Gesellschaft

Schulpflicht ist für alle gut

Eltern müssen ihre Kinder auch dann zur Schule schicken, wenn das ihren Glaubensvorstellungen widerspricht. Das entschied der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim am 18. Juni 2002 (Az.: 9 S 2441/01). Damit wurde die Klage von Eltern abgewiesen, die ihre acht- und neunjährigen Kinder ausschließlich zu Hause unterrichten wollten.

Die Eltern hatten vorgetragen, dass sie einer Gemeinschaft bibelgläubiger Christen angehören und den Unterricht an staatlichen Grundschulen aus religiösen Gründen ablehnen. So werde den Kindern in der Schule die Welt nicht als Gottes Schöpfung dargestellt; der Unterricht - besonders die Familien- und Geschlechtserziehung - missachte das natürliche Schamgefühl der Kinder und trage zu einer Sexualisierung des gesamten Lebens bei; im Unterricht würden Hexenbilder verwendet und Mandalas gemalt, worin Figuren des Aberglaubens zu sehen seien usw. Auch gefährde die zunehmende Gewalt unter den Schülern die Kinder.

Die zuständigen Schulbehörden hatten bereits vor einiger Zeit die Befreiung der Kinder von der Grundschulpflicht abgelehnt. Das Verwaltungsgericht hat nunmehr diese Entscheidung bestätigt und festgestellt: Die allgemeine Schulpflicht bildet "eine wichtige Grundlage der Demokratie, indem soziale und demokratische Verhaltensweisen für sämtliche Mitglieder der Gesellschaft vermittelt und eingeübt werden". Dass die Kläger die Unterrichts- und Erziehungsinhalte der öffentlichen Schulen aus religiös-weltanschaulichen Gründen ablehnten, kann eine Befreiung von der Schulpflicht nicht rechtfertigen: "In der öffentlichen Schule werde auf Toleranz in religiösen Fragen geachtet und jede amtliche Indoktrination oder Missionierung vermieden." Im übrigen, so die Richter, hätten die Kinder auch ein Recht auf die Begegnung mit anderen Überzeugungen und Lebensweisen.

In einem ähnlich gelagerten Rechtsstreit hatte das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg bereits am 30. April 2002 festgestellt, dass weltanschaulich-religiöse Bedenken kein hinreichender Grund sind, Kinder nicht zur Schule zu schicken. In diesem Fall hatten Anhänger der "Zwölf Stämme" (vgl. MD 3/2000, 76ff) geklagt. Das Bayerische Verwaltungsgericht sah in der Isolation der Kinder vor gesellschaftlichen Einflüssen gar eine Gefährdung des Kindeswohls: "Die Kläger beeinträchtigen damit in erheblichem Maße die Fähigkeiten des Kindes, dann wenn es selbst darüber entscheiden kann, auch ein Leben außerhalb der religiösen Gemeinschaft und innerhalb der Gesellschaft zu führen." Das Recht auf Religionsfreiheit legitimiert nicht das Begehren der Eltern, ihre Kinder von allen gesellschaftlichen Einflüssen zu isolieren. "Die von den Klägern praktizierte Erziehung führt gerade nicht zur Achtung vor der religiösen Überzeugung anderer und zu einem Leben im Geiste der Demokratie, sondern zu Intoleranz und Abschottung von der Gesellschaft" (Az.: Au 9 K 02/294).

Es ist davon auszugehen, dass die Diskussion um die Schulpflicht noch gar nicht richtig begonnen hat. Bundesweit dürfte es zahlreiche Familien geben, die bei stillschweigender Duldung der Behörden ihre Kinder aus religiösen Gründen nicht zur Schule schicken. Man wird jedoch genau unterscheiden müssen, warum Eltern ihre Kinder von den öffentlichen Schulen fernhalten wollen: Speist sich die Distanz aus einer Kritik an den Schulen bzw. Bildungsinhalten und werden Alternativen gesucht oder sollen die Kinder lediglich von allen anderen Lebens- und Weltdeutungsmodellen ferngehalten werden. Im letzteren Fall sollte man daran erinnern, dass die im Grundgesetz festgehaltene Informationsfreiheit auch Kindern zusteht.

Andreas Fincke