Rückgabe der Friedensstadt vor 25 Jahren
(Letzter Bericht: 5/2011, 187f; vgl. auch 3/2008, 100-103) Am 29. März 1994 wurde die Friedensstadt an das heutige Oberhaupt der Johannischen Kirche, Josephine Müller, vom russischen Generalleutnant Zwetkov symbolisch übergeben.
Die Friedensstadt entstand als Siedlungsprojekt der Johannischen Kirche seit den 1920er Jahren in den Glauer Bergen, ca. 30 Kilometer südlich von Berlin. Wie schon so oft zuvor in der Geschichte sollte ein Neues Jerusalem errichtet werden. Dieser Gedanke wird bis heute fortgetragen. Initiiert wurde das Bauprojekt vom Stifter der religiösen Sondergemeinschaft Joseph Weißenberg (1855 – 1941), der seinen Anhängern in Anbetracht einer aufkommenden Inflation den Ankauf von Land empfahl. In der Weimarer Republik galt die „Christliche Siedlungsgenossenschaft Waldfrieden“, wie die Friedensstadt ursprünglich hieß, als eine der modernsten Wohnsiedlungen – mit sozialer Infrastruktur, die auch eine Schule, ein Altenheim, landwirtschaftliche Betriebe sowie Werkstätten umfasste. Sie wurde aus den Eigenmitteln der Mitglieder der Religionsgemeinschaft finanziert, die treuhänderisch von Weißenberg verwaltet wurden. Weißenberg zog in hohem Alter im Jahr 1932 von seiner langjährigen Berliner Wohnung in die Friedensstadt.
Joseph Weißenberg entstammt einer katholischen Familie und wurde in Fehebeutel im heutigen Polen geboren. Er verdingte sich u. a. in der Landwirtschaft, wurde Maurer und versuchte sich als Wirt. Prägend waren seine Jahre im Militärdienst und das damit verbundene soldatische Leben unter dem Vorzeichen von Gehorsam und Disziplin. Im Jahr 1903 eröffnete Weißenberg schließlich am Prenzlauer Berg in Berlin eine erfolgreiche Praxis als „Heilmagnetiseur“ mit vermeintlich paranormalen Begabungen. Volkstümliches Naturheilwissen sowie christliche Gebetspraktiken spielten bei seinen Heilbehandlungen ebenso eine Rolle wie die Vertreibung von krankmachenden Geistern mittels Handauflegens. Von seinen Sympathisanten wurden Weißenberg Fähigkeiten im Hellsehen, Hellhören, Hellfühlen und erfolgreiche Heilungen selbst schwerer Krankheiten zugeschrieben. Zugleich bestritt er zahlreiche gerichtliche Verfahren wegen „Kurpfuscherei“ und anderer auf ein Berufsverbot zielender Vorwürfe, die im Kontext der Hegemoniebestrebungen der modernen Medizin im Zeitalter der Industrialisierung zu betrachten sind.
Die heilpraktischen Tätigkeiten Weißenbergs wurden von einem religiösen Weltbild begleitet, das von einer eigenen Auslegung der Bibel getragen wurde. Die „Christliche Vereinigung Ernster Forscher von Diesseits nach Jenseits, wahrer Anhänger der christlichen Kirchen“ wurde 1907 amtsgerichtlich mit dem Ziel eingetragen, den christlichen Glauben zu befördern. Sie verfolgten eine restaurative Utopie und wollten eine Gemeinschaft nach dem Vorbild der christlichen Urkirche erschaffen. Auch die Verbindung zur Geisterwelt, allen voran zu den sogenannten Geistfreunden, spielte eine zentrale Rolle. In den gottesdienstlichen Versammlungen traten – durch Medien in Trance vermittelt – v. a. historisch bekannte Persönlichkeiten wie Fürst Otto von Bismarck in Erscheinung. Weißenberg selbst agierte allerdings nicht als Medium, sondern konnte Medien durch „An- und Ausschalten“ der Geistfreunde manipulieren. Die religiöse Gruppe um Weißenberg muss daher ins Umfeld eines neuzeitlichen Spiritismus – in dem Geister ein Teil der sozialen Wirklichkeit waren –, gerückt werden. Ihr religiöser Anführer selbst versuchte sich jedoch vehement vom Spiritismus zu distanzieren, indem er die Geistfreundreden in die Tradition des pfingstlichen Zungenredens (Apg 2,4) stellte.
Weißenberg verstand sich darüber hinaus als personale Offenbarung des Heiligen Geistes und wurde als solche von seinen Anhängern verehrt. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin, dem Medium Grete Müller (1882 – 1978), sowie seinen beiden Töchtern Frieda (1911 – 2001) und Elisabeth (1912 – 2001) bildete er die „Heilige Familie“. Die Gemeinschaft ist damals wie heute theokratisch organisiert. Die Leitung wird dynastisch vererbt, sodass zurzeit Josephine Müller (geb. 1949), die Enkelin Weißenbergs und Tochter Frieda Müllers, der Kirche als Oberhaupt vorsteht. Sie leitete im Jahr 2003 eine Gemeindereform ein, durch die die Geschlechtertrennung in Gruppen aufgehoben und die Gemeindearbeit auf eine breitere soziale Basis gestellt wurde.
