Schicksalsjahr 2012?
Hoffnungen und Befürchtungen in der Esoterik-Szene zu Beginn des 21. Jahrhunderts
In Übergangs- und Krisenzeiten haben Endzeitspekulationen Konjunktur. Von außergewöhnlichen Naturereignissen und besonderen Jahreszahlen scheint dabei eine große Suggestionskraft auszugehen. So entwickelte sich die Sonnenfinsternis am 11. August 1999 in Deutschland zu einem besonderen Ereignis. Doch nicht alle konnten sich darauf freuen. Die französische Astrologin Elizabeth Tessier und der bekannte Modeschöpfer und Esoterik-Autor Paco Rabanne (Francisco Rabaneda-Cuervo) hatten für diesen Tag düstere Prognosen erstellt und sogar Horrorszenarien entwickelt. Andere befürchteten Naturkatastrophen und soziale Umwälzungen. Nur wenige Monate später richtete sich der angstvolle wie erwartungsvolle Blick auf das neue Millennium, was wiederum im Vorfeld einen massiven Medienrummel auslöste.1
Ins Blickfeld des esoterischen Interesses gerät derzeit der 21. Dezember 2012, an dem der hochentwickelte Kalender der Maya, eines indigenen Volkes bzw. einer Gruppe indigener Völker Mittelamerikas, enden soll. Die Maya, Vertreter einer mächtigen Hochkultur, siedelten in Süd- und Südost-Mexiko und in Teilen von Guatemala, Honduras und Belize. Von besonderem Interesse sind derzeit Spekulationen um den astronomischen Kalender der mittelamerikanischen Ureinwohner, die offensichtlich unterschiedliche Kalender zu zivilen und rituellen Zwecken verwendet haben. Bis heute wird die Korrelation zwischen den Daten des Maya-Kalenders und denen des christlichen Kalenders kontrovers diskutiert.2 Eine besondere Interpretationsvariante bietet die zeitgenössische Esoterik. Dort kursiert jedoch ein besonderer Maya-Kalender, der offensichtlich nicht dem traditionellen zu entsprechen scheint. Während manche mit dem Ende des Maya-Kalenders dramatische Ereignisse für 2012 befürchten und sich in Schreckensvisionen ergehen, erblicken Sensitive und spirituelle Lehrer der Esoterik-Szene darin den Auftakt zu einer globalen Wendezeit.
Die Angst vor dem magischen Datum 2012 grassiert – fernab von esoterischen Spekulationen – auch im Internet. So berichten Hersteller von Antiviren-Softwareprogrammen über manipulierte pdf-Dateien, die ein sog. Trojanisches Pferd installieren sollen. Sie werden mit Spam-Mails verbreitet, in denen über das Ende des Internets im Jahr 2012 orakelt wird.3 Droht 2012 gar – wie ein Zeitungsbericht4 vermuten lässt – ein „Sonnen-Tsunami“, bei dem infolge heftiger Sonnenstürme gewaltige Röntgen-Strahlungsschauer über die Erde hereinbrechen könnten – mit verheerenden Folgen für die hochtechnisierte Welt, so dass Handy-Netze ebenso wie Radaranlagen oder Signale von GPS-Satelliten ausfallen könnten? Hinzu kommen Befürchtungen, wonach es im gleichen Jahr zu einer erneuten weltweiten Wirtschaftskrise kommen kann.
Popularisierung des 2012-Maya-Mythos
Der besondere Reiz des fiktional bzw. medial inszenierten 2012-Maya-Mythos liegt in der Kombination von indigener (und damit angeblich authentischer) Wissenskultur und der meist numerologisch ermittelten Suggestionskraft von Jahreszahlen, die mit Tages- und Monatsangaben kombiniert werden. In ihm spiegeln sich letztlich Ängste und Verunsicherungen einer Gesellschaft, die sich im Zuge einer „säkularen Apokalyptik“ der Möglichkeit einer technologischen Selbstzerstörung schmerzhaft bewusst wird. Bücher und Filme der internationalen Unterhaltungsindustrie tragen massiv zur weltweiten Popularisierung des 2012-Maya-Mythos bei. Für Furore sorgen derzeit ein Endzeit-Thriller in Buchform und ein Ende des Jahres erscheinender Hollywood-Streifen. In beiden Fällen wird direkt auf den Maya-Kalender Bezug genommen.
„2012 – Das Ende aller Zeiten“
Seit Mitte März 2009 liegt die deutsche Übersetzung des Thrillers „2012 – Das Ende aller Zeiten“ vor. Das Buch ist derzeit im Begriff, die Bestsellerlisten zu erobern. Autor des rund 900 Seiten starken Wälzers ist der amerikanische Künstler und Journalist Brian D’Amato. Fiktional wird hier die Angst vor dem terminierten Untergang in einem spannenden Plot umgesetzt. Zum Inhalt des Buches heißt es auf dem Klappentext: „Eine Mischung von Go und Mensch-ärgere-dich-nicht, so ähnlich ist das Brettspiel, das Jed DeLanda von seiner Mutter geerbt hat. Jed benutzt es dazu, um an der Börse zu spekulieren, und dies mit beträchtlichem Erfolg. Bis eines Tages die reiche, exzentrische Marena Park, TV-Moderatorin und Computerspiel-Designerin, in sein Leben tritt. Sie zeigt ihm Bilder von einem alten Maya-Codex, der mit modernsten technischen Mitteln lesbar gemacht werden konnte. Die Maya waren besessen von Zahlen. Sie spielten das gleiche Spiel wie Jed, aber in einer unvorstellbar größeren Komplexität. Sie hatten ihren eigenen Untergang vorausgesehen. Sie berechneten die großen Katastrophen der Menschheit voraus, bis zu dem Tag, an dem alles endet. Dem 21. Dezember 2012. Die Endzeit wirft ihre Schatten voraus. Eine Seuche sucht Amerika heim. Während die USA in Chaos und Anarchie versinken, macht sich Jed auf eine fantastische Reise. Er muss den Schritt zurück in die Zeit wagen, als die Hochkultur der Maya noch blühte. Er muss selbst das große Spiel spielen, um zu sehen, ob die Menschheit noch eine Chance hat.“5 Ob die Welt in der Geschichte von D’Amato tatsächlich am 22. Dezember 2012 untergehen wird, erfährt der Leser allerdings nicht. Er muss sich bis zum Erscheinen des Folgebandes der geplanten Trilogie gedulden.
