Selbstdarstellung oder Imagewandel?
Auch die Neuapostolische Kirche (NAK) setzt sich mit dem für christliche Gemeinschaften mitunter schwierigen gesellschaftlichen Umfeld auseinander. In ihrer Publikation „Christus – meine Zukunft“, die auf den im Mai 2009 abgehaltenen Jugendtag der NAK (vgl. MD 7/2009, 268ff) zurückblickt, sind einige Seiten den aktuellen Trends aus Sicht der Religionssoziologie gewidmet. So wird etwa auf den Religionsmonitor 2008 der Bertelsmann-Stiftung hingewiesen, der zu dem Schluss kommt, dass Jugendliche und junge Erwachsene nicht unbedingt weniger religiös seien als ältere Generationen. Besonders ausführlich wird jedoch auf die Sinus-Milieustudie U 27 eingegangen, die von katholischer Seite in Auftrag gegeben wurde.
Außerdem hatte die NAK-Jugendzeitschrift „spirit“, offenbar inspiriert von den diversen Erhebungen, die Gelegenheit des Jugendtags genutzt und an ihrem Stand einen eigenen Religionsmonitor durchgeführt. 481 neuapostolische Christen nahmen daran teil; davon waren – an einem Jugendtag wohl wenig überraschend – 75 Prozent unter 30 Jahre alt. Auch das Ergebnis dürfte kaum erstaunen: Fast die Hälfte der Befragten unter 30 identifiziert sich sehr stark mit der Kirche, 90 Prozent mindestens „mittelstark“ (vgl. „Christus – meine Zukunft“, 106). Ob eine solche Ad-hoc-Umfrage großen Wert hat, sei einmal dahingestellt. Bemerkenswert ist jedoch, dass die einst in hermetischer Selbstisolation verharrende NAK sich nun auch dahingehend öffnet, dass sie sich für ihr gesellschaftliches Umfeld interessiert. Das weist im Übrigen darauf hin, dass die NAK in Europa genauso mit Stagnationstendenzen zu kämpfen hat wie die beiden großen Kirchen.
Die NAK Nordrhein-Westfalen ging noch einen Schritt weiter und wollte wissen, wie sie von außen wahrgenommen wird. In ihrem Auftrag führte das Sozialforschungsinstitut „forsa“ im September 2009 eine Befragung bei rund 1000 Einwohnern Nordrhein-Westfalens durch. Dabei kamen interessante Ergebnisse zustande: Als die Befragten sagen sollten, welche Glaubensgemeinschaften sie kennen, wurden die beiden großen Kirchen von fast 90 Prozent genannt, die NAK hingegen nur von 27 Prozent. Das ist etwas weniger als der Wert der Zeugen Jehovas (34 Prozent), aber deutlich mehr als jener von Gemeinschaften wie z. B. den Adventisten oder den Mormonen (jeweils unter 10 Prozent). Als den Befragten die Namen der Glaubensgemeinschaften vorgegeben wurden, kam die NAK immerhin auf einen Bekanntheitsgrad von 76 Prozent. Auf einen ähnlichen Wert (77 Prozent) kamen die Mormonen, während die beiden großen Kirchen und die Zeugen Jehovas nahezu allen Befragten bekannt sind. Bei der Frage, wie die NAK wahrgenommen wird, antwortete ein Drittel mit dem Begriff „Sekte“, nur 26 Prozent sehen sie als Kirche. Allerdings konnten 41 Prozent darauf gar keine Antwort geben (vgl. www.nak-nrw.de/aktuelles/berichte/091028_umfrage-zu-bekanntsheitsgrad-und-image/ ).
Dieses Ergebnis muss für die NAK alarmierend sein: Fast drei Viertel der Befragten kennen sie entweder nicht oder sehen sie sogar als Sekte. Die NAK hat damit zwar immer noch ein weitaus besseres Image als die Zeugen Jehovas (90 Prozent: Sekte, 2 Prozent: Kirche, 8 Prozent: keine Antwort), aber ein deutlich schlechteres als die Adventisten (35 Prozent: Kirche, 4 Prozent: Sekte, 61: Prozent keine Antwort).
Das Image der NAK ist also zweifellos pflege- und verbesserungsbedürftig, und zu diesem Zweck dient wohl auch eine neue Selbstdarstellung, die kürzlich als DVD herausgegeben wurde (Laufzeit 90 Minuten). Sie trägt den Titel „Die Neuapostolische Kirche: lebendig – offen – auf festem Grund“ und stellt die Gemeinschaft in mehreren Kapiteln vor. Die Präsentation hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Zum Teil kommt sie ausgesprochen attraktiv und gut gemacht daher, versinkt dann aber streckenweise in Floskeln und langweiligen, statischen Darstellungen, die den „Charme“ schlecht gemachter Powerpoint-Präsentationen versprühen. Streckenweise wirkt die DVD wie ein Kompromiss zwischen Aufbruch und Öffnung einerseits und dem Beharren auf Altbewährtem und Vertrautem andererseits. Die Spannung, in der sich die NAK derzeit befindet, wird damit (wenn auch wohl unfreiwilligerweise) sehr augenfällig dokumentiert.
Insgesamt lässt sich sagen, dass sich die NAK als eine große Glaubensfamilie sieht und sich deshalb mit dieser DVD auch als eine solche darstellen will. Die Mitglieder, die zu sehen sind, wirken dabei modern, urban und haben nichts verkniffen Sektiererisches an sich – es sind „ganz normale“ Menschen wie du und ich. Nur ab und zu schimmert eben doch durch, dass die NAK etwas anders ist als andere Kirchen; so beispielsweise, wenn eine Mutter erzählt, dass sie abends mit ihren beiden Kindern auf Knien betet. Auch Stammapostel Wilhelm Leber kommt durchaus sehr sympathisch, aber doch gleichzeitig etwas verkrampft daher. Die gravitätische und paternalistische Selbstsicherheit seines Vorgängers Richard Fehr geht ihm weitgehend ab – was ja kein Nachteil sein muss.
Jedenfalls ist es schade, dass die „Zehn Fragen an den Stammapostel“ auf der DVD fast etwas versteckt sind; man findet sie nur, wenn man den Menüpunkt „Extras“ anwählt. Lebers Antworten sind schon deshalb sehr interessant, weil sie einen kleinen Einblick in die Linie seiner Amtsführung gewähren: einerseits die „Familie“ NAK in Einheit zusammenzuhalten und andererseits doch die Ökumene als Zustand eines „schönen Miteinanders“ (Leber) anzustreben. Über den daraus resultierenden Spagat ist an dieser Stelle schon öfter berichtet worden. Er kommt auch, wie bereits erwähnt, in der neuen DVD deutlich zum Ausdruck. Ob die Selbstdarstellung wesentlich zur Werbung für die NAK oder gar zur Gewinnung neuer Mitglieder beitragen kann, sei dahingestellt; als Zeugnis für den derzeitigen Umbruch in der NAK ist sie aber auf jeden Fall für alle wichtig, die sich – auch und gerade im derzeit geführten Dialog – mit dieser Kirche befassen.
Christian Ruch, Chur/Schweiz