Siebzig Jahre und kein bisschen leise
(Letzter Bericht: 10/2003, 387ff) Am 7. Oktober beging Gabriele Wittek ihren siebzigsten Geburtstag. Die örtliche Main-Post berichtete aus diesem Anlass über die "Prophetin", die an einem unbekannten Ort unweit von Würzburg lebt. In dem Zeitungsbeitrag kann man lesen, dass die Jubilarin "die Fäden" in dem von ihr aufgebauten Universellen Leben (UL) nach wie vor fest in der Hand hält und auch, dass Aussteiger aus dem UL "von Entmündigung, Angst und Ausbeutung" berichten.1
Gabriele Wittek scheint über diesen Geburtstagsgruß "not amused" gewesen zu sein. Einige Tage später berichtet die genannte Main-Post aus ihrer Redaktion: "Gewohnt sind wir, dass uns redaktionelle Berichterstattungen [über das UL - A.F.] vorwiegend Beschwerden und manchmal bitterböse Wurfsendungen in Briefkästen eintragen. Dass sie kaum einem Rechtsstreit aus dem Wege gehen, die Juristen der Urchristen, das wissen wir auch. Verblüfft hat uns, dass gestern früh vier UL-Anhänger Flugblätter vor dem Verlagsgebäude ... verteilt haben. ... Unser Kollege Tilman Toepfer, der häufig über das UL berichtet, ward der Lüge bezichtigt. Warum, das lässt sich aus den weiteren unfreundlichen Unterstellungen nicht erkennen."2 Dennoch, so betont die Redaktion abschließend, ist festzuhalten, "dass es einer Tageszeitung nicht zu nehmen ist, über ungewöhnliche Menschen zu berichten. Und dazu hat sie sich gemacht, die Prophetin, die irgendwann einmal nur Ehefrau und Mutter war." Mit anderen Worten: In der offenen Gesellschaft entscheidet weder eine Prophetin noch sonst wer, worüber eine Zeitung berichten darf.
Zu ihrem siebzigsten Geburtstag hat sich die rüstige Prophetin jedoch auch selbst ein Geschenk bereitet: Auf der Homepage www.universelles-leben.org findet man unter der Überschrift "Das Maß ist voll!" eine Generalabrechnung mit den Kritikern. Dort ist zu lesen: "Seit etwa 30 Jahren diene ich dem Ewigen als Sein Instrument. In diesen 30 Jahren hat Er, der Allmächtige, ein weltweites Werk der Gottes- und Nächstenliebe geschaffen, ein charismatisches Wertzeichen." Gott klage durch sein prophetisches Wort [d.h. durch Gabriele Wittek] "die kirchlichen Würdenträger [an], die die Lehre des Jesus, des Christus, mißbraucht, das heißt, für ihre allzumenschlichen Zwecke benützt haben, um ihre Gläubigen mit allerhand menschlichem Tand und Brimborium an sie, die Hirten ihrer persönlichen Lehre, zu binden. Durch kirchliche Indoktrination von der Wiege bis zur Bahre haben die kirchlichen Amtsträger viele ihrer Gläubigen weg von dem Ewigen, dem wahren Gott, geführt und somit in die Veräußerlichung gestürzt, was das heutige Bild vieler sogenannter Kirchenchristen beweist." Die "konfessionellen Falschmünzer" ziehen gegen Gottes Wort zu Feld, gegen Anhänger des UL, "und vor allem gegen mich, Sein Instrument". Dazu haben sich die Kirchen "konfessionelle Verleumdungsbeauftragte" geschaffen und diese instrumentalisierten auch "kirchlich Indoktrinierte wie z.B. Politiker, Richter, Journalisten". Im Zentrum ihrer Anklage steht die Kritik daran, dass die Gerichte wiederholt kritische Wortmeldungen über das UL mit dem Hinweis zugelassen haben, es handele sich hierbei um (zulässige) Meinungsäußerungen. "Wir Urchristen werden uns nicht länger mit der Keule 'Meinungsäußerung' unter den kirchlich-institutionellen Richtertisch schlagen lassen, wo leider viele einfache Leute liegen, ... denen es ähnlich erging wie uns Urchristen und vor allem dem großartigen Gotteswerk Universelles Leben. Es sind zu wenige Richter konfessionslos." Wittek verdächtigt mit solchen Feststellungen nicht nur die Richter, von den Kirchen beeinflusst zu sein, sie zieht damit zugleich die Unabhängigkeit der Justiz in Zweifel. Zugleich aber - dies erkläre, wer kann - nimmt das UL und seine Anhänger dieses vielgeschmähte Recht der freien Meinungsäußerung für sich selbst nur zu gern in Anspruch - und strapaziert es nach Kräften. Wenn Matthias Holzbauer beispielsweise in dem kürzlich erschienenen Buch "Der Steinadler und sein Schwefelgeruch" zahlreiche katholische und evangelische Weltanschauungsexperten namentlich als "Rufmordbeauftragte"3 bezeichnet, so dürfte auch diese Feststellung allenfalls als Meinungsäußerung von den Gerichten toleriert werden.
