Alexander Benatar

Religionsunterricht in Deutschland – Eine Bestandsaufnahme

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„Jede Religionsgemeinschaft will und soll ihren Glauben an die nächste Generation weitergeben. Doch heute kann und darf dabei nicht mehr die Auffassung vermittelt werden, nur die eigene Religion besitze die Wahrheit und sei anderen überlegen.“

Mit diesen Worten werden der an der evangelisch-theologischen Fakultät in Münster unterrichtende Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel und sein muslimischer Kollege Mouhanad Khorchide in einer Pressemitteilung (19.2.2020) des Exzellenzclusters „Religion & Politik“ der Universität Münster zitiert. Es sei Teil des schulischen Bildungsauftrags, Schülerinnen und Schülern beizubringen, mit anderen Weltanschauungen respektvoll umzugehen. „Die Praxis zeigt, wie Religionen gerade aus exklusivistischer Haltung zu Machtinstrumenten gemacht werden und Gesellschaften spalten.“1 Ausgehend von dieser Hypothese erarbeitete eine Gruppe von Theologinnen und Theologen mit religionspädagogischer Expertise kürzlich ein Diskussionspapier mit dem Titel „Dialog und Transformation. Auf dem Weg zu einer pluralistischen Religionspädagogik“.2

Das universitäre Diskussionspapier knüpft an eine breitere akademische und gesellschaftliche Debatte über Möglichkeiten und Grenzen einer Pluralisierung des schulischen Religionsunterrichts an, deren verfassungsrechtliche Dimension bereits im Materialdienst aufgegriffen wurde.3 Zuletzt sprach sich auch die stellvertretende EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus öffentlich für einen gemeinsamen Religionsunterricht von Christen und Muslimen aus.4 Zum Unterrichtsfach Religion heißt es in Art. 7 Abs. 3 GG:

„Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.“

Der Religionsunterricht ist damit das einzige grundgesetzlich normierte Schulfach. Voraussetzung der Erteilung von Religionsunterricht ist, dass die mit ihm betraute Religionsgemeinschaft über klare Mitgliedschaftsregeln verfügt sowie über Autoritäten, die zentrale Lehrinhalte verbindlich festlegen können.5

Abgesehen von diesen generelleren Anforderungen aber gilt in der föderalen Bundesrepublik Deutschland der Grundsatz: Die schulische Ausbildung ist Ländersache. Wie und mit wem bei der Erteilung des Religionsunterrichts kooperiert wird, obliegt also den Kultusministerien der jeweiligen Bundesländer. Entsprechend vielfältig sind daher auch die Gegebenheiten vor Ort, auf die die genannten akademischen bzw. kirchlichen Vorstöße zu einer größeren Pluralisierung des schulischen Religionsunterrichts treffen. Um diesen theoretischen Überlegungen zu seiner Reform eine praktische Grundlage zu geben, wird im Folgenden ein Überblick über den aktuellen Stand der Ausgestaltung des schulischen Religionsunterrichts in den einzelnen Bundesländern gegeben.

1. Baden-Württemberg: Derzeit wird in Baden-Württemberg evangelischer, römisch-katholischer, alt-katholischer, jüdischer, syrisch-orthodoxer, alevitischer, orthodoxer sowie – im Rahmen eines Modellprojekts – islamischer Religionsunterricht in sunnitischer Prägung erteilt. Zu letzterem Zweck hat das Land zum 1. August 2019 eine Stiftung „Sunnitischer Schulrat“ eingerichtet.6 Mit dieser Stiftung des öffentlichen Rechts wird die Erteilung islamischen Religionsunterrichts näher an den Staat gebunden. Dies führte teilweise zu Irritationen mit Blick auf dessen religiös-weltanschauliche Neutralität. An dem vorerst auf sechs Jahre (bis 2025) befristeten Projekt sind der Landesverband der Islamischen Kulturzentren Baden-Württemberg (LVIKZ) und die Islamische Glaubensgemeinschaft der Bosniaken (IGBD) beteiligt, nicht aber die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DİTİB) sowie die Islamische Gemeinschaft Baden-Württemberg (IGBW). Im laufenden Schuljahr erhalten etwa 6000 Schüler an rund 90 Schulen Baden-Württembergs islamischen Religionsunterricht. Dies entspricht ca. vier Prozent aller muslimischen Schüler in dem Bundesland.7

