Lutz Lemhöfer

Satire zwischen religiösem und politischem Tabubruch

Was aus dem historischen Beispiel George Grosz zu lernen ist

Satire oder Blasphemie? Das gezeichnete Titelbild des Satiremagazins „Titanic“ vom 26. März 2010 hat in Zeiten von Missbrauchsvorwürfen für einen Eklat gesorgt. Es zeigt einen Priester, der vor einem Kruzifix kniet, an dem Christus mit hochrotem Kopf hängt. Verärgerte Bürger reagierten mit Drohanrufen und Strafanzeigen. Wie ist satirische Religionskritik generell einzuschätzen? An einem historischen Beispiel entwickelt der katholische Weltanschauungsexperte Lutz Lemhöfer kirchliche Beurteilungshilfen.


„Was darf Satire?“, hat einer der berühmtesten Publizisten des vorigen Jahrhunderts, Kurt Tucholsky, einst gefragt und gleich die Antwort gegeben: „Alles“. Juristisch stimmte das schon damals, in der Weimarer Republik, nicht. Es gab den Gotteslästerungsparagrafen im Strafgesetzbuch (§ 166), der damals so lautete: „Wer dadurch, daß er öffentlich in beschimpfenden Äußerungen Gott lästert, ein Ärgernis gibt, oder wer öffentlich eine der christlichen Kirchen oder eine andere mit Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebietes bestehende Religionsgesellschaft oder ihre Einrichtungen oder Gebräuche beschimpft, desgleichen wer in einer Kirche oder an einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängnis bis zu 3 Jahren bestraft.“1 Dieser Paragraf stand keineswegs nur auf dem Papier, er wurde gegen Kritiker von Kirche und Religion durchaus folgenreich angewendet. Der berühmteste Prozess dieser Art fand in insgesamt fünf Verhandlungen von 1928 bis 1931 statt: der Prozess um George Grosz’ Zeichnung „Christus mit der Gasmaske“. Ich möchte diesen im In- und Ausland heftig diskutierten Prozess zum Ausgangspunkt nehmen, um anhand des Gerichtsgutachtens des Katholiken Walter Dirks Maßstäbe zu entwickeln, wie satirische Religionskritik aus kirchlicher Sicht sinnvoll bewertet werden kann. Diese Maßstäbe taugen m. E. auch für die Gegenwart.2

Der Fall

Der Zeichner und Maler Georg Ehrenfried Groß (1893–1959), der sich aus Protest gegen deutschen Nationalismus und Militarismus seit 1916 amerikanisiert George Grosz nannte, gehörte zu den Berühmtheiten der linken Kulturszene im Berlin der Weimarer Republik.3 Einerseits wurde er zu den Dadaisten gezählt, andererseits war er mit seinen scharfen satirischen Darstellungen von Militär, Politik und feiner Gesellschaft („Das Gesicht der herrschenden Klasse“, so der Titel eines seiner bekanntesten Werke) ein außerordentlich bissiger Sozialkritiker mit Feder und Pinsel. Mehrfach hatte er dadurch den Staatsanwalt auf den Plan gerufen. Bereits 1921 wurde er wegen Beleidigung der Reichswehr in der Mappe „Gott mit uns“ zu einer Geldstrafe von 300 Reichsmark verurteilt. 1924 folgte die zweite Verurteilung wegen der Mappe „Ecce homo“ mit der Begründung „Angriff auf die öffentliche Moral“. Stein des Anstoßes waren drastische sexuelle Darstellungen.

1927/28 schließlich fertigte Grosz 300 Zeichnungen für einen Trickfilm an, der während der Aufführung des Stücks „Der brave Soldat Schwejk“ durch Erwin Piscator im Berliner Theater am Nollendorfplatz im Bühnenhintergrund gezeigt wurde. Man muss sich das wohl so vorstellen, dass die Zeichnungen jeweils kurz im Hintergrund der Theaterszene aufblitzten. „Hintergrund“ hieß denn auch die Mappe mit 17 Zeichnungen, die zusätzlich gedruckt im Malik-Verlag erschien. Grosz hat die Zeichnungen oder mindestens die Entwürfe offenbar teilweise während der Proben aufs Zeichenpapier geworfen. Der Regisseur der „Schwejk“-Aufführung, Erwin Piscator, erinnerte sich später: „Grosz saß neben mir. Plötzlich setzte er seinen Zeichenstift an. Es entstand ein Kreuz. Ich sehe es vor mir, wie im Nacherlebnis eines Traums: den unglaublich sicheren Duktus seiner Hand, die kristallklare Präzision, mit der sie den Stift über das Papier führte: einen Leib, einen gekrümmten Leib, Symbol des geschundenen Menschenkörpers. Christus. Plötzlich zieht Grosz ihm über die wunden Füße Soldatenstiefel, löst die linke Hand, reißt sie nach oben, gibt ihr ein zweites Kreuz. Das eine hatte bisher nicht ausgereicht. Warum also nicht ein zweites. Und dann: Über das Gesicht, über das zweitausend Jahre alte Leidensgesicht stülpt er eine Gasmaske. Christus mit der Gasmaske. Ein neuer Christus.“4

