Religionsdidaktische Neuheit: „Saphir 5/6“
Das erste Schulbuch für Islamkunde in deutscher Sprache
Im September 2008 wurde mit „Saphir 5/6“1 das erste Religionsbuch der Öffentlichkeit vorgestellt, das ab dem Schuljahr 2008/09 von den Kultusministerien mehrerer deutscher Bundesländer als Schulbuch für Islamkunde und Islamunterricht in deutscher Sprache zugelassen ist. Diese religionsdidaktische und gesellschaftspolitische Neuheit ist es wert, weit über den Raum der Schule hinaus wahrgenommen zu werden.
Charakterisierung von „Saphir 5/6“
Der für die fünfte und sechste Jahrgangsstufe konzipierte Band bietet Lernanregungen zu 15 Themen, darunter „Glauben macht schön“, „Engel sind überall“, „Muhammad kam als Letzter“, „Vorbild sein – schaff ich das?“, „Am Frieden arbeiten“ und „In Deutschland leben“. Manche Themen kann man so oder so ähnlich auch in christlichen Religionsbüchern finden, gelegentlich wird sogar dasselbe Bildmaterial benutzt, wobei Fragen und Antworten anders perspektiviert werden. Im Vorwort wird stark auf den Anregungscharakter abgehoben: „Saphir 5/6 will euch ermutigen, eure eigenen Fragen zu stellen und im Qur’ān und miteinander nach Antworten zu suchen“ (3).
Die Gliederung der Kapitel verdeutlicht die didaktische Grundanlage des Buchs. Die jeweils erste Seite zeigt eine ornamental verschieden gestaltete Raute mit arabischem Korantext in der Mitte, darüber links eine deutsche Übersetzung, rechts eine interpretierende Paraphrase desselben Verses in heutigem Deutsch, außerdem rechts unten ein lebensweltliches Element (Sprichwort, Werbespruch). Die erste Doppelseite des Kapitels eröffnet in der Regel mit vielen Bildern einen Assoziationsraum, in dem die Vielfalt des Themas wahrgenommen werden kann und in dem gelegentlich auch Ambiguitäten entdeckt werden könnten. In der Folge finden die Schüler und Schülerinnen in offen gehaltenem Layout viele Texte aus Koran und Hadith, Zitate, Dialoge, Szenen, auch Autorentexte und Abbildungen sowie jeweils am Ende der Seiten Unterrichtsanregungen.
Ein Lexikon, ein Verzeichnis der Koran-Zitate sowie Urheberhinweise schließen den Band. Die Quellenangaben im Bildverzeichnis liegen deutlich über dem derzeitigen Standard, nicht aufgenommen sind hingegen Methodenseiten etwa für Textbearbeitung, Bildbetrachtung, Rollenspiel, Vorbereitung eines Expertengesprächs usw. In „Saphir 5/6“ wäre etwa beim Thema Konflikte eine Mediationsseite mit Schritten zur Konfliktbearbeitung denkbar gewesen. Interessant und brisant werden in späteren Bänden Seiten zur Auslegung des Koran oder zur ethischen Urteilsfindung.
Erarbeitet wurde das Buch von einem Team geborener und konvertierter Muslime und Musliminnen, die akademische und unterrichtspraktische Erfahrung vor allem aus Nordrhein-Westfalen und Bayern einbringen. Rabeya Müller ist Leiterin des Instituts für interreligiöse Pädagogik und Didaktik in Köln2, das seit langem Unterrichtsmaterialien zum Islam erarbeitet. Lamya Kaddor ist Lehrerin für Islamkunde in deutscher Sprache in Nordrhein-Westfalen und hat als wissenschaftliche Mitarbeiterin das „Centrum für Religiöse Studien“ der Universität Münster3 mit konzipiert. Harun Behr war Lehrer in München, veröffentlichte 1998 eine erste deutschsprachige „Islamische Bildungslehre“4 und promovierte 2003 in Bayreuth mit einer „Analyse von Lehrplanentwürfen für islamischen Religionsunterricht an der Grundschule”. Seit 2006 ermöglicht er als Professor für islamische Religionslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg Lehramtstudierenden die Zusatzqualifikation für einen zu erwartenden islamischen Religionsunterricht.5 Als didaktischer Berater firmiert Werner Haußmann, der einige Jahre früher den Weg von der Schule in die Lehrerbildung an der Universität Erlangen-Nürnberg ging. Insgesamt haben 18 Autoren und Autorinnen das Buch erarbeitet.
Eine „didaktische Innovation“
Mit der Publikation im Kösel-Verlag – „Saphir“ ist ähnlich ausgestattet wie die katholische Reihe „Reli“ (1998ff) – erreicht die islamische Reihe von vornherein graphisch und didaktisch einen ähnlichen Standard wie Bücher für den evangelischen und den katholischen Religionsunterricht. Das ist ein wichtiges Signal der Gleichbehandlung für die Schüler und Schülerinnen, aber auch ein Zeichen der Normalität an die islamische Gemeinde und die ganze Gesellschaft.