2. Bayern: In Bayern wird katholischer, evangelischer, orthodoxer, jüdischer und muslimischer Religionsunterricht angeboten. Nach Auskunft des bayrischen Kultusministeriums handelt es sich bei letzterem allerdings nicht um einen konfessionellen Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG, sondern um eine „weltanschaulich-religiös neutrale Islamkunde kombiniert mit Werteerziehung“. Im vergangenen Schuljahr nahmen daran rund 1000 Schülerinnen und Schüler teil.8 Mit Beginn des nächsten Schuljahrs 2020/21 startet in Bayern zudem der zweijährige Modellversuch eines „Konfessionellen Religionsunterrichts mit erweiterter Kooperation“ von evangelischen und katholischen Lehrkräften – eine Antwort auf das Problem, dass der Religionsunterricht der jeweiligen Minderheitskonfession aufgrund einer zu geringen Schülerzahl bislang häufig entfallen muss.9

3. Berlin: Keine Regel ohne Ausnahme. Dies gilt auch für die grundgesetzlichen Bestimmungen des Art. 7 Abs. 3 GG zum Religionsunterricht in Deutschland. Und so heißt es in Art. 141 GG: „Art 7 Absatz 3 Satz 1 findet keine Anwendung in einem Lande, in dem am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand.“ Die Einführung dieser Ausnahmeregelung hatte ursprünglich Bremen (s. u.) zur Bedingung für seinen Betritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gemacht, sie findet jedoch auch auf die Bundesländer Berlin und Brandenburg Anwendung.10 Der Religionsunterricht ist in Berlin also nicht ordentliches, sondern zusätzliches, freiwilliges Lehrfach. An all jenen öffentlichen Schulen, an denen ein entsprechendes Interesse der Eltern bzw. Schüler besteht, bieten die folgenden neun Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften einen entsprechenden Unterricht an: die evangelische Kirche, die katholische Kirche, die Jüdische Gemeinde in Berlin, die Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland, der Humanistische Verband Deutschlands, die Islamische Föderation (islamischer Religionsunterricht), das Kulturzentrum Anatolischer Aleviten (islamischer Religionsunterricht), die Buddhistische Gesellschaft in Berlin und die Christengemeinschaft.11

4. Brandenburg: Nach seiner schrittweisen Einführung ab 1996 richtete die Brandenburger Landesregierung zum Schuljahr 2008/2009 als ordentliches Unterrichtsfach Lebenskunde – Ethik – Religionskunde (LER) ein.12 Dieses bietet als staatliches Pflichtfach lediglich eine bekenntnisfreie Religionskunde, die vertiefte Einsichten in die religiös-weltanschaulichen Prägungen der deutschen Alltagskultur vermitteln soll.13 Auf Wunsch der Eltern können Schülerinnen und Schüler aber auch vom Fach LER befreit werden und stattdessen evangelischen bzw. katholischen Religionsunterricht oder aber humanistischen Lebenskundeunterricht nach den Maßgaben des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg erhalten.14 Ein islamischer Religionsunterricht existiert in Brandenburg bislang nicht.

5. Bremen: Die „Bremer Klausel“ des Art. 141 GG (s. o.) war 1949 von der Hansestadt Bremen eingefordert worden, da dort traditionell ein bekenntnisfreier und freiwilliger Unterricht in „Biblischer Geschichte“ (BG) auf „allgemein christlicher Grundlage“ erteilt wurde.15 Dieser Unterricht obliegt allein dem Staat und staatlichen Lehrkräften und nicht den jeweiligen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. So werden alle Schüler seit jeher unabhängig von Ihrer konfessionellen Zugehörigkeit gemeinsam in Religionsgeschichte unterrichtet. 2014 wurde dieser „Unterricht in biblischer Geschichte“ nun in „Religion“ umbenannt, und die Lehrkräfte erhalten fachliche Unterstützung durch einen Beirat, der sich aus Mitgliedern unterschiedlicher Religionsgemeinschaften zusammensetzt.16 Als solche anerkannt und im Beirat vertreten sind auch der DİTİB-Landesverband Bremen, der Rat der Islamischen Religionsgemeinschaft Bremen (Schura) sowie der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ).17

