Samuel Külling gestorben
Der in der Gegend von Thun geborene Schweizer Theologe ist am 15. Dezember 2003 im Alter von 80 Jahren verstorben. Am 9. Januar nahm eine große Trauergemeinde in der Reformierten Kirche Basel-Roehen von ihm Abschied. Bereits während des Studiums der Theologie nahm er eine ablehnende Haltung gegenüber der universitären Theologie ein und traf den Entschluss, eine alternative Ausbildungsform zu entwickeln, die durch unbedingte Bibeltreue bestimmt sein sollte. Külling promovierte 1964 an der Freien Universität Amsterdam mit einer Arbeit zum Thema "Zur Datierung der 'Genesis-P-Stücke', namentlich des Kapitels Genesis XVII" zum Doktor der Theologie und war bis 1970 u. a. als theologischer Lehrer an der Bibelschule St. Chrischona und als Professor für Altes Testament an der "Faculté Libre de Théologie Évangélique" in Vaux-sur-Seine (Paris) tätig. 1970 kam es zur Gründung der Freien Evangelisch-Theologischen Akademie (FETA) in Basel, die sich zur Aufgabe setzte, eine Ausbildung für Pfarrer unter Verzicht auf die Methoden historisch-kritischer Bibelforschung zu ermöglichen. Die Hochschule trägt heute den Namen "Staatsunabhängige Theologische Hochschule Basel (STH Basel)", sie versteht sich selbst als "einzige bibeltreue, interdenominationelle Ausbildungsstelle, die ein volles Theologiestudium evangelischer Theologie auf Universitätsniveau anbietet". Külling war mehr als 30 Jahre Rektor der Hochschule und Dozent im Fachbereich Altes Testament und prägte durch seine langjährige Tätigkeit zahlreiche Studentinnen und Studenten. Er war im deutschsprachigen Raum fraglos der bekannteste Repräsentant eines Bibelfundamentalismus, dessen Grundlage die absolute Irrtumslosigkeit (inerrancy) und Unfehlbarkeit (infallibility) der "ganzen Heiligen Schrift in jeder Hinsicht" ist. Mit seiner Auffassung stimmte er überein mit der Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel (1978), in der es u.a. heißt: "Wir verwerfen die Ansicht, daß die Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit der Bibel auf geistliche, religiöse oder die Erlösung betreffende Themen beschränkt seien, sich aber nicht auf historische und naturwissenschaftliche Aussagen bezöge." Diese Positionsbestimmung führte ihn dazu, nicht nur jede Form historisch-kritischer Bibelforschung auszuschließen, sondern auch kritische Stellungnahmen zu einer gemäßigten Rezeption historischer Bibelforschung abzugeben, wie sie in Teilen der evangelikalen Bewegung vorgenommen wird. In der Ausgabe 4/2003 der Zeitschrift Fundamentum (Zeitschrift der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel) würdigt Pfarrer Reinhard Möller das Wirken von Samuel Külling und weist darauf hin, dass sein "letzter geistlicher Kampf" sich auf die Debatte über die angemessene Schriftauslegung in der "Konferenz Bibeltreuer Ausbildungsstätten (KBA)" bezog. Im letzten Rundbrief der Freunde der STH hatte er begründet, warum seine Ausbildungsstätte zur Zeit nicht mehr Mitglied der KBA sein könne: "Seit der Gründung gehören neben bibeltreuen Ausbildungsstätten auch solche dazu, die der Bezeichnung 'bibeltreu' nach unserer Überzeugung nicht entsprechen."
Wie sich hier zeigt, ist die evangelikale Bewegung keineswegs ein einheitliches Gebilde. Zwar ist die Betonung der verpflichtenden Bindung an die Heilige Schrift und die Überzeugung von ihrer göttlichen Inspiration ein gemeinsames Merkmal evangelikaler Frömmigkeit. Zugleich ist nicht zu übersehen, dass evangelikal geprägte Gruppen und Ausbildungsstätten im Blick auf das Bibelverständnis durchaus verschiedene und teilweise widerstreitende Anschauungen vertreten. Külling hat durch seine pointierten und polarisierenden Stellungnahmen gleichermaßen die Anliegen, aber auch die inneren Probleme und Grenzen einer bestimmten Ausprägung des Evangelikalismus zum Ausdruck gebracht.
Reinhard Hempelmann