Scientology

Scientology macht wieder auf sich aufmerksam

(Letzter Bericht: 11/2003, 431) Ideen muss man haben! Denn "Ideen, nicht Schlachten, markieren den Fortschritt der Menschheit." Dieses Zitat aus dem Mund L. Ron Hubbards, des geistigen Schöpfers von Scientology, stand in einer immerhin viertelseitigen Annonce der Scientology-Church International in der Neuen Zürcher Zeitung vom 18. Oktober im Mittelpunkt. Offensichtlich war es die neueste Idee der Scientologen, eine Kampagne zum Thema "Menschenrechte" zu starten, wie die Annonce näherhin zeigt. Dahinter steht ein charakteristisches Verfahren von Scientology: Ihren Kritikern wirft sie gern "systematische Menschenrechtsverletzungen gegenüber Scientologen" vor - unter Berufung auf die Religionsfreiheit. Mit solchen Ideen hofft sie allerdings "Schlachten" zu gewinnen und so selbst fortzuschreiten.

Immerhin konnte sie in den letzten Jahren tatsächlich einige Pluspunkte für sich verbuchen. Beispielsweise haben Länder wie Schweden und Italien sie ihrem Anspruch gemäß als "kirchliche" Gemeinschaft anerkannt. In Deutschland hat der Mainzer Universitätstheologe Marco Frenschkowski in der Zeitschrift Evangelische Theologie im Jahr 2000 ausdrücklich die These vertreten, Scientology sei tatsächlich "sehr eindeutig eine Religion". Und kürzlich konnte Scientology mit einem Auftritt des Heidelberger Theologieprofessors Gerhard Besier am 17. September bei der Eröffnung einer Brüsseler Filiale werben. Ein von Besier inzwischen angekündigtes Buch, das erstmals auf einer Befragung aktiver deutscher Scientologen beruht und sich gegen die "religionspolitische Ausgrenzung" dieser "amerikanischen Religion" wendet, wird er selbst aufgrund des "öffentlichen Drucks" nicht publizieren (s. u., S. 473).

Von politischer Seite wurden in der Tat während der letzten Jahren neue Fakten öffentlich gemacht, deren Kenntnis den scientologischen Erfolgskurs behindern. So erschien etwa gleichzeitig mit Frenschkowskis Aufsatz als Broschüre der Hamburger Innenbehörde die deutsche Übersetzung der Schrift "Gehirnwäsche im Rehabilitation Project Force (RPF) der Scientology-Organisation". Ihr Autor, der kanadische Soziologieprofessor Stephen A. Kent, informiert darin über scientologische Straf- oder Erziehungslager und betont: "Deutsche Politiker wie Beckstein, die sich Scientologys Forderung nach einem religiösen Status entgegenstellen, wissen über die Existenz der RPF-Programme gut Bescheid, und ihnen ist bekannt, dass das Programm noch besteht." Von daher nimmt es auch nicht Wunder, dass das bayerische Innenministerium vor knapp einem Jahr eine von der Staatsregierung in Auftrag gegebene Forschungsstudie mit dem Titel "Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology" vorstellen konnte, der zufolge eine Mitgliedschaft "Risiken für Gesundheit, Willensfreiheit und rechtliche Integrität der Betroffenen" birgt.

Entsprechende Warnungen waren bereits vor zehn Jahren in der Öffentlichkeit geläufig. Es tat sich viel vor einem Jahrzehnt: Im Februar 1993 hatte in Deutschland die Illustrierte Stern in einer Titel-Reportage von der "Macht des Kraken" gesprochen. Im Sommer darauf hatte die deutsche Justizminister-Konferenz verlauten lassen, dass die scientologische Geschäftsstrategie im Endeffekt auf die Isolierung des Betroffenen von seiner Umwelt und auf die Schaffung und finanzielle Ausbeutung physischer und psychischer Abhängigkeiten ziele. Fast zeitgleich hatte das Hamburger Oberverwaltungsgericht der dortigen "Church" letztinstanzlich auferlegt, den Verkauf von Büchern und Kursen als Gewerbe anzumelden. Es komme auf die Gewinnerzielungsabsicht an, und für diese spreche das Ziel, Mitglieder "zum Kauf weiterer Bücher und vor allem zur Teilnahme an stets kostspieligeren Kursen zu veranlassen".

