„Schlussmachen jetzt! - Kirchenstaat? Nein danke!“
Säkulare Buskampagne 2019
Zehn Jahre nach einer ersten Buskampagne – damals unter dem Motto: „Gottlos glücklich“ – führte die Giordano Bruno Stiftung (gbs) in Kooperation mit dem Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IKBA) im Mai 2019 eine zweite Buskampagne durch. Diese zweite Kampagne mit dem Motto „Schlussmachen jetzt! – Kirchenstaat? Nein danke!“ bereiste 29 deutsche Städte. Begleitet wurde die jeweils mehrstündige Präsenz des Doppeldeckers in den Innenstädten an vielen Orten durch ein Rahmenprogramm mit Podiumsdiskussionen, Vorträgen oder Lesungen. Unterstützt wurde die Kampagne durch den Humanistischen Pressedienst (hpd) als Medienpartner und durch regionale bzw. lokale Gruppen des Bundes für Geistesfreiheit, der Church of the Flying Spaghetti Monster und anderer humanistischer Organisationen; auch Richard Dawkins und die Richard Dawkins Foundation in Deutschland stellten sich hinter die Kampagne.1 Die für die Buskampagne benötigten 80.000 Euro wurden zur Hälfte durch Spenden finanziert; die andere Hälfte übernahmen die gbs (30.000 Euro) und der IBKA.2
Nicht nur in den Broschüren, Materialien und Flyern, die an den Busstandorten verteilt wurden, sondern auch beim Rahmenprogramm standen zwei Themenkomplexe im Mittelpunkt: Aus Sicht der Kampagnenveranstalter sei erstens die Trennung von Staat und Kirche nach wie vor nicht vollzogen worden. Und zweitens gebe es vielfältige Formen religiöser Bevormundung etwa hinsichtlich des Schwangerschaftsabbruchs oder des Selbstbestimmungsrechts am Lebensende. „Werden diese und andere Kirchen-Privilegien nicht abgeschafft, so lassen sich auch die politischen Bestrebungen der Islamverbände nicht stoppen, die für sich ebenfalls ‚religiöse Sonderrechte‘ beanspruchen.“3 Der Vorstandssprecher der gbs, Michael Schmidt-Salomon, hob hervor, dass auf „eine konsequente Trennung von Staat und Religion“ hingewirkt werden solle.4 Um zu dokumentieren, wie lange diese Trennung als unerledigtes Desiderat anzusehen sei, läuft im Internet ein „Verfassungsbruch-Ticker“.5
Begleitet wurde die Buskampagne durch eine Reihe von Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen, an denen neben Michael Schmidt-Salomon auch Beiratsmitglieder der gbs (Carsten Frerk, Helmut Ortner, Ingrid Matthäus-Maier), vereinzelt auch kirchliche Vertreter oder Politiker (z. B. Volker Beck, Die Grünen) teilnahmen.
Ein Bus in Hamburg …
Anfang Mai kam der Kampagnenbus in die Hamburger Innenstadt. Tagsüber standen dort Gesprächspartner für Passanten bereit, an einem Schriftenstand wurden zahlreiche Broschüren der gbs angeboten.
An der in Hamburg durchgeführten Abendveranstaltung nahmen rund 80 Besucherinnen und Besucher teil. Unter dem Titel „Für die Herausforderungen unserer Zeit: Säkularisierung jetzt! 100 Jahre Verfassungsbruch sind genug!“ diskutierten für die Buskampagne Michael Schmidt-Salomon und Carsten Frerk (Beirat der gbs, Autor kirchenkritischer Bücher) mit dem Hamburger evangelisch-lutherischen Propst Karl-Heinrich Melzer. Diese Podiumsdiskussion war wie andere geprägt von der zentralen Forderung der Buskampagne, die grundgesetzlich gebotene, aber angeblich nicht vollzogene Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften endlich umzusetzen.
