Herbert Schnädelbach

Religion in der modernen Welt. Vorträge, Abhandlungen, Streitschriften

Herbert Schnädelbach, Religion in der modernen Welt. Vorträge, Abhandlungen, Streitschriften, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt a. M. 2009, 192 Seiten, 12,95 Euro.


Im Jahr 2000 veröffentlichte der Berliner Philosoph Herbert Schnädelbach im Feuilleton der Hamburger Wochenzeitung die „Zeit“ seinen Essay „Der Fluch des Christentums“. Er zählte darin „sieben Geburtsfehler einer altgewordenen Religion“ auf, blickte mit provozierenden Sprachspielen auf das Ende des Christentums und konstatierte, dass die Kirchen „nichts spezifisch Christliches mehr zu sagen“ hätten. Sein damaliger Text fand breite Resonanz und rief heftige Diskussionen hervor.

In seinem 2009 erschienenen Buch „Religion in der modernen Welt“ wiederholt und präzisiert Schnädelbach nun seine Einwände gegen das Christentum. Das Buch ist eine Zusammenstellung von Aufsätzen und Streitschriften, die zu unterschiedlichen Anlässen vorgelegt wurden. Schnädelbachs agnostizistisch geprägte Haltung gegenüber der Religion allgemein und dem Christentum im Besonderen wird in den Zusammenhang einer der Aufklärung verpflichteten geistigen Orientierung gestellt. Eine eigene Religionsphilosophie will Schnädelbach ausdrücklich nicht vorlegen. Er bezieht zu grundlegenden Themen heutiger Religionsforschung Stellung: u. a. zur Wiederkehr der Religion, zur Monotheismusdebatte, zu dem Verhältnis von Ethik und Religion. Schnädelbach protestiert gegen die moderne Funktionalisierung des Religiösen und legt dar, warum er zum Christentum Nein sagt. Eine große Rolle spielt dabei das, was er als kulturelle Bilanz der Wirkungsgeschichte des Christentums bezeichnet. Die Loslösung von den religiösen Wurzeln sieht Schnädelbach in unserer Kultur als schicksalhaft gegeben an. Deutlich bringt er deshalb seine Skepsis gegenüber der Rede von der Wiederkehr der Religion zum Ausdruck: „Es gibt kein ‚Wiedererstarken von Religion’, wenn man unter ‚Religion’ nicht bloß Religiosität als eine Art subjektiven Gestimmtseins (Stichwort ‚Spiritualität’) mit einer neuerdings wieder attraktiven Erlebnisqualität versteht, sondern als eine Angelegenheit, die uns als ganze Person betrifft und nötigen könnte, unser Leben zu ändern. In unserem heutigen Lebensalltag ist das Religiöse nicht mehr als eine kulturelle Garnierung, auf die die meisten Zeitgenossen ohnehin leicht verzichten“ (138). Der von Jürgen Habermas diagnostizierten „postsäkularen Gesellschaft“ setzen seine Analysen und Beobachtungen ein „postreligiöses Zeitalter“ entgegen. Den neuen „Gottesbeweisen“ seiner Kollegen Volker Gerhardt und Robert Spaemann begegnet er mit Skepsis.

Als evangelischer Christ und Theologe wird man den grundlegenden Orientierungen Schnädelbachs deutlich widersprechen müssen, einzelnen Analysen aber durchaus zustimmen können. Mit Recht kritisiert er den „strategischen Umgang mit dem Religiösen“, der das religiöse Erbe „zum bloßen Mittel der Verhaltenssteuerung und zum ‚Kitt’ der Gesellschaft herabsetzt“ (137). Der Philosoph und Atheist, der aus einer methodistischen Pastorenfamilie kommt, hat ein Urteilsvermögen für Formen des Theologisierens bewahrt, die dem Anliegen des Glaubens zuwiderlaufen und letztlich Selbstaufgabe bedeuten. Schnädelbachs Buch über die Religion in der Gesellschaft ist differenzierter als sein im Jahr 2000 publiziertes Pamphlet, obgleich dieses erneut und unverändert in dem Buch abgedruckt wurde. 2009 erhebt Schnädelbach nicht als kämpferischer, sondern als frommer Atheist seine Stimme, als – wie er im Vorwort selbst sagt – „nachdenklicher, irreligiöser Sympathisant der Religion“ (9).


Reinhard Hempelmann