In den Geistfreundreden wird, dem Selbstverständnis der Johannischen Kirche folgend, die göttliche Offenbarung bis heute fortgesetzt und ein drittes Testament, das die Lehren des „Meisters“ beinhaltet, im nun dritten Zeitalter des Heiligen Geistes fortgeschrieben. Die Johannische Kirche teilt die Zeit in drei Epochen ein, denen drei Erkenntnisstufen und Testamente entsprechen: das Alte Testament, in dem Mose die göttliche Ordnung mit den Zehn Geboten gegeben wurde, das Neue Testament, durch das Jesus Christus das Gebot der Nächstenliebe verkündete, und das Testament des Heiligen Geistes, das mit Joseph Weißenberg begann, ein tätiges Christentum zum Inhalt hat und in dem bis heute die Heilung mit dem „Sakrament der geistigen Heilung“ eine zentrale Rolle einnimmt. Dementsprechend befand sich in der Friedensstadt ein Heilinstitut, das bereits 1996 als medizinisches Gesundheitszentrum wiedereröffnet wurde. In diesem Sinnzusammenhang wurzelt das heutige karitativ engagierte „Johannische Sozialwerk e. V.“, das z. B. Träger von Sozialstationen, Kindergärten und Senioreneinrichtungen ist. Für ihr soziales Werk wurde Frieda Müller, die die Johannische Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufbaute und umstrukturierte, im Jahr 1976 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.
Weißenberg konnte nach dem Ersten Weltkrieg stetig Anhänger dazugewinnen, sodass sich bis 1935 fast 400 Gemeinden gründeten, denen schätzungsweise 60000 bis 120000 Mitglieder angehörten. Die meisten davon entstammten einem preußisch-protestantischen Milieu mit einer konservativen Grundhaltung. Im Jahr 1926 trat der vom Katholizismus zum Protestantismus konvertierte Weißenberg nach heftigen Auseinandersetzungen mit kirchlichen Vertretern aus der evangelischen Kirche aus und gründete die „Evangelisch-Johannische Kirche nach der Offenbarung St. Johannis“, seit 1975 als „Johannische Kirche“ bezeichnet. Seinem Beispiel folgten viele aus seiner Gefolgschaft. Gründe für die Abspaltung von der evangelischen Kirche lagen u. a. in der Person und dem Selbstverständnis Weißenbergs als Personifizierung des Heiligen Geistes, seiner Reinkarnationslehre der menschlichen Seele und der Weißenberg‘schen Haltung zur Offenbarung. Dabei intendierte Weißenberg eigentlich keine Separation, sondern strebte vielmehr eine innerkirchliche Reformation (z. B. durch Amtsübernahmen) an, die einen weiteren Kristallisationspunkt des Konflikts bildete.
In der Zeit des Nationalsozialismus sympathisierte Weißenberg zunächst mit Hitler, in dem er einen gottgesandten Führer zu erkennen glaubte, und der nationalsozialistischen Ideologie, die seiner konservativ-deutschnationalen Gesinnung sowie seiner Hingabe an das Militärische entsprach. In der Gründung des „Kriegsvereins ‚Ewiges Leben‘ E. V. Verein deutscher Männer“ sowie in der militärischen Anmutung von Uniformen und Paraden der Kirche fand diese Hingabe ihren symbolischen Ausdruck. Seitens der Nationalsozialisten wurde ab 1935 jedoch eine Kampagne gegen die Weißenberger geschaltet, die im Verbot des Publikationsorgans „Der Weiße Berg“ ihren Anfang nahm und schließlich in ein Verbot der „Evangelisch-Johannischen Kirche nach der Offenbarung St. Johannis“ durch die Geheime Staatspolizei mündete. Von den Nationalsozialisten verfolgt, starb Joseph Weißenberg 1941 in der schlesischen Verbannung.
Die nationalsozialistische Diktatur bedeutete auch für die Friedensstadt eine Zäsur: Bereits im Jahr 1938 von der SS in Beschlag genommen, erfolgte 1940 der Zwangsverkauf an den NS-Staat. Zeitweilig fungierten die Anlagen als Außenkommando des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Die von Weißenberg als Luftkurort geplante Siedlung wurde mit Kriegsende 1945 von der Roten Armee besetzt und später von den sowjetischen Truppen als Kaserne und das Land als Truppenübungsplatz genutzt. In der Zeit der Besatzung pflegten die Mitglieder der Johannischen Kirche ein gutes Verhältnis zu den sowjetischen Truppen, und noch heute steht die Gemeinschaft „in freundschaftliche[r] Verbundenheit zum russischen Volk“ (Josephine Müller zitiert nach „Ein Symbol für Licht und Verbundenheit“, in: Weg und Ziel 14, 2019, 1). Nach Abzug der Besatzungsmacht bemühte sich die Johannische Kirche um den sukzessiven Aufbau der maroden Gebäude. Inzwischen gilt die Friedensstadt wieder als eines der geistigen Zentren der zahlenmäßig kleinen Religionsgemeinschaft, die in Berlin und Brandenburg seit 1996 den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts trägt.
Jeannine Kunert