Salafiten in Deutschland
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„Dialog und Integration sind nur für dein Verderben!“1 Unmissverständliche Botschaften wie diese sind bei Salafiten keine Seltenheit. Sie verstehen sich als die wahren Vertreter des Islam und werben professionell vor allem im Internet, aber auch bei Kundgebungen, Vortragsveranstaltungen oder mit Informationsständen in Fußgängerzonen. Ihr radikales Islamverständnis teilt die Welt in Gut und Böse und imponiert besonders jungen Menschen auf der Suche nach Identität und Orientierung. Die Rückkehr zur „wahren Religion“ und einer islamischen Gesellschaftsordnung, die das herrschende politische System und deren Repräsentanten ablösen soll, wird als Lösung gegenwärtiger Probleme gepriesen. Aufsehen erregte 2010 der Vorschlag des salafitischen Predigers Pierre Vogel, in Problemvierteln eine Zeitlang versuchsweise die Scharia anzuwenden.2 Als der geplante Umzug einer vom Verfassungsschutz beobachteten Islamschule von Braunschweig nach Mönchengladbach Proteste der Bevölkerung auslöste, wurden salafitische Gruppierungen zum Thema in der Öffentlichkeit. Vollends bekannt machte die strengen Glaubensbrüder die mediale Aufmerksamkeit im ersten Halbjahr 2011, die ihnen dadurch zuteil wurde, dass zuerst der Bundesinnenminister, dann die Innenministerkonferenz und schließlich der Verfassungsschutzbericht kurz nacheinander vor der intensiven Propagandatätigkeit und dem Radikalisierungspotenzial in diesem Milieu warnten.3
Salafismus
Salafiten4 folgen einem radikalen Islamverständnis, das sich auf den Buchstaben des Korans und der Überlieferungen des Propheten Muhammad (Sunna) beruft und die Frühzeit des Islam idealisiert. Der Begriff Salafismus, arabisch Salafiyya, fasst eine Reihe unterschiedlicher politischer und religiöser Bewegungen zusammen. Gemeinsamer Bezugspunkt ist die Grundüberzeugung, dass die ursprüngliche und wahre Religion von Muhammad verkündet und von den drei ersten muslimischen Generationen (as-salaf as-salih, „die lauteren Vorfahren“) bewahrt worden war, jedoch im Laufe der Zeit durch religiöse „Neuerungen“ (bida’) unzulässig verändert, geschwächt oder gar verdorben wurde. Aus diesem Grund wird es abgelehnt, einer der traditionellen Rechtsschulen „blind“ zu folgen (taqlid) – obwohl man selbst klare Präferenzen für die hanbalitische Lehre hat –, vielmehr soll jeder Verantwortung übernehmen, sich Wissen über den (recht verstandenen) Islam aneignen, dieses durch Erziehung bzw. Bildung weitergeben (tarbiya) und durch Einladung zum Islam (Mission, da’wa) den wahren Glauben aktiv verbreiten. Dieser zeigt sich in der vorbehaltlosen Hingabe an den einen Gott (Lehre von der Einheit und Einzigkeit Gottes, tauhid) und der radikalen Abwehr von shirk, d. h. Gott irgendetwas oder jemanden zur Seite zu stellen. Darunter fällt jede Form von Vielgötterei und Aberglauben, auch Heiligenverehrung und das Paktieren mit menschlichen Einfällen aller Art. Strenger Gebotsgehorsam wird propagiert (hisba, Muslime müssen „das Rechte gebieten und das Verwerfliche verbieten“, Koran Sure 3,104), gegen Abweichungen von der „reinen Lehre“ wird mit harscher Kritik und Ablehnung Front gemacht. Da diesen Versuchungen nicht nur die Nichtmuslime, sondern auch viele Muslime erliegen, verläuft für Salafiten die Linie zwischen Glauben und Unglauben (kufr) quer durch den Islam. Sie wird von Hardlinern durch takfir (Absprechen des Glaubens, „für ungläubig Erklären“ von Muslimen durch Muslime) scharf markiert. Notwendig ist in den Augen der Salafiten eine Erneuerung des Islam von der Wurzel her. In diesem Sinne stellt sich der Salafismus als islamische Reformbewegung dar. Ziel ist die (Wieder-)Herstellung einer vollkommenen und geeinten, von allen Fremdeinflüssen gereinigten muslimischen Gemeinschaft (umma) in transnationaler Perspektive auf der Basis eines buchstabengetreuen Scharia-Islam.
