Judentum

School of Jewish Theology in Potsdam eröffnet

Seit dem Wintersemester 2013/14 kann erstmals an einer staatlichen Universität in Europa jüdische Theologie studiert werden. Die international beachtete feierliche Eröffnung des Instituts für Jüdische Theologie (School of Jewish Theology) an der Universität Potsdam fand im November 2013 statt. Sie markiert einen historischen Meilenstein in der Rabbinerausbildung. Fast 180 Jahre nach der Forderung Abraham Geigers von 1836 nach Gleichstellung mit den Theologien der anderen Religionen bewegt sich die jüdische Theologie damit auf akademischer Augenhöhe mit den christlichen Theologien und den in der Entstehungsphase befindlichen islamischen Zentren. Die (private) Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin war 1942 von den Nationalsozialisten geschlossen worden.

Im Juni 2013 war die Kooperationsvereinbarung mit der Universität Potsdam auf der Grundlage eines deshalb jüngst geänderten Hochschulgesetzes abgeschlossen worden. Als Präsident der neuen „Ständigen Studienkommission für das jüdisch-geistliche Amt“ wurde der Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz des Zentralrats der Juden in Deutschland gewählt, der frühere niedersächsische Landesrabbiner Henry G. Brandt.

Die School of Jewish Theology ist als eigenständiges Institut an der Philosophischen Fakultät angesiedelt. Sie bietet ein für alle Interessierten unabhängig von der Religionszugehörigkeit offenes Bachelorstudium an. Besondere Aufmerksamkeit soll hierbei der Sprachkompetenz (Hebräisch, Aramäisch) und den interreligiösen Beziehungen (Christentum, Islam) gelten. Ein Masterstudiengang wird sich in Zukunft daran anschließen.

Wer das geistliche Amt des Rabbiners oder des Kantors anstrebt – übrigens auch der Rabbinerin und der Kantorin, die Hälfte der Studierenden sind Frauen –, hat zudem die ebenfalls europaweit einzigartige Möglichkeit, an einem Standort zwischen zwei unterschiedlichen Ausprägungen wählen zu können. Die hier gefundene Form der Kooperation der liberalen und der konservativen Strömung des Judentums auf der Basis eines öffentlich-rechtlichen Vertrages ist ein Novum. Das liberal-jüdische Abraham Geiger Kolleg arbeitet als erstes deutsches Rabbinerseminar mit liberaler Ausrichtung seit 1942 schon seit dem Jahr 2000 mit der Universität zusammen. Sein Rektor Walter Homolka hat maßgeblichen Anteil an den jüngsten Entwicklungen, nicht zuletzt an der Verankerung dieser hochschulpolitischen Innovation in Potsdam.

Ganz neu wurde ebenfalls im November 2013 das Zacharias Frankel College eröffnet, das konservativ (Masorti) ausgerichtet ist. Das konservative Judentum der Masorti-Richtung (wörtl. „traditionell“) steht gleichsam zwischen Orthodoxie und Reformjudentum. Es ist in den USA weit verbreitet und zeichnet sich dadurch aus, dass es die Wertschätzung der Tradition wie der Halacha (jüdisches Religionsgesetz) mit der Gleichberechtigung der Frauen, etwa auch im Gottesdienst, verbindet. In Deutschland vertritt bislang Gesa Ederberg in Berlin die Masorti-Richtung. Das Zacharias Frankel College ist ein Ableger des Rabbinerseminars („Ziegler School of Rabbinic Studies“) der in Los Angeles ansässigen American Jewish University und ein Gemeinschaftsprojekt mit der Leo Baeck Foundation. Der Lehrbetrieb soll zum Wintersemester 2014/15 aufgenommen werden, sodass mit den ersten Potsdamer Abschlüssen von Masorti/konservativen Rabbinern in sechs Jahren zu rechnen ist. Derzeit studieren 37 Studierende mit dem Berufsziel Rabbi oder Kantor sowie zehn im neuen Studiengang des Instituts für Jüdische Theologie.

Jüdische Stimmen sehen in der Etablierung der jüdischen Institutionen die „Wiedergeburt des jüdischen Lebens in Deutschland“ auf dem Gebiet der Wissenschaft des Judentums, mindestens aber „einen wichtigen Schritt hin zu einer jüdischen Renaissance“. In jedem Fall wird Potsdam damit zum bedeutendsten europäischen Zentrum der nichtorthodoxen Rabbinerausbildung.


Friedmann Eißler