Eine (mir) neue Argumentationslinie trug Schmidt-Salomon in Hamburg mit seinem Votum für weitgehende Liberalisierungen der Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch und zur Sterbehilfe vor: Gerade in diesen beiden Bereichen würden die Gesetze im Bundestag durch „irrationale und kontrafaktische Vorstellungen“ des persönlichen Glaubens einzelner Abgeordneter zustande kommen. Allerdings dürften sich Abgeordnete bei den ihnen vom Grundgesetz (Art. 38, Abs. 1) zugestandenen Gewissensentscheidungen nicht auf ihren persönlichen Glauben berufen. Vielmehr müssten Abgeordnete einem „politischen Gewissen“ entsprechend entscheiden und hätten „nicht das Recht, den persönlichen Glauben zur Rechtsnorm zu erheben“. So sollten sie der Legalisierung der Sterbehilfe entsprechend der durch Meinungsumfragen erhobenen mehrheitlichen Zustimmung (80 Prozent) aufgrund dieses „politischen Gewissens“ zustimmen.6
An der anschließenden Diskussion konnte sich das Publikum beteiligen, das nach meinem Eindruck weitgehend dem Spektrum atheistischer und humanistischer Organisationen nahestand. Vielfach kreisten die Fragen um Themenkomplexe, die sich an die Hauptforderungen der Buskampagne anlagerten. Insbesondere der konfessionelle Religionsunterricht, die vermeintlich staatlich geförderte Dominanz von Caritas und Diakonie in der Wohlfahrtspflege, das kirchliche Arbeitsrecht und die kirchliche Seelsorge in Krankenhäusern standen im Mittelpunkt.
Neues aus dem Bus? Eine Einschätzung
Die mediale Resonanz war ausweislich einer Internetrecherche und der Kampagnen-Homepage überschaubar: Zwar hat der hpd zwischen Ende April und Anfang Juni 25 Pressemitteilungen bzw. ausführliche Blog-Beiträge veröffentlicht. In den Medien erschienen zur Buskampagne insgesamt jedoch nur rund 20 ausführliche Berichte.
In einem nach der Buskampagne gegebenen Interview vertrat Schmidt-Salomon die Auffassung, dass die überschaubare mediale Aufmerksamkeit „ein vorrangiges Ziel“ der Kampagne bestätigt habe: „Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass die ‚politische Klasse‘, zu der auch die Journalistinnen und Journalisten gehören, das Thema ‚Trennung von Staat und Kirche‘ sträflichst ignoriert.“ Denn: „Hätten wir eine wirklich starke Medienresonanz erzielt, wäre dies sogar ein Zeichen dafür gewesen, dass es die Buskampagne gar nicht gebraucht hätte.“7 Doch den Medien den „Schwarzen Peter“ zuzuschieben und die eher marginale öffentliche Wahrnehmung als Beweis für die Notwendigkeit der Kampagne zu stilisieren, wirkt nicht nur arg bemüht. Könnte es nicht auch sein, dass es derzeit andere, weitaus drängendere und dringendere Themen gibt, als den säkularen Staat in einen szientistisch geprägten umzuformen?
Eher im Ungefähren blieb bei der Kampagne, aber auch bei den Veranstaltungen, wie sich die Veranstalter der Buskampagne eine Neuordnung der Verhältnisse zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, insbesondere den Kirchen, vorstellen. Als bei der Hamburger Abendveranstaltung Propst Melzer forderte, die gbs solle sich inhaltlich stärker positionieren als allein durch die Abgrenzung zu Kirchen und Religionen, verwies Schmidt-Salomon auf den „evolutionären Humanismus“ als den diesem Staat und der Verfassung angemessenen säkularen Gegenentwurf.8
Vor dem Hintergrund des Konzeptes eines evolutionären Humanismus sind auch die Forderungen der Buskampagne einzuordnen. Allerdings ist mit Reinhard Hempelmann zu fragen, ob der evolutionäre Humanismus als weltanschauliches Konzept und die ihm innewohnenden animalistischen, anarchistischen und antireligiösen Vorstellungen mit den Werten und ethischen Orientierungen des Grundgesetzes hinsichtlich der Menschenwürde und der Menschenrechte in Einklang zu bringen sind.9 Zudem sind auch die Vorstellungen, welche Spielregeln der parlamentarischen Demokratie zugrunde zu legen sind, einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.
