Martina Loth

„Sivas“ im kulturellen Gedächtnis

Eine alevitische Jugendgruppe aus der Diaspora in der Auseinandersetzung mit dem Herkunftsland

Unter Aleviten wird seit 25 Jahren die Erinnerung an das Massaker von Sivas wachgehalten. In der zentralanatolischen Stadt hatte am 2. Juli 1993 eine fanatisierte Menschenmenge unter islamistischen Parolen ein Hotel umstellt und in Brand gesetzt, in dem sich zumeist alevitische Künstler und Kulturschaffende aufhielten. Polizei und Rettungskräfte griffen viel zu spät ein, fast 40 Menschen starben. Das 25-jährige Gedenken wurde Anfang Juli 2018 in vielen Städten begangen, wie in Berlin, wo im alevitischen Cem-Haus ein dramatisches Sprechtheaterstück die Szenen von damals aufnahm, oder in Köln vor dem Hauptbahnhof. In Sivas selbst gab es unter reger internationaler Beteiligung einen Trauermarsch zu dem ehemaligen Hotel. „Sivas“ gilt als Wendepunkt für Aleviten hin zu mehr Sichtbarkeit und politischer Mobilisierung. Die Kurdische Gemeinde Deutschland e. V. teilte mit: „Die türkische Regierung macht sich unglaubwürdig, wenn sie wie z. B. mit dem Brandanschlag in Solingen oder den NSU-Morden Gleiches ungleich behandelt und außerhalb der eigenen Staatsgrenzen das Einhalten der Menschenrechte und Aufklärung einfordert, im eigenen Land jedoch Aufklärung und Verurteilung verhindert.“1 Der folgende Artikel basiert auf einer teilnehmenden Beobachtung während der „Sivas-Gedenktour 2013“, die aus Anlass des 20. Jahrestags des Massakers durchgeführt wurde und auf der junge Aleviten aus Deutschland alevitische Erinnerungsorte in Zentralanatolien besuchten. Er geht der Frage nach der Etablierung eines kulturellen Gedächtnisses nach. Dabei analysiert er die Motivation der Jugendlichen und jungen Erwachsenen für die Reise und ihren Umgang mit der Opferrolle, ihre Feststellung der Unterschiede zwischen Aleviten in Deutschland und der Türkei sowie ihre daraus resultierenden „Visionen“ für ein zukünftiges Alevitentum.

Jugendliche Aleviten sind in der deutschen Diaspora mit der Verschiebung einer traditionell oralen Religion hin zu den Anfängen einer dokumentierten Religion und der damit einhergehenden zunehmenden Anerkennung des Alevitentums groß geworden. Viele Wissenschaftler sind der Meinung, dass das Alevitentum erst in der Diaspora Anerkennung und Selbstbewusstsein erlangen konnte.3 Elise Massicard beschreibt, dass sich Aleviten im Kontext der politischen Freiheit in Deutschland in einer Weise mobilisieren konnten, die in der Türkei undenkbar gewesen wäre.4 Mittlerweile kommt der jüngeren Generation beim Engagement für das Alevitentum eine bedeutende Rolle zu:5 Die Erinnerungskultur spielt in diesem Transformationsprozess eine wichtige Rolle. Béatrice Hendrich ist der Meinung, dass bereits durch das Wissen um Ali und seine Leidensgeschichte Alevit-Sein „ein Bewusstsein für den ewigen Kampf der Gerechtigkeit gegen das Böse und für den Auftrag des Einzelnen und der Gemeinschaft, das Gute zu verwirklichen“6, bedeute.