Dennoch ist „Saphir 5/6“ ein unverkennbar islamisches Buch. Dies wird schon optisch durch die Eulogien sichtbar, die in einer gelungenen kalligraphischen Lösung die Erwähnung Gottes und seines Gesandten begleiten, und erst recht an den Inhalten. Die arabischen Fachbegriffe werden im Lexikon in Arabisch und Umschrift geboten. Während in den Islam-Darstellungen christlicher Religionsbücher die Sunna übersehen wird, treten in „Saphir 5/6“ die Traditionen über Muhammads Lebenspraxis dem Koran zur Seite.
Interreligiöse Aspekte sind immer wieder präsent, aber auf unaufdringliche Weise. In Kösel-Tradition wurden Inhalte, die Christentum und Judentum betreffen, von Christen und Juden mitgelesen. Es bleibt abzuwarten, wie die eigenständige Darstellung anderer Weltreligionen, die in christlich-konfessionellen Religionsbüchern längst Standard ist, ausfallen wird.
„Saphir“ ist an hiesigen religionspädagogischen Standards orientiert und deshalb „korrelativ“ angelegt. Es geht nicht einfach um eine möglichst geschickte „Religionsvermittlung“, vielmehr muss im Interesse der Jugendlichen und in Verpflichtung an die Religionstradition sowohl das Expertentum der Kinder für ihr Leben als auch der Anspruch der Tradition auf Lebensbedeutung berücksichtigt werden. Dementsprechend erscheinen die Inhalte aus christlich-religionsdidaktischer Perspektive als sachlich, fachdidaktisch und lebensweltlich-gesellschaftlich für die Altersgruppe in der fünften bzw. sechsten Jahrgangsstufe angemessen. Die wechselseitige Verschränkung lässt gelegentlich allerdings Sachverhalte schillern, wie beim Glaubensinhalt „Engel“. In der offenen Anlage der „Saphir“-Seiten wird die Frage, ob es die Engel als eigene Entitäten „gibt“ oder ob sie „nur“ eine Metapher sind wie in „Du bist ´n Engel“, nicht beantwortet.
Eine „gesellschaftspolitische Innovation“
In der Öffentlichkeitsarbeit wird „Saphir“ zu Recht als „eine gesellschaftspolitische Innovation des Kösel-Verlags“ bezeichnet. Zwar gibt es seit vielen Jahren Praxiserfahrung aus muttersprachlichem und deutschsprachigem Unterricht zum Islam, aber „mangels Ansprechpartner“ noch keinen islamischen Religionsunterricht, der den Kriterien des Grundgesetzes entspricht.6 Angesichts des überschaubaren Marktes ist die Reihe „Saphir“ sowohl für den „religionskundlichen“ Islamunterricht als auch für den „islamischen Religionsunterricht“ bestimmt. Das Buch ist ein Signal sowohl an die deutsche Politik als auch an die islamische Gemeinde, in der Sache „islamischer Religionsunterricht“ als „ordentliches Lehrfach“ im Sinn des siebten Grundgesetzartikels endlich zusammenzukommen.
Signalwirkung hat das Religionsbuch auch für Lehrkräfte in anderen Fächern der weltanschaulichen Fächergruppe. Seit vielen Jahren ist Unterricht über die verschiedenen Weltreligionen selbstverständlicher Bestandteil des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts und seit nicht so langer Zeit des Ethikunterrichts. Lehrkräfte können und werden zu der Schulbuchreihe greifen, um sich zu informieren und sie für ihren Unterricht „über“ den Islam zu nutzen. Dies beginnt bei der Schreibweise religiöser Fachbegriffe und endet bei der authentischen Darstellung des Islam aus eigener Perspektive.
Vor allem aber ist „Saphir“ ein Signal an die islamische Gemeinschaft, zu einer islamischen Identität beizutragen, die in einer mehrheitlich nicht-islamischen Gesellschaft gesprächsfähig sein will. Mit „Saphir 5/6“ legen die Autoren und Autorinnen ein Votum für eine konstruktive Teilnahme an der Gesellschaft ab und positionieren sich auch für ein interreligiöses Miteinander in gegenseitigem Respekt (167).
Debatte
„Saphir“ wird zu einem in der islamischen Gemeinde mehrheitsfähigen islamischen Religionsunterricht beitragen. 3,2 Millionen Musliminnen und Muslime in Deutschland stellen sich freilich so vielfältig religionsabständig oder hochverbunden dar wie die Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften. Das Religionsbuch ist so gestaltet, dass Menschen verschiedener Bindungen Zugang zu den Themen finden können. Denkbar ist Widerspruch aus den Reihen hochverbundener Muslime, wobei Kritik zugleich zur Herausforderung würde, ein Religionsbuch von selbem Rang zu entwickeln. Wenn man die von Muslimen an deutschen Schulbüchern geäußerte Kritik zum Maßstab nimmt, würde beispielsweise die Kritik an der Verwendung von Buchminiaturen mit Muhammad auch „Saphir 5/6“ treffen, und es ist zu erwarten, dass die unausweichlichen „ethischen“ Themen in den weiteren Bänden noch sensibler werden.
