„Schule der Erweckung“
Neucharismatische Ausbildungsstätte in Füssen eröffnet
Im September 2017 hat eine neue neucharismatische Ausbildungsstätte für ca. 50 Schüler ihre Türen geöffnet.1 Die frisch gegründete „Schule der Erweckung“ ist ein Ableger der „Bethel School of Supernatural Ministry“ (BSSM), die wiederum zu der freien neucharismatischen Gemeinde Bethel Church in Redding, Kalifornien, gehört.
Die Bethel Church in Redding wurde 1954 als eine Gemeinde im klassisch pfingstlichen Gemeindeverbund der Assemblies of God gegründet. Im Jahr 2006 erfolgte unter dem derzeitigen Hauptpastor Bill Johnson die Trennung von den Assemblies of God; seitdem ist die Gemeinde unabhängig. Die Bethel Church entfaltet einen beträchtlichen Einfluss über ihre kalifornische Heimat hinaus, vor allem auf junge Menschen. Besonders zu nennen ist in diesem Kontext die Musikarbeit mit der Band „Jesus Culture“.
Die Gemeinde unterhält eine eigene Bibelschule, die BSSM. Die Kurscurricula beinhalten nur wenige allgemein anerkannte Inhalte. Stattdessen bauen viele Kurse beinahe ausschließlich auf Literatur der Gemeindeleiter der Bethel Church auf. Das „Certificate of Completion“ ist nach eigener Aussage der Bibelschule bisher nur von einigen befreundeten weiterführenden Bildungsinstitutionen anerkannt worden, obwohl es sich um eine Vollzeitausbildung handelt. Die wenigen anerkennenden Colleges sind im Übrigen selbst dem pfingstlichen Spektrum zuzurechnen.
Profil der Schule der Erweckung
Dass nun in Deutschland eine „Schule der Erweckung“ gegründet wurde, hängt v. a. damit zusammen, dass es eine ganze Reihe von jungen Deutschen gibt, die in Redding die Bibelschule absolviert haben und mit der Vision zurückgekehrt sind, in Deutschland eine ganz Europa erfassende Erweckung zu erleben. Dies steht in Verbindung mit Auftritten von Bethel-Mitgliedern bei der regelmäßig stattfindenden „Holy Spirit Night“2 sowie bei der „Awakening Europe“-Konferenz in Nürnberg im Jahr 2015.
Für diese Erweckung sollen Menschen aller Altersgruppen zu- und ausgerüstet werden. Wer die Schule der Erweckung besucht, verlässt sie als Erweckungsträger (revivalist), als ein Mensch, der mit seinem „siegreichen Denken“ seine Mitmenschen mit einem „übernatürlichen Hunger nach Gott“3 ansteckt und Gottes Reich baut, wo immer er sich aufhält, als ein Mensch, bei dem Zeichen und Wunder zur Normalität geworden sind. Der Anspruch der Ausbildung ist dabei kein geringerer, als Menschen zu befähigen, „wie Jesus zu leben“. Genau wie er sollen die Schüler heilen, prophezeien, bekehren und befreien. Und dieser übernatürliche Lebensstil soll, wenn nicht schon vorhanden, „aktiviert“ und ausgebaut werden, bis er ganz natürlich geworden sein wird.
Die Schule orientiert sich dabei im Wesentlichen am Aufbau und den Curricula der BSSM in Redding, mit besonderer Anpassung an die deutsche Kultur und Lebensweise. Schüler können sich in Füssen voraussichtlich ein bis drei Jahre ausbilden lassen. Ein Schuljahr dauert neun Monate und kostet, je nach Buchung und Rabatt, ca. 2800 bis 3000 Euro. Unterkunft, Verpflegung, Kosten für Missionseinsätze u. v. m. sind darin noch nicht enthalten. Die Schüler werden ermutigt, sich einen Nebenjob zu suchen, in dem das Gelernte auch gleich praktisch angewendet werden kann.