Anlässlich des 20. Jahrestags des Massakers von Sivas7 realisierte die Alevitische Jugend Europa8 und der Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland e. V. (BDAJ) die „Sivas-Gedenktour 2013“ mit insgesamt 29 Teilnehmenden aus Dänemark, Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Der Fokus der Forschungsreise lag auf den 16 Teilnehmenden aus Deutschland, die zwischen 19 und 30 Jahre alt waren. Genau einen Monat vor Beginn der Reise formierte sich im Zuge der Gezi-Park-Proteste9 in der Türkei eine Widerstandsbewegung gegen die AKP-Regierung, die mit exzessiver Polizeigewalt niedergeschlagen wurde und dadurch zu wochenlangen heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Staatsgewalt und der Bevölkerung führte. Die Teilnehmenden der Sivas-Tour beteiligten sich an der rasch wachsenden internationalen Solidaritätsbewegung. Im BDAJ wurden die Gezi-Proteste zu einem Arbeitsschwerpunkt. Eine Woche vor Beginn der Reise veranstaltete der Jugendverband zusammen mit dem Dachverband, der AABF10, eine Solidaritätskundgebung in Köln, an der mehrere Zehntausend Menschen teilnahmen. Die Veranstaltung ist auch Ergebnis der bis dato erfolgten rasanten Entwicklung des Jugendverbands: Mittlerweile vertritt der Verband nach eigenen Angaben 78 000 junge Aleviten in Deutschland, verfügt neben der Bundesgeschäftsstelle in Köln über fünf regionale Geschäftsstellen und ist Mitglied im Bundesjugendring.11

Die überwiegende Mehrheit der Reiseteilnehmenden aus Deutschland waren aktive Mitglieder im BDAJ, von denen mehr als ein Drittel auf Bundesebene tätig war. Die Gruppe kann daher nicht als durchschnittliche Gruppe von jungen Aleviten bewertet werden, sondern als eine Gruppe einflussreicher Mitglieder des Jugendverbandes, der zwar von sich behauptet, alle Aleviten in Deutschland zu vertreten, dem sich aber de facto nur ein Teil der jungen Aleviten in Deutschland zugehörig fühlt. Außerdem nahm ein Bundesvorstandsmitglied der AABF sowie der Vorsitzende der Alevitischen Gemeinde Frankreichs (FUAF) teil.12

Das Sivas-Narrativ – „Das sind für uns ja keine fremden Menschen“

„Ich fühle mich auch so ein bisschen, als hätte ich so meine Pflicht erfüllt, irgendwie. Als es passiert ist, war ich ja auch drei, fast vier. Und meine Mama hat mir letztens erzählt: Als sie das zum ersten Mal ausgestrahlt haben, was da gerade passiert, dass ich … mit meinen drei Jahren gesagt habe: Mama, das Haus brennt, aber da sind doch Menschen drin. Und dass ich jetzt heute davorstand. Ich … man kann es nicht beschreiben einfach“ (Ezgi13).

Das Massaker von Sivas spielt nach Hendrich eine zentrale Rolle für die Konstruktion des modernen kollektiven Alevi-Gedächtnisses. Es gibt regelmäßige Gedenkveranstaltungen in den alevitischen Gemeinden, und „Sivas“ wird als Referenzereignis gebraucht. „Handlungen kultureller und gesellschaftlicher Art werden be- und aufgewertet, indem man sie zum Gedenken an Sivas, im Gedenken an die Opfer, um der Verhinderung einer weiteren Katastrophe wie in Sivas willen begeht.“14 Die Jugendlichen sind mit diesem Referenzereignis groß geworden: „Wir sind aufgewachsen, als wären das unsere eigenen Verwandten; die waren immer präsent. Es gab im dernek [Verein] immer ein Bild von den Opfern; jedes Jahr gab es einen Gedenktag“ (Elif). Die Reise nach Zentralanatolien brachte die Erzählungen aus der Kindheit mit realen Orten und Personen zusammen. Was für die jungen Erwachsenen lediglich in ihren Vorstellungen existierte,15 erlebten sie plötzlich hautnah: Die Angehörigen der Opfer des Massakers bekamen ein Gesicht; die Rosen am Grab der Toten hatten einen Geruch; das Hotel, in dem die Opfer verbrannt wurden, hatte eine konkrete Gestalt. Die Begegnung mit einer Angehörigen, die ihre Tochter und ihren Sohn bei dem Massaker verloren hatte, beschrieb Elif folgendermaßen: „Das sind für uns ja keine fremden Menschen. Die Jugendlichen haben mit Menekşes Mama geredet, als würden sie sie schon immer kennen.“

