Scientology in Spanien
(Letzter Bericht: 10/2007, 380ff) Im Oktober vorigen Jahres wurde durch ein Urteil des Nationalen Gerichtshofs in Spanien die Eintragung der spanischen Scientology-Niederlassung in das öffentliche Register der religiösen Organisationen erwirkt. Damit hat Scientology nach dem vergleichbaren Vorgang in Portugal nun in knapper zeitlicher Reihenfolge in einem weiteren europäischen Land den angestrebten Status einer „Gleichstellung“ mit den übrigen Religionsgemeinschaften erlangt. In den diesbezüglichen Pressemitteilungen wird von Scientology darauf hingewiesen, dass das als unmittelbare Folge der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom April 2007 zu werten sei („Scientology gegen Russland“). Diese Entscheidung wandte sich gegen die Weigerung der russischen Behörden, Scientology nach russischem Recht als Religionsgemeinschaft einzutragen. Damit ist allerdings keine „Anerkennung“ von Scientology durch den Europäischen Gerichtshof verbunden, sondern es wurde dafür gesorgt, daß sich die Organisation in Moskau als Religionsgemeinschaft registrieren lassen darf (vgl. MD 6/2007, 232).
Um die Vorgeschichte der Eintragung in Spanien und ihren Stellenwert verstehen zu können, soll kurz grundsätzlich auf die religionsrechtliche Situation in Spanien eingegangen werden. 1980 wurde das für den rechtlichen Rahmen grundlegende „Gesetz über die Religionsfreiheit“ verabschiedet. Es betont die neutrale Haltung des spanischen Staates in Bezug auf das religiöse Leben seiner Bürger und weist explizit darauf hin, dass keine Religion staatskirchlichen Charakter hat (wie auch schon in der spanischen Verfassung, Artikel 16,3, betont wird). Grundsätzlich ist von Gesetzesseite vorgesehen, dass jede Religionsgemeinschaft einen Antrag auf Aufnahme in das öffentliche Register der religiösen Organisationen stellen kann. Dieses wird vom Justizministerium verwaltet, wo es zu diesem Zweck ein Amt für religiöse Angelegenheiten gibt, dem eine „beratende Kommission über die Religionsfreiheit“ (gemäß Artikel 8 des Religionsfreiheitsgesetzes) zugeordnet ist. Wird der Aufnahmeantrag abgewiesen, kann die Religionsgemeinschaft auf dem Rechtsweg gegen die Entscheidung vorgehen. Von besonderer Bedeutung bei der Wertung von Religionsgemeinschaften ist in Spanien das Konzept des „notorio arraigo“ (wörtl.: „allgemein bekannte/anerkannte Verwurzelung“, Artikel 8 des Religionsfreiheitsgesetzes). Es bezieht sich auf die Frage, ob eine Religion innerhalb der spanischen Gesellschaft akzeptiert und verankert ist und stellt die eigentliche Grundlage der Entscheidung für oder gegen eine Aufnahme in das Register dar. Die Eintragung bedeutet eine Wahrnehmung als juristische Person von staatlicher Seite (Artikel 5 des Religionsfreiheitsgesetzes). Damit darf die jeweilige Gemeinschaft Verträge schließen und hat völlige Autonomie in Bezug auf ihre eigene Organisation, die Nominierung der Verantwortungsträger etc. Erst nach der Eintragung kann der Staat Einzelverträge mit den Religionsgemeinschaften abschließen, in denen u. U. auch gewisse Sonderrechte festgelegt werden (wie beispielsweise die Anerkennung einer Eheschließung innerhalb der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder der Einsatz im Seelsorgebetrieb eines Krankenhauses).
Scientology versuchte schon seit 1983, in dem oben genannten Sinne in das Register eingetragen zu werden. Konkret wurden 1983 von einer Iglesia Cienciológica und von einer (davon abgespaltenen) Iglesia Universal de Cienciologia Anträge gestellt, die jedoch beide abgewiesen wurden. Die Ablehnung wurde 1990 auch vom obersten Gericht bestätigt. 1988 kam es zu einer massiven staatlichen Maßnahme, als ein Scientology-Kongress in Madrid durch richterlichen Bescheid aufgelöst, die Beteiligten festgenommen und einige ausgewiesen wurden. Einen neuen Anlauf unternahm Scientology schließlich ab 2001, nachdem die Vereinigungskirche eine Eintragung im oben genannten Sinne erwirkt hatte. Um die durch die Namens-Doppelung beim ersten Versuch entstandene Verwirrung zu vermeiden, wurde der Name der spanischen Scientology-Niederlassung in Iglesia de Scientology de España geändert. Unter dieser Bezeichnung wurde 2004 ein Antrag auf die Eintragung in das Register gestellt, der jedoch 2005 vom Justizministerium negativ beschieden wurde. Dagegen beschritt Scientology den Rechtsweg bis zum Nationalen Gerichtshof und bekam nun mit der Entscheidung vom Oktober 2007 Recht.
Besonderer Gegenstand der Auseinandersetzung war die Frage, ob Scientology unter den Artikel 3,2 des Religionsfreiheitsgesetzes falle oder nicht. In diesem wird festgelegt, dass es keine Eintragung für Gemeinschaften geben kann, die sich mit der Untersuchung und der Erforschung psychischer oder parapsychologischer Phänomene beschäftigen oder sich um die Verbreitung von menschlichen oder spirituellen Werten bemühen oder andere, ähnliche Ziele haben, „die nicht religiöse sind“. Dieser Punkt treffe laut dem Gerichtsurteil auf Scientology definitiv nicht zu; sie sei als religiöse Gemeinschaft einzutragen.
Im weiteren Horizont der jüngeren Religionsrechtsgeschichte Spaniens ist die Eintragung der Iglesia de Scientology de España im Kontext der gerade in den letzten Jahren massiv forcierten Auseinandersetzung mit den kleineren Religionsgemeinschaften zu sehen. Seit 2003 wurde das angesprochene Konzept des notorio arraigo über die bereits bestehenden Religionsgemeinschaften (katholische und protestantische Kirche, Islam, Judentum) hinaus ausgedehnt: 2003 wurden die Mormonen in das Register eingetragen, Anfang 2007 Jehovas Zeugen, im selben Jahr auch der Verband der buddhistischen Gemeinschaften Spaniens.
Von Scientology selbst wird die Eintragung als weiterer Schritt in Richtung auf eine „Anerkennung“ ihrer Position auch auf staatlicher Ebene in Europa und des Anspruchs, eine Religionsgemeinschaft zu sein, dargestellt. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die religionsrechtliche Situation in den einzelnen europäischen Ländern zu unterschiedlich ist, als dass von diesen einzelnen Entscheidungen Rückschlüsse auf eine allgemeine, europaweit gültige Änderung im Umgang mit Scientology möglich sind.
Franz Winter, Wien