6. Hamburg: Hamburg hat mit dem „Religionsunterricht für alle“ in multireligiöser Trägerschaft ein bundesweit bislang einzigartiges Modell für den Religionsunterricht eingeführt, bei dem Schülerinnen und Schüler aller Glaubensrichtungen sowie Konfessionslose gemeinsam unterrichtet werden. Wurden die Unterrichtsinhalte bislang von einer allein evangelischen Trägerschaft verantwortet, so wurde diese „Monopolstellung“ der evangelischen Kirche inzwischen aufgehoben. Grundlage hierfür waren die 2013 abgeschlossenen Verträge zwischen Hamburg und der alevitischen Gemeinde sowie den drei islamischen Verbänden DİTİB-Hamburg, Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg (Schura). Neben evangelischen können sich dann auch jüdische, muslimische, alevitische und planmäßig auch katholische Lehrerinnen und Lehrer18 sowie Buddhisten, Hindus, Sikhs und Baha’i eigenverantwortlich an der Erteilung des Religionsunterrichts beteiligen.19 Zur Erteilung der Lehrerlaubnis setzt der Hamburger Senat ein ordentliches Studium und Referendariat voraus. Zum Unterricht berechtigt sind außerdem allein staatliche Lehrer. Geistliche und sonstige Mitarbeiter von Religionsgemeinschaften bleiben hiervon ausgeschlossen.20 Die notwendige Fortbildung der Lehrkräfte erfolgt an der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg.21

7. Hessen: Ein Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach ist in Kooperation mit den folgenden Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften eingerichtet: evangelische Kirche, katholische Kirche, altkatholische Kirche, Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland, Alevitische Gemeinde Deutschland, DİTİB-Landesverband Hessen, Humanistische Gemeinschaft Hessen, Jüdische Gemeinde, Syrisch-Orthodoxe Kirche, Mennoniten, andere orthodoxe Kirchen, Unitarische freie Religionsgemeinde. Ersatzweise besteht auch die Möglichkeit, einen verpflichtenden Ethikunterricht zu besuchen.22 Anfang 2019 äußerte der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU) Zweifel an der grundsätzlichen Eignung des DİTİB-Landesverbandes Hessen als Kooperationspartner für den islamischen Religionsunterricht.23 Im April dieses Jahres erklärte er, die Zusammenarbeit mit der DİTİB wegen deren mangelnder Unabhängigkeit vom türkischen Staat zum Ende des Schuljahres 2019/2020 auszusetzen.24

8. Mecklenburg-Vorpommern: Hier wird konfessioneller evangelischer und katholischer Religionsunterricht angeboten. Alternativ können die Schüler in der Grundschule und der Sekundarstufe I in „Philosophieren mit Kindern“ und in der Sekundarstufe II in „Philosophie“ unterrichtet werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, den jeweiligen christlichen Religionsunterricht mit dem bekenntnisfreien Ersatzfach „Philosophieren“ gemeinsam in einer Fächergruppe einzurichten. Es handelt sich dabei um einen kooperativen Unterricht, der die konfessionelle Eigenständigkeit dieser Fächer wahrt.25 Daneben bestehen keine weiteren Vereinbarungen zur Erteilung des Religions- oder Weltanschauungsunterrichts mit anderen, etwa islamischen Religionsgemeinschaften.26

9. Niedersachsen: In Niedersachsen wird konfessionell gebunden evangelischer, katholischer, jüdischer, islamischer und alevitischer Religionsunterricht angeboten, sofern sich an einer Schule mindestens zwölf Schülerinnen und Schüler eines Glaubens in einer Lerngruppe zusammenfinden und eine entsprechend qualifizierte Lehrkraft vorhanden ist. Alternativ besteht die Möglichkeit zur Teilnahme am Fach „Werte und Normen“.27 „Islamische Religion“ wurde zum Schuljahr 2013/2014 eingeführt. Hierzu wurde ein Beirat, bestehend aus dem Landesverband der Muslime in Niedersachsen (Schura Niedersachsen) und dem niedersächsischen DİTİB-Landesverband eingerichtet, der die Lehrinhalte verantwortet. In diesem Zusammenhang schwelt zwischen dem niedersächsischen Kultusministerium und dem Beirat bereits ein jahrelanger Streit. Seit dem gescheiterten Putsch in der Türkei im Jahre 2016 sind die Verhandlungen um einen Staatsvertrag mit DİTİB-Niedersachsen ins Stocken geraten. Ende 2018 trat außerdem der gesamte DİTİB-Landesvorstand für Niedersachsen und Bremen zurück. Derzeit überprüft die niedersächsische Landesregierung ihre Zusammenarbeit mit DİTİB.28