Dieses Gefühl der Verbundenheit mit den Angehörigen der Opfer und mit den Opfern selbst und der damit einhergehende Einsatz für das Alevitentum sind nur möglich durch die Vorstellung einer verbindenden Gemeinschaft, einer imagined community, die laut Benedict Anderson durch „ihre vermeintliche Natürlichkeit“ geprägt ist.16 Durch die imaginierte Gemeinschaft fühlten die Jugendlichen sich so, als würden sie die Angehörigen der Opfer bereits lange kennen, obwohl sie die Angehörigen vor der Reise noch nie getroffen hatten. Diese Vorstellung stärkt die Etablierung eines kulturellen Gedächtnisses der Aleviten. Die Ereignisse von Sivas sind als schicksalhafte Ereignisse der Vergangenheit Fixpunkte des kulturellen Gedächtnisses. Die Gedenkfeiern in der Diaspora und die Teilnahme an den Demonstrationen sowie die Gräberbesuche können als Ritus gesehen werden, durch den die Jugendlichen die Erinnerung an diesen Fixpunkt des kulturellen Gedächtnisses wachgehalten haben.

Die Reise hat zu einer Bedeutungszunahme dieses Fixpunktes geführt: „Nicht: Jetzt treffen wir uns mal im Verein und machen mal ab und zu solche Sachen wie Gedenkveranstaltungen oder so, sondern wirklich so: Wow! Also, das ist auch so ein bisschen die Ernsthaftigkeit so an den Gräbern zu sein: Hier liegen die Menschen, für die wir halt seit unserer Kindheit trauern, mit denen wir aufgewachsen sind“ (Hülya). – „Jetzt sind wir da, jetzt sind wir angekommen. Die Bedeutung von Sivas ist schon unglaublich“ (Özlem bei der Demonstration in Sivas, an der die Gruppe teilgenommen hatte). Nach der Demonstration sagte Ezgi, sie fühle sich, als hätte sie ihre Pflicht erfüllt. Viele Teilnehmende teilten diese Auffassung. „Es ist halt unsere Kultur … Wir sind halt damit aufgewachsen, dass wir darauf aufpassen müssen“ (Elif).

Gleichzeitig war den jungen Erwachsenen bewusst, dass die Teilnahme an der Reise durchaus nicht selbstverständlich war. Sie wurden von Mitgliedern unterschiedlicher alevitischer Vereine sowohl aus der Diaspora als auch aus der Türkei als eine „Pioniergruppe“ bezeichnet. Die damit verbundene Wertschätzung bestätigte die Selbstwahrnehmung der Jugendlichen, sich auf besondere Weise zu engagieren. Die Beschriftung des Reisebusses und die bedruckten T-Shirts, die den Einsatz der Gruppe für die Opfer von Sivas und Çorum17 verdeutlichten, verstärkten das Gefühl, Teil einer besonderen Gruppe zu sein.

Somit befanden die Jugendlichen sich in einem Spannungsfeld zwischen einerseits dem Gefühl einer Verbundenheit zu einer imaginierten Gemeinschaft der Aleviten mit einer gemeinsamen Geschichte, gleichen Werten und Zielen und andererseits einer Abgrenzung der eigenen Gruppe von anderen alevitischen Gruppen und der Formulierung abweichender Werte und Ziele. Dieses Spannungsfeld wird in den folgenden Kapiteln weiter ausgeführt.

