Buddhismus

Rigpa gibt sich einen Verhaltenskodex

(Letzter Bericht: 2/2018, 54-60) Die internationale buddhistische Rigpa-Gemeinschaft hat sich nach den gravierenden Missbrauchsvorwürfen, die im Juli 2017 von langjährigen Schülerinnen und Schülern gegen den spirituellen Leiter, Sogyal Rinpoche, erhoben worden waren, einen Verhaltenskodex (Code of Conduct) gegeben.1 Das im Juni 2018 veröffentlichte vierseitige Papier will ein Nachdenken über „das eigene Verhalten im Lichte der heutigen säkularen und buddhistischen Ethik“ anregen, damit „inakzeptables Verhalten“ in den eigenen Reihen erkannt werden und ein direkter Weg „für die Meldung von Verhaltensverstößen und die Lösung von Missständen“ gewährleistet werden kann. Ein einfaches Beschwerdeverfahren mit einem mit externen Personen besetzten Schlichtungsgremium wird in Aussicht gestellt.

Der Verhaltenskodex hält fest, dass „jegliche Art von Belästigung und Mobbing“ unter keinen Umständen zu dulden ist, ebenso, dass niemals jemand auf eine Weise behandelt werden darf, „die körperlichen Schaden oder psychologische Traumata verursachen könnte“. Lehrende und Kursverantwortliche verpflichten sich darüber hinaus, das Wohlergehen der Schülerinnen und Schüler als höchste Priorität zu betrachten und in ihrer Funktion in der Zeit von Kursen und Retreats keine intimen Beziehungen anzufangen. Außerhalb dieser Umstände wird erwartet, dass intime Beziehungen auf gegenseitigem Respekt basieren und offen bekannt sind.

Ferner wird auf die „Gemeinsamen Werte und Richtlinien der Rigpa-Gemeinschaft“ hingewiesen, die aufgrund des Diskussionsprozesses seit Sommer 2017 zusammengestellt wurden und auf neun Seiten ethische Grundsätze formulieren, wie z. B.: niemandem Leid zufügen, persönliche Grenzen akzeptieren, Mobbing und Belästigung erkennen und benennen, Schutzbedürftigkeit von Kindern und abhängigen Erwachsenen achten, Freiwilligkeitsprinzip, Motivationsprüfung. Darüber hinaus wird das Rollenverhalten auf allen Organisationsebenen reflektiert und mit verpflichtenden Maßgaben versehen. In einem gesonderten Abschnitt („Den Vajrayana-Pfad einschlagen“) wird festgehalten, dass „Menschen, die für sich entscheiden, dem Vajrayana-Pfad zu folgen und sich von einem*r Meister*in leiten lassen, wie es in den Vajrayana- und Dzogchen-Lehren dargelegt wird“, einen formellen Antrag zu stellen haben und mit diesem ernsthaften Schritt auf eigenen Wunsch „dieser Stufe spiritueller Anleitung“ zustimmen.

Der Verhaltenskodex und die „Gemeinsamen Werte und Richtlinien“ gehören zusammen und bauen aufeinander auf. Sie wurden von allen Vorständen der Rigpa-Organisationen verabschiedet, so die offizielle Mitteilung.

Auf dem Blog „What Now?“ einer Gruppe von ehemaligen Rigpa-Schülern, die für sich beanspruchen, den Prozess kritisch, aber nicht ohne Sympathie für die positiven Seiten von Rigpa zu begleiten, wurde eine kritische Stellungnahme abgegeben.2 Der Verhaltenskodex hält demnach nicht, was man ihm bona fide entnimmt. Der Hauptvorwurf: Solange Rigpa den Missbrauch der Lamas nicht öffentlich als solchen benenne und verurteile, zünde man mit einem solchen Code of Conduct nur Nebelkerzen. Begriffe wie Wohlergehen, unangemessenes Verhalten, Belästigung etc. würden im Binnendiskurs eben anders verwendet und verstanden als in der Kommunikation nach außen. Die Sonderstellung des Lama bleibe unangetastet und damit im Prinzip auch seine Handlungen, da er als ein „Buddha“ gelte und die Wahrnehmung von Missbrauch im Grunde als eine falsche Perzeption von (weniger verwirklichten) Schülern hingestellt werde. Man sehe nicht, dass mit diesen Äußerungen das Fehlverhalten tatsächlich aufhöre. Die Opfer hätten bisher auch keinerlei Unterstützung erhalten.

Begründet wird der Vorwurf damit, dass sich die Regeln des „Code of Conduct“ offenbar gar nicht auf den eigentlich problematischen und brisanten Bereich bezögen, der freilich den Kern der Rigpa-Praxis ausmache, nämlich den Vajrayana-Weg, eine anspruchsvolle Praxis für Fortgeschrittene. So müsse man die Sonderbehandlung in einem eigenen Abschnitt verstehen, der überdies sehr vage bleibt und auf das absolut vertrauliche Verhältnis zwischen Lama und Schüler hinweist. Die Formulierung zu der erforderlichen speziellen Zustimmung „zu dieser Stufe spiritueller Anleitung“ klingt nach völligem Gehorsam und einer entsprechenden Geheimhaltung. Diese „Stufe“ scheint durchaus ihre eigenen Regeln zu haben. Die Kritiker sehen darin die Handschrift Dzongsar Khyentse Rinpoches, der bei Rigpa vielbeachtete Vorträge hält und dessen Thesen zur uneingeschränkten Hingabe von Schülern an den Guru dort verstärkt werden.3 Hinterfragen, Kritisieren oder Analysieren sind vor diesem Hintergrund kaum vorgesehen und praktisch unmöglich, da sie als Selbstanmaßung von unerleuchteten Schülern interpretiert werden, die den Nutzen der Handlungen des Gurus zum Besten aller nicht erkennen – selbst wenn diese scheinbar grundlegenden Maßstäben der Menschlichkeit zuwiderlaufen.


Friedmann Eißler


Anmerkungen

  1. www.rigpa.de/wp-content/uploads/2017/12/rigpa_verhaltenskodex_juni_2018_finalweb_ger.pdf.
  2. www.rigpa.de/wp-content/uploads/2017/12/rigpa_verhaltenskodex_juni_2018_finalweb_ger.pdf 
  3. S. dazu Friedmann Eißler, Was sagen hohe Lamas zum Lehrer-Schüler-Verhältnis? Reaktionen im Kontext des Rigpa-Skandals um Sogyal Rinpoche, in: MD 11/2017, 424-428.