Schura in Rheinland-Pfalz gegründet
Muslime in Rheinland-Pfalz haben einen neuen Dachverband gegründet. Die „Schura Rheinland-Pfalz – Landesverband der Muslime e.V.“ mit Sitz in Mainz vereint 15 Moscheegemeinden verschiedener Glaubensrichtungen und Nationalitäten. So sind unter anderem türkische, ägyptische, afghanische, marokkanische, syrische, kurdische und deutsche Muslime vorwiegend sunnitischer, aber auch schiitischer Prägung vertreten. Der erste rheinland-pfälzische Landesverband dieses Formats hatte sich Ende 2012 konstituiert, Anstöße dazu waren vom „Runden Tisch Islam“ gekommen, den die Landesregierung 2011 ins Leben gerufen hatte. Der offizielle Gründungsfestakt folgte nun am 17. April 2013 im Mainzer Rathaus.
Als Hauptaufgabe sieht der Vorsitzende Mustafa Cimşit es an, eine Vermittler- und Brückenfunktion zwischen Muslimen, Nichtmuslimen und der Politik einzunehmen und so Vorurteile und Ängste abzubauen. Die Schura sei „multi-ethnisch, multi-konfessionell, pluralistisch, demokratisch“ und sehe sich nicht nur als eine Interessensvertretung der Muslime, sondern als einen zivilgesellschaftlichen Partner, der „Verantwortung für unser aller Gemeinwohl übernimmt“, so Cimşit. „Wir fordern die Anerkennung von gesellschaftlicher Vielfalt als Leitkultur des Einwanderungslandes Bundesrepublik Deutschland.“ Im Blick auf die gesellschaftliche Teilhabe nannte Cimşit auch ein erstes konkretes Ziel: Die Schura will die Gründung einer ersten interreligiösen Kindertagesstätte in Rheinland-Pfalz erreichen. „Wir möchten die Kita gemeinsam mit einem kirchlichen Träger betreiben, das wäre ein Novum in Rheinland-Pfalz“, wird Cimşit zitiert.
Man schielt auch etwas auf die Bundesebene, wo das Schuramodell aus Sicht der Initiatoren ebenfalls greifen könnte, um einen Beitrag zur Einheit der Muslime in Deutschland zu leisten. Diese Hoffnung lässt sich nach heutigem Stand allerdings kaum begründen. Die Vielzahl konkurrierender Verbände ist auch im Mainzer Territorium nicht reduziert worden, es steht nun ein weiterer Verband neben beispielsweise der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), dem Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), den Aleviten und der Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ). Rund 60 Moscheegemeinden sind nicht in der Schura Rheinland-Pfalz. Nichtsdestotrotz ist das Zusammenkommen von Sunniten und Schiiten und die Koordinierung mehrerer unterschiedlicher Gemeinden ein positiver und wichtiger Schritt, auch aus Sicht des Landes.
Das arabische Wort „Schura“ steht für „Rat, Beratung“ oder kurz für „Beratungsgremium“. Es wird derzeit in mindestens drei Bedeutungen gebraucht (abgesehen vom speziellen Gebrauch in der AMJ, auf den hier nicht weiter eingegangen wird). Es spielt an zwei Stellen im Koran eine Rolle, Sure 3,159 und 42,38 (die ganze Sure heißt deshalb „Schura“). Auch wenn nicht klar ist, was historisch tatsächlich gemeint ist, ging der Begriff von hier aus als wichtiger Terminus in die islamische Herrschafts- und Staatstheorie ein. Wie der Prophet Muhammad sich in strittigen Fragen mit Beratern besprach, so wird es als verbindlich für Muslime angesehen, dass alle gemeinschaftlichen Angelegenheiten auf der Grundlage von Beratung geregelt werden. Nicht wenige Ausleger meinen, dass der Herrschende oder der Richter frei sei, die jeweilige Beratung anzunehmen oder abzulehnen.
Eine zweite Bedeutungsebene knüpft daran an. In islamistischen Diskursen wird das Schura-Prinzip im Sinne von formaldemokratischen Verfahren starkgemacht, mitunter wird der Koran in diesem Licht als frühe Quelle ursprünglicher Demokratie dargestellt. Da jedoch zugleich die Souveränität Gottes als alleiniger Gesetzgeber nicht angetastet wird, hat „Schura“ in diesem Sinn nichts gemein mit dem demokratischen Prinzip der Volkssouveränität.
Der dritte Gebrauch des Wortes betrifft die verbandliche Organisation von Moscheegemeinden in Deutschland. 1999 machte Hamburg den Anfang. Die SCHURA – Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V. hat gut 40 Mitgliedsvereine, davon 29 Moscheegemeinden. Vorsitzender ist Mustafa Yoldaş (Merkez/Centrum-Moschee, IGMG). Die SCHURA – Islamische Religionsgemeinschaft Schleswig-Holstein e.V. wurde 2000 gegründet und verzeichnet 14 Mitgliedsvereine. Im Jahr 2002 folgte die SCHURA Niedersachsen – Landesverband der Muslime in Niedersachsen e.V., die heute nach eigenen Angaben 87 Mitgliedsvereine vertritt. An ihrer Spitze steht Avni Altıner (Medrese Hannover, Jama’at-un Nur). Bremen hat seit 2006 die „Schura – Islamische Religionsgemeinschaft Bremen e.V.“, die das Dach für 22 Vereine bildet. Ihr Vorsitzender ist Ismail Başer (Fatih Moschee, IGMG).
Die nunmehr fünfte Schura in Rheinland-Pfalz setzt diese Reihe fort. Der 40-jährige Mustafa Cimşit (UMTI – Union muslimischer Theologen und Islamwissenschaftler, die sonst allerdings nicht weiter in Erscheinung tritt) ist Religionswissenschaftler und Pädagoge und arbeitet als Gefängnisseelsorger in hessischen Justizvollzugsanstalten. Er ist der muslimische Geschäftsführer des Islam-Forums in Rheinland-Pfalz und seit Jahren zusammen mit dem Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen Dialog sowie der Evangelischen Akademie der Pfalz engagiert im Bereich der Ausbildung in islamischer Krankenhaus- und Notfallseelsorge, die auch vom Innenministerium gefördert wird (vgl. dazu Georg Wenz/Talat Kamran [Hg.], Seelsorge und Islam in Deutschland. Herausforderungen, Entwicklungen und Chancen, Speyer 2012).
Friedmann Eißler