Beim Unterrichtsplan fällt sofort die große Diskrepanz zur universitären bzw. seminaristisch-theologischen Ausbildung auf. Der theoretischen Ausbildung wird im Vergleich zur praktischen Glaubensanwendung sehr wenig Platz eingeräumt. So verwundert es nicht, dass klassische Unterrichtsfächer und Lehrinhalte wie z. B. Kirchengeschichte, Systematik oder exegetisches Arbeiten kaum Ausbildungsbestandteil sind. Der Fokus liegt auf der Aktivierung des übernatürlichen Lebensstils. Die Schüler sollen zu ihrer wahren Identität in Christus geführt werden und den übernatürlichen Lebensstil v. a. praktisch leben. Im Hintergrund steht wohl der Gedanke, dass ein guter Pastor oder ein „wahrer“ Christ lediglich die richtige Einstellung braucht und seine wahre Identität in Christus gefunden haben muss, damit sich alles Weitere dann daraus ergeben kann. Dafür spricht auch die vorläufige Literaturliste für das erste Ausbildungsjahr, auf der sich ausschließlich Bücher neucharismatischer Erweckungsprediger befinden. Bibelkommentare, theologische Arbeitsbücher oder multiperspektivische Monografien sucht man hingegen vergeblich.
Für den Unterricht bedeutet dieser Fokus u. a. tägliche Lobpreis- und Predigteinheiten, Videopredigten von den Bethel-Pastoren Bill Johnson und Kris Vallotton oder sogenannte Aktivierungsphasen, in denen die Gaben des Heiligen Geistes besonders gefördert werden sollen. Jede Woche können die Schüler außerdem noch ein Wahlfach belegen. Es können z. B. die Themen soziale Gerechtigkeit, biblische Archäologie, „SOZO“ (eine spezielle, aus therapeutischer Sicht nicht unproblematische Art der Seelsorge, s. u.), Bibelkurse oder Tanz belegt werden. Ebenfalls gibt es einen wöchentlichen „Stadtdienst“, in dem das Gelernte praktisch umgesetzt werden soll, z. B. in den Gemeinden vor Ort oder auf Straßenevents.
Im Vorfeld des ersten Schuljahres veranstalteten die Gründer der Schule sogenannte Erweckungscamps, wohl auch als Werbe- und Rekrutierungswochenenden. Einerseits konnten Interessenten dadurch schon erste Einblicke bekommen, was sie in der Schule erwarten würde und wie ein übernatürlicher Lebensstil aussähe, andererseits sollte damit schon ein weiterer Schritt in Richtung der Erweckung Deutschlands gemacht werden.
Auffällig, wenn auch nicht überraschend, sind die zahlreichen Verbindungen zur Bethel Church, die derzeit eine der weltweit bekanntesten Gemeinden im neucharismatischen Spektrum ist.
Bethel Church
Die Bethel Church beschreibt sich selbst als eine Gemeinde, die in der Liebe Gottes gegründet und der weltweiten Transformation durch Erweckung verschrieben sei. Gottes Liebe solle sich in Zeichen und Wundern ausdrücken. In der Gemeinde herrsche eine Atmosphäre von übersprudelnder Freude, und die Mitglieder vereine der Glaube, direkt vor der größten Erweckung aller Zeiten zu stehen.4
Dafür möchte Bethel mithilfe eines „Apostolic Resource Centers“ in Städte und Nationen hineinwirken, auf der Basis eines göttlichen Mandats. Die Leiter bemühen sich zudem um den Aufbau eines Netzwerks von Gemeinden und Kirchen, die das gemeinsame Ziel der großen Erweckung teilen. Dieses „apostolische Netzwerk“ soll dafür Sorge tragen, dass die beteiligten Gemeindeleiter in „Reinheit und Kraft wandeln“.5
Die Theologie der Bethel Church stimmt in den Kernpunkten mit derjenigen der weiteren neucharismatischen Bewegung überein. Die Bibel wird als inspiriertes und einzig unfehlbares und vollmächtiges Wort Gott beschrieben.6 Typischerweise findet sich auch in der Bethel Church eine Hochschätzung von „übernatürlichen“ Manifestationen des Heiligen Geistes wie Wundern, Heilungen, und Befreiung von bösen Geistern. Ein zentrales Anliegen der Gemeinde ist, dass das Übernatürliche natürlich werden soll. Der Zustand auf der Erde soll mehr und mehr an den des Himmels angeglichen werden („on earth as it is in heaven“). Immer wieder wird in diesem Kontext auch Bezug genommen auf das angebliche Auftauchen einer sichtbaren „glory cloud“ aus Goldstaub während der Anbetung im Gottesdienst.