10. Nordrhein-Westfalen: In Nordrhein-Westfalen gibt es konfessionellen Religionsunterricht für die folgenden acht Bekenntnisse: evangelisch, katholisch, syrisch-orthodox, orthodox, jüdisch, islamisch sowie – als Schulversuche – alevitisch und mennonitisch in Zusammenarbeit mit der mennonitischen Brüdergemeinde in Nordrhein-Westfalen. Außerdem steht es Schulen seit dem Schuljahr 2018/2019 frei, einen Religionsunterricht in konfessioneller Kooperation für evangelische und katholische Schülerinnen und Schüler gemeinsam einzurichten, wenn an ihnen bereits ein Religionsunterricht für die jeweiligen Bekenntnisse existiert.29 Den ordentlichen islamischen Religionsunterricht bot Nordrhein-Westfalen ab 2012 zunächst an Grundschulen und später ebenfalls für weiterführende Schulen an, begleitet durch einen achtköpfigen Beirat. Dieser bestand bis 2019 aus je vier Vertretern islamischer Dachverbände sowie der Landesregierung und wurde nunmehr durch eine Kommission abgelöst, in die noch weitere muslimische Vereine und Organisationen eingebunden sind.30 Für die vier großen islamischen Verbände bedeutete diese Änderung einen relativen Machtverlust. Aufgrund von politisch-nationalistischen Aktivitäten hatte die DİTİB ihren Beiratssitz allerdings ohnehin bereits seit drei Jahren ruhen lassen.31

11. Rheinland-Pfalz: In Rheinland-Pfalz existiert neben evangelischem und katholischem seit 2004 auch islamischer Religionsunterricht.32 Für letzteren kooperieren u. a. lokale christlich-islamische Verbände, Elternvereine und weitere muslimische Vereine.33 Schwierigkeiten bereitet immer wieder die Zusammenarbeit mit DİTİB sowie mit einigen Mitgliedern der Schura Rheinland-Pfalz. Bedenken bestehen dabei hinsichtlich einer möglichen ausländischen Einflussnahme auf diese islamischen Verbände sowie ihrer Verfassungstreue.34 Gemäß Art. 34 der Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz ist außerdem auch der jüdische Religionsunterricht ein ordentliches Schulfach und wird nach den Grundsätzen des jüdischen Landesverbands erteilt. Schließlich findet an einigen Standorten schulischer Religionsunterricht auch für folgende weitere Religionsgemeinschaften statt: Aleviten, Freireligiöse Religionsgemeinschaften und die Mennoniten-Brüdergemeinde. Denjenigen Religionsgemeinschaften, für die an der Schule kein Religionsunterricht eingerichtet ist, steht die Möglichkeit offen, eigenständig einen außerschulischen Religionsunterricht zu organisieren und diesen als „entsprechend“ anerkennen zu lassen.35

12. Saarland: Im Saarland wird katholischer, evangelischer und jüdischer Religionsunterricht sowie ersatzweise Ethik angeboten. Seit vier Jahren und für noch weitere vier Jahre erprobt das Saarland in einem Modellversuch außerdem einen zwar verpflichtenden, aber unbenoteten islamischen Religionsunterricht. Zur Erstellung der Unterrichtsinhalte, die an der Schule von muslimischen Lehrerinnen und Lehrern vermittelt werden, kooperiert das saarländische Bildungsministerium mit sechs verschiedenen muslimischen Verbänden und Vereinen,36 darunter auch DİTİB. Inhaltlich orientiert sich der Lehrplan für den islamischen Religionsunterricht am Bundesland Nordrhein-Westfalen.37

13. Sachsen: Zum Schuljahr 2019/2020 wurde im Freistaat Sachsen jüdischer Religionsunterricht an drei Grundschulen in Leipzig, Dresden und Chemnitz – denjenigen sächsischen Städten mit den größten jüdischen Gemeinden – eingerichtet, der das bisherige landesweite Angebot von konfessionell gebundenem evangelischem und katholischem Religionsunterricht ergänzt. Ersatzweise besteht die Möglichkeit zum Besuch eines bekenntnisfreien Ethikunterrichts.38 Daneben bestehen keinerlei weitere Vereinbarungen zur Erteilung des Religions- oder Weltanschauungsunterrichts mit anderen, etwa islamischen Religionsgemeinschaften.39

