Seltsame Allianzen
Wegen Völkermord, Beihilfe zum Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit muss sich der frühere jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, für den Tod von 900 Kosovo-Albanern und für die Vertreibung von 850 000 Zivilisten verantwortlich zu sein. Außerdem wird Milosevic der Tod Hunderter Kroaten und die Deportation von etwa 170 000 Menschen aus Kroatien zur Last gelegt. Die Anklage geht ferner davon aus, dass Milosevic für das Massaker von Srebrenica verantwortlich ist. Carla Del Ponte, Chefanklägerin am UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien, will etwa 300 Zeugen aufrufen, um die Verantwortung des Angeklagten für den Völkermord nachzuweisen.
Der jugoslawische Ex-Diktator hat seinerseits das Gericht als illegal und die Anklage als "Verschwörung des Westens" bezeichnet. Nicht nur Milosevic zweifelt an der Rechtmäßigkeit des UN-Kriegsverbrechertribunals. Inzwischen hat sich ein "Internationales Komitee zur Verteidigung von Slobodan Milosevic" gegründet. Die Mitglieder des Komitees hinterfragen die Legitimität des Haager Tribunals und kritisieren, dass Milosevic seinerzeit von der Belgrader Regierung nach Den Haag ausgeliefert wurde. Der prominenteste Verteidiger des jugoslawischen Ex-Diktators ist Ramsey Clark, ein, wie vom Komitee immer betont wird, ehemaliger US-Justizminister. Das ist freilich lange her: 1967 wurde Clark vom damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson zum Justizminister berufen. Das Amt hatte er keine zwei Jahre inne. Jetzt, gut 33 Jahre später, ist er nach Den Haag gereist, um Milosevic gegen den "US-Imperialismus" zu verteidigen.
Die Deutsche Sektion des "Internationalen Komitees zur Verteidigung von Slobodan Milosevic" wird von Klaus Hartmann (Offenbach a. M.), Präsident der Weltunion der Freidenker und Vorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes, geleitet. Weitere Gründungsmitglieder des deutschen Zweiges sind beispielsweise der ehemalige DDR-Botschafter in Jugoslawien, Ralph Hartmann, und der emeritierte Theologieprofessor Hanfried Müller. Letzterer hatte schon zu DDR-Zeiten gegen den US-Imperialismus gekämpft. Als "Geheimer Informator" arbeitete er unter dem Decknamen "Hans Maier" für die Staatssicherheit. 1959 hatte die SED seine Berufung zum Dozenten für Systematische Theologie an der Berliner Humboldt-Universität gegen den Willen der Fakultät durchgesetzt. Zeit seines Lebens vertrat Müller eine recht eigenwillige, kirchenfeindliche Theologie. Während er der Kirche jedes Recht absprach, zu politischen Fragen Stellung zu beziehen, ergriff er selbst um so deutlicher Partei für den Sozialismus in der DDR. Dass er aus quasi theologischen Gründen gegen die Kirchen argumentierte, machte seine Theologie dem atheistischen Staat hochwillkommen. Diese seine Kirchenfeindschaft dürfte ein wesentlicher Grund für die merkwürdige Allianz mit den Freidenkern sein.
Wenn man die Homepage des Deutschen Freidenker-Verbandes besucht, wird man auch hier über den Kampf der Milosevic-Verteidiger informiert. Über einen Link gelangt man auf die Site www.free-slobo.de zu dem Aufruf: "Freiheit für Slobodan Milosevic!" Dort ist zu lesen: "Die Verhaftung von Slobodan Milosevic und seine Entführung nach Den Haag stellt einen Versuch der NATO-Führer dar, dem serbischen Volk die Schuld für jene Verbrechen zuzuweisen, die die NATO gegen Jugoslawien begangen hat."
Als Carla Del Ponte am 8. Juni 2002 in Münster mit dem "Westfälischen Friedenspreis" ausgezeichnet wurde, hatten die Milosevic-Verteidiger zu einer Gegendemonstration aufgerufen. Sie warfen der Preisträgerin vor, "diejenigen zu kriminalisieren, die zu Opfern wurden, als die NATO-Mächte die Bundesrepublik Jugoslawien in Stücke schlugen, indem sie ... einen verbrecherischen Angriffskrieg führten."
Die Demonstration wurde in der Öffentlichkeit kaum beachtet. Die Allianz der deutschen Freidenker mit serbischen Nationalisten und linken Hardlinern zeigt jedoch erneut, wie sehr sich die deutschen Freidenker in ein politisches Abseits manövriert haben.
Andreas Fincke