Von den Theaterbesuchern nahm keiner Anstoß, aber als die Grafik mit dem Untertitel „Maul halten und weiter dienen!“ gedruckt auf den Markt kam, schlug die Staatsanwaltschaft zu. Nicht etwa ein Kirchenvertreter, sondern der sozialdemokratische Polizeipräsident von Berlin hatte Anzeige erstattet und ließ drei Bilder beschlagnahmen: zwei Darstellungen geifernder Kriegsprediger und eben den Christus mit der Gasmaske. Die Begründung lautete: „Diese Zeichnungen allein und in Verbindung nebst der Unterschrift stellen öffentliche Beschimpfungen von Einrichtungen der christlichen Kirche (Christus-Verehrung, Predigtamt, Priestertum) im Sinne des Paragraphen 166 des Strafgesetzbuches dar:“5

In der Tat geht es um unterschiedliche Vorwürfe. In Blatt 2 sieht der Betrachter vier karikaturistisch verzerrte Figuren, die durch Kleidung und Attribute die tragenden Säulen der Gesellschaft repräsentieren: Militär, Justiz, Kirche.6 Die Insignien dieser Mächte sind bereits satirisch verfremdet: So hält der Vertreter der Justiz nicht das klassische Symbol in den Händen, die Waage der Justitia, sondern eine Geißel aus Paragrafenzeichen. Der Vertreter der Kirche, erkennbar als evangelischer Pfarrer, jongliert das Kreuz wie ein Spielzeug auf der Nase; die an beliebiger Stelle aufgeschlagene Bibel hat der Geistliche dabei völlig aus dem Blick verloren: eine eindrucksvolle Bild-Metapher für eine willkürliche Textauslegung und einen unernsten Umgang der Kirche mit ihrer eigenen Botschaft.

In Bild 9 mit der Unterschrift „Die Ausgießung des Heiligen Geistes“ greift Grosz eine Metapher aus dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, auf. Jedenfalls deutet das so die Autorin des ausführlichsten Buches zum Prozess, Rosamunde Neugebauer von der Schulenburg. Der Apostel hat eine Vision und sieht ein engelähnliches Wesen, das dann den blutigen Untergang der bestehenden Welt und das Heraufsteigen eines neuen Himmels und einer neuen Erde verkündet; von dem Wesen heißt es: „Aus seinem Munde geht ein scharfes zweischneidiges Schwert hervor“ (Apk 1,16). Der geifernde Prediger übertrumpft dieses Bild, indem gleich ein ganzes Arsenal von Waffen aus seinem Mund strömt. Dabei gerät das Kreuz (Symbol des Christentums) ins Wanken; und das Lamm (Symbol Christi) tritt den Kelch (Symbol des Leidens Christi) mit dem Fuß um: eine starke Bildmetapher, dass hier die wahre Botschaft Christi mit Füßen getreten wird. Die Zuhörer, nebenbei, hören ohnehin nicht zu, wie man u. a. an den Skatkarten hinter ihrem Rücken sieht.