14. Sachsen-Anhalt: Das Bundesland bietet konfessionell gebundenen evangelischen und katholischen Religionsunterricht an. Für die etwa 2000 muslimischen Schüler in Sachsen-Anhalt ist weiterhin kein regulärer islamischer Religionsunterricht vorgesehen, wie die Landesregierung 2019 noch einmal bestätigte. Eine gewisse Rolle spielt der Islam allein im Rahmen des ersatzweise angebotenen bekenntnisfreien Ethikunterrichts. Dort wurde an einigen Schulen in Magdeburg und Halle mit einem signifikanten Anteil muslimischer Schüler ein zusätzliches „Islam-Modul“ eingeführt.40

15. Schleswig-Holstein: Im nördlichsten Bundesland Schleswig-Holstein wird bekenntnisgebundener evangelischer und katholischer Religionsunterricht angeboten sowie ersatzweise das bekenntnisfreie Unterrichtsfach Philosophie. An einigen Grundschulen ist auch ein Islamunterricht eingerichtet worden, dessen Lehrinhalte allerdings das Land Schleswig-Holstein verantwortet.41 Ob daneben auch ein ordentlicher jüdischer Religionsunterricht eingeführt werden sollte, wird derzeit von der Landesregierung geprüft. Aktuell leben zwischen Nord- und Ostsee rund 3000 Juden, von denen etwa 1800 jüdischen Gemeinden angehören.42

16. Thüringen: Gegenwärtig wird an staatlichen Schulen im Freistaat Thüringen als ordentliches Lehrfach konfessionell gebundener evangelischer, jüdischer und katholischer Religionsunterricht sowie ersatzweise ein bekenntnisfreier Ethikunterricht angeboten.43 Wie in einigen anderen Bundesländern haben sich die Kirchen Anfang 2019 auch in Thüringen darauf verständigt, bei der Erteilung des bekenntnisorientierten Religionsunterrichts enger zusammenzuarbeiten. Künftig soll also anstatt der bisherigen, nach Konfessionen getrennten – und oftmals zu kleinen – Lerngruppen ein gemeinsamer Unterricht für evangelische, katholische und konfessionslose Schüler erprobt werden.44 Daneben bestehen keine weiteren Vereinbarungen zur Erteilung des Religions- oder Weltanschauungsunterrichts mit anderen, etwa islamischen Religionsgemeinschaften.45

Eine Zwischenbilanz

Die Ausgestaltung des schulischen Religionsunterrichts in den einzelnen Bundesländern stellt sich als außerordentlich vielfältig dar und wird zudem immerfort reformiert. Insgesamt lassen sich hierbei zwei scheinbar gegenläufige Trends konstatieren: (1) eine zunehmende Etablierung von islamischem Religionsunterricht als ordentlichem Schulfach46 und zugleich (2) eine abnehmende Bedeutung des traditionell konfessionell getrennten Religionsunterrichts der beiden großen christlichen Konfessionen zugunsten kooperativer Modelle. Innerhalb dieser beiden größeren Trends ist freilich weiter zu differenzieren. Bei der Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichts werden in verschiedenen Bundesländern ganz unterschiedliche Modelle favorisiert, die von einer bekenntnisfreien Islamkunde unter staatlicher Aufsicht bis zu Kooperationen mit einzelnen regionalen Islamverbänden reichen, die dann auch die Lehrinhalte verantworten. Eine nur geringe Rolle spielt dieser Trend bislang allerdings in den neuen Bundesländern (mit Ausnahme Berlins), wo bis vor wenigen Jahren deutlich weniger Muslime lebten als in den alten Bundesländern.

