Satanismus

"Satanistische" Selbstmorde in Sachsen?

In der Nacht zum 26. August 2001 stürzten drei Jugendliche im Alter von 14, 17 und 18 Jahren von der 78 m hohen Göltzschtalbrücke im Vogtland in den Tod. Sie waren mit Stricken an den Handgelenken aneinander gebunden. In einem Abschiedsbrief, den einer der Jugendlichen bei sich trug, wurde als Motiv genannt, sie hätten sich unter dem Leben etwas anderes vorgestellt. „Ich habe keinen Bock mehr auf das Scheiß Leben. Ich will nur noch weg.” Da sich auf dem Brief ein Pentagramm, ein umgedrehtes Kreuz und die Zahl 666 befanden, sprachen Polizei und Staatsanwaltschaft von Anhaltspunkten für einen satanistischen Hintergrund der Tat.

Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen hat sich der älteste der drei Jugendlichen mit okkulten Themen beschäftigt und war der Gothic-Szene zuzurechnen. Dies erklärt die Verwendung der entsprechenden Symbolik. Der Jüngste hatte damit nach Aussage der Angehörigen und Freunde nichts zu tun. Eine Einbindung in eine organisierte Satanisten-Szene ist jedenfalls bei allen drei ebenso wenig erkennbar wie die Teilnahme an satanistischen Kulthandlungen. In welchem Zusammenhang die okkulte Beschäftigung mit dem Selbstmord steht, ist völlig unklar und voreilige Schlüsse sind unangebracht. Im Unterschied zum „Satansmord von Witten” im Juli, wo die Motivation aus einem psychotischen Satanismus deutlich und durch das Geständnis der Täter eindeutig belegt ist, scheinen in diesem Fall die Ursachen an anderer Stelle zu liegen.

Aus dem von Anfang an geäußerten Zusammenhang mit „Satanismus” resultierte ein im Vergleich zu anderen Selbstmorden außergewöhnlich großes Medieninteresse an dem Fall. Zahlreiche regionale und überregionale Zeitungen und Zeitschriften sowie Fernsehsender nahmen den Satanismus zum Ausgangspunkt für ihre Berichte. Dabei gab es sowohl verantwortungsvolle sachgerechte Beiträge als auch wilde Spekulationen. Selbst aus dem Ausland (BBC Radio) interessierte man sich plötzlich für den Satanismus in Sachsen.

Als Problem in der Behandlung des Falles und der Berichterstattung erwies sich wieder einmal, dass der Begriff des „Satanismus” zu allgemein ist, um zu einem wirklichen Verstehen helfen zu können. Schwarze Kleidung und Black-Metal-Musik, das experimentelle Erforschen okkulter Phänomene, die Beschäftigung mit einer exzentrischen Lebensphilosophie oder die Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft sind nicht immer dasselbe. Sie werden aber oft ebenso als „Satanismus” bezeichnet wie gewalttätige oder orgiastische Riten, die landläufig zuerst mit dem Begriff assoziiert werden.

Wenn jugendliche Selbstmörder satanistische Symbolik auf ihrem Abschiedsbrief hinterlassen, müsste darum eigentlich die erste Frage lauten, mit welcher Art von „Satanismus” man es hier zu tun hat und was die Verwendung solcher Symbole in diesem Fall aussagen soll. Statt dessen kam es auch zu einem Aufwärmen von Klischeevorstellungen über „den” Satanismus, den es in der Praxis kaum gibt. Versatzstücke aus Gruselberichten und Horrorfilmen werden zu einem Bild des Satanismus zusammengezimmert, von dem sich bekennende Vertreter satanistischer Ideologie selbst distanzieren.1

Natürlich gibt es – wie vielerorts – auch im Vogtland immer wieder einzelne Personen, die sich aus verschiedenen Gründen selbst explizit als Satanisten bezeichnen und sich ein entsprechendes Outfit geben. Häufigstes Motiv dafür dürfte eine Protesthaltung gegen Schule, Elternhaus und die etablierte Gesellschaft darstellen. Mit Satanismus lässt sich provozieren. Satanismus wird auch benutzt, um sich von anderen abzugrenzen und auf Distanz zu gehen. Dies kann in persönlichen Misserfolgen begründet liegen oder auch Ausdruck psychischer Probleme sein. Ein Satanist wird als gefährlich anerkannt, und dies ist auch eine Form der Anerkennung. Außerdem interessieren sich die Medien dafür.

Als Reaktion auf die umfängliche Berichterstattung häuften sich plötzlich in den Beratungsstellen die Anfragen zum Satanismus stark. Satanismus wird von Verantwortlichen als Problem wahrgenommen, es werden Aufklärungs- und Informationsveranstaltungen für Jugendliche und Erzieher durchgeführt, die vor dem Problem warnen sollen. Dies ist im Prinzip richtig, es steht aber zu erwarten, dass dadurch ein ungewünschter Nebeneffekt auftreten kann: Satanismus wird auch für Jugendliche, die sich bislang vielleicht noch nicht intensiver damit befasst haben, interessanter, da man damit offenbar ein großes öffentliches Interesse auf sich ziehen kann. Es erscheint darum empfehlenswert, möglichst behutsam und unaufgeregt an das Thema heranzugehen, damit den Betroffenen geholfen werden kann, ohne ungewollt dem Satanismus als Protestbewegung zu größerer Attraktivität zu verhelfen.

Anmerkung

1 Vgl. etwa das Intro-Banner und die von der Ev. Beratungsstelle Zürich übernommene (!) Kritik an dem Buch „Drei Jahre Hölle und zurück” auf http://www..lexsatanicus.de


Harald Lamprecht, Dresden