Filmisches Endzeit-Epos: „2012“
Schon im Vorfeld sorgt ein Film mit gleicher Thematik für Aufregung – und heftige Diskussionen im Internet. Am 19. November 2009 soll das Endzeit-Epos „2012“ des deutschen Filmproduzenten Roland Emmerich in die Kinos kommen. In den Hauptrollen sollen John Cusack, Woody Harrelson und Danny Glover zu sehen sein. Für die Filmproduktion wurde ein Budget von 200 Millionen US-Dollar veranschlagt. Auch hier spielt der Kalender der Maya eine besondere Rolle. Demzufolge würde die Welt im Jahre 2012 in Naturkatastrophen und im Chaos enden. Die US-Medien werden im Internet mit den Worten zitiert: „Emmerich zerstört diesmal die ganze Welt“. Auf der Internet-Videoplattform „YouTube“ ist schon jetzt der martialische Trailer des Films zu besichtigen. Zwischen einzelnen Sequenzen, die eine gewaltige Sturmflut zeigen, die über ein im Gebirge einsam gelegenes buddhistisches Kloster hereinbricht und mit der die globale Katastrophe völlig unerwartet ihren Ausgangspunkt nimmt, ist für den Zuschauer häppchenweise als Einblendung zu lesen: „Wie würden die Regierungen unseres Planeten 6 Milliarden Menschen auf das Ende der Welt vorbereiten? – Gar nicht. 2012 – Findet die Wahrheit heraus.“ Das Spiel mit der Angst und die Lust an der Endzeit werden damit filmisch erneut bedient. Emmerich ist in diesem Genre kein Unbekannter. In den vergangenen Jahren hat er mit Endzeitszenarien wie „The Day after Tomorrow“ (2004) oder „Independance Day“ (1996) immer wieder von sich reden gemacht.
Die fiktive Handlung von „2012“ nimmt ihren verhängnisvollen Verlauf im Jahre 2009, als die Regierung einen vertraulichen Bericht erhält. Er bestätigt, dass die Erde schon in wenigen Jahren dem Untergang geweiht sein soll. So wird ein geheimer Rettungsplan entwickelt, der jedoch nicht die Rettung aller Menschen vorsieht. Als Jackson Curtis, die Hauptfigur des Films, mit seinen zwei Kindern eines Tages einen Familienausflug in den Yellowstone Nationalpark unternimmt, stoßen die drei zufällig auf eine ehemalige Forschungseinrichtung, die ein Geheimnis birgt. Es zeigt sich zudem, dass der Plan der Regierung zur Rettung von Menschen fehlerhaft und unzureichend ist. Deshalb nimmt Jackson das Heft selbst in die Hand, um einen hoffnungslosen Kampf gegen die Zeit und die bevorstehende globale Katastrophe aufzunehmen.
Die Internetseite zum Film nimmt direkt auf die Spekulationen um den Maya-Kalender Bezug und will dem Film auf der Basis eines angeblich alten Urwissens der Menschheit einen realistischen Hintergrund verleihen: „2012 – Das Ende der Zeitrechnung im Maya-Kalender. Die Tibeter, die alten Ägypter, die Cherokee- und Hopi-Indianer, sie alle beziehen sich in ihren mystischen Glaubenssystemen und Zeitrechnungen, genau wie die Maya, auf einen 26.000 Jahre alten Zyklus. Dieser Zyklus endet am 22. Dezember 2012. Zu diesem Zeitpunkt ergibt sich eine äußerst seltene astronomische Konstellation, die sich bereits seit Jahrtausenden von Jahren abzeichnet. Auf dieser Prophezeiung basiert Roland Emmerichs 2012.“6
Maya-Mythos und kein Ende – Erich von Dänikens „phantastische Wissenschaft“
Der Maya-Mythos scheint sich als Stoff für Endzeitthriller und Hollywood-Verfilmungen besonders gut zu eignen. Und wenn es darum geht, die Spekulationen um die angeblichen Maya-Prophezeiungen mit einem mehr phantastischen denn wissenschaftlichen Anstrich zu versehen, darf auch der Prä-Astronautiker Erich von Däniken (geb. 1935) nicht fehlen.7 Der Bestseller-Autor wurde im September 2008 von der Schweizer Presse zitiert, wonach er für den Tag den Weltuntergang erwarte. Nachträglich sah sich Däniken jedoch dazu veranlasst, seine Aussagen zu korrigieren, da er falsch zitiert worden sei.8 Der Schweizer bemüht sich indes von jeher um den wissenschaftlichen Nachweis, „dass Ausserirdische vor Jahrtausenden Einfluss auf die Entwicklung der Menschheit genommen und Spuren auf der Erde hinterlassen haben“9.
Däniken vertritt auch die sog. Paläo-SETI-Hypothese, wonach Außerirdische vor langer Zeit die Erde besucht und die Entwicklung der Menschheit entscheidend beeinflusst hätten. Wegen ihrer hohen technischen Überlegenheit wären diese Astronauten von den Urmenschen für Götter gehalten worden. Vor dem Hintergrund dieser Annahme deutet von Däniken die unterschiedlichsten Hinterlassenschaften – Bauwerke und mythologische Überlieferungen alter indigener Kulturen – als Beweise für außerirdische Besucher. 2003 hatte der heute 74-Jährige im Berner Oberland einen Mystery-Park ins Leben gerufen, der 2006 geschlossen wurde und am 15.5.2009 in Interlaken neu eröffnet werden soll.10
Schon seit einigen Jahren bildet das Ende des Maya-Kalenders im Dezember 2012 einen Grundstein für Dänikens aktuelle Thesen und Aussagen. „Der Grund für die Mayas, ihren Kalender zu starten, war die Ankunft der Götter.“ Am Ende stehe deren Rückkehr, so ließ sich Däniken am 28.11.2005 in der ARD-Talksendung „Beckmann“ vernehmen.11 Auch gegenüber der deutschen Boulevardpresse erläuterte er 2006 seine Vorhersage, wonach die 2012 zurückkehrenden außerirdischen „Götter“ dann auch vor dem Kölner Dom und anderen heiligen Orten im so genannten Heiligendreieck Köln, Rom und Santiago de Compostela landen würden. Däniken ist sich sicher: „Die Außerirdischen haben immer Hochkulturen besucht. Die alten Mayas, die Ägypter. Warum jetzt nicht uns?“ Auch wenn er sich über den genauen Termin der Wiederkunft der „Götter“ im Unklaren ist, so empfiehlt er, auf den „Eventualfall“ vorbereitet zu sein.12
Zahlenkombinationen und spiritueller Nutzwert des Maya-Kalenders
Besonders verbreitet sind in der Esoterik-Szene säkulare Prophetien, die bis 2012 (und darüber hinaus) bevorstehende Etappen für die Menschheit entschlüsseln wollen. In der gegenwärtigen, mitunter leidenschaftlich geführten Diskussion im Internet ist man sich weder über die erwarteten Ereignisse noch über das genaue Datum einig. So ist die Rede vom 20., 21., 22., 23. und sogar vom 24.12.2012. Wegen der Entsprechung zur Jahreszahl 2012 ist der 20.12. besonders beliebt. Damit werden numerologische und astrologische Berechnungen verbunden. Für welchen Tag im Dezember auch immer – durchgängig erwarten Sensitive und „Channels“ große Umbrüche und Veränderungsprozesse.