Bild 10 schließlich, das später im Prozess die größte Rolle spielte, stellt einen Christus am Kreuz da, ein klassisches ikonografisches Motiv mit den klassischen Attributen des Gekreuzigten: Wundmale, Lendentuch, Nimbus und INRI-Schild. Das ist insofern ein Sprung, als hier nicht mehr das Bodenpersonal des lieben Gottes ins Bild kommt, sondern in Christus Gott selbst (weshalb auch nur bei dieser Grafik über „Gotteslästerung“ gestritten wurde). Die Verfremdung liegt in der Weltkriegs-Ausrüstung Kommiss-Stiefel und Gasmaske (die wiederum erkennbar der Gestalt gar nicht passen) und dem kleinen Kreuz in der linken Hand: eine hilflose Waffe? Oder Symbol der Botschaft, die der militaristisch vergewaltigte Christus anders nicht mehr zeigen kann, weil er entweder selbst Durchhalteparolen röchelt oder diese Parolen ihn zusammen mit der Gasmaske mundtot machen? Das Bild bezieht sich offenbar auf eine Textpassage im Theaterstück, in der es sinngemäß heißt: Wenn Christus heute noch lebte, würde man ihm heute auch Kommiss-Stiefel anziehen und ihm zurufen: „Maul halten, weiter dienen.“ Diese Stelle hat Grosz illustriert. Er selbst war über seinem Erleben des Ersten Weltkriegs zum Pazifisten geworden.

Am 10. Dezember 1928 verurteilte das Schöffengericht Berlin-Charlottenburg in erster Instanz George Grosz sowie seinen Verleger Wieland Herzfelde zu je 2000 Mark Geldstrafe und verbot die weitere Veröffentlichung des „Christus mit der Gasmaske“. Merkwürdigerweise behauptete es, im Empfinden des Betrachters rufe Christus vom Kreuz herab den Umstehenden zu: „Maul halten und weiter dienen!“ Und das sei Blasphemie. Dem mochte sich das Berufungsgericht nicht anschließen. Am 10. April 1929 sprach das Berliner Landgericht die Angeklagten frei. Im Unterschied zur ersten Instanz glaubte die zweite Kammer unter ihrem Vorsitzenden Julius Siegert der erklärten Absicht des Künstlers, er habe „die durch den Krieg und seine Folgen leidende Menschheit wachrütteln“ wollen. Der Staatsanwalt ging in Revision, und wegen angeblicher Ermessensfehler gab das Reichsgericht den Fall zur erneuten Verhandlung nach Berlin zurück. Nicht die gute Absicht des Künstlers sei entscheidend, sondern die Empfindlichkeit des durchschnittlichen Betrachters. Diese nunmehr vierte Verhandlung des Falles hat Justizgeschichte geschrieben; insbesondere wegen der vielen kirchlichen Gutachter sprachen die Zeitungen vom „Moabiter Kirchenkonzil“. Für die Gutachter der Anklage war es eine ausgemachte Sache, dass es hier um mehr ging als um Kunst: „Die Aufrechterhaltung der Religionsgefühle ist eine Staatsnotwendigkeit!“, betonte der Staatsrechtsprofessor Friedrich Kahl,7 und der evangelische Kirchenvertreter, Pfarrer Schreiner, legte nach: Das Neue Testament kämpfe gegen Landesverrat, und Krieg könne um der Nächstenliebe willen geboten sein;8 dies würden Pazifisten wie Grosz missachten: „Es ist ganz selbstverständlich, daß diese Geisteshaltung die stärksten Konflikte dort sieht, wo der Staat als überindividuelle Ganzheit dem einzelnen gegenübertritt und ein Stück Leben von ihm fordert, nämlich im Kriegsdienst.“

Aber auch die Verteidigung hatte christliche Gutachter aufgeboten; deren Tenor war: fromm ja, aber nicht staatsfromm. So betonte der katholische Redakteur Walter Dirks vor Gericht wie in der „Rhein-Mainischen Volkszeitung“, die Karikatur wirke abstoßend und könne auch als geschmacklos empfunden werden, aber: „Uns schien, daß die wahre Gotteslästerung gerade in der Gesinnung liege, die Grosz anprangert ... In der Tat hat Grosz in seinen Zeichnungen an keiner Stelle das Christentum verhöhnt, sondern nur eine Verzerrung des Christentums.“9 Die bestehe im Missbrauch des Christentums zum Völkerhass. „Der Zeichner handelt im Sinne des wirklichen Christentums, wenn er diesen Missbrauch angreift. Uns Christen missfällt es freilich, wenn der Zeichner aus diesen Intentionen heraus das Kreuz Christi karikaturistisch gebraucht, weil uns dieses Zeichen auch als Zeichen heilig und unantastbar ist. Keinesfalls sind wir dann aber berechtigt und geneigt, darin eine ‚Gotteslästerung’ zu sehen.“10

