Scientology. Wie der Sektenkonzern die Welt erobern will
Frank Nordhausen / Liane von Billerbeck, Scientology.Wie der Sektenkonzern die Welt erobern will, Ch. Links Verlag, Berlin 2008, 600 Seiten, 19,90 Euro.
Noch ein Buch über Scientology und dann noch eins mit stattlichen 600 Seiten Umfang – muss das denn sein? Sind in letzter Zeit nicht schon genug Bücher über die umstrittene Organisation erschienen? Wertet man die Psychosekte durch eine solche Fülle nicht unnötig auf, erreicht also das Gegenteil dessen, was die Bücher wollen, nämlich zur Eindämmung der Gefahren durch Scientology beitragen?
Um es gleich vorwegzunehmen: Das Buch von Frank Nordhausen und Liane von Billerbeck gehört mit zum Besten und Wichtigsten, was in letzter Zeit zu der angeblichen „Kirche“ veröffentlicht wurde. Denn zum einen bietet es einen guten Überblick über die aktuelle „Frontlage“ in der Auseinandersetzung mit Scientology – Stichworte: Tom Cruise oder die Eröffnung der neuen Berliner Glitzer-„Org“ in der Otto-Suhr-Allee –, zum andern ist das Werk eines der ersten Geschichtsbücher über Scientology und bietet als solches eine ausführliche Biografie des Sektengründers L. Ron Hubbard. Natürlich herrschte, vor allem auf dem amerikanischen Markt, auch bisher kein Mangel an kritischen Büchern über Hubbard, doch diese Literatur – man denke etwa an „Bare-Faced Messiah“ von Russell Miller – ist, obschon z. T. als Volltext-Version im Internet abrufbar und natürlich in großen Bibliotheken erhältlich, mitunter schwer zu bekommen. Frank Nordhausen und Liane von Billerbeck haben nun die wichtigsten Darstellungen Hubbards gesichtet und auf über 80 Seiten zu einem neuen biografischen Abriss synthetisiert.
Viel Neues erfährt man jedoch nicht nur über den Scientology-Gründer, sondern auch über den jetzigen Herrscher über das Sektenimperium, David Miscavige. Auf ebenso spannende wie informative Weise erzählen die beiden Autoren, wie sich Miscavige und sein Rudel junger, fanatischer Scientologen nach Hubbards Tod an die Macht kämpften und in klassisch stalinistischer Manier die alte Garde außer Gefecht setzten. Es gibt derzeit wohl kaum ein deutschsprachiges Buch, das die Hintergründe des Wechsels an der Scientology-Spitze von Hubbard zu Miscavige so umfassend darstellt.
Selbstverständlich liegt der Fokus des Buches auf dem immensen Gefahrenpotenzial, das von Scientology ausgeht. Dennoch (oder vielleicht gerade deshalb) ist den Autoren das Bemühen anzumerken, die Verhältnismäßigkeit zu wahren und auch auf die Schwächen von Scientology hinzuweisen. So zeigen sie beispielsweise überzeugend, dass mit dem Internet ein Medium herangewachsen ist, in dem sich der Widerstand gegen die Sekte auf so effiziente Weise organisieren lässt, dass es dem Psychokonzern bisher nicht gelungen ist, diesen Widerstand auf dem üblichen Weg der Einschüchterung, Verleumdung und Nutzung von Rechtsmitteln loszuwerden.
Alles in allem liegt hier also ein ebenso wichtiges wie lesenswertes Buch vor. Aus kirchlicher Sicht gibt es allerdings zwei Wermutstropfen zu beklagen: Der eine betrifft den Umstand, dass mit Ausnahme der Werke von Friedrich-Wilhelm Haack Bücher theologischer Provenienz (zumindest gemäß Literaturverzeichnis), wie etwa Werner Thiedes wichtiger Beitrag über den „geistesmagischen“ Aspekt der Scientology-Ideologie, unbeachtet geblieben sind. Zum andern geht mit den Autoren wohl ein wenig die journalistische Feder durch, wenn sie das (zugegeben umstrittene) „Opus Dei“ in die Nähe von Scientology rücken. Der Bedeutung des Werks tut dies aber kaum Abbruch, und so ist ein unverzichtbares Vademecum für die Auseinandersetzung mit Scientology entstanden, zumal es durch einen von Ralf Bernd Abel verfassten Rechtsratgeber praxisnah abgerundet wird.
Christian Ruch, Chur/Schweiz