Bedenkenswert ist die vertretene Soteriologie, die einen besonderen Akzent auf die durch Christus am Kreuz erworbene Freiheit von der Macht des Bösen legt. Zeichen dieser Macht des Bösen sind Sünde, Lügen, Krankheit und Leid. Von all diesem seien die wahren Nachfolger Jesu durch dessen Heilstat am Kreuz befreit.7 Es wird dabei z. B. so argumentiert, dass Gott auf der Erde einen Zustand anstrebe wie im Himmel, und im Himmel gebe es keine Krankheit. Wer dennoch krank wird oder krank bleibt, bei dem sei die Herrlichkeit Gottes nicht. Das wird auf unterschiedliche Weise erklärt: Es mag sein, dass der kranke Mensch nicht fest genug im Glauben steht, dass seine Krankheit einen dämonischen Ursprung hat oder dass es unvergebene Sünde in seinem Leben gibt.
Aus dieser Annahme ergeben sich folgenreiche Konsequenzen für die Seelsorge. So wurde in Bethel das Seelsorge- und Befreiungskonzept „SOZO“ (abgeleitet aus griech. sozein, „retten“) entwickelt, das sich auch in Deutschland stetig verbreitet. SOZO will als „prophetischer Dienst für innere Heilung und Befreiung von Gebundenheiten“8 schneller, höher und weiter gehen als konventionelle Seelsorge. In einem Gespräch von 1,5 bis 2 Stunden Dauer mit einem Leitenden und einem „Beisitzer“ sollen die Wurzeln identifiziert werden, die die Kommunikation mit Gott verhindern. „Ein SOZO bringt häufig eine stärkere Veränderung als Jahre von Seelsorge. Seelsorge ist wichtig und wertvoll, manchmal kommt man damit jedoch nicht an die Wurzel des Problems, sondern dreht sich um die Symptome. Im SOZO spielen die Symptome eine untergeordnete Rolle, Gott offenbart die Wurzel und hilft, diese, oft durch Vergebung, zu beseitigen.“9
Fazit
Auch wenn mit der Schule der Erweckung etwas Neues in Deutschland für Deutsche gemacht werden soll, erscheint die Füssener Neugründung am Ende vor allem als Versuch, die stark neucharismatisch ausgerichtete Bethel-Theologie und -Glaubenspraxis auch hierzulande zu implementieren und zu verbreiten. Die selektive, fast ausschließlich aus dem Bethel-Umfeld stammende Auswahl von Literatur, Rednern und theologischen Schwerpunkten lässt eine differenzierte Auseinandersetzung mit vorhandenen Ansätzen, Strukturen und Möglichkeiten vermissen. Die Auswahl der Themen für die Wahlfächer erscheint eklektisch.
Es entsteht der Eindruck, dass nur auf diese Art und Weise Deutschland und Europa gerettet werden kann. Damit geht ein Exklusivitäts- und Absolutheitsanspruch der eigenen Theologie und Glaubensüberzeugungen einher, der im Übrigen auch in der breiteren charismatischen Bewegung umstritten ist. Das dahinterstehende dominionistische Transformationsmodell, das vorsieht, dass die wahrhaft Gläubigen die Welt bis zum Kommen Jesu Funktionsbereich für Funktionsbereich optimieren, wirft mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. Zurückgetreten sind, zumindest in der Außendarstellung, „ältere“ Themen der neucharismatischen Bewegung wie der Besitz bestimmter Geistesgaben oder die sogenannte geistliche Kampfführung. Wichtiger erscheinen zum Zeitgeist passende Themen wie die individuelle Identität und der außergewöhnliche Lebensweg, der sich von der Masse absetzt. Konkret kann das für die Schüler bedeuten: Nur wer den übernatürlichen Lebensstil lebt, hat auch eine wahre Identität in Christus. Beibehalten werden dabei eine grundsätzlich dualistische Denkstruktur und ein „Zwei-Stufen-Modell“ des Christseins.