Gabriele Wittek's Abrechnung mit ihren Kritikern gipfelt in der Feststellung: "Das Maß ist voll! Der Krug ging lange genug zum Brunnen. Nach 30 Jahren Schweigen und Richtigstellen - was ganz selten eine Resonanz zeigte - beauftrage ich nun Anwälte, die Gerichte anzurufen, um die falschen Behauptungen eines mittelalterlichen Regimes aus der Welt zu schaffen." Und: "Ich klage die Lügner ... an. Anwälte werden weltliche Gerichte anrufen, um die Ungeheuerlichkeiten, Böswilligkeiten und Lügen, die sich hinter 'Meinungsäußerungen' verbergen, aufzudecken. Ich rufe alle wahren Urchristen auf, diese Schritte zu unterstützen. Ich wiederhole: Über Anwälte rufen wir die Gerichte an. Wir wollen nicht, daß Recht gesprochen wird - wir wollen Gerechtigkeit."
Auch wenn man bedenkt, dass das UL in den letzten Jahren zahlreiche Prozesse angestrengt hat und Kritiker immer wieder mit Klageandrohungen überzieht, verwundert diese Heftigkeit dennoch. Warum drängt die "Prophetin" ihre Anhänger zu noch mehr juristischen Auseinandersetzungen? Was erhofft sie sich davon? Diese Fragen können aus der Distanz nur schwer beantwortet werden. Aber klar ist, was diese Botschaft vermutlich bewirken wird: Die innere Dynamik wird angeheizt - eine Entwicklung, die man mit Sorge zur Kenntnis nimmt. Dabei steht hinter der wortreichen Polemik vermutlich ein ganz anderes Thema: Jeder Geburtstag erinnert daran, dass auch "das größte Gottesinstrument nach Jesus von Nazareth" älter wird und sich früher oder später recht irdischen Fragen stellen muss: Wird es einen Nachfolger / eine Nachfolgerin im Prophetenamt geben? Wer wird die "Fäden" in der Hand halten? Kann das UL ohne Gabriele Wittek weiterbestehen? Wenn ja - wie? Andere Neuoffenbarungsbewegungen sind an der Frage nach der legitimen Nachfolge zerbrochen.
Vorerst jedoch ruft das UL zu juristischen Auseinandersetzungen. Seltsam genug ist das allemal, wo man doch - wie zitiert - die Richter für befangen hält. In Abwandlung eines bekannten Jesus-Wortes hätte man die jüngste Verlautbarung der "Prophetin" auch so zusammenfassen können: "Wer mein Nächster sein will, der rufe die Gerichte an."
Anmerkungen
1 Wie feiert die "Prophetin" ihren 70. Geburtstag, in: Main-Post vom 7. Oktober 2003.
2 In eigener Sache: von Lügen und Propheten, in: Main-Post vom 11. Oktober 2003.
3 Matthias Holzbauer, Der Steinadler und sein Schwefelgeruch, Marktheidenfeld 2003, 176; 269; 274; 325; 399 u.ö. Das Buch kann unterwww.steinadler-schwefelgeruch.deheruntergeladen werden.
Andreas Fincke