Verschiedene salafitische Richtungen
Reform, ja – doch was die Rückkehr zum ursprünglichen Islam praktisch zu bedeuten hat, war immer umstritten und hat dementsprechend unterschiedliche Richtungen hervorgebracht. Die geistige Genealogie des Salafismus reicht über Muhammad ibn Abd al-Wahhab (gest. 1792) und Taqi ad-Din ibn Taimiyya (gest. 1328) zurück bis Ahmad ibn Hanbal (gest. 855). Insbesondere die saudische Variante des Salafismus, der sogenannte Wahhabismus, der durch die politische Verbindung des Religionsgelehrten Ibn Abd al-Wahhab mit dem Gründer-Clan Saudi-Arabiens quasi Staatsreligion werden konnte, wurde und wird mithilfe der durch den Erdölreichtum verfügbaren finanziellen Ressourcen in alle Welt exportiert. Der Wahhabismus hat die Sittenstrenge der hanba-litischen Rechtsschule übernommen und akzentuiert darüber hinaus nach dem Prinzip al-wala’ wa-l-bara’ (etwa: „Loyalität und Meidung“, vgl. Sure 5,51; 9,113) eine klar ablehnende Haltung gegenüber Andersgläubigen.5
Seit jeher umstritten war die Frage, ob man angesichts eines Herrschers oder einer Regierung, die den islamischen Ansprüchen (Scharia) nicht genügt, allein auf die reinigende Wirkung von Erziehung und Mission setzen sollte oder ob der wahre Gläubige sich – auch mit Gewalt – aktiv erheben müsse. Die puristisch-missionarische Interpre-tation wird mit Namen wie Nasir ad-Din al-Albani (gest. 1999) oder Muqbil ibn Hadi al-Wadi’i (gest. 2001) verbunden. Die revolutionär-aktivistische Linie führte vom klassi-schen Dschihad-Gedanken über Vordenker des radikalen Islamismus wie den Ägypter Sayyid Qutb (hingerichtet 1966) zum militanten Dschihadismus der Gegenwart. Die hisba (s. o.) und der Widerstand gegen den „Unglauben“ werden politisiert und legitimieren schließlich Terror und Gewalt. Dazwischen werden „politische“ Salafi-Strömungen ausgemacht, deren islamistische Ansichten etwa denen der Muslimbru-derschaft nahekommen – wobei die politische Sprengkraft des Salafismus jedoch nur graduell unterschiedlich verteilt ist.
Eine frühe, reformorientierte salafitische Richtung ist die der sogenannten „Modernisten“, die – zunächst unabhängig vom Wahhabismus – im 19. Jahrhundert unter dem Eindruck der wachsenden Abhängigkeit vom expandierenden „Westen“ in wirtschaftlicher, politischer und intellektueller Hinsicht entstand. Die Übermacht der christlichen Kolonialherren wurde vielfach als Demütigung der islamischen Welt, ja als Infragestellung des Islam empfunden. Reformer wie der Perser Dschamal ad-Din al-Afghani (1839-1897), der ägyptische Rechtsgelehrte Muhammad Abduh (1849-1905) und des-sen syrischer Schüler Raschid Rida (1865-1935) verbanden auf unterschiedliche Weise die kompromisslose Ausrichtung am islamischen tauhid (s. o.) und der Lebensweise des Propheten mit der gezielten Aneignung moderner Vorstellungen und Errungenschaften. Die Erneuerung sollte einerseits durch strenge Orientierung an Koran und Sunna erfolgen, andererseits durch die Modernisierung des Bildungssystems, der Technologie und der Wissenschaften. Die Brücke sah man in der Vernunftgemäßheit und der Rationalität, die der koranischen Offenbarung ebenso wie der westlichen Moderne zugrunde lägen. In dem Zusammenhang sind die Versuche zu sehen, die Erkenntnisse der modernen Wissenschaften im Koran vorgezeichnet zu finden. Zukunftsweisend waren Ansätze, die versuchten, vernunftbasierte Grundsätze und allgemeine Lehren aus dem frühen Islam abzuleiten, die nach den Erfordernissen der jeweiligen Gegenwart flexibel auszulegen wären.