Immer wieder Gräber – der Umgang der Jugendlichen mit der „Opferrolle“

„Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft. Wir kommen nur zusammen, um zu trauern“ (Özlem). Neben dem Besuch der Gräber der Sivas-Opfer hat die Gruppe die Gräber von verschiedenen Personen besucht, die die Teilnehmenden als „im Freiheitskampf“ Umgekommene bezeichneten. Hierzu gehörten die Gräber von Deniz Gezmiş, Hüseyin Inan, Yusuf Aslan, Mahir Çayan (marxistisch-leninistisch ausgerichtete 68er Studentenführer, 1972 durch die Regierung hingerichtet beziehungsweise in Çayans Fall von einer Spezialeinheit erschossen), Erdal Eren (16-jähriger Teilnehmer einer Demonstration, 1972 ebenfalls durch die Regierung hingerichtet), Ibrahim Kaypakkaya (Hauptführer der Kommunistischen Partei, 1973 im Gefängnis getötet), Ethem Sarısülük (Teilnehmer der Gezi-Park-Proteste, erschossen von einem Polizisten), Hasret Gültekin (1993 in Sivas umgekommen und in seinem Heimatdorf begraben). Alle aufgezählten Personen wurden von den Teilnehmenden şehit („Märtyrer“) genannt.

Für den Besuch der Gräber war immer ausreichend Zeit. Je näher die Gruppe den Gräbern kam, desto andächtiger wurde die Stimmung, die Gespräche wurden flüsternd fortgeführt oder beendet, und oft trat langes Schweigen ein. Nicht selten wurde geweint und tröstend in den Arm genommen. Kleine „Dienste“, die den Toten erwiesen werden konnten, wurden gern und häufig ausgeführt. Zum Beispiel wurden die Pflanzen auf den Gräbern mit Hingabe gegossen.

In den Gesprächen, die die Teilnehmenden nach den Grabbesuchen führten, konnte ich dann erfahren, dass diese für die Jugendlichen zum Teil sehr unterschiedliche Bedeutungen hatten. Die Gruppe war inhaltlich nicht auf die diversen Grabbesuche vorbereitet worden, militante Einstellungen einiger Verstorbener etwa wurden nicht thematisiert. So war zum Beispiel für den Teilnehmer Can, der sich selbst der politischen Linken zugehörig fühlte, das Grab von Ibrahim Kaypakkaya der persönliche Höhepunkt. Hasan dagegen sagte mir, dass er sich nicht mit der „devrimci-Politik“ („Politik der Revolutionäre“) beschäftige und für ihn die Dichter aus osmanischer Zeit, vor allem aber die Opfer von Sivas die wichtigsten alevitischen Märtyrer darstellten: „Das war für mich natürlich viel viel extremer und da fühlt man halt auch mehr, als wie wenn … Ich habe einfach keinen Bezug zu Gezmiş und so weiter, besser gesagt, weniger Bezug.“

Vor dem Hintergrund der teilweise geringen Kenntnisse der Jugendlichen über die Verstorbenen waren die Informationen durch die Gruppenleiter vor Ort sehr einflussreich. Laut Hendrich haben für Interessensverbände und Vereine „leichtverständliche Selbstdarstellungen ohne störende Relativierungen besondere Bedeutung“18. Während der Reise konstruierten die Vereinsvorsteher das Bild einer Linearität, in das sich alle Opfer, deren Gräber wir besuchten, einreihten: An dem Grab von Ethem Sarısülük sagte der Vorsitzende der alevitischen Föderation Frankreichs zu den Teilnehmenden: „Ethem ist gestorben. Das ist sehr schlimm. Aber vielleicht trifft er im Himmel Kaypakkaya und all die anderen.“ Bei dieser Linearität geht es laut Hess um eine Linearität von Heiligkeit. Die Verbindung bestehe dabei nicht durch die ethnische Abstammung, sondern durch den tragischen Tod im Widerstand gegen die Unterdrücker, um ein passive oder nonviolent martyrdom.19 Diese Konstruktion der Linearität von Heiligkeit fand in der Rede des damaligen Bundesvorsitzenden des Jugendverbandes und Gruppenleiters in Çorum eine politisch motivierte Aktualisierung. Er sagte: „Was würde Pir Sultan Abdal machen, wenn er hier wäre? – Er würde çapulcu20 sein und mit uns demonstrieren!“ (Übers. d. Verf.). Dadurch instrumentalisierte er an dieser Stelle das Alevitentum für politische Zwecke, was angesichts des „Mangels“ der „dogmatischen Instanz“21 besonders einfach möglich ist und dazu führte, dass die Jugendlichen größtenteils unreflektiert die Meinung übernahmen und beispielsweise die Gewalt, die durch Kaypakkaya und andere ausgeübt worden war, unbeachtet blieb.