Zudem waren 1993 die publizistischen Angriffe auf Scientology durchaus bemerkenswert: So erschien in der Schweiz das Buch "Gefährliche Seelenverkäufer? Scientology und was dahintersteckt" von Hans Ingo von Pollern. In Deutschland kamen gleichzeitig nicht minder kritische Bücher auf den Markt: Von Christoph Minhoff / Martina Müller "Scientology. Irrgarten der Illusionen", von Silvia Redhead und Ralf-Dietmar Mucha "Der teure Traum vom Übermenschen. Eine ehemalige Scientologin berichtet" sowie anonym "Entkommen. Eine Ex-Scientologin erzählt".

Scientology stöhnte damals: "Vermutlich waren die Attacken nirgendwo so unangenehm wie in Deutschland!" - nachzulesen in ihrem 1993 publizierten Prachtband "Was ist Scientology?". Demgegenüber brachte die Organisation in jenem Jahr eine als "Dokumentation"aufgemachte Broschüre heraus und verteilte sie an viele wichtige Stellen, Ämter und Personen vieler Länder. Auf dem Titelblatt stand: "Hass und Propaganda - sanktioniert und betrieben von Medien und Behörden". Hier wurde wie bereits früher von Scientology die These vertreten, daß es zwischen den Hetzschriften des Dritten Reichs und der "gegenwärtigen Hetzkampagne" gegen die Scientology-Gemeinschaft in Deutschland schockierende Parallelen gebe. Die von Hubbard empfohlene Methode der "schwarzen Propaganda" kam hier erkennbar zur Anwendung.

Ebenfalls 1993 wurde auf ihrer "Flag Landbase" in den USA eine "Planetarische Disseminationseinheit" eingerichtet. Dort konnten sich Scientologen fortan über alle größeren Verbreitungs-Kampagnen weltweit informieren, z.B. über "die Kampagne, alle Hubbard-Bücher in alle Bibliotheken zu bekommen". Über tausend Organisationen, Missionen und Gruppen in 79 Ländern zähle die Scientology-Church weltweit, berichtete das scientologische Monatsjournal The Auditor Mitte 1993.

Ende Oktober 1993, also vor genau zehn Jahren, war es dann zur Sensation gekommen: Die Scientology Church wurde von den amerikanischen Steuerbehörden als gemeinnützige religiöse Organisation anerkannt! Bis dahin hatte das Finanzministerium die Church of Scientology als rein kommerzielle Organisation klassifiziert. Wie die New York Times nach der Durchsicht des umfangreichen Aktenmaterials mitteilte, stammte ein Großteil der scientologischen Einnahmen - jährlich waren das in den USA ca. 300 Millionen Dollar - aus dem Verkauf von Büchern und Kursen. Für den Erhalt der Anerkennung als "gemeinnützige religiöse Organisation" hatte Scientology dem öffentlichen Einblick in ihre Finanzen zugestimmt. Sie erhielt die ersehnte formelle Anerkennung, und der Vorstandsvorsitzende des "Religious Technology Center" David Miscavige jubilierte: "Unsere Straße zu unbegrenzter Expansion ist nun weit geöffnet."

Nächstes Jahr kann die Scientology-Church ihr 50-jähriges Bestehen feiern - und wohl auch den Umstand, dass international die Kritik an ihr leiser geworden ist, verglichen mit den Tumulten vor zehn Jahren. Aber verschwunden sind die kritischen Stimmen keineswegs, wie die neuesten Vorgänge um Prof. Besier gezeigt haben. Die "Church" hat sich seit ihrer Gründung unterm Strich zu wenig verändert, um entsprechende Kritik nicht verdient zu haben.

Werner Thiede, Erlangen