Es zeigt sich, dass die Orientierung am Koran und an mittelalterlichen Prinzipien einer islamischen Aneignung der Errungenschaften und Vorzüge der Moderne keineswegs grundsätzlich entgegenstehen muss. Am paradoxesten wird dies freilich beim dschihadistischen Salafismus deutlich, der als ideologisch rückwärtsgewandteste Form des Salafismus zugleich seine modernste ist. So wird verständlich, dass sowohl liberale und säkulare als auch religiöse und radikalislamische „Reformansätze“ an den frühen Salafismus anschließen konnten, darunter kleinere missionarische Gruppen wie die indische Tablighi Jamaat, aber auch die politisch bedeutsame Massenbewegung der 1928 in salafitischem Geist gegründeten Muslimbruderschaft. Um das Reformpotenzial des frühen Salafismus von neueren Ideologien der rigiden Übernahme von Verhaltensweisen und Regeln aus dem Arabien des 7. Jahrhunderts, die in scharfem Kontrast zum gesellschaftlichen Kontext artikuliert werden, zu unterscheiden, spricht man im Blick auf letztere von Neo-Salafismus.
Der Einfluss des Salafismus in Deutschland
Die dem Neo-Salafismus zuzurechnenden salafitischen Gruppierungen bilden eine klei-ne Minderheit im breiten Spektrum des Islam in Deutschland. Es werden Zahlen von 2000 bis 5000 Anhängern genannt, dabei wird von 100 missionarisch aktiven Salafiten ausgegangen. Es mag realistisch sein, jeweils höhere Zahlen anzunehmen, sicher ist, dass der auf der wahhabitischen Ideologie basierende Salafismus zu den am schnellsten wachsenden islamistischen Bewegungen gehört. Studien haben gezeigt, dass Radikalisierungsprozesse zum Fundamentalismus bis hin zur terroristischen Gewaltbereitschaft in diesem Umfeld individuell greifen und vor allem schnell ablaufen können.6 Es wird deshalb vom Verfassungsschutz beobachtet. Zentren sind u. a. Köln / Bonn, Frankfurt, Braunschweig und Berlin.
Salafiten setzen sich bewusst von der umgebenden Gesellschaft ab, äußerlich drastisch durch eine Reihe von Eigenheiten im Verhalten, lange Bärte, weite Gewänder und traditionelle Kopfbedeckung, alles nach dem Vorbild des Propheten (Frauen fallen im Vergleich zu konservativen islamischen Kreisen nicht extra auf). Entscheidende Aufmerksamkeit ziehen sie aber durch ihre breit gefächerte Internetpräsenz auf sich. Die Werbung v. a. mit Videoclips von Studiopredigten und Mitschnitten von Vor-tragsveranstaltungen inklusive Konversionen ist aufwendig und gerade für Jugendliche ansprechend gemacht, da die Fragen und Probleme junger Menschen, vor allem in Deutschland aufgewachsener Muslime, positiv und in deutscher Sprache aufgegriffen werden. Es gab Phasen, in denen alle paar Wochen eine neue Website oder eine neue Plattform auftauchte. Wer im Internet Informationen über den Islam sucht, stößt sehr bald auf eine Seite, die für die salafitische Ideologie wirbt. Mit ihr rufen die Da’is (Mis-sionare) zur Konversion zum Islam auf, stellen strikte Geschlechtertrennung und men-schenverachtende Scharia-Praktiken als gottgewollt dar und mahnen zum Abstand von „Ungläubigen“ und deren Verhalten, das unweigerlich göttliche Bestrafung mit ewigen Höllenqualen nach sich ziehe. Dazu gehören die Ablehnung verfassungsrechtlicher Grundsätze und der Demokratie als anmaßendes Menschenwerk („Demokratie verdirbt den Geist!“) – denn nicht Menschen haben das Recht, Gesetze zu machen, sondern allein Gott – sowie die Verbreitung von intoleranten und ausgrenzenden Parolen. Bemühungen um Dialog und Annäherung werden pauschal verächtlich gemacht.