Zum Teil konnte ich unter den Jugendlichen auf der Reise auch eine „heroische Opfererinnerung“ an die Verstorbenen feststellen: Im Gespräch mit den Teilnehmerinnen Elif und Tülay über Ethem Sarısülüks Tod sagte Elif, dass anscheinend leider „immer einer sterben müsse“. Sie ergänzte, dass sie auf dieser Reise auch einige Aleviten kennengelernt habe, die bereit seien, für den devrim („Revolution“) zu sterben. Beide erzählten mir von Verwandten, die „viel krasser“ als sie seien und „keine Angst vor dem Tod“ hätten. Elif und Tülay gingen folglich davon aus, dass die Aleviten – zumindest in der Türkei – nur durch Märtyrer Aufmerksamkeit erlangen könnten.

Allerdings gab es viele Erlebnisse im Rahmen der Exkursion, die diese Überzeugung relativieren. Dazu gehörte unser Besuch am Grab von Hasret Gültekin in Imranlı, dem Dorf nahe Sivas, in dem er gelebt hatte. Denn dort beschrieb seine Frau ein differenziertes Bild, welches ihn nicht als eine übermenschliche, mystische Person kennzeichnete, sondern vielmehr als eine Person, die zwar durchaus heldenhafte Taten vollbracht habe, aber ansonsten ein normaler Mensch mit bestimmten Charaktereigenschaften, Interessen und Schwächen gewesen sei. Viele Teilnehmende erzählten, dass das Gespräch mit der Angehörigen und ihrem Sohn ihnen sehr viel bedeutet und neue Perspektiven eröffnet habe. Die Witwe sprach mit den Jugendlichen über die Mängel, die sie bezüglich der tags zuvor durchgeführten Demonstration in Sivas sah. Sie sagte, dass unzählige Energien und finanzielle Mittel in die Demonstration fließen, aber kaum weiterhelfen. Sie forderte dagegen, dass möglichst ebenso viele Demonstranten vor dem Gericht in Sivas protestieren müssten, an dem sich der Prozess zum Sivas-Massaker, in dessen Rahmen bisher kaum Täter verurteilt wurden, bereits seit Jahren hinzieht. Genau einen Tag vor der Demonstration hatte hier eine Gerichtsverhandlung stattgefunden. Emre äußerte sich folgendermaßen zu dem Gespräch: „Hätten wir das von ihr nicht gehört, dann wären viele davongegangen: ‚Ja, Sivas [die Demonstration, an der die Reisegruppe teilgenommen hat] war super, 50 000, 60 000 Aleviten auf der Straße.‘ Aber als sie das nochmal erklärt hat, was alles gefehlt hat, ist es den Jugendlichen nochmal aufgekommen, was man da eigentlich machen muss, und nicht einfach hingehen, laufen und wieder zurücklaufen.“

