Eileen Barker (Hg.)

Revisionism and Diversification in New Religious Movements

Eileen Barker (Hg.), Revisionism and Diversification in New Religious Movements, Ashgate, Farnham 2013, 271 Seiten, 25,42 Euro.

Eileen Barker präsentiert Beiträge verschiedener Autorinnen und Autoren, die auf Referate eines im Dezember 2012 an der London School of Economics unter dem Titel „Changing Beliefs and Schisms in New Religions“ abgehaltenen Workshops zurückgehen. Ein Beitrag des Religionssoziologen David G. Bromley schließt den Band ab, der die vorangegangenen Aufsätze, die weitestgehend den Charakter von Fallstudien besitzen, unter der Fragestellung des Seminars systematisch auswertet. Der Band widmet sich besonders der Frage nach Formen der Neuausrichtung neuer religiöser Bewegungen und Prozessen der Aufspaltung. Ein Fokus liegt auf der Frage, inwieweit Neuorientierungen bedingt werden durch die Neuinterpretation der eigenen Geschichte und/oder neue Herausforderungen wie das Nichteintreten von Prophezeiungen oder Konflikte mit staatlichen Gesetzen. Den Begriff der neuen religiösen Bewegung definiert die Herausgeberin als Religion, die geprägt ist durch „first-generation membership“ (2), sprich durch Konvertiten. Die Beiträge des Buches halten diese Definition aber letztlich nicht konsequent durch. So ist beispielsweise auch den Mormonen ein eigenes Kapitel gewidmet.

Das Buch befasst sich nicht nur mit Diversifizierungsprozessen – der Rezensent ist verführt zu formulieren, dass es auch selbstauf mehreren Ebenen von einer hohen Diversität geprägt ist. Es schildert Bewegungen und ihre Entwicklungen, die aus unterschiedlichen religiösen und gesellschaftlichen Kontexten hervorgegangen sind, und beschränkt sich dabei nicht nur auf Gruppen, die in Nordamerika oder Europa vor dem Hintergrund christlich-jüdisch geprägter Gesellschaften entstanden sind, sondern bezieht auch Bewegungen ein, die im Nahen Osten und in Süd- oder Ostasien vor islamischem, hinduistischem, daoistischem oder buddhistischem Hintergrund entstanden. Es finden sich Beiträge zu neuen Religionen, die auf Distanz zu den Religionen gehen, aus denen sie hervorgegangen sind, aber auch Artikel zu Bewegungen, die sich klar innerhalb einer traditionellen Religion bewegen, wie im Fall des Beitrags zur islamistischen Bewegung Hizb ut Tahrir (155-170). Ein Kapitel stellt jedoch sogar die Geschichte vonsäkularen „cult awareness“-Gruppen in den USA dar (227-245) und bezieht sich somit nicht direkt auf eine religiöse Bewegung, sondern auf Formen organisierter Kritik gegenüber neuen religiösen Bewegungen, die selbst wiederum quasireligiöse Züge annehmen kann. Im Blick auf die angesprochene Diversität ist zu betonen, dass neben bekannten Beispielen wie ISKCON, Vereinigungskirche, Scientology oder Mormonen auch Gruppen mit sehr geringer Anhängerschaft vorgestellt werden, etwa die aus Kanada stammende „La Mission de l’Esprit-Saint“ oder die vor russisch-orthodoxem Hintergrund entstandene „New Cathar Church“. Außerdem befasst sich der Sammelband auch mit Bewegungen, die nur für kurze Zeit hohe mediale Aufmerksamkeit auf sich zogen, meist im Zusammenhang mit Gewalttaten. Eugene V. Gallagher stellt in seinem Beitrag u. a. den Umgang eines überlebenden Davidianers mit der Brandkatastrophe von Waco 1993 dar (115-126). Er zeigt auf, wie dieser sich durch Reinterpretationen zu einer endzeitlichen Heilsgestalt erklärt und versucht, neue Anhänger zu gewinnen. Erica Baffeli rekonstruiert die Geschichte der japanischen Neureligion Aum Shinrikyo, deren Anführer Shoko Asahara in den 1990er Jahren Giftgasanschläge in Tokio durchführen ließ (127-139). In ihrem Artikel fragt sie insbesondere, ob und wie sich Nachfolgeorganisationen dieser religiösen Bewegung der kriminellen Vergangenheit ihrer Vorgängerorganisation stellen.