Im Folgenden einige Hinweise zu Personen und Institutionen in knapper Auswahl:
• Pierre Vogel, auch Abu Hamza genannt, ist einer der bekanntesten salafitischen Prediger. Der Rheinländer (geb. 1978) wurde als Boxer Deutscher Junioren-Meister, sagte nach seiner Konversion 2001 zum Islam dem Sport ab, studierte Arabisch und den Koran – eine Zeitlang auch in Saudi-Arabien – und wurde nach 2006 durch Predigten bekannt, die vor allem als Internetvideos kursieren. Durch seine Fähigkeit zu reden und auf junge Menschen zuzugehen avancierte er zum Flaggschiff der Da’wa-Aktivisten in Deutschland, die bei Vortragsveranstaltungen große Hallen füllen. Die Internetportale „Einladung zum Paradies“ und „Die wahre Religion“ wurden durch seine Arbeit maßgeblich geprägt (erst in letzter Zeit differenziert sich die Szene immer mehr aus).
• Abdul Adhim Kamouss wurde in Marokko geboren und ist in Deutschland aufgewachsen, absolvierte in Berlin ein Elektronikstudium und verbreitet seine Islambotschaften seit 2005 in der Al-Nur-Moschee in Berlin-Neukölln. (Hier begann dann auch Pierre Vogels „Karriere“.) Der smarte Imam predigt auch in anderen Moscheegemeinden und ist weit über Berlin hinaus als gefragter Referent unterwegs. „Popstar unter den muslimischen Predigern“, „Moslem-Macher“ – und „radikalisierungsfördernd“ sind Attribute, die im Zusammenhang mit ihm gebraucht werden. Auf der Internetseite „Islamvoice“ (Tauhid e.V.) werden viele seiner Vorträge als Video oder Audiodatei prä-sentiert.
• Hassan Dabbagh (Abul Hussain) leitet seit 1995 den größten Moscheeverein in Ost-deutschland, die Al-Rahman-Moschee im Zentrum von Leipzig. Der Imam wurde 2009 wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung und Verbreitung volksverhetzender Schriften staatsanwaltlich angeklagt, das Verfahren wurde im Jahr darauf jedoch mangels Beweisen eingestellt. Dabbagh ruft nicht zur Gewalt auf, gilt jedoch als Kontaktperson für islamische Extremisten. Bekannt wurde der Deutsch-Syrer in der Öffentlichkeit durch mehrere Auftritte in Polittalksendungen im Fernsehen (2006).
• Muhamed Seyfudin Ciftci alias Abu Anas wurde 1973 in Braunschweig geboren und ist dort Imam der „Deutschsprachigen Muslimischen Gemeinschaft“, Mitbegründer einer deutschsprachigen Islamschule (2007) und Geschäftsinhaber des „Moschee-Verlags“ (auch: EZP-Verlag). Bis kurz vor seiner Auflösung war der Deutsch-Türke Vorsitzender des Vereins „Einladung zum Paradies e.V.“ (EZP). Er hat Studien in islamischem Recht betrieben, auch in Saudi-Arabien. Nach eigenen Angaben unterrichtet er ca. 250 Studenten im Fernstudium. Neuerdings distanzierte sich Ciftci von Pierre Vogel, der ihm „zu politisch“ geworden sei.
• Sven Lau, mit arabischem Namen Abu Adam, ist der führende Kopf der Salafiten in Mönchengladbach. Der ehemalige Feuerwehrmann konvertierte vor sechs Jahren zum Islam und führte seinen Mönchengladbacher Moscheeverein „Masjid as-Sunna“ Anfang 2010 mit „Einladung zum Paradies e.V.“ zusammen. Als dessen stellvertretender Vorsitzender betrieb er ab Sommer 2010 den Umzug der Islamschule seines Braunschweiger Mitstreiters Ciftci nach Mönchengladbach-Eicken, der letztendlich jedoch scheiterte.