Noch weiter ging der Vertreter der christlich-pazifistischen Quäker, Hans Albrecht. Seiner Ansicht nach benötige Gott keinen staatlichen Schutz, und religiöse Gefühle von Menschen seien relativ: „Wo liegt der Maßstab, daß mein religiöses Gefühl richtig ist und nicht das der anderen? Mein religiöses Gefühl wird durch den Krieg aufs tiefste verletzt. Wie wird dies geschützt?“11 Nicht auf das Kreuz als schützenswerten Gegenstand komme es an, sondern: „Wesentlich bleibt für mich allein die Idee, die aus dem Bilde spricht. In ihr ist keine Spur von Gotteslästerung. Vielmehr spricht genau das Gegenteil aus ihr: eine furchtbare Anklage Gottes gegen das gotteslästerliche Tun der Menschen. Es ist die Menschheit, die hier am Kreuz hängt.“ Und er zitierte eine Stimme aus einer Quäker-Versammlung: „Ich wünschte, George Grosz’ Bild des Christus mit der Gasmaske hinge auf den Altären aller Kirchen zur aufpeitschenden Erinnerung an das gegenwärtige Golgatha.“12

Das Presse-Echo war enorm. Von Kiel bis München, von Paris bis Prag berichteten mehr als 200 Zeitungen und Zeitschriften über den Prozess. Die linke und liberale Presse feierte sowohl die Gutachten der Verteidigung als auch den Mut und Sachverstand des vorsitzenden Richters Siegert, der Grosz zum zweiten Mal freisprach.

Demgegenüber schäumten die rechten Blätter: „Man kann sagen, daß der kommunistische Malik-Verlag durch den Freispruch des Gerichts zum religiösen Erzieher des deutschen Volkes erhoben wird“13, polemisierte die „Schlesische Zeitung“. Und in den konservativen „Gelben Blättern“ war zu lesen: „Merkwürdig war und ist es schon, daß deutsche Gerichte ‚Sachverständige’ nötig haben, um über die Fragen des nationalen Selbstgefühls zu entscheiden. Im übrigen finden sich in Deutschland stets Sachverständige, die bei Schweinereien und Gemeinheiten nichts finden. Das hängt daran, daß diese ,Sachverständigen’ entweder selbst zielbewußte Förderer des Kulturbolschewismus, also Gesinnungsfreunde des Herrn Grosz, sind, oder aber einen beengten Horizont haben, so daß sie lediglich den rein künstlerischen Wert einer Sache zu beurteilen vermögen, während die Bedeutung des Kunstobjekts für das Wohl des Volksganzen ... außerhalb ihres Gesichtskreises bleibt.“14 Damit war die Katze aus dem Sack: Kunst hin, Kunst her – auf die rechte Gesinnung sollte es ankommen und auf das politische Wohlverhalten.

1931 hat dann das Reichsgericht in einem juristischen Kunstgriff den Freispruch für Grosz und seinen Verleger Wieland Herzfelde zwar bestätigt, aber die weitere Verbreitung der Grafik „Christus mit der Gasmaske“ verboten. Zu groß war offenbar die Provokation, die von diesem Bild ausging. Was daraus zu lernen ist, haben schon damals kluge Publizisten auf den Punkt gebracht. Der Katholik Walter Dirks attackierte im Rückblick die unheilige Allianz von Gott und Nation: „Hier schien nicht nur Gott, sondern auch die Nation gelästert, und beides in einem. So ging auch in der Gegenargumentation beides oft ununterscheidbar durcheinander – ein Greuel für einen Christen, der zwischen Welt und Gott zu unterscheiden weiß.“15

Die Stellungnahme von Walter Dirks

Walter Dirks (1901–1991)16 ist für weite Strecken des 20. Jahrhunderts einer der bedeutendsten Repräsentanten eines „linken“ Katholizismus. Der Sohn eines Gastwirts und einer „Fürsorgerin“ (wie man damals sagte) war geprägt vom lebensreformerischen Aufbruch der Jugendbewegung, von Pazifismus und Sozialismus. Nach nicht abgeschlossenem Studium der katholischen Theologie wurde er 1924 mit 23 Jahren Kulturredakteur der Rhein-Mainischen Volkszeitung (RMV). Das in Frankfurt herausgegebene Blatt transportierte so viel linksliberales Gedankengut, wie es innerhalb des insgesamt konservativen Katholizismus möglich war – nicht ohne gelegentlich heftige Konflikte mit der kirchlichen Obrigkeit oder dem katholischen Milieu.