Während die Einführung islamischen Religionsunterrichts das bisherige Modell eines bekenntnisgebundenen Religionsunterrichts für eine (möglichst) homogene Gruppe von Schülerinnen und Schülern eines gemeinsamen Bekenntnisses bestätigen kann,47 weist der zweite Trend hin zu Kooperationsmodellen in eine etwas andere Richtung. Konfrontiert einerseits mit einer (vor allem urbanen) Pluralisierung der religiös-kulturellen Prägung in Deutschland und andererseits mit einer wachsenden Zahl Konfessionsloser gibt es vermehrt Bemühungen, unterschiedliche Bekenntnisse in einem gemeinsamen Religionsunterricht zusammenzuführen. Modellversuche eines gemeinsamen evangelisch-katholischen Religionsunterrichts fordern von diesen beiden Konfessionen hierbei fast noch die geringste Offenheit für religionspädagogische Innovationen. Eine ungleich größere Herausforderung stellen in dieser Hinsicht vor allem die in Bremen und Hamburg bereits realisierten Modelle eines „Religionsunterrichts für alle“ dar. Gerade die Frage, ob das Hamburger Modell eines solchen konfessionsübergreifenden Religionsunterrichts in multireligiöser Trägerschaft den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 7 Abs 3 GG genügen kann, wird derzeit kontrovers diskutiert.48 In eben dieses Spannungsfeld stößt nun auch das eingangs erwähnte Bonner Diskussionspapier „Dialog und Transformation“ mit seinen „tiefentheologisch“ begründeten Impulsen für einen die einzelnen Konfessionen überwindenden pluralistischen Religionsunterricht vor. Ob ein solches, auf Theorien der interreligiösen Theologie aufbauendes Konzept ein Modell für die Zukunft sein kann oder eine nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch theologisch angreifbare „Gleichschaltung aller Religionen“49 darstellt, wird sich in der akademischen Diskussion ebenso wie in der schulischen Praxis erst noch zeigen müssen. Die Diskussion hierüber ist jedenfalls längst eröffnet.

 

1  www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuelles/2020/aktuell/Auf_dem_Weg_zu_einer_pluralistischen_Religionspaedagogik.html (Abruf der Internetseiten: Februar 2020, wenn nicht anders angegeben).

2  www.bibor.uni-bonn.de/diskussionspapier-dialog-und-transformation.-auf-dem-weg-zu-einer-pluralistischen-religionspaedagogik.

3  Vgl. Hanna Fülling: Der Hamburger Religionsunterricht für alle. Ein zukunftsweisendes Konzept für den Religionsunterricht?, in: MdEZW 1/2020, 40-44.

4  Vgl. www.evangelisch.de/inhalte/166524/28-02-2020/ekd-vize-kurschus-befuerwortet-gemeinsamen-religionsunterricht.

5  Vgl. Ulrich Willems: Stiefkind Religionspolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte – Religionspolitik 28-29/2018, hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, 9-15, hier 9.

6  Vgl. https://km-bw.de/,Lde_DE/Startseite/Ministerium/Kultus+-+Religionsangelegenheiten+und+Staatskirchenrecht?QUERYSTRING=religionsunterricht.

7  Vgl. www.domradio.de/themen/islam-und-kirche/2019-07-16/baden-wuerttemberg-regelt-islamischen-religionsunterricht-neu.

8  Vgl. www.nordbayern.de/politik/bayern-immer-weniger-schuler-erhalten-religionsunterricht-1.9214473.

9  Vgl. www.keg-bayern.de/home/artikel-details/konfessioneller-religionsunterricht-mit-erweiterter-kooperation-in-bayern.html.

10  Vgl. www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100109.

11  Vgl. www.berlin.de/sen/bildung/unterricht/faecher-rahmenlehrplaene/religion.

12  Vgl. https://mbjs.brandenburg.de/bildung/weitere-themen/lebensgestaltung-ethik-religionskunde-l-e-r.html.

13  Vgl. www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100109.

14  Vgl. https://mbjs.brandenburg.de/bildung/weitere-themen/religionsunterricht-humanistischer-lebenskundeunterricht.html.

15  www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100109.

16  Vgl. https://magazin.sofatutor.com/eltern/religionsunterricht-in-deutschland-10-fragen-10-antworten/#_Toc16599289.

17  Vgl. www.migazin.de/2019/07/17/uebersicht-wie-laender-reli-unterricht.

18   Vgl. Fülling: Der Hamburger Religionsunterricht für alle (s. Fußnote 3), 40.

19   Vgl. Anna Körs: Lokale Governance religiöser Diversität. Akteure, Felder, Formen und Wirkungen am Fallbeispiel Hamburg, in: Aus Politik und Zeitgeschichte – Religionspolitik 28-29/2018, hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, 34-40, hier 37.

