Ryke G. Hamer, Gründer der Germanischen Neuen Medizin, gestorben
(Letzter Bericht: 11/2015, 429f) Am 2. Juli 2017 verstarb 82-jährig in Sandjeford (Norwegen) der Vater der „Germanischen Neuen Medizin“ (GNM), der ehemalige Arzt Ryke Geerd Hamer. Dorthin hatte er sich 2007 zurückgezogen, da in verschiedenen Ländern Strafverfahren gegen ihn im Gange waren. „Wir trauern um den Entdecker der Neuen Germanischen Heilkunde, einen liebenswerten Menschen- und ganz besonderen Tierfreund, einen Wissenschaftler – ohnegleichen“, heißt es nun auf einer internen Facebook-Seite seiner Anhänger.
Der 1935 geborene Hamer stammte aus einer Pastorenfamilie – sein Vater war Pfarrer, sein Bruder Missionar und später Professor für Religions- und Missionswissenschaft. Er selbst erwarb vor dem Medizinstudium einen Magisterabschluss in evangelischer Theologie. Hamer hatte aufgrund eigenwilliger Geschäftspraktiken und eines Auseinanderklaffens von beruflichem Können und Lebensstilansprüchen bereits diverse juristische Auseinandersetzungen hinter sich, als 1978 sein Sohn im Urlaub erschossen wurde. Als er selbst 1979 an Hodenkrebs erkrankte, erkannte Hamer einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen und entwickelte die (erst ab 2005 so genannte) Germanische Neue Medizin (www.neue-medizin.de), der zufolge alle Krankheiten, von Krebs bis Karies, eigentlich Heilungsprozesse zur Verarbeitung vorheriger schockartiger Auslöser seien. Für andere Krankheiten (Aids) und Erreger (Viren) bestritt Hamer, dass sie überhaupt existieren. Die Richtigkeit dieser Lehre bestätigte ihm sein toter Sohn Dirk, der ihm im Traum erschien. Der Versuch, sich mit seiner Lehre zu habilitieren, scheiterte 1982 an der Universität Tübingen.
In den 1980er Jahren gründete Hamer einige Krebskliniken, denen die Patienten wegstarben und die darum weder medizinisch noch wirtschaftlich Erfolg verzeichneten. 1986 wurde ihm die Approbation als Arzt entzogen, das Urteil konstatierte eine psychopathologische Störung, auch spätere Urteile beziehen sich auf Wahnvorstellungen. Es folgten zahlreiche Verurteilungen wegen unberechtigter ärztlicher Tätigkeit, Betrugs, Volksverhetzung und Körperverletzung. Sie führten zu längeren Gefängnisstrafen in Frankreich und Deutschland. 2007 zog Hamer nach Norwegen, wo er europaweit weiter illegal praktizierte, juristisch aber weitgehend unbehelligt blieb. Eine große Zahl verstorbener GNM-Patienten ist dokumentiert. Am bekanntesten wurde der Fall des österreichischen Mädchens Olivia Pilhar, die von ihren Eltern 1995 heimlich nach Spanien zu Hamer gebracht wurde, um sie der Schulmedizin zu entziehen. Nur ein Sorgerechtsentzug und eine Operation retteten ihr Leben. Ihr Vater, der Ingenieur Helmut Pilhar, wurde danach zum hauptberuflichen Propagandisten der Hamer‘schen Lehren.
Im Laufe der Jahre wurden für Hamer zahlreiche Verschwörungstheorien immer wichtiger. Daher rühren wohl auch die Überschneidungen zwischen GNM und der Reichsbürgerszene. So integrierten Hamer und Helmut Pilhar Elemente reichsbürgerlicher Parallelrealität in ihr reiches verschwörungstheoretisches Arsenal. Diverse Reichsbürger wie etwa der Wittenberger Peter Fitzek bekennen sich zur GNM. Anschlussfähig für Reichsbürger ist dabei sowohl die verschwörungstheoretische Weltsicht als auch Hamers ausgeprägter Judenhass („jüdische Logen“ kontrollieren die Schulmedizin und verfolgen ihn).
Bis heute sind Hamers Vorstellungen eines psychischen Auslösers sowie eines rein psychischen Therapieansatzes in alternativmedizinischen und impfgegnerischen Kreisen populär. Eine Kondolenzseite im Internet hatte zwei Wochen nach seinem Tod mehrere hundert Einträge in vielen verschiedenen europäischen Sprachen (germanischeheilkunde-drhamer.com/abschied/abschied.php).
Nach Hamers Tod schreibt Helmut Pilhar auf der GNM-Webseite zunächst enttäuscht: „Du hattest mir doch versprochen, Du würdest 105 Jahre alt werden!“, gibt dann aber Durchhalteparolen an die „Echten“ unter den Anhängern aus: „Dein Vermächtnis, lieber Geerd, hast Du an uns weitergereicht! Wir werden es hüten und weitertragen. Niemals wirst Du den Echten in Vergessenheit geraten. Du wußtest schon zu Lebzeiten, dass Du unsterblich wirst. Dein Vermächtnis war das Geschenk der Götter an Dich!“ (www.germanische-heilkunde.at/index.php/startseite.html)
Mit dem Tod des Gründers wird sich entscheiden, ob die Bewegung verschwindet – ihre Ideen könnten dabei im alternativmedizinischen Feld trotzdem weiterwirken – oder ob sie den Übergang schafft und (z. B. unter Führung Helmut Pilhars) transformiert weiterbesteht. Der Bruno-Gröning-Freundeskreis zeigt, dass sogar der vorzeitige Krebstod des Gründers eine auf Wunderheilungsglauben fußende Weltanschauung in den Augen ihrer Anhänger nicht endgültig desavouieren muss.
Kai Funkschmidt