Dirks hatte zunächst den Prozess in der RMV kommentiert und dabei deutlich für Grosz Partei ergriffen. Daraufhin wurde er auf Veranlassung des Verteidigers Alfred Apfel als Gutachter der Verteidigung nach Berlin gerufen. Das war durchaus pikant, denn der offizielle katholische Gutachter, Prof. Wagner aus Dresden, votierte auf Seiten der Anklage. Gern hat Dirks die Rolle nicht übernommen; immer wieder hat er sie später rechtfertigend begründet, weil er den geballten Protest des katholischen Milieus richtig vorausgesehen hatte. Das Gutachten liegt mir zwar im Wortlaut nicht vor, es gibt jedoch so viele publizistische Veröffentlichungen von Dirks in gleicher Sache, dass seine Argumentation gut nachgezeichnet werden kann; ihre Bedeutung zeigt sich am besten im Vergleich mit den gegenteiligen christlichen Stimmen.

So hatte der schon genannte katholische Theologe Prof. Wagner formuliert, „vom Standpunkt der katholischen Kirche aus wirke das Bild wie eine Verhöhnung Christi und sei für jeden unbefangenen Beschauer schwer anstößig. Es gehöre eine große Ehrfurchtslosigkeit dazu, den Heiland in dieser Art abzubilden, so dass das religiöse Gefühl jedes Menschen aufs tiefste verletzt werde.“17 Dahinter steht offenbar der Gedanke, die Gestalt des Christus am Kreuz sei tabu für jegliche Verfremdung, erst recht für eine, die grob und hässlich ist. Unterstellt wird, dies empfinde jeder unbefangene Betrachter so; nicht nur Katholiken, sondern jeder Mensch werde dadurch in seinen religiösen Gefühlen verletzt. Allein diese Gleichsetzung lässt den Subtext ahnen: Die Gesellschaft ist im Grunde christlich, und christliche Empfindungen und Empfindlichkeiten sind maßgebend für die ganze Gesellschaft. Noch deutlicher hatte es die Zeitung der katholischen Partei, des Zentrums, ausgedrückt: „Christus und das Kreuz stehen außerhalb jeder menschlichen Diskussion und Karikatur.“

Demgegenüber beharrte Dirks auf der Relativierung des christlichen Dogmas und Bewusstseins in einer säkularisierten Gesellschaft: „Der § 166 schützt nicht Gott, nicht Christus, nicht ein christliches Dogma, sondern schützt die religiösen Empfindungen der Anhänger der anerkannten Religionsgesellschaften. Wenn einer über die im Gesetze angeführten Begriffe hinaus dem Richter gegenüber mit Dogmen argumentiert, beweist er, dass er die Isolierung, in der wir Christen heute in der säkularisierten Welt stehen, nicht immer im vollen Bewusstsein hat.“18

Die Relativierung der christlichen Sicht ist also das erste Argument. Das zweite scheint mir das zentrale zu sein: Dirks löst sich von der Tabuisierung des religiösen Symbols selbst und fragt nach dem Zusammenhang, in dem es verwendet wird. Er kritisiert „vorchristlich-magische Vorstellungen, die dem Bild selbst, losgelöst von der damit gemeinten Realität, eine religiöse Qualität zuzusprechen geneigt sind“. Er wird sogar noch deutlicher: „Wir Christen kennen kein ‚Tabu’ und keine ‚Fetische’; wir wissen, dass in den geweihten Gegenständen und beiliegenden Symbolen selbst keine eigene ‚Kraft’ steckt, sondern dass wir damit eine ‚Kraft’ meinen, die hinter den Symbolen ist: die im Glauben erfasste Wirklichkeit Gottes selbst. Unabhängig von der im Symbol gemeinten Wirklichkeit sprechen wir den Bildern keine religiöse Qualität zu.“19 Das ist eine höchst bedeutungsvolle Aussage, die m. W. im Kontrast steht zur Sicht des Islam. Die Verse des Korans etwa sind tabu und dürfen nicht in Verfremdung, z. B. zur Dekoration verwendet werden.

