Religionsfreiheit: Kernthema der Menschenrechte
Am 14. Oktober 2008 veranstaltete das Auswärtige Amt in Berlin das „20. Forum Globale Fragen“ zum Thema „60 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Aktuelle Herausforderungen für die deutsche Menschenrechtspolitik“. Fast 400 Teilnehmende aus Politik, Wissenschaft, Nicht-Regierungs-Organisationen, Entwicklungsdiensten und Bildungseinrichtungen waren der Einladung gefolgt.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier eröffnete das Forum und bezeichnete die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 als die „Magna Charta“ der Menschheit, die ihre Wurzeln in den unterschiedlichen Kulturen habe. Doch der Widerstreit zwischen dem Pochen auf staatliche Souveränität und dem Schutz der Menschenrechte im weltweiten Horizont breche immer wieder auf, denn die Menschenrechte seien individuelle Freiheitsrechte. Sie formulierten nicht ein Ideal, sondern einen Auftrag an Völker und Staaten, um ihre Verwirklichung zu ringen.
Die Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Navanethem Pillay aus Südafrika, verstärkte Steinmeiers Aussagen: Sie verwies auf die enge Verflechtung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten mit Entwicklungspolitik und Friedenspolitik. Eine konkrete Folge der Menschenrechtspolitik der Vereinten Nationen sei die UN-Gerichtsbarkeit. Pillay selbst war vor ihrem jetzigen Auftrag zunächst als Richterin, dann als Präsidentin am Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda und seit 2003 als Richterin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag tätig. Sie betonte, dass die universelle Gültigkeit der Menschenrechte nicht relativiert werden dürfe und auch für jene Staaten verbindlich sei, die erst nach 1948 in die UNO aufgenommen worden seien. Hier dürfe es keine Ausnahmen geben. Ihr besonderes Mandat sehe sie darin, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen weltweit zu schützen.
Drei prominent besetzte Podiumsdiskussionen schlossen sich an: zur aktuellen Menschenrechtspolitik, zur Frage der Religionsfreiheit als Beispiel für die derzeitige Entwicklung der Menschenrechte und zur Frage nach dem UNO-Menschenrechtsrat und seinen Möglichkeiten.
Aus Sicht von Kirche und Theologie war das zweite Podium von besonderem Interesse. Botschafter Peter Wittig (Moderator) erklärte in seiner Einführung das Recht auf Religionsfreiheit zum Menschenrecht schlechthin. Die Gewährung von Religionsfreiheit sei der Lackmustest für die Einhaltung der Menschenrechte überhaupt. Dabei betonte er, dass es sich hier um ein Individualrecht handle, das explizit auch den Religionswechsel und den Austritt aus jeglicher Religionsgemeinschaft beinhalte. Dies sei die Position der Deklaration und werde so vor allem vom Westen vertreten. Es sei – wie die Menschenrechte überhaupt – ein „Abwehrrecht gegen den Staat“. Allerdings sei bereits im Zivilpakt von 1976 das Recht zum Religionswechsel nur sehr indirekt formuliert worden. Die Angst vor allem islamischer Staaten vor einer Liberalisierung, die die eigene Kultur und die eigenen Religionsformen in Frage stelle, sei dort schon deutlich geworden.
Weihbischof Stephan Ackermann (Trier, Vorsitzender der Deutschen Kommission Iustitia et Pax) trug ausführliche Erörterungen zum Verhältnis von Kirche und Staat seit der Alten Kirche vor und stellte eine Ungleichzeitigkeit zwischen Christentum und dem 600 Jahre später entstandenen Islam fest – welche Konsequenzen das für ihn hat, blieb leider undeutlich.
Klar positioniert war dagegen Pakistans Botschafter in Berlin, Shahid Ahmad Kamal. Für ihn ist das Recht auf Religionsfreiheit nicht Individualrecht, sondern Kollektivrecht: das Recht der Religionen auf freie Entfaltung, auf Schutz vor Angriffen, Verfemungen, Lästerungen usw. Kamal appellierte immer wieder an alle Beteiligten – gemeint waren wohl vor allem die Medien – mehr Verantwortung für den Frieden der Religionen zu übernehmen und mehr Respekt vor den Religionen zu zeigen. Er warb für mehr Verständnis für kulturelle und religiöse Differenzen und betonte, dass die Menschenrechte nicht statisch zu verstehen seien, sondern in den letzten 60 Jahren einen Entwicklungsprozess vollzogen hätten – wie denn auch die Vereinten Nationen von 50 Mitgliedsländern auf über 200 angewachsen seien, die nicht einfach übernehmen müssten, was vor der Zeit ihrer Mitgliedschaft beschlossen worden sei. Hier müssten Veränderungsprozesse einsetzen, die dazu führten, dass die Menschenrechte die Gegenwart angemessener repräsentieren könnten. Kamal verwies auf die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam, die 1990 von den Mitgliedsstaaten der „Organisation der Islamischen Konferenz“ beschlossen worden war und die die Scharia als alleinige Grundlage von „Menschenrechten“ definiert. Mit dieser Einlassung widersprach er massiv den Ausführungen der Hochkommissarin Pillay, die die bleibende universale Gültigkeit der Menschenrechte für alle Staaten postuliert hatte.
Heiner Bielefeldt, Leiter des Deutschen Instituts für Menschenrechte, widersprach Kamal an diesem Punkt heftig. Er verwies zwar auch auf Defizite der Verwirklichung der Menschenrechte in Deutschland – besonders im Blick auf den Moscheebau und die Kopftuchfrage. Er wertete aber die Kairoer Erklärung nicht als Konkretisierung und Weiterführung, sondern als einen nicht akzeptablen Rückschritt in der Menschenrechtspolitik. Vor allem die Umwidmung eines individuellen Freiheitsrechtes in ein Recht einer kollektiven Institution sei mit dem Geist der Deklaration von 1948 nicht vereinbar.
In seinem Schlusswort fasste der Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechte, Günter Nooke, die Diskussion und die darin zum Ausdruck gekommenen Herausforderungen für eine künftige Menschenrechtspolitik wie folgt zusammen: Die herausragende Frage für die kommende Zeit ist die nach der Verbindlichkeit des Kanons der Menschenrechte. Darin eingeschlossen ist die unterschiedliche Interpretation im Spannungsverhältnis von Kollektiv- und Individualrechten. Deutlich sei, dass der Einfluss des Westens in diesen Fragen zurückgegangen sei, was auch mit seiner Uneinheitlichkeit zusammenhänge (z. B. in Fragen der Folter oder der Todesstrafe) sowie mit der Beschneidung von bürgerlichen Freiheitsrechten im Zuge der Terrorbekämpfung. Nooke rief zur Wachsamkeit auf gegenüber langfristigen Tendenzen, die Geltung der Menschenrechte zu untergraben.
Angesichts der prominenten Redner, der vielfältigen Teilnahme von Vertretern aus Politik, Wissenschaft, Medien und Kultur und im Blick auf das Schwerpunktthema „Religionsfreiheit“ ist es unverständlich, dass die Kirchen und die Universitätstheologie kaum vertreten waren: Laut Teilnehmerliste waren weder das Kirchenamt der EKD noch der Bevollmächtigte der EKD bei der Bundesregierung (oder ein Vertreter) noch Repräsentanten der Landeskirchen anwesend.
Jan Badewien, Karlsruhe