Säkulare Humanisten plädieren für eine Reformation des Religionsrechts
Ein neues Schlagwort macht im Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) und seinen Mitgliedsorganisationen die Runde: kooperative Laizität. In Diskussionen, Publikationen, im persönlichen Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern atheistischer und säkularer Organisationen und Bewegungen wird es genannt, hervorgehoben und als religionspolitische Aufgabe der Gegenwart dargestellt. Die Chiffre kooperative Laizität bezieht sich auf Altbekanntes. Sie dient dazu, die seit Jahren ausgesprochenen politischen Forderungen des Humanistischen Verbandes und anderer säkularer Organisationen zusammenzufassen.
Humanistische Verbände vertreten keinen strikten Laizismus. Sie würden damit in Widerspruch treten zu ihrem praktischen Engagement im öffentlichen Raum (Humanistische Lebenskunde, Kindertagesstätten, Hospize etc.). Kooperationen zwischen dem Staat und den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften darf es geben. Das bisher geltende historisch gewachsene Modell der Offenheit des Staates für das Religiöse soll jedoch so reformiert werden, dass die Ansprüche von nichtreligiösen Menschen eine deutlichere Berücksichtigung finden, entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung. Klassische freidenkerische Anliegen sind im Konzept der kooperativen Laizität verbunden mit Anknüpfungen an die Tradition freireligiöser Gemeinden und die Perspektiven eines praktischen Humanismus.
Der HVD betrachtet nichtreligiöse Menschen als diskriminierte Minderheit. „Wer nicht Mitglied einer Kirche oder anderen religiösen Glaubensgemeinschaft ist, hat oftmals die schlechteren Karten: auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungssystem, in der Politik, in den öffentlichen Medien, in der öffentlichen Wahrnehmung. Es ist nun an der Zeit, endlich die volle Gleichberechtigung und Gleichbehandlung von religiösen und nichtreligiösen Menschen umzusetzen.“ Im Jahr des Reformationsjubiläums, in dem an religiöse und kulturelle Impulse der reformatorischen Bewegungen des 16. Jahrhunderts erinnert wird, plädieren atheistisch gesinnte Humanisten für grundlegende Reformen des Religionsrechts in Deutschland.
Öffentliche Thesenanschläge – „Aufruf zur Gleichstellung konfessionsfreier und nichtreligiöser Menschen in Deutschland“– unterstreichen die religionspolitische Agenda des HVD und verfolgen werbende Absichten (www.reformation2017.jetzt). 33 Thesen, die der Antidiskriminierungsschrift des HVD „Gläserne Wände“ entstammen, werden an öffentlichen Gebäuden angebracht: an Rathäusern, Kommunalparlamenten, Bibliotheken, Kulturzentren. Die Forderungen lauten u. a.: keine religiösen Symbole in Amtsräumen, Anerkennung und Gleichbehandlung von humanistischen und nichtreligiösen Feiertagen, Abschaffung des staatlichen Kirchensteuereinzugs, Einstellung von 50 bis 100 humanistischen Beraterinnen und Beratern in die Bundeswehr, Einführung des Unterrichtsfachs Humanistische Lebenskunde an allen öffentlichen Schulen.
Selbstverständlich hat der HVD das Recht, die Interessen seiner ca. 25000 Mitglieder zu vertreten. Humanistische Verbände verlieren jedoch ihr weltanschauliches Profil, wenn sie für sich in Anspruch nehmen, die Interessenvertretung aller nichtreligiöser Menschen (ca. 26 Millionen) zu sein. Zugleich bleibt meines Erachtens offen, ob die angestrebte humanistisch-atheistische Reformation sich eher einer freidenkerisch ausgerichteten Tradition verpflichtet sieht oder den Anliegen eines praktischen Humanismus.
Die religiös-weltanschauliche Landschaft hat sich fraglos verändert. Die Pluralismusfähigkeit des kooperativen Laizismus ist allerdings zu bezweifeln. In dem humanistischen Reformationsprojekt erfolgt die Kategorisierung von Menschen als „nichtreligiös“ viel zu pauschal. In pluralistischen Gesellschaften, die die Freiheit in der Religionsausübung betonen, sollte es weder religiöse noch nichtreligiöse Vereinnahmungen geben. Zum offenen Dialog gehört das jedem Beteiligten zuzuerkennende Recht, sich selbst zu definieren und den eigenen religiösen und weltanschaulichen Interessen zu folgen.
Reinhard Hempelmann