Diese Selbstklärungen seien der konstruktiven Debatte innerhalb der islamischen Community überlassen; zu oft wissen Nicht-Muslime zu genau, was denn eigentlich islamisch ist. Hier sollte religionsintern wie -extern einfach erst einmal zur Kenntnis genommen werden, dass „Saphir 5/6“ aus Sicht der islamischen Urheber fachlich, fachdidaktisch und lebensweltlich verantwortet „Islam“ darstellt. Bei der folgenden Kritik handelt es sich allerdings um Probleme mit weitreichenden gesellschaftspolitischen Implikationen, die deshalb auch nicht als Binnendiskurs abgehandelt werden können.
Prinzipiell problematisch sind Religionsverteilungskarten, wie man sie in „Saphir 5/6“ (98), aber auch immer wieder in Tageszeitungen findet. Lässt man einmal Fragen der Graphik oder der korrekten Zahlen beiseite, so bleiben doch einige grundsätzliche Probleme. Eine flächige Darstellung von Religionsgebieten legt eine Verknüpfung von Territorium und Religion nahe. Der grüne Block von Westafrika über Nordafrika und den Nahen und Mittleren Osten bis in den Indischen Subkontinent hat aber Implikationen, die nicht im Sinn von Muslimen und Musliminnen in Deutschland sein können. Aus muslimischer Sicht merkte beispielsweise Wolf D. Ahmed Aries 2001 an, dass solche Landkarten „den schlicht falschen Eindruck vermitteln, als ob der Islam im weitesten Sinne regional eingebunden sei“.7 Wenn der Islam eine Religion mit einem bestimmten Hauptverbreitungsgebiet ist, wo Muslime „eigentlich“ hingehören und wo man den „eigentlichen“ Islam (inkl. Diskriminierung von Frauen und religiösen Minderheiten, archaischem Strafrecht) sieht, was spricht dagegen, dass Muslime wieder dahin gehen, wo sie herkommen, wenn sie in Deutschland so unzufrieden sind? Die Minderheitenproblematik trifft aber auch auf die dargestellte islamische Welt zu, wenn alte jüdische und christliche Minderheiten, aber auch sonstige religionsdemographische Komplexitäten (Schia vs. Sunna, Aleviten, Bahai) hinter einem „90-100%“-Einheitsgrün unsichtbar gemacht werden. Auch angesichts der politischen These vom „Kampf der Kulturen“ sollten alle Darstellungsweisen vermieden werden, die entgegen den historischen und aktuellen Sachverhalten diese These stärken und zur sich selbst erfüllenden Prophetie machen.
Zum Thema „am Frieden arbeiten“ werden auch ausländerfeindliche Anschläge in München 2001 und Solingen 1993 thematisiert (151, 154). Das ist auch zunächst kein Problem. Die Anschlagsserie der frühen neunziger Jahre hat das gesellschaftliche Klima sicher ebenso mitgeprägt wie die hier nicht erwähnten Anschläge vom 11. September 2001, für deren Täter „Islam“ eben nicht „Frieden machen“ bedeutete. Dennoch hätte man sich eine noch intensivere Durchdringung des schwierigen Themas durch die Autoren und Autorinnen des Schulbuchs gewünscht, wenn man sieht, dass auf islamischer Seite ein Verfolgungsgefühl gepflegt wird. Die Unterstellung, die Muslime seien die nächsten Juden der deutschen Geschichte, die Faruk Sen im Juli 2008 die Leitung des Zentrums für Türkeistudien kostete, ist nicht erst in der jüngsten Zeit in der islamischen Gemeinde präsent. Sie ist dem Autor erstmals 1982 bei Ahmad von Denffer begegnet: „Ich habe schon vor Jahren davor gewarnt, daß schon bald die Türken, und damit die Muslime die nächsten ‚Juden’ sein werden, die in Deutschland Verfolgung erleiden. Es besteht auch kein Zweifel, daß die deutschsprachigen Muslime mit in diese Verfolgung einbezogen werden und sich dem nicht entziehen können.“8
Fazit
Mit „Saphir 5/6“ haben Autorenteam und Verlag ein gesellschaftspolitisch wie fachdidaktisch wichtiges Projekt in Angriff genommen. Herausgekommen ist ein Religionsbuch – so „spannend“ oder unspektakulär wie Schulbücher nun einmal sind. Doch in diesem speziellen Fall können alle Teile der Gesellschaft daran lernen.
Hansjörg Biener, Nürnberg
Anmerkungen
1 Saphir 5/6. Religionsbuch für junge Musliminnen und Muslime, hg. von Lamya Kaddor / Rabeya Müller / Harry Harun Behr, Kösel-Verlag, München 2008, 196 Seiten, 14,95 Euro.
3 www.uni-muenster.de/ReligioeseStudien.
4 Garching 1998.
6 Überblick bei: Johannes Lähnemann, Nach langem Anlauf – endlich islamischer Religionsunterricht? In: Verkündigung und Forschung 1/2004, 49-64.
7 Warum diese Schulbuchtagung? In: Islam im Schulbuch, hg. vom Islamrat, Kandern 2001, 9-18, 13.
8 A. von Denffer, Briefe an meine Brüder, Aachen 1982, 55.