Es entsteht bisweilen sogar der Eindruck, dass dieses Angebot besonders attraktiv ist für junge Menschen, die selbst bereits im charismatischen Umfeld aufgewachsen sind und deshalb ohne klassisches Bekehrungs- oder Geistempfangserlebnis dennoch ein Narrativ des „Vorher-Nachher“ benötigen.
Für andere christliche Kirchen, die diesen Dualismus und den Fokus auf Zeichen und Wundern nicht teilen, bedeuten die selbstbewussten Ansagen der Bethel Church eine Herausforderung. Wenn „Bill lehrt, … dass ein Evangelium ohne Kraft nicht das Evangelium ist, das Jesus gepredigt hat“10 und diese Kraft sich vornehmlich in den Zeichen und Wundern ausdrückt, von denen die Bethel Church spricht, so ist die Frage aufgeworfen, welches Evangelium nun eigentlich der Rest der christlichen Denominationen predigt.
Aus theologischer Perspektive lässt sich außerdem einwenden, dass die spezielle Soteriologie eine Variante der sogenannten „Word of Faith“-Lehre (Wort des Glaubens, „Wohlstandsevangelium“) ist. Besonderen Widerspruch ruft die Konkretion dieser Lehre hervor, nach der Gott alle Krankheiten der Gläubigen immer heilen wolle und dementsprechend bei Nichteintreten von Heilung nach Ursachen auf der menschlichen Seite gesucht werden müsse.
Alles in allem bleibt festzuhalten, dass in der Bethel Church in Redding und folglich auch in der neuen Schule der Erweckung in Füssen viele der bekannten Merkmale der neucharismatischen Bewegung in einer jugendkulturell besonders ansprechenden Weise verpackt sind. Ob diese neue Verpackung am Ende ausreichend sein wird für eine über den kleinen Kreis hinaus spürbare Erweckung, bleibt abzuwarten.11
Philipp Kohler und Svenja Hardecker, 01.02.2018
Anmerkungen:
[1] Vgl. www.facebook.com/photo.php?fbid=2077268362298795&set=p.2077268362298795&type=3&theater (Abruf der in diesem Beitrag angegebenen Internetseiten: 14.9.2017).
[2] Vgl. den Beitrag von Andreas Hahn in diesem Heft, 70f, sowie ders.: Heiliger Geist oder inszenierte Manipulation, in: MD 11/2016, 426-429.
[3] www.schuledererweckung.de/kernwerte .
[4] „Bethel is a congregation rooted in the love of God and dedicated to worldwide transformation through revival. It‘s our goal for God‘s love to be manifest in signs, wonders and miracles. The atmosphere at Bethel is charged with faith and exuberant joy, which manifests in all we do. We believe we‘re on the edge of the greatest revival of all time“, www.bethel.com/about .
[5] „Together Bill and Beni serve a growing number of churches partnered for revival. This apostolic network has crossed denominational lines in building relationships that enable church leaders to walk in both purity and power“, www.bethel.com/leadership/bill-johnson .
[6] „[We believe] the Bible to be the inspired and only infallible and authoritative Word of God“, www.bethel.com/about .
[7] „The victorious redemptive work of Christ on the cross provides freedom from the power of the enemy – sin, lies, sickness and torment“, ebd.
[9] Ebd.
[10]www.bethel.com/leadership/bill-johnson .
[11] Quellen: Bill Johnson: Und der Himmel bricht herein. Wie man ein Leben voller Wunder führt, Vaihingen an der Enz 2007; www.schuledererweckung.de ; www.youtube.com/channel/UCe_zsAKiaLmRWkVOwOgC6AA ; www.facebook.com/schuledererweckung ; http://bssm.net ; www.bethel.com , www.bethelsozo.de .