Im Zentrum stehen dabei meist eigenwillige Interpretationsversuche des Maya-Kalenders.13 Er hat, wie manche Esoterik-Autoren suggerieren, für Anwender generell einen spirituellen Nutzwert. So findet sich in der Esoterik-Zeitschrift „Visionen“ die Rubrik „Positive Lebensgestaltung“, in der – ausgehend von der „Maya-Kosmologie“ – spezielle Potenziale für das spirituelle Wachstum aufgezeigt werden sollen: „Die universelle Maya-Kosmologie lehrt uns, dass Zeit eine Qualität hat. Das Jahr beginnt immer am 26. Juli und ist aufgeteilt in 13 Monde, die 28 Tage dauern, sowie in 13-tägige Wellen und einzelne Tagesenergien ... Maya funktioniert im Grunde genommen nicht anders als ein Ski-Lift. Man klinkt sich bewusst in die angebotene Energie ein und lässt sich langsam zum Etappenziel tragen.“14
Eine weitaus größere Suggestionskraft geht jedoch indes vom erwarteten Ende des Maya-Kalenders aus. In letzter Zeit häufen sich die Botschaften, dass im Dezember 2012 einen kollektiver Bewusstseinswandel zu erwarten sei.15 Das magische Datum wird zum kosmischen Ereignis, zum „Fixpunkt für die Beschleunigung des Bewusstseinswandels“16 hochstilisiert.
Säkular-eschatologische Erwartungen für das Jahr 2012
Bereits 1981 erschien in der Zeitschrift „Esotera“ eine dreiteilige Serie mit dem Titel „Welt im Kataklysmus“. Der Begriff „Kataklysmus“ (altgriechisch: kataklyzein = überschwemmen) bezeichnet in der Geologie eine erdgeschichtliche Katastrophe, eine plötzliche Vernichtung oder Zerstörung. In dem Artikel wurde über den amerikanischen Geologen Jeffrey Goodman berichtet, der für die Zeit von 1990 bis 2000 mit einem Team von „Sensitiven“ paranormale Daten zu „unvorstellbaren geologischen Umwälzungen“ ermittelt und diese wiederum mit geologischen Gegebenheiten und alten Prophezeiungen verglichen hatte. Demnach hätten die Sensitiven für den Zeitraum von 1990 bis 2000 weltweite Katastrophen in bisher nie gekanntem Ausmaß vorausgesagt. So sollten Teile der Britischen Inseln absinken, Skandinavien wiederholt von Überschwemmungen betroffen sein und der afrikanische Kontinent in mehrere Teile auseinanderbrechen. Der größte Teil Japans werde gar im Ozean versinken.
Schließlich gab das Team der Sensitiven auch eine Prognose für die Zeitspanne von 2010 bis 2030 ab, für die sie eine „neue kulturelle Orientierung“ voraussagten. Sie gingen davon aus, „dass der Mensch dann seine wahre Natur und Kapazität erfahren wird“. Regierungen würden dem Menschen zu seiner spirituellen Entwicklung verhelfen. Die Sensitiven sprachen „von spirituellen Lehren für alle, die persönliche Entfaltung suchen, und von durch Gebete kontrollierten Ernteerträgen. Und im Jahre 2030 soll es nicht mehr revolutionär, sondern selbstverständlich sein, dass Sensitive und Geistheiler in den vordersten Rängen der Wissenschaft als Vorreiter der Erkenntnis dienen.“17 Dieses Wunschdenken aus dem Jahr 1981 ist heute in der Esoterik-Szene nach wie vor dominant. Angesichts der für 1990 bis 2000 prognostizierten Katastrophen gab der Autor damals für das „Überleben nach dem Kataklysmus“ die spirituelle Empfehlung: „Insgesamt werden jedoch die Menschen, die auf ihre Ahnungen und Wahrträume achten und ihr Unbewußtes auf das Überleben der Katastrophe programmieren, viel größere Überlebenschancen haben als andere.“18
Computergestützte Endzeit-Synopse
Die verschlüsselten, schwer verständlichen und mehrdeutigen Texte von Nostradamus, oder Mühlhiasl haben von jeher die Fantasie selbsternannter Interpreten beflügelt.19 So hat Stephan Berndt vor zwei Jahren eine Neuauflage seines 1997 erstmals veröffentlichten Buches über die „Prophezeiungen zur Zukunft Europas und reale Ereignisse“20 vorgelegt. Im Internet betreibt er eine aufwändige Homepage, auf der er verschiedene Prognosen für die nahe Zukunft zusammengestellt hat.21 Bereits im Vorfeld der Sonnenfinsternis von 1999 hat er die Aufmerksamkeit von Nachrichtenmagazinen und Radio- und Fernsehsendern auf sich gezogen und mehrere Interviews gegeben. Im gleichen Jahr war er infolge der von ihm ermittelten „schlechten Prophezeiungen für den norddeutschen Raum“ von Hamburg nach München umgezogen.
In seinem Werk vergleicht Berndt die wichtigsten Prophezeiungen zur Zukunft Europas mit den augenblicklichen Entwicklungen in Wirtschaft, Politik und Ökologie. Auf der letzten Umschlagseite ist zu lesen: „Was bringt die Zukunft? Weiß man es in Washington, Moskau oder Jerusalem? Oder in Berlin, London, Paris oder Rom? Nehmen wir einmal an, man wüsste es dort – glauben Sie dann, man würde es Ihnen verraten? Und wenn Sie das nicht glauben, was könnte das bedeuten? Kann man den Kapitänen auf der Brücke nicht mehr trauen, ist es Zeit, sich ein Fernglas zu schnappen und selbst den Horizont nach Eisbergen abzusuchen.“22 Auf insgesamt 300 Seiten heizt er die suggerierte Titanic-Stimmung durch angeblich authentische Seherberichte zusätzlich an: So präsentiert er einen Gesamtüberblick verschiedener europäischer Prophezeiungen, die er mithilfe einer Computerdatenbank zusammengestellt hat. Darin finden sich rund 5000 einzelne Voraussagen von rund 250 seherischen Quellen aus Europa, ab dem 11. Jahrhundert bis heute. Das Quellenmaterial ist im Blick auf Entstehungszeit, Ort und Kontext der jeweils genannten Personen höchst disparat. So tauchen im Quellenverzeichnis folgende Namen auf: Hildegard von Bingen, Anna Katharina Emmerich (1774-1824), Maria Valtorta (1897-1961), Pater Pio (1887-1962), die Neuoffenbarer Jakob Lorber (1800-1864) und Bertha Dudde (1891-1965)23 – und selbst Nostradamus (1503-1566) und Mühlhiasl (ca. 1753-1825) dürfen in dieser säkular-apokalyptischen Synopse nicht fehlen!