Damit ist der Spielraum eröffnet für Deutung und Interpretation, für Fragen nach dem Hintergrund. Diese stellt Dirks selbst: „Die erste Frage lautet konkret: ist Christus beleidigt, wenn man ihn in Gegensatz zu einem Krieg bringt?“ Anders als für ein nationalistisch und militaristisch durchwirktes Christentum lautet die Antwort für Dirks „Nein“. „Die zweite Frage lautet konkret: Überschreitet es die Grenzen des Schutzes, den das ehrwürdige Symbol des Kruzifixus verdient, wenn es zu einer kriegsgegnerischen Zeichnung gebraucht wird?“20 Und hier kehrt Dirks den Spieß um und macht den linken Künstler zum heimlichen christlichen Propheten: „Uns schien, dass die Grundabsicht des Zeichners durchaus in der Linie dessen liege, was die Zeit und durch sie hindurch Gott heute von Christen verlangt. Uns schien, dass die wahre Gotteslästerung gerade in der Gesinnung liege, die Grosz anprangert ... Wer in der Aktion gegen den Krieg den Willen des Gottes, der auch hinter der Geschichte steht, erkannt zu haben glaubt, er kann die Ehrfurcht auch nicht verletzt sehen – und nur gar blasphemisch verletzt sehen, – wenn der, der den Kruzifixus in den Dienst dieser Aufgabe stellt, der KPD angehört“21 (was Grosz zu diesem Zeitpunkt nicht mehr tat; er war Parteimitglied von 1919 bis 1923). Dirks betont später sogar, er halte die Zeichnungen für pietätlos, abstoßend, geschmacklos. Aber dieses ästhetische Urteil trennt er scharf vom Blasphemie-Vorwurf. Gotteslästerung liegt bei diesen abstoßenden Zeichnungen nicht vor, weil nicht das Christentum, sondern eine widerchristliche („häretische“) Verzerrung des Christentums mit den Karikaturen gegeißelt werde.

Grundsätzliches zur Frage der Blasphemie

Im Folgenden soll versucht werden, die Anstöße von Dirks in diesem berühmten Prozess ausweitend zu systematisieren. Was lässt sich zum Spannungsverhältnis von Religion, Satire und Blasphemie aus christlich-theologischer Sicht sagen?

• Bis in die Neuzeit hinein ist Religionskritik auch Gegenstand staatlicher Gesetzgebung. In älteren Fassungen des einschlägigen Paragrafen 166 StGB wird dabei Gott vor Lästerung geschützt. Heute werden die Inhalte von Bekenntnissen sowie ihre Einrichtungen und Gebräuche vor Beschimpfung geschützt. Im Wortlaut: „(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.“22 Dabei geht eine Beschimpfung über abfällige Kritik hinaus; nach einer alten Entscheidung noch des Reichsgerichts „unterscheidet sich die Beschimpfung von abfälligen Äußerungen durch das besonders Verletzende, das Rohe, das in ihr gelegen ist. Sie ist eine besonders verletzende, rohe Bekundung der Missachtung.“23

Deshalb war es absurd, Dan Browns Behauptung (im Roman „Sakrileg“) von der Ehe Jesu mit Maria Magdalena als gotteslästerlich hinzustellen. Sie widerspricht zwar der christlichen Auffassung, ist aber weder roh noch verletzend. Dennoch liegt es auf der Hand, dass hier der Auslegung weite Spielräume gegeben sind. Die Beschimpfung allein reicht aber nicht, sie muss zugleich geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Das wäre z. B. nicht gegeben, wenn nur ein sehr kleiner Kreis die Beschimpfung überhaupt wahrnehmen kann. Gefahr für den öffentlichen Frieden setzt eine breite Öffentlichkeit voraus, vielleicht sogar die Gefahr gewaltsamer Reaktionen. Letzteres wäre fatal, weil es Anstoßnehmer zur Gewaltdrohung provozieren könnte, was man derzeit aus dem Bereich des Islam eher befürchtet als aus dem des Christentums. Diese Gefahr dürfte immer dann verstärkt gegeben sein, wenn Religion und Politik, Religion und Gesellschaft nicht als säuberlich getrennt verstanden werden. Das gilt nicht nur für manche islamistischen Positionen heute, sondern galt auch für das Umfeld des Grosz-Prozesses in der Weimarer Republik. Erinnern wir uns an den Satz des staatsrechtlichen Gutachters Friedrich Kahl: „Die Aufrechterhaltung der Religionsgefühle ist eine Staatsnotwendigkeit.“

• Der Rahmen der Anwendung von § 166 ist also in der Praxis durchaus eng. In einer internen Handreichung der Deutschen Bischofskonferenz heißt es nüchtern: „Die Erfolgsaussichten von Strafverfahren sind gering ... Im Zweifel sollte man sich gegen die Erstattung einer Anzeige entscheiden, und zwar bereits im Hinblick auf deren publizistische Wirkung.“24 Manchmal macht erst die Skandalisierung ein zu Recht unbekanntes Bild oder Theaterstück zu einem Gegenstand öffentlichen Interesses – oder, wie Karl Kraus es sehr viel hübscher ausdrückt: Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende macht.