Die Beiträge von J. Gordon Melton und Timothy Miller fallen etwas aus dem Schema der bisher genannten Beiträge, die sich mit einzelnen Gruppen beschäftigen, heraus: Melton befasst sich mit der Bedeutung von Kristallen in der New-Age-Bewegung der 1970er und 1980er Jahre und in der daraus hervorgegangenen jüngeren Esoterik-Szene (201-211). Leider erscheint hier manchmal Einheitlichkeit konstruiert, die durchaus hinterfragt werden kann. Miller befasst sich mit Formen gemeinschaftlichen Lebens utopischen Charakters (213-226). Er unterscheidet dabei zwei Typen von Gemeinschaften, dem der Arche und dem des Leuchtturms (214ff): Beim Arche-Typ hat er Formen gemeinschaftlichen Lebens im Blick, die es ihren Mitgliedern ermöglichen, ein von der Welt abgeschiedenes Leben zu führen und hierdurch ihr persönliches Heil zu sichern. Gemeinschaften des Leuchtturm-Typs wollen dagegen in die Welt hinauswirken und eine Vorbildfunktion für die Gesellschaft einnehmen.

Claire Borowiks Artikel „The Family International: Rebooting for the Future“ (15-30), der sich mit den „Children of God“ und ihrer in jüngster Zeit vollzogenen Neuerfindung befasst, kann dazu dienen, auf eine weitere Diversitätsebene des Buches hinzuweisen. Der Artikel liest sich wie aus einer PR-Mappe der Bewegung entnommen, was sich nicht als Zufall erweist: Dem Mitarbeiterverzeichnis des Buches zufolge ist die Autorin tatsächlich die Pressesprecherin der „Family International“. Die Positionierung der Autorinnen und Autoren gegenüber den von ihnen dargestellten Bewegungen und dem wissenschaftlichen Feld variiert stark: Es finden sich Mitglieder von neuen religiösen Bewegungen, wie im genannten Beispiel, ehemalige Mitglieder, die sich von ihrer früheren religiösen Affiliation distanziert haben, wie Masoud Banisadr, der den Beitrag zu den Mujahedin e Khalegh verfasste, und Personen, die aus einer Außenperspektive schreiben. Im Blick auf einen Beitrag (über die New Cathar Church) wurde eine Stellungnahme der Gemeinschaft beigefügt (111-113).

Angesichts der großen Diversität des Sammelbandes sollte vielleicht auch darauf hingewiesen werden, was das Buch nicht bietet. Beispiele aus dem pfingstlich-charismatischen Spektrum, neue geistliche Bewegungen innerhalb der katholischen oder anglikanischen Kirche oder aus Brasilien hervorgegangene, von Transkulturationsprozessen geprägte Religionen (Umbanda, Santo Daime) werden nicht weiter thematisiert. Die Fallbeispiele werden in der Regel historisch-deskriptiv dargestellt. Keiner der Autoren versucht, derzeit modische neuro- oder kognitionswissenschaftliche Ansätze für die Darstellung nutzbar zu machen.

Der Rezensent hatte im Blick auf den Titel des Sammelbandes ein stärker auf Theoriebildung abzielendes Buch erwartet. Bromleys zusammenfassendes Kapitel bewegt sich im Rahmen klassischer religionssoziologischer Betrachtungsweise und gibt ein klares Analyseschema vor, das sich aber letztlich auch auf Fallbeispiele jenseits von neuen religiösen Bewegungen anwenden lässt.

Hervorzuheben ist, dass die Fallbeispiele oftmals auf aktuelle Entwicklungen Bezug nehmen: zum Beispiel der Artikel über die Vereinigungskirche, der die Situation nach dem Tod ihres Gründers Sun Myung Moon im Jahr 2012 in dem Mittelpunkt rückt (47-63), oder der Beitrag zu ISKCON, der sich mit dem Verhältnis zwischen ISKCON-Mitgliedern und der zunehmenden Zahl südasiatischer Hindus befasst, die im Westen Krishna-Tempel der ISKCON für rituelle Zwecke aufsuchen, aber nicht die spezielle Form der von ISKCON vertretenen Krishna-Verehrung teilen (31-45).

Leider sind einige Beiträge knapp gehalten, und es wäre vorteilhaft gewesen, wenn zugunsten ausführlicherer Texte auf nicht notwendige Bilder verzichtet worden wäre, etwa in den Aufsätzen zu Scientology oder zu den Gemeinschaften utopischen Charakters.


Harald Grauer, Sankt Augustin