Berndt hält das dargebotene Material für echt. Er betrachtet die Voraussagen als authentische Präkognition von Visionären: „Die Seher sind unsere Kameras und Mikrofone, ausgerichtet in die Zukunft. Mehr nicht!“24 Zunächst entwirft Berndt ein Weltkriegsszenario, bei dem die Rote Armee in Deutschland eindringt. Nach den mit konventionellen Waffen geführten Kämpfen werde über dem umkämpften Europa als Naturschauspiel ein hell leuchtender Himmelskörper erscheinen, woran sich eine dreitägige Finsternis anschließen würde. Weitere Katastrophen wie Erdbeben und Flutwellen sollen darauf folgen. Erst dann würde Ruhe einkehren: Die herrschenden Kriegstreiber in Russland werden entmachtet. Eine Friedenszeit hält Einzug: Ein neues Wertesystem würde entstehen: „Deutlichster Ausdruck davon wäre eine neue Religiosität und Spiritualität, die zu einer grundlegenden Erneuerung und Stärkung der traditionellen Religionen führt.“25 So wird über eine Vereinigung der christlichen Kirchen und über eine neue Ausstrahlungskraft des Christentums spekuliert: „Teilweise wird sogar eine geographische Expansion des Christentums vorausgesagt, dergestalt, dass Teile des Nahen Ostens unter christliche Herrschaft geraten oder sogar viele Juden zum Christentum übertreten. Im Extremfall ist sogar von einer Vereinigung der (monotheistischen) Religionen die Rede ...“26
In Berndts Prophezeiungen mischt sich die gefühlte Bedrohung mit einer optimistischen Zukunftsschau, die in eine zeitlich begrenzte Heilszeit münden soll. Es handelt sich – hermeneutisch gesprochen – bei dieser Textinterpretation um eine von typischen säkularen Überzeugungen motivierte und mit technischem Knowhow betriebene Eisegese, bei der eigene Vermutungen und gefühlte Bedrohungen hineingelesen und die vermeintlichen „Entdeckungen“ zu einem Endzeitfahrplan zusammengefügt werden. Mit Hilfe einer Zusammenschau („Synopse“) der angeblichen Präkognitionen von Sehern vergangener Epochen soll der Erwartungshorizont „verobjektiviert“ werden.
Mehrere Seiten seines Buches widmet Berndt dem Jahr 2012. Dabei muss er einräumen, dass auf Datumsangaben, also auf die Frage, wann diese Ereignisse eintreffen werden, kein Verlass ist: „Als 1999 und 2000 die Welt nicht unterging und auch der Heilige Geist nicht auf die Erde herabstieg, brauchte man dringend ein Ersatzdatum. Da bot sich das Jahr 2012 an. Die 2012 taucht erstmalig auf im Zusammenhang mit dem Maya-Kalender. 1905 gab es in der Zeitschrift ‚American Anthropologist’ eine Abhandlung über den Maya-Kalender. Darin hieß es sinngemäß, dass dem Maya-Kalender nach der gegenwärtige Zyklus der Menschheit am 22. [sic!] Dezember 2012 beendet sein wird.“27 Berndt steht den verschiedenen 2012-Hypothesen indes sehr kritisch gegenüber. Er betrachtet die Spekulationen um den Maya-Kalender insgesamt als wenig hilfreich. Er bezeichnet ihn gar als „Blackbox-Quelle“: „Ein elementarer Wesenszug einer solchen Blackbox-Quelle ist der, dass da niemand mehr ist, der seherische Fähigkeiten hat! In diese Lücke sind stattdessen Fachleute getreten, die sozusagen aus den toten Knochen verstorbener Seher neue Prophezeiungen hervorzaubern ... Sieht man sich an, wie sich die 2012 verbreitet hat, so fällt einem auf, dass alles in Nordamerika seinen Anfang nahm und von der dortigen Esoterikszene auf die europäische Esoterikszene übergeschwappt ist.“28
Überlebensstrategie für die Zeitenwende
Der in England lebende Adrian Gilbert, nach Ansicht seines deutschen Verlegers „einer der profiliertesten Autoren auf dem Gebiet der archäologischen Mysterien“29, veröffentlichte 1995 sein Buch „Die Prophezeiungen der Maya“, das sich über eine Million Mal verkauft haben soll.30 2008 erschien in dritter Auflage sein reißerischer Titel „21. Dezember 2012. Das Ende unserer Welt. Ein neuer Blick auf die Prophezeiungen der Maya“. Gegen Ende des über 300 Seiten umfassenden, bei genauer Analyse eher als spekulativ zu betrachtenden „Aufklärungswerkes“, das sich außer auf eigene Interpretationen oder angebliche biblische Voraussagen u. a. auf UFO-Sichtungen und Botschaften des US-amerikanischen Trance-Mediums Edgar Cayce (1877-1945)31 stützt, kommt Gilbert zu der Auffassung: „Wir sollten uns nun hüten, in diese Phänomene zuviel hineinzulegen. Aber angesichts der seltsamen Ereignisse unserer Zeit und der Tatsache, dass so viele alte Prophezeiungen in Erfüllung gehen – sowohl in der Astronomie als auch in den Ereignissen auf der Erde –, sollten wir offen sein. Es ist immer später als wir denken. Laßt uns also auf wichtige Veränderungen vorbereitet sein und akzeptieren, daß wir wirklich vor einer Zeitenwende stehen.“32
Wenige Seiten später empfiehlt er gar im Epilog, Nahrungsmittelvorräte für ein bis zwei Jahre anzulegen: „Jeder, der dies liest, sollte meiner Meinung nach dafür sorgen, einen oder zwei Sack Getreide, Dosennahrung und trockene Nudeln im Haus zu haben. Lagern Sie alles auf dem Speicher oder im Gästezimmer. Wenn am 22. Dezember 2012 tatsächlich eine Katastrophe hereinbricht, sind Sie besser gerüstet, wenigstens den ersten Teil des Desasters zu überleben. Was danach kommt, wenn die Vorräte knapp werden, muß gemeinsam beschlossen werden. Dann ist es Sache der Gemeinschaft, nicht des Einzelnen, Mittel und Wege zum Überleben zu finden.“33
Esoterische Hoffnungen für 2012
Wie unterschiedlich die Erwartungen für den Fixpunkt im Jahr 2012 sind, belegen die nachfolgenden Originalzitate von Esoterik-Autoren:
• Tibor Zelikovics schreibt in seinem Buch „Zeitenwende 2012“: „Nach dem Maya-Kalender leben wir heute in einer Endzeit. Der große Zyklus des Maya-Kalenders endet mit der Wintersonnenwende 2012. Nach dem Konzept der Maya von Zyklen und Zeitübergängen bedeutet dieses Ende gleichzeitig einen Neuanfang. Tatsächlich wurde dieser Übergang von den alten Maya als das Entstehen eines neuen Weltzeitalters angesehen. Am Ende jedes Zeitalters steht eine Neugeburt.“34