• Ibrahim Abou-Nagie, Geschäftsmann mit palästinensischen Wurzeln, gehörte anfangs zu den engen Partnern Pierre Vogels, mit dem er „Die wahre Religion“ (DWR) gründete. Er entwickelte sich allerdings radikaler, was offenbar 2008 zum Bruch führte. Vogel trieb mit Ciftci zusammen EZP voran, während Abou-Nagie zusammen mit dem jungen Prediger Abu Dujana DWR umstrukturierte und vor allem auf Internetpropaganda und Koranunterricht für Kinder und Jugendliche in Moscheen setzte. Gegen Abou-Nagie ist jüngst aufgrund der Internetvideos u. a. wegen öffentlicher Anstiftung zu Straftaten und der Störung des religiösen Friedens Anklage erhoben worden. Er hetzt gegen die Ungläubigen (kuffar) und hegt offene Sympathien für terroristische Dschihadisten und sogenannte Märtyrer.
• Der deutsch-ghanaische Ex-Rapper Deso Dogg, 1975 in Berlin als Denis Mamadou Cuspert geboren, nennt sich seit seiner Konversion zum Islam 2010 Abou Maleeq. Er trat im radikalen Umfeld von „Die wahre Religion“ auf, sprach bei Islamseminaren von der Vernichtung der Feinde Allahs und wurde für gewaltverherrlichende Texte bekannt, mit denen er nun für (s)ein radikales Islamverständnis wirbt. In einem religiösen Lied (Nasheed) ruft er zur Auswanderung nach Usbekistan und Afghanistan auf: „In-schallah, inschallah (so Allah will), wir kämpfen, fallen Schuhada (als Märtyrer), den Feind im Auge, Bismillah (im Namen Allahs), Allahu akbar.“ Er dichtet auch: „Scheich Osama, der schönste Märtyrer dieser Zeit / Du bist ein Stern und unendlich weit.“ Und: „Bis zum Ende dieser Welt führt unsere Pflicht uns zum Dschihad.“ 2011 wurde Cuspert wegen illegalen Waffenbesitzes angeklagt und verurteilt.
• Der Ex-Rapper Loon (geb. 1975 als Chauncey Lamont Hawkins in Harlem) tritt seit seiner Konversion als Amir Junaid Muhadith auf. Früher erfolgreich im Rap-Business, fand er nach eigener Auskunft Frieden und volle Zufriedenheit erst im Islam. Er tourt als Publikumsmagnet mit salafitischen Predigern zu Vortragsreisen um die Welt und besuchte dabei auch Deutschland. Der Einsatz von jungen Konvertiten, die aus der sündigen Welt zum wahren Glauben gerettet wurden und das in jugendgemäßer Sprache bezeugen, macht werbewirksam auf die salafitische Mission aufmerksam.
• Weitere Namen von einflussreichen Salafiten-Predigern sind Abu Jamal (Mohamed Benshain, Bonn), Abu Alia oder „Hamza der Grieche“ (Efstathios Tsiounis, Möncheng-ladbach), Abu Jibriel (Mohamad Gintasi, Wuppertal), und Abdellatif Rouali (Frankfurt a. M., Internetseite „DawaFFM“).
• Einladung zum Paradies (EZP): Der Verein dieses Namens um Pierre Vogel und Muhamed Ciftci wurde seit 2006 durch die umfangreiche und äußerst aktive Internetpräsenz gleichen Namens bekannt gemacht. Die Präsentation von Predigtmitschnitten und thematisch geordneten Videobotschaften zu diversen Islamthemen mit Bekehrungsberichten junger Konvertiten und direkten Konversionsangeboten fand in einer Vielzahl ähnlicher Angebote Nachahmung und weitere Verbreitung. Der Verein EZP zog Anfang 2011 von Braunschweig nach Mönchengladbach-Eicken um. Im Sommer 2011 löste er sich jedoch auf, vermutlich um der drohenden Aberkennung der Ge-meinnützigkeit sowie der Einleitung eines Verbotsverfahrens zuvorzukommen. Neben Bürgerprotesten waren einige gravierende Zwischenfälle vorangegangen, darunter eine Brandstiftung, die entgegen den Vorwürfen der Salafiten schließlich diesen selbst zur Last gelegt wurde. Inzwischen wird man beim Anklicken der Internetseite automatisch umgeleitet auf www.MuslimTube.de (dafür verantwortlich zeichnet ein im Oktober 2010 in Hamm registrierter „Medina e.V.“).