Für Schmidt-Salomon ist das Menschsein „ein auf dem ‚Prinzip Eigennutz‘ basierender Prozess der Selbstorganisation“10, er sieht im „‚Ich‘ nichts weiter als ein Artefakt des körperbewussten Hirns“11 und betrachtet Religion als Ergebnis neuronaler Prozesse. Damit geht einher, dass keine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Tier und Mensch möglich sei und dem Leben „Eigennutz“12, aber auch Selektion13 als Grundprinzipien zugrunde liegen. Das mit diesen Prinzipien einhergehende Überlebensinteresse werde in den ersten beiden Lebensjahren entwickelt, und der Mensch werde erst dann aufgrund eines herausgebildeten „Ich-Bewusstseins“ zur Person, die ein „echtes, bewusstes Überlebensinteresse“ habe. Diese anthropologische Setzung führt für Schmidt-Salomon zu dem Schluss, dass der Lebensschutz „aus praktischen Erwägungen heraus“ ab der Geburt zu gelten habe.14
Vor dem Hintergrund dieser Auffassungen vom Menschsein hat Schmidt Salomon in der Buskampagne seine Vorstellungen zu politischen Entscheidungsprozessen entworfen, bei denen er religiöse Motive aus den entsprechenden Diskursen ausgeschlossen wissen will. Damit verkennt er, dass auch der von ihm vertretene evolutionäre Humanismus als Weltanschauung in Konkurrenz zu anderen religiösen oder philosophischen Weltdeutungen steht und nicht per se glaubwürdiger und wahrheitsnäher als andere ist. Und wenn bei Gewissensentscheidungen – etwa bei der Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch oder zur Sterbehilfe – von Bundestagsabgeordneten erwartet wird, dass sie nicht ihrem persönlichen, sondern einem „politischen Gewissen“, das sich am Mehrheitswillen der Bevölkerung orientiert, folgen sollten, stellen sich gleich mehrere Fragen: Soll in der Gesetzgebung insbesondere bei den genannten Themen ein solcher Mehrheitswille durch Meinungsumfragen erhoben werden, deren Ergebnisse erheblichen Schwankungen unterworfen und vom Frageduktus abhängig sind? Wird die – unausgesprochene – Übertragung der Weber’schen Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik in den Bereich der Gewissensentscheidung gewählter Abgeordneter dem entsprechenden Grundgesetzartikel gerecht? Werden auf diesem Wege nicht vielmehr die Unabhängigkeit der gewählten Abgeordneten in Richtung eines von Meinungsumfragen abhängigen quasi-imperativen Mandats umgeformt und damit die Voraussetzungen der repräsentativen parlamentarischen Demokratie ausgehöhlt? Oder soll im Idealfall das passive Wahlrecht dahingehend gefasst werden, dass sich Kandidatinnen und Kandidaten schon im Vorfeld von Wahlen im Blick auf ihre Mandatsausübung auf ein „politisches Gewissen“ verpflichten?
Die Buskampagne 2019 hat an die Themen der ersten Kampagne angeknüpft und diese im Blick auf die grundgesetzlichen Normierungen neu akzentuiert. Dabei wurde aus meiner Sicht der evolutionäre Humanismus – von Schmidt-Salomon offenbar auch als „Säkularismus“15 bezeichnet – im Gegenüber zu anderen religiösen und nichtreligiösen Weltdeutungen mit dem Anspruch positioniert, für das gesellschaftliche Miteinander als die verfassungskonforme Grundlage dienen zu können. Ob allerdings dieses Postulat die verfassungsrechtlichen Vorgaben angemessen wiedergibt, darf aus guten Gründen bezweifelt werden.
Jörg Pegelow
Anmerkungen
- Vgl. https://de.richarddawkins.net/articles/richard-dawkins-unterstuetzt-die-saekulare-buskampagne-2019 (Abruf der in diesem Beitrag angegebenen Internetseiten: 30.9.2019).
- Vgl. https://hpd.de/artikel/wir-stehen-heute-sehr-viel-besser-da-10-jahren-16884 .
- https://schlussmachen.jetzt .
- www.giordano-bruno-stiftung.de/meldung/buskampagne-zum-richtigen-zeitpunkt.https://schlussmachen.jetzt.
- Vgl. https://schlussmachen.jetzt/inhalte . S. auch die Podiumsdiskussion mit Volker Beck in der Kieler Universität am 15.5.2019; Video-Mitschnitt: https://schlussmachen.jetzt/streitgesprach-toleranz.
- https://hpd.de/artikel/wir-stehen-heute-sehr-viel-besser-da-10-jahren-16884 .
- Vgl. Michael Schmidt-Salomon: Manifest des evolutionären Humanismus. Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur, Aschaffenburg 22006.
- Vgl. Reinhard Hempelmann: Was Humanismus heute alles heißen kann, in: MD 3/2008, 84.
- Schmidt-Salomon: Manifest (s. Fußnote 8), 17.
- Ebd., 16.
- Ebd., 17ff passim.
- Vgl. ebd., 93ff.
- Vgl. ebd., 124-126.
- So Schmidt-Salomon bei der Podiumsdiskussion mit Volker Beck (s. Fußnote 6).