist zudem üblich, einen Besuch auf dem Friedhof zu machen und Koranverse für verstorbene Angehörige zu rezitieren.

Viele muslimische Familien treffen sich auch in Deutschland schon am Morgen zum Festtagsgebet in der Moschee oder in einem gemieteten Festsaal. Hauptthema der Predigt ist die Opfergeschichte von Abraham und Ismael. Nach einem Segen für die Muslime im Besonderen und die Menschen im Allgemeinen, trifft man sich auch hier zum gemeinsamen Essen. Geldspenden werden eingesammelt, die Kinder führen ein kleines Kulturprogramm auf und werden dafür mit Überraschungstüten belohnt.

Da sich die Feiertage im Islam nach der Stellung des Mondes richten, kommt es aufgrund der abweichenden Mondsichtungen in der Diaspora dazu, dass die Feste teilweise an unterschiedlichen Tagen stattfinden. Auch werden religiöse Feiertage an den jeweiligen Tagen zelebriert, die der islamische Mondkalender vorgibt. Das hat zur Folge, dass viele muslimische Familien ihre Kinder am ersten Tag von Id al-Fitr und Id al-Adha aus der Schule nehmen und muslimische Arbeitnehmer einen oder mehrere Urlaubstage beantragen.

Rituelle Veränderungen zeigen sich vor allem beim Opferfest. So werden die an diesem Tag religiös vorgeschriebenen Schlachtungen von Ziegen und Schafen in Deutschland in weitaus geringerem Maße durchgeführt als in muslimischen Ländern. Stattdessen spenden viele Familien Geld für die Opfer weltweiter Katastrophen. Ein Beispiel für die Übernahme weihnachtlicher Bräuche in muslimische Feste ist der Ramadan-Überraschungskalender. Vergleichbar dem Adventskalender soll er muslimischen Kindern die Zeit bis zum Fest des Fastenbrechens verkürzen und versüßen.

Obwohl man in deutschen Großstädten von einer erheblich sichtbaren Präsenz muslimischer Gläubiger sprechen kann, sind deren Feste für die nichtmuslimische Bevölkerung nicht auffallend wahrnehmbar. So gibt es keine gemeinschaftlichen Rituale, die in der Öffentlichkeit durchgeführt werden. Eine Festtagsstimmung zum Fastenbrechen – wie zum Opferfest – wird auch nur dezent in arabisch oder türkisch besiedelten Wohngegenden sichtbar. Einige Verkäufer verteilen in dieser Zeit Süßigkeiten in ihren Läden. Manchmal finden kleine Basare statt, umrahmt von arabischer oder türkischer Pop-Musik. Zu den internen Feiern wird zwar nicht öffentlich eingeladen, aber Gäste sind immer herzlich willkommen. Zunehmend organisieren muslimische Gemeinden Feiern zum Fastenbrechen, zu denen bewusst Nichtmuslime, nicht selten auch Vertreter des öffentlichen Lebens, eingeladen werden. Ein Beispiel moderner öffentlicher Popularisierung des Id al-Fitr-Festes stellt die alljährlich stattfindende Musikveranstaltung in der Berliner Kulturbrauerei dar, bei der zahlreiche arabische, türkische und afrikanische Künstler auftreten.

Der zweite Teil dieses Beitrags wird in MD 5/2012 erscheinen. Nachdem im ersten Teil jüdische, christlich-orthodoxe und muslimische Feste und ihre Präsenz in Deutschland im Mittelpunkt standen, wird es im zweiten Teil vor allem um hinduistische und buddhistische Feste gehen.


Liane Wobbe, Berlin


Anmerkungen

1 Die islamische Zeitrechnung beginnt mit dem 1. Muharram (16. Juli) 622, dem Beginn des von der islamischen Tradition festgelegten Jahres der Auswanderung des Propheten Mohammed aus Mekka, und orientiert sich am Verlauf des Mondes. Da die Mondmonate nur aus 29 oder 30 Tagen bestehen, verschieben sich die muslimischen Feste, gemessen an unserem Sonnenkalender, jedes Jahr um elf Tage nach vorn.

2 Siehe z. B. Ex 12 und 13.

3 Die erzählenden und homiletischen – nicht gesetzlichen – Inhalte des rabbinischen Schrifttums bilden die Haggada im weiteren Sinne. Die Pessach-Haggada enthält den rituellen Ablauf eines Sederabends.

4 Siehe 1. Makkabäerbuch.

5 Sure 2,183-187.

6 Sure 37,99-113 entspricht der Geschichte von Abraham und Isaak aus Gen 22,1-19.