• Die wahre Religion (DWR): Die Internetseite (www.diewahrereligion.de) entstand 2005 aus der Zusammenarbeit von Ibrahim Abou-Nagie, Pierre Vogel und einem weiteren Konvertiten. Sie lief eine Zeitlang quasi parallel zu EZP, gehört inzwischen jedoch zum deutlich radikaleren Flügel der salafitischen Bewegung in Deutschland. Anstelle der Demokratie soll der „wahre islamische Staat“ treten, der Kampf dafür wird mehr oder weniger unverhohlen gepriesen; Pierre Vogel und seine Vertrauten wurden gelegentlich als Heuchler und Schwächlinge abgetan.
Alle Genannten stehen mehr oder weniger intensiv in Beziehung zueinander und pflegen rege Kontakte, wobei es in der Vergangenheit durchaus wechselnde Koalitionen gab und die Szene teilweise als heillos zerstritten galt. Sie ist also keineswegs einheitlich. Pierre Vogel (EZP) und Abdul Adhim, auch Hassan Dabbagh, stehen wohl für radikale Vorstellungen, doch haben sie die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung der von ihnen angestrebten islamischen Gesellschaft immer explizit abgelehnt. DWR hingegen ist radikaler, in diesem Umfeld werden Gewalt und die Ideologie des bewaffneten Dschihad legitimiert. Im Blick auf die Ablehnung der westlichen Gesellschaft sind die Unterschiede gering. Bei Vogel läuft es auf einen Formelkompromiss hinaus, ohne dass das Grundgesetz oder die damit verbundenen Werte auf der Basis einer eigenen islamischen Begründung anerkannt würden. Andere sind eindeutiger in der Forderung nach ausdrücklicher Abwendung von der westlichen Gesellschaft und ihren Werten.
Gerade für Jugendliche und junge Erwachsene ist der Salafismus offenbar attraktiv. Er vermittelt Zugehörigkeit, Sicherheit und eine starke Identität, die sich klar abhebt von derjenigen der Eltern wie auch von der dominanten Kultur. Er fordert und ermöglicht aktive Partizipation. Er hat totalitäre Züge, bietet aber die Chance, aus der Nichtbeachtung nicht nur in eine Protesthaltung, sondern in die „Gruppe der Geretteten“ (so eine salafitische Selbstbezeichnung) aufzusteigen, die im Bewusstsein moralischer und ethischer Überlegenheit den unmittelbaren Zugang zur Wahrheit zu haben bean-sprucht. Die Abgrenzung gegenüber anderen, die klare Einteilung in gut und böse, rich-tig oder falsch, islamisch oder unislamisch, die Betonung der Gemeinschaft und die Vorgabe eindeutiger und unveränderlicher Werte und Normen ohne Ambivalenzen: All dies bietet offenbar für viele die Orientierung, die sie – ob als sozial benachteiligte und marginalisierte Migrantenkinder oder als Suchende in der Beliebigkeit des religiös-weltanschaulichen Pluralismus – im „normalen Leben“ vermisst haben.
Sicherlich ist festzuhalten, dass der Salafismus in der hier beschriebenen Weise für die Mehrheit der Muslime hierzulande inakzeptabel ist, ja als „Sekte“ abgelehnt wird. Doch angesichts der Tatsache, dass zwar nicht jeder Salafit ein Terrorist, aber praktisch jeder islamistische Terrorist ein Salafit ist oder Kontakt zu salafitischen Kreisen hatte, ist die unmissverständliche Distanzierung von der salafitischen Ideologie und das wirksame Entgegentreten jeder Form salafitischer Indoktrination in Deutschland die Sache aller und darf nicht allein dem Verfassungsschutz überlassen werden.