• Axel Klitzke, Autor des esoterischen „magazin2000plus“, vermutet: „Wir können davon ausgehen, daß es eine Wechselwirkung zwischen kosmischen Erscheinungen und unserem Bewußtsein gibt. Das heißt, wir beeinflussen mit unserer Gedankenwelt, die schlichtweg Energien sind und sich manifestieren können, unsere eigene Zukunft. Folglich wird im Dezember 2012 etwas geschehen, jedoch nicht wie oftmals in dunklen Tönen mit drei Tagen Dunkelheit u. ä. prophezeit wird. Es wird ein zwischenzeitliches energetisches Maximum geben, welches sensible Menschen deutlich fühlen werden, es ist das Einläuten zum letzten Abschnitt des 13. Baktuns, wo sich die Spreu vom Weizen trennen wird. Zu prophezeien, was dann alles geschieht, halte ich für spekulativ, denn der Schöpfer wird seine Karten in dem laufenden Spiel nicht vorzeitig auf den Tisch legen. Wir können jedoch davon ausgehen, dass jeder einzelne die für ihn zutreffenden Konsequenzen durch das eigene Bewußtsein beeinflußt.“35
• Das deutsche Kryon-Medium Patrizia Alexandra Pfister nennt weitere numerologische Gesichtspunkte: „Unter dem Zeitalter ‚Avalon’ verstehe ich die Zeit ab dem Untergang von Atlantis, die sich im Jahre 2012 von April bis Dezember (es dauerte länger als eine Nacht) genau zum zwölftaundendsten Male jährt. Das ergibt eine interessante Jahreszahl des Untergangs, nämlich 9988 vor Christus. Ihr wisst inzwischen selbst, dass ihr alle in milliardenfacher Weise durch Zahlen verschlüsselt seid und Zahlen somit auch den Schlüssel bilden, um das zu aktivieren, was hinter den Codes steht. Und so ist auch diese Zahl 9988 ein Code mit wichtigen Toren für euch und wird deshalb hier schon genannt.“36
• Das englische Engel-Medium Diana Cooper ist sich sicher: „Besondere Dinge werden sich am 21. Dezember 2012 ereignen. Die Engel werden zur Erde strömen, um der Menschheit in nie da gewesener Weise zu helfen. Die Einhörner werden zurückkehren, um den Menschen zu helfen, ihr wahres göttliches Selbst zu finden. Delphine und Wale werden ihre Weisheit mit den Menschen teilen. Hochfrequente Kinder werden geboren werden und alte Seelen werden sich inkarnieren.“37
• Der Buchautor Johannes Holey, der Vater des umstrittenen rechten Esoterikers Jan Udo Holey, schreibt: „Heute, am ‚Ende der Zeiten’, könnte man von Neo-Synergismus sprechen, denn das neue Verständnis aller alten Religionssysteme, Philosophien und Weltanschauungen erkennt die Wichtigkeit der menschlichen Mitwirkung am Heil. Doch den Beitrag und die Selbstbeteiligung, die die Erdengeschwister bis zum Jahr 2012 leisten werden müssen, ist gewaltig.“38
Licht, Energie, Fortschritt – Grundmuster esoterischer Wendezeithoffnung
Bereits 1987 kam in den USA das Buch „The Mayan Factor“ aus der Feder des Künsters und „visionären Historikers“ José Argüelles heraus, das drei Jahre später auf Deutsch unter dem Titel „Der Maya Faktor“ erschien.39 Darin erklärt der Autor, dass die Geschichte der Menschheit von dem Großen Zyklus geprägt wurde, der dem Maya-Kalender zufolge von 3113 v. Chr. bis 2012 n. Chr. dauern soll: „Dieser Große Zyklus besitzt nach seiner Auffassung die Gestalt eines riesigen Strahls, der die Galaxie durchschneidet und dessen Lichtkegel Erde und Sonne durchwandern. Wir erfahren, daß die Perioden irdischer Geschichte sich nach diesen ‚galaktischen Epochen’ richten, die bereits von den Maya mathematisch und symbolisch erfaßt wurden. Argüelles begreift uns Menschen als mit den notwendigen Kräften begabt, um uns auf direktem – sinnlichem und biomagnetischem – Wege mit der Energie-Information dieses Strahls in Verbindung zu setzen.“40 Ab 2012 soll die Transformation irdischer Energie einsetzen. „Insofern bedeutet das Ende des Zyklus im Jahre 2012 n. Chr. ... nichts Geringeres als den entscheidenden qualitativen Sprung in der Evolution des Lichts und des Lebens der Erde oder auch des radiogenetischen Prozesses, den unser Planet verkörpert.“41 Schließlich erwartet er „den Aufstieg zur post-historischen und damit posttechnologischen Existenz ..., wo der Menschheitsorganismus zu seiner symbiotischen Harmonie mit der Natur ‚zurückkehrt’“.42
Der Trend zum 2012-Event
Der Beginn des Maya-Kalenders wird herkömmlich für den 11. August 3114 v. Chr. angesetzt. Mit seinem Ende im Dezember 2012 werden gravierende spirituelle Umwälzungen erwartet. In der Esoterik-Szene spielen besondere Events zur Einstimmung auf das magische Datum eine nicht unbedeutende Rolle. So ist für den 19. und 20. September 2009 in Hamburg ein großer Esoterik-Kongress zum Thema „2012 – Die Welt im Wandel“ geplant. Der Veranstalter, die Buchhandlung Wrage, teilt hierzu mit: „Mit der Rückkehr der Gottheit Quetzalcoatl – der gefiederten Schlange – und dem Ende des Mayakalenders steht das Jahr 2012 für den Übergang von unserer jetzigen Lebensform zu einer neuen, die in eine höhere Bewusstseinsform mündet. Während manche dieses Ereignis zum Anlass für die Warnung vor großen Katastrophen nehmen, sehen die spirituellen Lehrer und Weisen dagegen dieses magische Datum als Fixpunkt für die Beschleunigung des Bewusstseinswandels, der für uns alle schon spürbar ist. Auf diesem großen Kongress werden einige der bedeutendsten Experten und Autoren über ihre Forschungen und Erkenntnisse berichten. Sie werden uns in Vorträgen, Bildern und Visualisierungen mit auf die Reise nehmen um uns so auf diese intensive Wandlung vorzubereiten.“43