• Über der Frage, in welchem Umfang satirische Religionskritik von den Betroffenen hingenommen werden muss, sollte aber die für mich als Theologen und Nicht-Juristen viel spannendere Frage nicht übersehen werden, in welcher Weise und unter welchen Bedingungen Satire und Witz sogar als Mittel der Religionskritik ausdrücklich zu würdigen sind. Denn Religionskritik ist Bestandteil der christlichen Religion selbst – einschließlich der Beschimpfung des religiösen Personals. Das gilt auch für die Mutterreligion des Christentums, das Judentum. In der hebräischen Bibel finden sich beißend spöttische Passagen über falsche Propheten, über die hilflosen Priester des Gottes Baal (1. Kön 18), über die dummen Menschen, die sich ein Götterbild aus Holz schnitzen: Mit einem Teil ihres Holzes heizen sie die Hütte, vor dem anderen fallen sie anbetend nieder (Jes 44). Jesus beschimpft die religiösen Autoritäten seiner Zeit, die Schriftgelehrten, äußerst drastisch: „Ihr blinden Führer, die ihr die Mücke seiht, das Kamel aber verschluckt“ (Mt 23,24); oder er nennt sie „übertünchte Gräber, die auswendig schön erscheinen, inwendig aber voll Totengebein und Unrat“ sind (Mt 23,27). Kurt Marti, der satirisch durchaus begabte Schweizer Dichter und Pfarrer, macht aber auf die Richtung des Spotts aufmerksam, die wichtig sei: „Es gibt ein gutes Auslachen, nämlich über und gegen angemaßte, heuchlerische Autoritäten. Ein Lachen nicht von oben nach (und gegen!) unten, sondern von unten nach (und gegen) oben.“25

Von daher wäre es sehr zweifelhaft, z. B. die Person des Papstes in Bezug auf Satire und Karikatur prinzipiell für tabu zu erklären. Eine zweite Frage ist, ob die jeweilige Karikatur den Maßstäben von Marti standhält. Dabei ist noch einmal deutlich zu differenzieren zwischen öffentlichem Protest gegenüber misslungener Satire und dem Ruf nach dem Staatsanwalt.

Die produktiv-religionskritische Funktion von Satire ist allerdings deutlich zu unterscheiden von reiner Veralberung religiöser Inhalte, Riten oder Autoritäten. Die Fernsehserie „Popetown“ zum Beispiel erscheint mir nicht als religionskritisch, sondern als platte Veralberung religiös-kirchlicher Verhältnisse. Ähnlich würde ich auch eine Bildfolge des Satiremagazins „Titanic“ vor vielen Jahren bewerten, in der ein Geschmackstester durch die Kirchen zieht, um verschiedene Hostien auszuprobieren und zu bewerten. Produktiv religionskritisch wäre demgegenüber ein Bild, das ich aus den Zeiten der heftigen Diskussion um die Reform des Abtreibungsparagrafen 218 in Erinnerung habe: Einer schwangeren Frau mit zwei Kleinkindern an der Hand und einem dicken Bauch steht ein Prälat in Soutane gegenüber, mit ebenso dickem Bauch und erhobenem Zeigefinger. Es wird deutlich: Hier macht einer Vorschriften, der die verordneten Lasten nicht selbst trägt.

Satire kann eben ernsthafte Religionskritik sein, wenn sie Anspruch und Wirklichkeit religiöser Lehre einander kritisch gegenüberstellt; George Grosz hat das ja mit seinen Karikaturen meisterhaft getan. Dazu gehört auch, dass hohle Autorität von Amtsträgern entlarvt wird. Die fundamentale Trennung von Gott und Mensch im Judentum und Christentum, durch die jede gottähnliche Verehrung eines Menschen Götzendienst darstellt, macht im Prinzip jeden religiösen Amtsträger angreifbar – nicht zuletzt aus religiösen Gründen.

Auch wenn nicht immer eine steile prophetische Kritik herauskommt: Es ist aus christlicher Sicht prinzipiell legitim und nicht illegitim, menschliche Unvollkommenheit in Kirche und Religion auf die Schippe zu nehmen. Die Fülle umlaufender Pfarrerwitze spricht dafür oder die deftigen antiklerikalen Volkslieder seit dem Mittelalter. Wer hier früh Tabuschranken aufrichten will, macht sich nach Dirks womöglich einer Häresie schuldig; jedenfalls warnt Dirks vor der Gefahr eines sehr sublimierten und sehr „frommen“ Heidentums, das vorletzte religiöse Haltungen zu letzten zu machen versucht.