Trotz der Tendenz zur „heroischen Opfererinnerung“ auf der Reise überwog unter den Jugendlichen insgesamt die Meinung, dass sie die schwere Thematik und den traurigen Teil der Geschichte nicht dominieren lassen wollten. Nach der Rückkehr nach Ankara stand am folgenden Tag der Jahrestag der Beerdigung der Opfer des Sivas-Massakers an. Die Mehrheit der jungen Aleviten lehnte einen erneuten Grabbesuch ab. Can sagte, er habe „kein Bock mehr auf Gräber“. An einer anderen Stelle machten einige in einem Gespräch außerdem deutlich, dass sie „die Komplexe nicht vererbt bekommen“ wollen. Kadir fragte entrüstet: „Wir haben die Massaker selbst nicht erlebt – warum leben junge Menschen dann diese Komplexe?“ Nach dem Besuch an Ethem Sarısülüks Grab hielt der damalige Bundesvorsitzende des Jugendverbandes eine aufbauende Rede, in der er die Jugendlichen dazu aufforderte, sich nach ihrer Rückkehr nach Deutschland für die Rechte der Aleviten einzusetzen. Er sei sicher, dass sich die Mühen schließlich auszahlen würden.

Junge Aleviten befinden sich so vielfach in einem Spannungsfeld zwischen heroischer Erinnerung, die sie durch ihre Sozialisation in der Diaspora erlernt haben, und eigenen Abgrenzungstendenzen, die die Ereignisse als vergangen bewerten. Die Gedenkreise stellt dabei einen möglichen Anschlusspunkt für die Konstitution eines Kollektives oder einer Solidargemeinschaft dar. Diese wäre nach Aleida Assmann die Voraussetzung, um generationenübergreifende Formen der Kommemoration zu entwickeln. Vor dem Hintergrund, dass vor allem bei der späten Verarbeitung von Traumata der Generationenwechsel von großer Bedeutung für den Wandel und die Erneuerung des kulturellen Gedächtnisses einer Gesellschaft ist, könnten die beschriebenen Entwicklungen unter den jungen Aleviten ein maßgeblicher Schritt hin zu einer Bewältigung der Opfererfahrungen sein.22

Erwartungen an den Besuch in Banaz

„Was für eine Ehre, in diesem Dorf zu sein.“ – „ Die Frage ist, ob die [Dorfbewohner] das hier auch wertschätzen“ (Sevilay und Dilara beim Hineingehen in das Dorf Banaz). Das Einzige, was die Teilnehmenden aus unserem Informationsblatt zum Ablauf der Reise über Banaz wussten, war, dass die Pir-Sultan-Abdal-Statue besichtigt werden würde. Diese war zu Ehren Pir Sultan Abdals23, der in dem Dorf gelebt haben soll, auf einem Berg direkt neben dem Dorf von einem Künstler errichtet worden. Trotz oder vielleicht auch wegen der geringen Planung und Vorkenntnisse waren die Erwartungen vieler Teilnehmender sehr hoch. Mit strahlenden Gesichtern erzählten mir Hasan und Emre beispielsweise auf der Busfahrt nach Banaz, dass dieser letzte Programmpunkt für sie einen besonderen Höhepunkt der Reise darstelle. Sie waren sich sicher, dass die Menschen im Dorf ihres „Freiheitskämpfers“ die Gruppe mit großer Gastfreundschaft erwarten würden. Bei unserer Ankunft stellte sich dann allerdings heraus, dass die Bewohner allem Anschein nach nicht auf unseren Besuch vorbereitet waren. Eine Teilnehmerin äußerte sich entsetzt: „Die wussten gar nicht, dass wir kommen, die haben gar nichts vorbereitet.“

Die zweite Enttäuschung folgte, als die Gruppe bemerkte, dass das Dorf keinen sichtbaren Bezug zu Pir Sultan Abdal hatte. „Man hat nicht gemerkt, dass es Pir Sultan Abdals Dorf war … Das hätte jedes andere Dorf sein können in Anatolien … ich wurde von den Menschen enttäuscht und einfach dadurch, dass so eine wichtige Person aus diesem Dorf kommt und man so wenig davon erhalten hat“ (Hasan).