Als Mitwirkende sind u. a. angekündigt: der US-amerikanische „spirituelle Führer“ Gregg Braden44, die englische Heilerin und „mediale Schriftstellerin“ Diana Cooper sowie Eugenia Casarin Nah Kin, eine aus Mexiko stammende Schamanin, die nach eigenen Angaben seit 1987 im Kontakt mit dem aufgestiegenen Meister Kinich Ahau steht.45 Die Programmankündigung nennt zudem das deutsche Channel-Medium Ute Kretzschmar, das Durchsagen vor Konfuzius und Meister Kuthumi empfängt46, sowie Peter Ruppel, der 2008 das Buch „Maya 2012 – Geheimes Wissen und Prophetie“ vorgelegt hat. Vom Kongressveranstalter wird zu Werbezwecken das englische Engelmedium Diana Cooper mit den Worten zitiert: „Die Wintersonnenwende 2012 markiert das Ende einer Epoche und den Beginn einer neuen. Gleichzeitig endet ein 26.000 Jahre dauernder kosmischer Zyklus und ein neuer beginnt. 2012 ist auch der Anfang einer 20 Jahre dauernden Übergangsphase. Höhere Energien strömen bereits auf die Erde ein, um sie auf die bevorstehenden Veränderungen vorzubereiten, aber 2012 wird eine massive Lichtzunahme zu verzeichnen sein. Gaia, der gewaltige Engel, in dessen Obhut sich die Erde befindet, hat verfügt, dass sich das Bewusstsein der Erde und all ihrer Bewohner erhöhen muss. Wer bereit ist, wird eine außergewöhnliche Gelegenheit erhalten, spirituell zu wachsen. Dies ist eine einmalige Gelegenheit. Seit Hunderten von Jahren ist die Menschheit darauf vorbereitet worden.“ Und wenig später heißt es: „Es entsteht die Möglichkeit für einen gewaltigen Bewusstseinswandel. Wir alle sind aufgerufen, die Energie weise zu nutzen.“47
Wendezeit 2012 (Kryon-Channel Lee Carroll)
In den Channeling-Botschaften des Amerikaners Lee Carroll, durch den seit 1989 die Wesenheit Kryon spricht, ist nicht die Rede von einer Endzeit, sondern vielmehr von einer Wendezeit – hin zu einer hoffnungsvollen Zukunft, die sich 2012 in „energetischer Hinsicht“ vollziehen werde.48 Mit 2012 werde eine neue Zeit anbrechen, die die alte ablösen werde. Im Kalender der Maya und Azteken erblickt Carroll bzw. Kryon „energetische Markierungspunkte“ bzw. „Muster an Energiepotentialen, die alle Bestandteil der Zeituhr von Gaia sind“.49 Gaia wird in den Botschaften auch als „planetare Lebenskraft“, als „Kombination verschiedener Wesenheiten“ bezeichnet.50 Im Vergleich zu früheren Aussagen scheint Carroll bzw. Kryon jetzt eher allzu konkrete Erwartungen dämpfen zu wollen: „Es wird 2012 kein signifikantes spirituelles Ereignis geschehen, nur das Feiern des Wegweisers, der euch sagt, dass ihr angekommen seid.“51 Gedacht ist an einen neuen Anfang, der ein Potenzial auf dem Planeten markieren würde, das auch als „Neues Jerusalem“ bezeichnet wird.52 Erwartet wird für den Planeten eine „Renaissance des Denkens“, „Licht“ bzw. „neue Energie“, die Kriege nicht mehr unterstützen werde.
Die Channeling-Botschaften erinnern auch an die Kinder der neuen Zeit, die sogenannten Indigo-Kinder.53 Diese Kinder mit einer indigoblauen Aura werden als Repräsentanten einer „spirituellen Evolution“ betrachtet. Sie sollen dabei helfen, Frieden auf Erden zu schaffen.54 Zur Vorbereitung auf die neue anbrechende Zeit legt Carroll seinen Anhängern drei Verhaltensweisen nahe: (1) Um der neuen Zeit zu entsprechen, gelte es, „den Überlebensinstinkt abzulegen“55, da er eine „alte Energieform“ verkörpere. (2) Der Mensch müsse sich von seinem „Ego verabschieden und es dann ins Gleichgewicht bringen“.56 Diese Einstellung wird als „ein Stück Göttlichkeit und Überlebenskraft“ bezeichnet. (3) Schließlich soll sich der Mensch seines wahren – androgynen – Wesens bewusst werden. Kryon geht beim Menschen von einer Kette von (Vor-)Inkarnationen aus: „Ihr alle habt schon beide Geschlechter gehabt ... Auf diesem Planeten ist das Gleichgewicht zwischen der männlichen und weiblichen bewussten Energie seit Jahrtausenden aus dem Lot. Es ist männerlastig zugegangen ... Die Energie des Venustransits im letzten Jahr war ein Werkzeug, das in Gaia selbst ein potenzielles Gleichgewicht einpflanzte, um denen Rechnung zu tragen, die sich mehr Gleichgewicht in Sachen männlich/weiblich wünschten.“57 Die Botschaften Carrolls und weiterer Kryon-„Channels“ üben derzeit nachhaltigen Einfluss auf die Esoterik-Szene aus. Kongresse, Bücher und Zeitschriftenartikel in Esoterik-Magazinen flankieren diese Entwicklung.
Ein kritischer Blick auf den 2012-Maya-Mythos
In den letzten Jahren ist die Zahl der selbsternannten Experten, „Channels“ und esoterischen Interpreten des Maya-Kalenders im Blick auf das Jahr 2012 kontinuierlich gewachsen – und sie wird in den nächsten Jahren wohl noch zunehmen. Das mittlerweile unüberschaubare Internetangebot in mehreren Sprachen belegt, dass infolge der neuen Kommunikationsmöglichkeiten inzwischen eine Globalisierung und immense Verbreitung dieses modernen Maya-Mythos eingesetzt hat. Worin liegen seine Kernpunkte?
Revitalisierung von Hoffnungen des „New Age“
Die breit entfalteten esoterischen Hoffnungen, die sich auf den 21./22. Dezember 2012 richten, revitalisieren und aktualisieren Grundgedanken und Erwartungen des „New Age“, der spirituellen Hoffnung auf ein neues Zeitalter bzw. auf eine globale Wendezeit, die – so die Hoffnung – mit einer Transformation des menschlichen Bewusstseins, eines spirituellen kollektiven Evolutionssprunges einhergehen soll. Im Buch „Zeitenwende 2012“ wird eine neue Spiritualität als „Synthese zwischen dem säkularen Humanismus und den traditionellen Religionen“ beschworen, die
• Wahrheitsansprüche aller Religionen relativiert und lediglich ihre „tieferen Wahrheiten“ entdecken möchte,
• die menschliche Intuition und einen „mündigen Individualismus“ fördert,
• das Göttliche im Menschen selbst und nicht außerhalb von ihm sucht,
• die Lehre von einer ewigen Verdammnis ablehnt und stattdessen mehr an Karma und Reinkarnation glaubt,
• gegenüber der Technologie eine skeptische Haltung einnimmt und sich für den Erhalt der Harmonie mit den Gesetzen der Natur einsetzt.58
Insgesamt bleibt der 2012-Mythos ein ambivalentes Phänomen. Innerhalb der Esoterik-Szene gibt es durchaus einander widersprechende Prognosen. Während die einen das Goldene Zeitalter betonen, finden andere mahnende Worte: Die erwartete Zeit werde, wie es heißt, auch eine Zeit des Umbruchs sein. Es ist die Rede von Kataklysmen und Naturkatastrophen. Die widersprüchlichen esoterischen Erwartungen haben indes nur wenige Anhaltspunkte in der Maya-Kultur. Der Maya-Kalender bietet offensichtlich nur die Projektionsfläche übersteigerter Erwartungen: So erblicken die Protagonisten des 2012-Mythos in den Maya Botschafter von den Sternen oder spirituelle Führer, die eine Evolution der Menschheit verkünden. In Wahrheit entspringt die Botschaft der Maya jedoch einer zutiefst irdischen Perspektive: „Die wahren Lehren der Maya sind Erfahrungen, die sie über Hunderte von Generationen hinweg und im beständigen Zusammenleben in enger Beziehung zur gleichen, relativ kleinen Region gesammelt haben.“59
