Gesellschaft

"Religionsprivileg" im Vereinsgesetz gefallen

Am 19. September 2001 hat die Bundesregierung das so genannte Religionsprivileg aus dem Vereinsrecht gestrichen. In dem Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts hieß es bisher: “Religionsgemeinschaften und Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen, sind keine Vereine im Sinne dieses Gesetzes”. Religionsgemeinschaften wurden demgemäß vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt. Zwar heißt es im Grundgesetz Artikel 9: “Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider laufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.” Aufgrund der Bestimmungen des Vereinsrechts waren als Vereine organisierte Religionsgemeinschaften davon ausgenommen. Sie mussten nicht fürchten, verboten zu werden, wie dies im Blick auf “normale Vereine” möglich ist.

Dass Regelungen wie diese eingeführt wurden, hatte seinen Grund u. a. wohl darin, die positive Religionsfreiheit besonders zu betonen und das Verhältnis zwischen Staat und Kirche bzw. Staat und Religion unter dem Gesichtspunkt jeweiliger Selbstbegrenzung zu regeln.

In der öffentlichen Diskussion wurde die Gesetzesveränderung als Reaktion und Folge auf die Terroranschläge in den USA wahrgenommen. In einem Interview in der Wochenzeitung “Die Zeit” mit Innenminister Otto Schily wurde ein solcher Zusammenhang auch indirekt hergestellt. Richtig ist freilich, dass die Forderung, das so genannte “Religionsprivileg” im Vereinsgesetz zu streichen, eine der Handlungsempfehlungen war, die die Enquete-Kommission “Sogenannte Sekten und Psychogruppen” in ihrem Endbericht ausgesprochen hatte (vgl. Endbericht der Enquete-Kommission “Sogenannte Sekten und Psychogruppen”, Hg. Deutscher Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit, Bonn 1998). Dort wird u. a. gesagt, dass es möglich ist, “daß als Vereine eingetragene Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit verfassungswidrigen Inhalten existieren, ohne daß das im Vereinsgesetz für ein Verbotsverfahren vorgesehene Instrumentarium anwendbar ist” (261). Die Enquete-Kommission hatte auch darauf hingewiesen, dass eine Lösung dieses Dilemmas umstritten sei, da sowohl die Rechtsauffassung bestehe, “daß ein Verbot religiöser Gemeinschaften überhaupt nicht möglich sei” wie auch die vom Bundesverwaltungsgericht geäußerte Auffassung, “daß von allen Religionsgemeinschaften kraft Verfassungsrecht ein Mindestmaß an Rechtstreue verlangt werde” (261). Angesichts dieser nicht eindeutigen Rechtslage hielt die Enquete-Kommission “eine Überprüfung für geboten, ob Gesetzesänderungen möglich sind, die eine Anwendung des gesetzlichen Instrumentariums des Vereinsrechts auch auf als Vereine eingetragene Religionsgemeinschaften zulassen” (261). In den Stellungnahmen und Handlungsempfehlungen des Endberichtes der Enquete-Kommission für den 14. Deutschen Bundestag wurde 1998 die Empfehlung gegeben “durch entsprechende Änderung im Vereinsrecht sicherzustellen, daß das Wirken auch von Religionsgemeinschaften nicht gegen das Grundgesetz gerichtet sein darf. Hierbei wird zu prüfen sein, ob die Herausnahme von Religionsgemeinschaften aus dem Anwendungsbereich des Vereinsgesetzes (§ 2 Abs. 2 Ziff. 3 VereinsG) zukünftig ganz entfallen kann.” (297)

Eine Diskussion über die Frage der Streichung des so genannten “Religionsprivilegs” gab es also bereits seit längerem. Die Ereignisse vom 11. September trugen mit dazu bei, dass eine schnelle Entscheidung von politischer Seite getroffen wurde. Dem Staat werden neue Handlungsmöglichkeiten gegenüber Organisationen eingeräumt, die kriminelle Absichten unter dem Deckmantel religiöser Selbstetikettierung zu verbergen versuchen. Nicht nur einzelne Straftäter können nunmehr verfolgt werden, sondern auch Gemeinschaften als solche können ins Visier staatlicher Überprüfung geraten und ggfs. verboten werden.

Die Veränderung im Vereinsgesetz dürfte für die historischen Kirchen wie auch für die Freikirchen keine unmittelbaren Auswirkungen haben. Von Seiten der evangelischen Kirche wurde sie begrüßt, wie auch von nahezu allen Parteien, von Seiten der katholischen Kirche und einzelner Freikirchen gab es auch skeptische Stimmen.

Reinhard Hempelmann