• Noch ein Hinweis zum Schluss: Blasphemie wird meist beim satirischen Protest gegen herrschende religiöse Verhältnisse gewittert. Nicht übersehen werden sollte, was auch bei Grosz zu besichtigen war: Es können auch die herrschenden, kirchlich gestützten Verhältnisse gotteslästerlich sein. Das möchte ich noch einmal mit einem kleinen Gedicht des schon zitierten Dichters und Pfarrers Kurt Marti illustrieren:26

Der ungebetene Hochzeitsgast

Die Glocken dröhnen ihren vollsten Ton,

und Photographen stehen knipsend krumm.

Es braust der Hochzeitsmarsch von Mendelssohn.

Der Pfarrer kommt! Mit ihm das Christentum.

Die Damen knie’n im Dome schulternackt,

noch im Gebet kokett und photogen,

indes die Herren, konjunkturbefrackt,

diskret auf ihre Armbanduhren sehn.

Sanft wie im Kino surrt die Liturgie

zum Fest von Kapital und Eleganz.

Nur einer flüstert leise: Blasphemie!

Der Herr. Allein, ihn überhört man ganz.


Lutz Lemhöfer, Frankfurt am Main


Anmerkungen

1 Zit. nach undatiertem Prozessbericht des „Berliner Tageblatts“ im Privatarchiv Walter Dirks.

2 Zur Thematik erschien 2009 der EZW-Text: Jan Badewien (Hg.), Religionsbeschimpfung. Freiheit der Kultur und Grenzen der Blasphemie, EZW-Texte 203, Berlin 2009.

3 Vgl. Uwe Schnede, George Grosz. Der Künstler in seiner Gesellschaft, Köln 1989.

4 Lothar Fischer, George Grosz mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1989, 97f.

5 Rosamunde Neugebauer von der Schulenburg, George Grosz, Macht und Ohnmacht satirischer Kunst, Berlin 1993, 148f.

6 In der Analyse der Bilder folge ich Rosamunde Neugebauer, George Grosz, a.a.O., 133ff.

7 Zit. nach Wolfgang Hütt, Hintergrund. Mit den Unzüchtigkeits- und Gotteslästerungsparagraphen des StGB gegen Kunst und Künstler 1900 – 1933, Berlin 1990, 65.

8 ebd.

9 Walter Dirks in: Rhein-Mainische Volkszeitung vom 13.12.1930.

10 Walter Dirks in: Rhein-Mainische Volkszeitung vom 12.4.1929.

11 Zit. nach Wolfgang Hütt, Hintergrund, a.a.O., 243.

12 Ebd., 255.

13 Ebd., 258.

14 Zit. nach Rosamunde Neugebauer, George Grosz, a.a.O., 160.

15 Walter Dirks, Republik als Aufgabe. Gesammelte Schriften, Bd. 1, Zürich 1991, 216.

16 Vgl. Karl Prümm, Walter Dirks und Eugen Kogon als katholische Publizisten der Weimarer Republik, Heidelberg 1984.

17 Vorwärts vom 4.12.1930, zit. nach Wolfgang Hütt, Hintergrund, a.a.O., 251.

18 Dirks in: Rhein-Mainische Volkszeitung vom 3.5.1929, zit. nach Thomas Seiterich-Kreuzkamp, Links, frei und katholisch – Walter Dirks, Frankfurt a. M. 1986, 189.

19 Walter Dirks, Republik als Aufgabe, a.a.O., 214.

20 Ebd., 215ff.

21 Ebd., 220.

22 www.dejure.org/gesetze/StGB/166.html. (8.5.2010).

23 Zit. nach: Rechtskommission des Verbandes der Diözesen Deutschlands, Handreichung zum Umgang mit der Beschimpfung von Religionsgemeinschaften, unveröffentlichtes Manuskript, Bonn 2003, 19.

24 Ebd., 21.

25 Kurt Marti, Lachen, Weinen, Lieben, Stuttgart 1985, 27.

26 Kurt Marti, Der ungebetene Hochzeitsgast, in: Hartmut Laufhütte (Hg.), Deutsche Balladen, Stuttgart 2003, 521.

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