Somit handelt es sich bei dem 2012-Phänomen weniger um eine alte Voraussage als vielmehr um ein modernes, esoterisch angereichertes Fantasie-Produkt, das mehr über seine Anhänger als über die Zukunft aussagt. Kritiker konstatieren: „Was passiert nun wirklich am 23. Dezember 2012? Die Lange Zählung der Maya, die wie unser Zählen natürlicher Zahlen bis in die Ewigkeit fortgeführt werden könnte, wird wegen einer Kombination mythologischer und kalendermathematischer Gegebenheit quasi umgebrochen und beginnt von vorn – der Maya-Kalender ,endet’ also mitnichten zu diesem Zeitpunkt, wie allerorten simplifizierend zu vernehmen ist. Dass just an diesem Tag irgendetwas Spektakuläres passieren wird, können wir nicht mit Gewissheit ausschließen. Und da wir auch nicht beweisen können, dass es keine außerirdischen Besucher gibt oder gab, erklären phantasievolle Autoren wie Erich von Däniken die erstaunlichen (wenn auch nachvollziehbaren) Errungenschaften der frühen Hochkulturenwie die der Maya auf ihre ganz eigene Weise.“60 Von rationalen Argumenten werden sich esoterische Erwartungen nicht belehren lassen. Manche esoterischen Hoffnungen blicken schon über 2012 hinaus. So prophezeit etwa die amerikanische „spirituelle Lehrerin“ Phyllis M. H. Atwater für 2025 den Beginn des Wassermannzeitalters: „Je größer das Ereignis, desto länger die Vorlaufzeit ... Die Energie des Wassermanns ist voller Visionen, humanitär, exzentrisch, mobil und aufwieglerisch. Es ist ihr gelungen, seit 1899 in jeden Aspekt der Gesellschaft zu sickern. Ihre Bedeutung nimmt stetig zu, gegen 2025 werden wir eine große Dosis abbekommen. Es wird sich anfühlen, als ob das Wassermannzeitalter endlich da sei (‚anfühlen’ wohlgemerkt).“61
Christliche Eschatologie und esoterische Zukunftshoffnung im Widerstreit
Die derzeit mit dem 2012-Mythos verbreiteten esoterischen Zukunftsutopien stellen letztlich die Variante einer übersteigerten und ins Spirituelle, in „höhere Energieformen“ hinein verlagerten – und damit rein innerweltlichen – säkularen Hoffnung dar: „Die modernen apokalyptischen Deutungen menschlicher Endzeiten sind Säkularisierungen biblischer Apokalyptik und haben mit ihr nur noch die Katastrophe, aber nicht mehr die Hoffnung gemein.“62 Im Ensemble der säkularen und esoterischen Endzeit- bzw. Wendezeiterwartungen existieren viele mehrdeutige und fragwürdige Angebote, mit denen die christliche Botschaft als Botschaft der Hoffnung und des Heils in Konkurrenz tritt. Zweierlei ist für die christliche Perspektive geltend zu machen: „Christlicher Glaube ist nicht gleichbedeutend mit der Hoffnung auf den Fortbestand der Welt. Er ist freilich auch etwas anderes als die apokalyptische Hoffnung auf eine andere Welt jenseits der möglichen Katastrophe.“63
• Aus christlicher Sicht ist Protest gegenüber Endzeitberechnungen ebenso wie gegenüber Datierungen einer angeblich unmittelbar bevorstehenden „Heilszeit“ angezeigt. Christlicher Glaube weiß um die Begrenztheit und Vergänglichkeit dieser Welt, in der die Glaubenden aber auch Verantwortung tragen. Aber er weiß auch um den Anbruch einer neuen Zeit Gottes, die mit der Auferstehung Jesu Christi begonnen hat.
• Die Datierung und die Beschreibung eines spirituellen Evolutionssprungs überschätzt die Möglichkeiten des Menschen, sich „Heil“ – ohne Gott – im umfassenden Sinn anzueignen. Im esoterischen Kontext überwiegen rein innerweltliche Selbstverwirklichungshoffnungen, die von einer rein anthropozentrischen Weltsicht geprägt sind: Die Erwartung richtet sich demzufolge ausschließlich auf die spirituelle Fähigkeit des Menschen, die ihn zum entscheidenden Motor für eine globale Evolution der Menschheit erhebt. Die Erwartung des christlichen Glaubens richtet sich dagegen auf das Kommen Gottes, auf die Wiederkunft Jesu Christi, die aller Ungerechtigkeit ein Ende bereiten wird. Diese ermöglicht eine Perspektive der Gelassenheit und der Weltverantwortung, da der Glaubende sich von Gott gehalten und getragen weiß.
• In der Gemeinschaft mit Christus gibt es schon jetzt neue Schöpfung inmitten dieser unerlösten Welt. Welche Perspektive ergibt sich daraus für den Glaubenden? Der Theologe Jürgen Moltmann rät: „Man kann nur darauf vertrauen, dass auch im Weltende ein neuer Anfang verborgen liegt, wenn man auf Gott vertraut, der aus dem Nichts ins Dasein ruft und aus dem Tod neues Leben schafft ... Leben aus dieser Hoffnung heißt dann, gegen den Augenschein und gegen alle Erfolgsaussichten jener Welt der Gerechtigkeit und des Friedens schon heute und hier entsprechend zu handeln ... Es bedeutet ein unbedingtes Ja zum Leben angesichts des unausweichlichen Todes alles Lebendigen. Das ist der tiefere Sinn des legendären Lutherwortes von dem ‚Apfelbäumchen’, das er noch heute pflanzen würde, wenn er wüsste, daß morgen die Welt unterginge.“64
Im Blick auf den 2012-Maya-Mythos bleibt abschließend festzuhalten: Vieles in dieser Welt ist und bleibt unberechenbar. Aber zumindest soviel scheint für das Jahr 2012 festzustehen: Es wird ein Schaltjahr sein und 366 Tage zählen. Und 2012 wartet mit wichtigen Ereignissen auf: So sollen in London die XXX. Olympischen Sommerspiele und in Polen und in der Ukraine die Fußball-Europameisterschaft stattfinden. Für den 6. November ist in den USA die Präsidentschaftswahl festgesetzt. Am 15. April jährt sich zum 100. Mal der Untergang der Titanic, und für den 13. November wird eine totale Sonnenfinsternis erwartet, die in Australien, Neuseeland, im Südpazifik und in Südamerika zu sehen sein wird. Man muss kein Prophet sein, um zu prognostizieren: Spätestens dann, wenn das Jahr 2012 zu Ende gegangen sein wird, werden esoterische Hoffnungen ein neues Datum in den Blick nehmen.
