S. N. Goenka gestorben
(Letzter Bericht: 2/2013, 53-57) Der weltweit bekannte Lehrer der Vipassana-Meditation S. N. Goenka ist tot. Param Pujya Gurudev Shri Satya Narayan Goenka sei am 29. September 2013 im reifen Alter von 90 Jahren in seiner indischen Heimat friedlich eingeschlafen, teilte eine kurze Nachricht auf der zentralen Homepage www.dhamma.org mit, die durch eine Notiz in „Buddhismus aktuell“ (1/2014, 80) weitere Verbreitung fand.
Die Vipassana-Meditation nach S. N. Goenka ist durch 10-Tage-Kurse bekannt geworden, in denen die Teilnehmenden in strenger Abgeschiedenheit und mit striktem Reglement „ihre Konzentrations- und Wahrnehmungsfähigkeit“ schulen, um „die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind“ (Internetseite der deutschen Vipassana-Vereinigung).
Satya Narayan Goenka wurde 1924 (1921?) als Spross einer wohlhabenden indischen Familie in Birma geboren. Auf der Suche nach Linderung für sein Migräneleiden stieß er auf den birmesischen Vipassana-Meister Sayagyi U Ba Khin und wurde dessen Schüler. Nach dem Tod U Ba Khins 1971 widmete er sich ganz der Weitergabe der Meditationstechnik in prinzipiell kostenfreien Kursen auf Spendenbasis, die inzwischen nach Eigenaussagen weltweit von knapp 700 Assistenzlehrern in über 100 etablierten Zentren angeboten werden.
Das Paliwort Vipassana bedeutet Einsicht oder Klarblick und steht für buddhistische Verfahren der Achtsamkeitsübung, die ursprünglich im Theravada-Buddhismus beheimatet sind und in unterschiedlichen Traditionen gelehrt werden. Die stark empfindungs- und körperorientierte Praxis nach Goenka ist eine besonders intensive Meditationstechnik, die auf Buddha Siddharta Gautama selbst zurückgehen soll und daher als besonders authentisch und wirksam gilt. Im Kern geht es um „eine tiefgreifende Betrachtung und Erforschung der eigenen körperlichen und geistigen Realität“, die schrittweise negative Empfindungen und Verhaltensmuster (wie Verspannung, Ärger, Gier, Angst und Ungeduld) abbauen und positive Qualitäten (wie Ausgeglichenheit, Toleranz und Mitgefühl) entwickeln helfen sollen. „Selbstreinigung durch Selbstbeobachtung“ ist der Grundsatz, der als „ein universelles Heilmittel für universelle Probleme“ betrachtet wird. Angefangen mit dem achtsamen Ein- und Ausatmen soll die Einsicht in die wahre (leidvolle und von Vergänglichkeit geprägte) Natur der Dinge eingeübt werden, um letztlich die Erleuchtung und damit die Erlösung vom leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten zu erlangen. Dazu werden strenge Regeln eingehalten, denen genauestens Folge zu leisten ist. Der Tag beginnt um vier Uhr morgens und beinhaltet sieben bis zehn Stunden Einzel- und Gruppenmeditationen mit mehreren Pausen zur Einnahme einfacher vegetarischer Mahlzeiten. Jede Kontaktaufnahme, jede Art von Kommunikation mit Mitmeditierenden oder nach außen ist untersagt („Edle Stille“), auch die Gespräche mit dem Lehrer bzw. der Lehrerin sind auf ein Minimum beschränkt. Mobiltelefone werden abgegeben, es gibt keine Bücher, keine Musik, keine Notizen, keine körperliche Betätigung. Wie Novizen beim Eintritt in ein Kloster geloben die Kursteilnehmer die Einhaltung der fünf buddhistischen Verhaltensregeln: kein lebendiges Wesen zu töten, nicht zu stehlen, sich jeglicher sexueller Aktivitäten zu enthalten, nicht zu lügen und keine Rauschmittel zu sich zu nehmen. Zum Programm gehört auch die Zufluchtnahme zum „Dreifachen Juwel“, d. h. zu Buddha, Dhamma und Sangha (was gewöhnlich als Bekenntnis zum buddhistischen Weg der Befreiung vom Leiden gilt).
Die Veranstalter machen darauf aufmerksam, dass physische und psychische Gesundheit Voraussetzung für die Teilnahme an den Kursen ist. Hier setzt aber auch Kritik an. Selbst für gesunde Menschen wird die extreme Reizreduzierung und Konzentration auf sich selbst zur Belastungsprobe. Die Gefahr psychischer Probleme ist erheblich, die Kursleiter scheinen hier nicht in allen Fällen die nötige Verantwortung zu übernehmen. Anlass für Kritik gibt auch der mit der unhinterfragbaren Autorität von S. N. Goenka verbundene Exklusivitätsanspruch. Zwar wird Vipassana als eine „Kunst zu leben“ bezeichnet, die jedem unabhängig von religiöser oder weltanschaulicher Bindung zugänglich sei. Es sei kein Kult, kein Dogma, sondern ein neutrales Verfahren. Dass dieses „nichts mit Religion oder Weltanschauung“ zu tun habe, ist jedoch unzutreffend. Die Vipassana-Technik wird als Essenz der Buddhalehre bezeichnet, die Instruktionen Goenkas sind von religiöser Rede durchzogen und durchgehend auf die gläubige Annahme der buddhistischen Vorstellung von Karma und Wiedergeburt bis hin zur letztendlichen vollkommenen Befreiung bezogen. Dazu kommt, dass Goenka andere religiöse Formen und Institutionen als „devotional games“ und alles Nachdenken als intellektuelle Spielerei abtut, während er in Bezug auf seine Lehre absolute Autorität beansprucht.
Kurse gibt es in Deutschland seit 1983, seit 2002 in Triebel im Sächsischen Vogtland, wo sich der Sitz der deutschen Vipassana-Vereinigung befindet (Vipassana-Meditationszentrum Dhamma Dvāra). Im deutschsprachigen Raum gibt es darüber hinaus Zentren in Dilsen-Stokkem (unweit von Maastricht, Belgien), in Wien und im westschweizerischen Mont Soleil. Kurse für Fortgeschrittene und Führungskräfte werden seit 2010 im erweiterten Vipassana-Zentrum in Herefordshire „Dhamma Padhāna“ (Westengland) angeboten.
Friedmann Eißler
Weitere Informationen:
S. N. Goenka, Die Zusammenfassungen der Diskurse, zusammengestellt von William Hart, Seligenstadt 1991 (engl. Original 1987)
Christoph Grotepass, Zu sich oder ins Nirvana finden – gemeinsam einsam schweigsam. Die Vipassana Meditation im 10 Tage Kurs nach S. N. Goenka, März 2010 (www.sekten-info-nrw.de).