Friedmann Eißler
Anmerkungen
1 Der Salafiten-Prediger Ibrahim Abou-Nagie in einem Internet-Video, vgl. dazu Bonner General-Anzeiger vom 9.12.2010.
2 Spiegel-TV Magazin, 20.9.2010.
3 Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) erklärte im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Report Mainz am 9.5.2011, die Salafiten seien im Grunde eine politische Organisation, sie wollten „das Grundgesetz, den Staat im Grunde völlig beseitigen“. Er forderte Aussteigerprogramme für Jugendliche. Im Juni 2011 kündigte die Innenministerkonferenz Maßnahmen zur Abwehr des Salafismus an. Diese fundamentalistisch-islamische Strömung sei der Nährboden für islamistischen Terrorismus. Der kurz darauf präsentierte Verfassungsschutzbericht 2010 betont die wachsende Bedeutung des Salafismus als ideologische Grundlage für islamistische Bestrebungen in Deutschland.
4 Auch: Salafisten. Manche wollen „Salafiten“ als Anhänger der „klassischen“ salafitischen Lehrbildungen von den „Salafisten“ als den Vertretern des politischen und militanten Salafismus unterscheiden, was jedoch begrifflich kaum sauber möglich ist. Unterschiede im Blick auf die Bedeutung und Relevanz der politischen Aspekte sind letztlich gradueller Art, daher wird hier der Begriff Salafiten durchgehend gebraucht. Zur Unterscheidung Salafismus / Neo-Salafismus s. u.
5 Hier wird auch von der Unzulässigkeit oder gar Unmöglichkeit freundschaftlicher Beziehungen zu Nichtmuslimen gesprochen.
6 Die neueren Erkenntnisse zum Phänomen des „homegrown terrorism“ (siehe die 2007 verhaftete „Sauerlandgruppe“) sowie v. a. der erste islamistisch motivierte Terroranschlag in Deutschland mit Todesfolge, verübt von dem jungen Kosovaren Arid Uka im März 2011, haben die Öffentlichkeit diesbezüglich aufmerksamer gemacht.
Literatur
Dantschke, Claudia / Mansour, Ahmad / Müller, Jochen / Serbest, Yasemin, „Ich lebe nur für Allah“ – Argumente und Anziehungskraft des Salafismus. Eine Handreichung für Pädagogik, Jugend- und Sozi-alarbeit, Familien und Politik, hg. von ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH, Berlin 2011
Eißler, Friedmann, Stichwort „Wahhabitischer und salafitischer Islam“, in: MD 9/2008, 351-354 (www.ekd.de/ezw/Lexikon_1740.php)
Institut für Islamfragen der Evangelischen Allianz in Deutschland, Österreich, Schweiz, Pressemitteilung „Was wollen die Salafiten?“ vom 28.7.2011 (www.islaminstitut.de/uploads/media/PM0061.pdf)
Josua, Heidi, Spaß-Islam und Geschlechtertrennung, in: MD 10/2009, 374-379 (über Pierre Vogel)
Müller, Jochen / Nordbruch, Götz / Tataroglu, Berke, Jugendkulturen zwischen Islam und Islamismus. Lifestyle – Medien – Musik, hg. von der Bundeskoordination Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage, Berlin 2008
Roy, Olivier, Der islamische Weg nach Westen. Globalisierung, Entwurzelung und Radikalisierung. München 2006
Schulze, Reinhard, Geschichte der Islamischen Welt im 20. Jahrhundert, München 1994
www.ufuq.de – Jugendkultur, Medien und politische Bildung in der Einwanderungsgesellschaft, Berlin
Internet
www.pierrevogel.de
www.einladungzumparadies.de (= www.ezpmuslimportal.de ), Sommer 2011 umgeleitet auf
www.MuslimTube.de
www.diewahrereligion.de (von Tauhid. e.V., Al-Nur-Moschee Berlin-Neukölln)
www.dawaFFM.de
www.salaf.de
www.wegdersalaf.de
www.salafimedia.de
www.fataawa.de
www.al-tamhid.net
www.takfiris.com