Matthias Pöhlmann
Anmerkungen
1 Im Jahr 1999, unmittelbar im Vorfeld der medial inszenierten und spirituell aufgeladenen Jahrtausendwende, wies der damalige EZW-Referent Hans-Jürgen Ruppert auf die Esoterik als „Krisensymptom“ hin: Esoterik zwischen Endzeitfieber und Erlösungshoffnung, in: MD 10/1999, 289-305.
2 Zu den Hintergründen bzw. astronomischen Berechnungen: Mario Krygier / Jens Rohark, Faszination 2012 – Das Buch zum Maya-Kalender, Magdeburg 2008; Andreas Fuls, Die astronomische Datierung der klassischen Mayakultur (500-1100 n. Chr.). Implikationen einer um 208 Jahre verschobenen Mayachronologie, Norderstedt 2007.
3 www.pcwelt.de/171666, 27.3.2009.
4 2012 droht ein Sonnen-Tsunami, www.rp-online.de vom 24.8.2008; abgerufen: 27.3.2009.
5 Brian D’Amato, 2012 – Das Ende aller Zeiten, Bergisch Gladbach 2009.
6 www.roland-emmerich-2012.de.
7 Zu Däniken vgl. Markus Pössel, Phantastische Wissenschaft. Über Erich von Däniken und Johannes von Buttlar, Reinbek 22000.
8 www.sagenhaftezeiten.com/index.php?op=news&func=news&id=5630; 4.4.2009.
9 www.daniken.com, 4.4.2009.
10 Zu den Hintergründen vgl. Christian Ruch, Dänikens Disneyland – der Mysterypark im Berner Oberland, in: MD 8/2003, 311f. – Zur Selbstvorstellung des Projekts: www.mysterypark.com.
12 So Erich von Däniken in seinem Video „Maya Kalender 2012“ auf www.youtube.com, 4.4.2009.
13 Vgl. Peter Ruppel, Maya 2012. Geheimes Wissen und Prophetie, Darmstadt 2009.
14 In: Visionen 10/2008, 44.
15 Georg Otto Schmid, 21.12.2012, in: Informationsblatt der Evangelischen Informationsstelle: Kirchen – Sekten – Religionen (Rütli/Schweiz) 3+4/2008, 1-5.
16 2012 – ein kosmisches Ereignis und die Prophezeiungen der Maya, in: Allegria Magazin. Lebenshilfe – Spiritualität – Inspiration, Frühjahr 2009, 26.
17 Holger Kahlweit, Welt im Kataklysmus, in: Esotera 32 (1981), Teil I, 916-927; Teil II, 998-1008; Teil III, 1121-1127, hier 1008.
18 Ebd., 1127.
19 Vgl. Matthias Pöhlmann: Fabulierkunst ohne Grenzen. Der neue Kult um Nostradamus, in: MD 12/2003, 433-455.
20 Stephan Berndt, Prophezeiungen zur Zukunft Europas und reale Ereignisse, Weilersbach 2007.
21 www.prophezeiungen-zur-zukunft-europas.de.
22 S. Berndt, Prophezeiungen, a.a.O., letzte Umschlagseite.
23 Zu näheren Einzelheiten vgl. Matthias Pöhlmann, „Ich habe euch noch viel zu sagen ...“. Neuoffenbarer – Gottesboten – Propheten, EZW-Texte 169, Berlin 2003.
24 S. Berndt, Prophezeiungen, a.a.O., 16
25 Ebd., 30.
26 Ebd., 135.
27 Ebd., 139.
28 Ebd., 140f.
29 Vgl. den Schutzumschlag des genannten Buches.
30 Internetseite: www.adriangilbert.co.uk.
31 In Deutschland existiert seit 1995 ein kleiner Leserkreis der Werke Cayces; vgl. hierzu die Selbstdarstellung im Internet: www.cayce.de.
32 Adrian Gilbert, 21. Dezember 2012. Das Ende unserer Welt? Ein neuer Blick auf die Prophezeiungen der Maya, Rottenburg 32008, 329f.
33 Ebd., 334.
34 Tibor Zelikovics, Zeitenwende 2012, Freiburg i. Br. 2008
35 Axel Klitzke, Das Maya-Kalender – falsch interpretiert? In: Alte Kulturen – Magazin 2000plus Nr. 264 (o. J.), 16-19, hier 19.
36 www.wrage.de/kryonkonferenz/referenten_Pfister.htm , 27.3.2009.
37 www.wrage.de/kgs/0808cooper.htm ; 4.4.2009.
38 Johannes Holey, Bis zum Jahr 2012. Der Aufstieg der Menschheit, Fichtenau 72008, 358.
39 José Argüelles, Der Maya-Faktor. Sonderausgabe mit allen Graphiken der englischen Originalversion; im Internet abrufbar: www.maya.at.
40 Ebd., zweite Umschlagseite.
41 Ebd., 79.
42 Ebd., 93.
43 Vgl. die Programmankündigung im Internet: www.wrage.de/live/index.php?id=1779 , 4.4.2009.
44 Gregg Braden, Fractal Time. Das Geheimnis von 2012 und wie ein neues Zeitalter beginnt, Burgrain 2009.
45 Vgl. die Informationen auf www.imlicht.ch/Veranstaltungen_2007/Nah_Kin.pdf , 4.4.2009.
46 Ute Kretzschmar, 2012. Der Aufstieg der Erde in die fünfte Dimension, Seeon 2002.
47 www.wrage.de/kgs/0808cooper.htm , 31.3.2009.
48 Lee Carroll, Kryon, Hinter dem Schleier. Die Apokalypse der neuen Energie, Kryon Band 9, Burgrain 2007, 62.
49 Ebd., 285.
50 Ebd., 371.
51 Kryon-Channel Lee Carroll am 20.12.2007, www.starchildglobal.com, 27.3.2009.
52 Ebd., 315.
53 Vgl. Matthias Pöhlmann, Indigo-Kinder – Künder eines neuen Zeitalters? In: MD 12/2002, 355-369.
54 Lee Carroll, Kryon, a.a.O., 108.
55 Ebd., 301f.
56 Ebd., 303.
57 Ebd., 305.
58 Tibor Zelikovics, Zeitenwende 2012, a.a.O., 234.
59 Robert K. Sitler, 2012 and the Maya World, in: Gregg Braden u. a., The Mystery of 2012. Predictions, Prophecies & Possibilities, Boulder/Colorado 2009, 93-113, hier 112.
60 Mario Krygier, Weltuntergang 2012, in: Skeptiker 1/2009, 21-25, hier 25.
61 Phyllis M. H. Atwater, Indigo-Kinder und die neue Zeit ab 2012, Stuttgart 2007, 235f.
62 Jürgen Moltmann, Das Kommen Gottes. Christliche Eschatologie, Gütersloh 1995, 253.
63 Ulrich Körtner, Weltangst und Weltende. Eine systematische Analyse und Besinnung an der Jahrtausendwende, in: MD 1/1999, 1-12, hier 10.
64 Jürgen Moltmann, Das Kommen Gottes, a.a.O., 262.