29  Vgl. Fülling: Der Hamburger Religionsunterricht für alle (s. Fußnote 3), 40.

21  Vgl. https://li.hamburg.de/religion/material/4419346/art-einleitung.

22  Vgl. https://kultusministerium.hessen.de/schulsystem/religionsunterricht.

23  Vgl. www.migazin.de/2019/07/17/uebersicht-wie-laender-reli-unterricht.

24  Vgl. www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-04/religionsunterricht-islam-hessen-ditib-beendet (Abruf: 16.6.2020).

25  Vgl. https://magazin.sofatutor.com/eltern/religionsunterricht-in-deutschland-10-fragen-10-antworten/#_Toc16599289.

26  Vgl. https://mediendienst-integration.de/artikel/wo-gibt-es-religionsunterricht-fuer-muslime.html.

27  Vgl. www.mk.niedersachsen.de/startseite/schule/schulerinnen_und_schuler_eltern/religionsunterricht/religionsunterricht-90778.html.

28  Vgl. www.migazin.de/2019/07/17/uebersicht-wie-laender-reli-unterricht.

29  Vgl. www.schulministerium.nrw.de/docs/Schulsystem/Unterricht/Lernbereiche-und-Faecher/Weitere-Bereiche/Religionsunterricht/index.html.

30  Vgl. www.islamiq.de/2019/12/28/islamunterricht-an-oeffentlichen-schulen-in-deutschland.

31  Vgl. www.domradio.de/themen/islam-und-kirche/2019-06-26/neue-kommission-statt-beirat-reform-des-islamischen-religionsunterrichts-nrw.

32  Vgl. https://religion.bildung-rp.de/islamischer-religionsunterricht-erprobung.html.

33  Vgl. www.islamiq.de/2019/12/28/islamunterricht-an-oeffentlichen-schulen-in-deutschland.

34  Vgl. www.migazin.de/2019/07/17/uebersicht-wie-laender-reli-unterricht.

35  Vgl. https://religion.bildung-rp.de/religionsunterricht-weiterer-religionsgemeinschaften.html.

36  Vgl. https://magazin.sofatutor.com/eltern/religionsunterricht-in-deutschland-10-fragen-10-antworten/#_Toc16599289.

37  Vgl. www.migazin.de/2019/07/17/uebersicht-wie-laender-reli-unterricht.

38  Vgl. www.zeit.de/gesellschaft/schule/2019-04/grundschulen-sachsen-religionsunterricht-judentum-dresden-chemnitz-leipzig.

39  Vgl. https://mediendienst-integration.de/artikel/wo-gibt-es-religionsunterricht-fuer-muslime.html.

40  Vgl. www.neues-deutschland.de/artikel/1116409.religionsunterricht-kein-islamunterricht-in-sachsen-anhalt.html.

41  Vgl. www.schleswig-holstein.de/DE/Fachinhalte/S/schule_und_unterricht/relligionsunterricht.html.

42  Vgl. www.landtag.ltsh.de/nachrichten/18_11_juedische_verbaende.

43  Vgl. www.staatskanzlei-thueringen.de/arbeitsfelder/kirchen.

44  Vgl. www.meine-kirchenzeitung.de/c-service-familie/symposium-zum-konfessionell-kooperativen-religionsunterricht_a15970.

45  Vgl. https://mediendienst-integration.de/artikel/wo-gibt-es-religionsunterricht-fuer-muslime.html.

46  Bundesweit erhielten im vergangenen Schuljahr 60 000 Schüler islamischen Religionsunterricht, gut ein Drittel von ihnen in NRW. Vgl. www.migazin.de/2020/05/29/flickenteppich-60-000-schueler-im-islamischen-religionsunterricht (Abruf: 16.6.2020).

47  Vgl. Arnulf von Scheliha: Religionsunterricht 4.0. Theologische Überlegungen zu kooperativen Modellen im Rahmen des geltenden Religionsrechtes, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 4/2019, 374-394, hier 375.

48  Vgl. Fülling: Der Hamburger Religionsunterricht für alle (s. Fußnote 3).

49  Scheliha: Religionsunterricht 4.0. (s. Fußnote 47), 388.