Nachdem wir uns am Dorfbrunnen erfrischt hatten, durften wir in Begleitung des Dorfvorstehers das Haus anschauen, in dem Pir Sultan Abdal gelebt haben soll. Dort wohnt jetzt ein älterer Mann. Es stand schnell die Frage im Mittelpunkt, warum dieses Haus nicht als Museum genutzt wird. Der Gruppenleiter: „Jedes andere Volk dieser Welt würde so ein Haus restaurieren und ein Museum daraus machen. Nur uns Aleviten fehlt dieser Weitblick.“

Die Teilnehmerin Fidan empörte sich jedoch über die dominierende abwertende Sichtweise innerhalb der Gruppe und forderte mehr Respekt gegenüber den Dorfbewohnern und eine Beachtung ihrer ärmlichen Situation. Ihrer Meinung nach sollten die Teilnehmenden die Bewohner nicht verurteilen; schließlich wüssten die Jugendlichen so gut wie nichts über sie.

Ziele der Jugendlichen für das Alevitentum

Die Abgrenzung der Jugendlichen von Aleviten in der Türkei war in Banaz am auffälligsten, aber bereits zuvor aufgefallen. Im Folgenden werde ich ihre daraus resultierenden, implizit formulierten Ziele für die Zukunft des Alevitentums, die die Etablierung eines kulturellen Gedächtnisses fördern, darlegen: Die Jugendlichen wünschen sich soziale Anerkennung, die sie als Grundlage betrachten, um als gleichberechtigte und selbstbewusste Gruppe auftreten zu können. Sie möchten sich von der Vorstellung distanzieren, dass Aleviten „etwas fehlen würde“, dass das Alevitentum etwas „Unvollständiges“ sei, etwas, für das man sich schämen müsste. Der Frage nach einer möglichen Definition dieses/des Alevitentums schienen die Jugendlichen auf der Reise allerdings nur bedingt Raum geben zu wollen. Als eine Alevitin aus der Türkei in Ankara unserer Gruppe die Frage stellte, was das Alevitentum denn jetzt eigentlich genau sei, flüsterte eine Teilnehmende augenrollend: „Jetzt bitte nicht dieses Thema!“ Die jungen Erwachsenen gingen locker, bisweilen sogar humorvoll mit der Definitionsfrage um und ließen nicht zu, dass das weite Interpretationsspektrum des Alevitentums ihr Gefühl einer starken Gemeinschaft schwächt. Sie betonten Aspekte des Alevitentums, bei denen sie sich sicher und einig waren, wie der Einsatz für Menschenrechte, Minderheitenrechte und Demokratie.

Außerdem waren sie sich darüber einig, was sie nichtsein wollten. Sie grenzten sich beispielsweise deutlich vom Sunnitentum ab. Als wir beim Hacı-Bektaş-Veli-Museum waren, beobachteten einige ein sunnitisches Pärchen, das ebenfalls das Gelände besuchte. Gerade als sich die Gruppe aufregte, dass die Sunniten das Kloster komplett für sich vereinnahmen würden, begann der ezan(Gebetsruf) aus den Lautsprechern zu ertönen. „Also wirklich!“ – „Das sind nicht wir, und das ist auch nicht alevitisch gewesen.“ – „Weil die halt alles für sich selbst einnehmen. Die beanspruchen halt … dieser Absolutheitsanspruch. Alles, was uns einigermaßen heilig ist, sagen sie: Nee, das kommt aber von uns.“ – „Ja. Obwohl es nicht im Geringsten etwas damit zu tun hat“ (Elif und Hasan).

Die jungen Erwachsenen sprachen sich folglich implizit für die materielle Restitution ihrer Gedenkstätten aus, welchen eine wichtige Rolle bei der Etablierung eines kulturellen Gedächtnisses zukommt.24 Außer vom Sunnitentum grenzten sie sich auch deutlich von den Aleviten ab, die sich der Cem-Stiftung25 und der Gülen-Bewegung verbunden fühlen.

