„Sie sehen ja, es geht mir gut“ - Neues zum Thema „Lichtnahrung“
(Letzter Bericht: 12/2000, 445) In den letzten Jahren ist es stiller um das Thema „Lichtnahrung“ geworden. Zur Jahrtausendwende hatte vor allem die Australierin Ellen Greve alias „Jasmuheen“ mit ihrer These, man könne ohne feste und flüssige Nahrung auskommen, indem man sich nur von Licht „ernähre“, für einiges Aufsehen in der Esoterik-Szene gesorgt – dies allen Warnungen vor den gesundheitlichen Folgen eines solchen Unfugs zum Trotz.1
Wer „Jasmuheen“ in den darauf folgenden Jahren – etwa bei ihren Auftritten an den Basler „Psi-Tagen“ – beobachtete, konnte erstaunt feststellen, dass sich die Australierin trotz des Erfolgs ihres Lichtnahrungskonzepts anderen esoterischen Themen zuwandte. Nun erfolgte ihrerseits sogar so etwas wie ein offizieller Schlussstrich unter das Thema, indem sie sich zwar nicht von ihrer Idee, aber ihrer Fan-Gemeinde distanzierte. „Denn Tatsache ist“, so „Jasmuheen“, „dass von zehn Leuten sieben die genauen Anleitungen im Buch einfach ignorieren. Das ist ein viel zu hoher Prozentsatz, der meine Empfehlungen einfach ignoriert. Daher bekomme ich die Schwierigkeiten, mir wird die Schuld zugeschrieben, wenn Probleme auftreten. Das Nichtbefolgen der Anweisungen kann für Menschen gefährlich sein. Daher distanziere ich mich von dem 21-Tages-Prozess – nicht aber von den Inhalten, die von der Lichtnahrung handeln. Des Weiteren ist es so, dass der Fokus bei den Leuten rein auf der Prana-Ernährung liegt und ob Menschen essen oder nicht essen. Das ist niemals meine Absicht gewesen. Die Botschaft ist, wenn du wirklich in das Feld der Liebesenergie gehst, aus der du ursprünglich kommst, wird sie dich heilen, führen, ernähren – alles, was du möchtest. Die Prana-Ernährung ist also nur ein kleiner Teilaspekt des Ganzen.“2
Mit dieser Aussage kann das Thema „Lichtnahrung“ aber leider noch nicht zu den Akten gelegt werden, denn an die Stelle „Jasmuheens“ sind neue Botschafter des radikalen Nahrungsverzichts getreten. Ein besonders umtriebiger ist der Chemiker Dr. Michael Werner. Der 1949 in Deutschland geborene Anthroposoph, der derzeit in der Nähe von Basel als Waldorf-Lehrer arbeitet, hat ein Buch zum Thema „Lichtnahrung“ verfasst3 und tourt als eifriger und offenbar sehr gefragter Vortragsredner von Norwegen bis Italien, wobei der Schwerpunkt seiner Auftritte in Deutschland und in der Schweiz liegen dürfte.
Wer den promovierten Chemiker bei seinen Vorträgen erlebt, bekommt – und das ist natürlich auch so gewollt – nicht den Eindruck eines ausgezehrten, hungernden Asketen. „Sie sehen ja, es geht mir gut“, stellt Werner selbstzufrieden fest. Ausdrücklich beruft er sich auf Jasmuheen, deren Buch er gelesen und daraufhin das 21 Tage währende Umstellungsprogramm absolviert habe: Man habe sich in dieser Zeit so weit wie möglich zurückzuziehen, um dann die ersten sieben Tage weder etwas zu essen noch zu trinken, in der zweiten Woche so viel zu trinken, wie man wolle, und dann in den letzten sieben Tagen Säfte mit einem Fruchtanteil von 40 % zur Stabilisierung zu sich zu nehmen. Seitdem er sich dieser Radikalkur unterzogen habe, esse er nichts mehr, trinke aber hin und wieder.
Die meisten Menschen, so seine Beobachtung, fingen irgendwann wieder an zu essen, weil sie dem sozialen Druck der Umwelt nicht standhalten könnten, die den völligen Nahrungsverzicht nicht akzeptieren wolle. Er jedoch habe durchgehalten, fühle sich gesund und vital, brauche weniger Schlaf als früher, sei sensibler und mental vollkommen leistungsfähig. Gefragt, wie das Ganze funktioniere, bleibt Werner die Antwort schuldig: Man müsse sich eben „dem Geschenk Licht öffnen“ und Vertrauen haben – Vertrauen darauf, dass das Licht als Entsprechung „kosmischer Liebe“ und als Symbol Christi alle materialistischen Vorstellungen und Verkrustungen aufzubrechen vermöge. Wer allerdings zu starke mentale Muster in sich trage, der verhungere und verdurste, psychische Stabilität sei also die Voraussetzung dafür, sich auf „Lichtnahrung“ umzustellen. Die in Zusammenhang mit der „Lichtnahrung“ stehenden Todesfälle seien jedoch nicht auf diese zurückzuführen, gibt sich Werner überzeugt.
Fazit: Während „Jasmuheen“ ihre Idee, nur von Licht zu leben, offenbar zu riskant geworden ist, predigt sie Michael Werner unbekümmert weiter. So muss wohl auch in Zukunft damit gerechnet werden, dass es immer wieder Menschen geben wird, die meinen, auf Speisen und Getränke völlig verzichten zu können, und sich so einem großen gesundheitlichen Risiko aussetzen.
1 Siehe dazu die Dokumentation von Ingo Heinemann auf http://www.agpf.de/Lichtnahrung.htm.
2 Connection, Ausgabe September 2006, 57f.
3 „Leben durch Lichtnahrung. Der Erfahrungsbericht eines Wissenschaftlers“, Baden/Schweiz 2005.
Christian Ruch, Baden/Schweiz