Rainer Fromm

Schwarze Geister, Neue Nazis. Jugendliche im Visier totalitärer Bewegungen

Rainer Fromm, Schwarze Geister, Neue Nazis. Jugendliche im Visier totalitärer Bewegungen, Olzog Verlag, München 2008, 352 Seiten, 24,90 Euro.


Wer ab dem späten Nachmittag über Bahnhöfe und andere Treffpunkte größerer Städte geht, ahnt eine Vielzahl von Szenen, zu denen er selbst keinen Zugang hat. Man mag sich beruhigen, wenn bei szenemäßig gekleideten Gestalten normal aussehende Jugendliche oder Erwachsene stehen und sich mit ihnen unterhalten. Offensichtlich sind hier Gesprächs- und Anschlussfähigkeiten vorhanden, „Einstiegsszenarien“ vielleicht, aber auch „Ausstiegsmöglichkeiten“. Muss man, etwa als Pfarrer/in oder Lehrer/in, jede Szene kennen und zu jeder gesprächsfähig sein? Sicher nicht. Im Schulleben zeigt die langfristige Perspektive: Nicht jedes Pentagramm auf dem Religionsheft ist Anlass zur Krisenintervention, und manche Schülerin, die in der Mittelstufe einen schwarzen Style pflegt, kehrt in der Kollegstufe zu alterstypischer Kleidung zurück. Anders ist es mit Zirkeln, die den Anschluss an die Gesellschaft verloren haben und deshalb auch keine Verpflichtung ihr gegenüber empfinden. Über „Satanisten“ und „Nazis“, deren Abgeschlossenheit und Gewaltbereitschaft nach außen immer wieder Schlagzeilen machen, sollte man tatsächlich etwas mehr wissen.

Wie also steht es mit dem Umschlagen vom Gehabe zu einer Weltanschauung, die mit der gesellschaftlichen Mehrheit inkompatibel ist, vom temporären Lifestyle zur dauerhaften Schädigung der eigenen und fremden Existenz? Rainer Fromms Buch über „schwarze Geister, neue Nazis“ gibt einen Einblick in Musikwelten, Logiken und Plausibilitäten von Satanisten, Vampiren und Rechtsextremisten. Aus der massenmedialen Berichterstattung über Okkultstraftaten und Vergehen mit neonazistischem Hintergrund wird man nicht unbedingt auf einen organisierten Zusammenhang von Satanismus und Rechtsextremismus kommen, während Menschenverachtung und Gewaltbereitschaft nach innen und außen sicher gemeinsame Merkmale sind. Rainer Fromm ist der Auffassung, dass den gegenseitigen Anschlussfähigkeiten und Übergängen stärkere Beachtung geschenkt werden sollte. Diese findet er in der Musik, im Internet (bes. chatrooms) und bei manchen Schlüsselfiguren.

Was der Umschlagtext an Detailreichtum und Fallbeispielen verspricht, das hält das Buch. Die im Titel und im Buch vertretene These hat den Rezensenten aber noch nicht so recht überzeugt: In manchen Fällen (Musikgruppen, Einzelpersonen) gibt es die Verbindung von Okkultszenen und Rechtsradikalismus – doch sind die Beispiele auch repräsentativ? Liegen Gemeinsamkeiten eher in den psychischen Dispositionen der Angeworbenen oder gibt es sie auch bei den totalitären Anwerbern? Wie verhalten sich beispielsweise die Arkandisziplin satanistischer Logen und der Öffentlichkeitsdrang rechtsextremer Parteien und „Bürgerinitiativen“ zueinander? Hier hätte vielleicht ein paralleler Aufbau der Kapitel der Überzeugungskraft geholfen. So stehen die in sich selbst durchaus informativen Kapitel über Satanismus, Vampirismus und Rechtsextremismus doch eher nebeneinander. Dem entspricht auch ein Nebeneinander der Kontaktadressen für potentielle Aussteiger aus dem Rechtsextremismus (Landeskriminalämter, Verfassungsschutz) und dem „Okkultismus / Satanismus“ (staatliche und kirchliche Beratungsstellen).

Mehr noch als die Frage nach dem Einstieg beschäftigt den Rezensenten die Frage nach dem Ausstieg. Liebe und Arbeitsplatz mögen gute Ausstiegsgründe sein. Weil man diese als Außenstehender aber so schlecht organisieren kann, fragt sich, welche Begleitumstände noch zur Rückkehr in ein gemeinschaftskompatibleres Leben helfen können und worauf man als Begleiter nach einer Okkult- oder Nazikarriere gefasst sein muss.

Ein wertvolles Additum ist das Gastkapitel mit autobiographischen Beiträgen von Manuela Ruda (Satanismus) und Gabriel Landgraf (Rechtsradikalismus). Der Rezensent hat den Beitrag von Manuela Ruda, die 2001 gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann einen Mord begangen hat, gekürzt als Fallbeispiel im Schulunterricht einer achten Jahrgangsstufe genutzt und dabei an Schülerwahrnehmungen von Sensationsberichterstattung über den Satanismus anknüpfen können. Eine Stunde wurde dem Einstieg in die Szene gewidmet, eine weitere dem öffentlichkeitswirksamen Mord, Rudas heutiger Sicht auf die eigene Tat und der Reaktion der Massenmedien und der satanistischen Fans. Die Schülerfragen (z. B. nach der heutigen Stellung des beteiligten Partners zur Tat) zeigten allerdings auch, dass die Informationen über den Fall im Satanismuskapitel (108-115) doch etwas systematischer hätten sein können.


Hansjörg Biener, Nürnberg