Die Jugendlichen bedauerten, dass sie auf der Reise keine ausführlichen Informationen zu den einzelnen Stationen – beispielsweise durch Experten vor Ort – erhalten hatten. Denn sie sahen die Erforschung des Alevitentums als Grundlage für einen selbstbewussten Umgang mit diesem an. Mit der Forderung nach Erforschung und Lehre geht der Wunsch nach Erlangen von symbolischer Reputation einher. Diese ist ebenfalls Bestandteil der Etablierung des kulturellen Gedächtnisses.26 Auf dem Weg zu einem alevitischen kulturellen Gedächtnis sahen die jungen Aleviten eine solche symbolische Reputation u. a. in der Einführung von alevitischem Religionsunterricht in Deutschland. Hatice erzählte, dass sie sich die alevitischen Inhalte noch selbst beibringen musste. Dies ändere sich aber für die zukünftige Generation durch den alevitischen Religionsunterricht.

Die Teilnehmenden waren verwundert darüber, dass das Alevitsein allem Anschein nach für viele Aleviten in der Türkei keine große Rolle spielt. Sie wünschten sich für die Aleviten in der Türkei, dass sie selbstbewusster werden und sich aktiv für ihre Rechte und ihre soziale Anerkennung einsetzen. Ufuk fragte sich, wovor sie Angst haben und was ihnen denn schon passieren könne. Can erklärte sich diese Angst bei den Aleviten in der Türkei folgendermaßen: „Es liegt, glaub’ ich, an unsrer Grundphilosophie, wenn wir sagen: ‚Auch wenn du mit Steinen beworfen wirst, schenke ihm eine Rose.‘ Also mit diesem Leitprinzip sind die Aleviten vorangegangen.“ Ezgi war der Meinung, die Aleviten müssten allgemein gegen die von ihr wahrgenommene Unterdrückung Folgendes unternehmen: „Wir müssen einfach … ein bisschen mehr Stimme zeigen und das ist bei uns seit Jahrzehnten schwach.“

Die jungen Erwachsenen wünschten sich, dass das revolutionäre Engagement unter Aleviten stärker ausgeprägt werde und die Aleviten in der Türkei sich ein Beispiel an den Protestierenden der Gezi-Ereignisse nehmen. Vor allem als Gruppe aus der Diaspora wollten sie dabei mit gutem Beispiel vorangehen. Sie bedauerten es sehr, dass sich die alevitischen Jugendlichen in der Türkei in anderen, nicht-alevitischen Organisationen engagieren und es allem Anschein nach keine organisierte alevitische Jugend in der Türkei gebe: „Und dann aber, dass es bei den Aleviten hier keine Jugend gibt, ist für uns einfach im Moment unvorstellbar und peinlich, wenn es da Tausend andere Linksorganisationen gibt. Man kann ja trotzdem in seiner kommunistischen oder was weiß ich was Organisation sein, aber irgendwie muss man doch auch was mit Aleviten machen, oder?“ (Hülya)

Die Teilnehmenden waren sich sicher, dass die Aleviten in der Türkei ihre marginalisierte Position nur durch die Etablierung einer ähnlichen Organisationsstruktur wie der in der Diaspora überwinden könnten. Dementsprechend formulierte Ufuk folgendes Ziel: „Wir müssen in der Türkei erst mal alle unter ein Dach kommen“, woraufhin Can entgegnete: „Das muss ja nicht sein, eine Plattform einfach.“ Die beiden erklärten außerdem, warum das deutsche Modell ihrer Meinung nach so erfolgreich sei: „Aber in Deutschland sind wir ja eins …“ – „Ja, in Deutschland sind wir eins, da gibt es manchmal die, die nicht zu uns gehören wollen, aber durch den Druck kommen die dann irgendwann zu uns, weil die sehen … alleine können die nichts machen.“

Die Reiseteilnehmenden sprachen sich für die direkte Zusammenarbeit der Aleviten aus der Diaspora mit den Aleviten in der Türkei aus und versprachen diesen ihre Unterstützung. Sie betonten zudem die Bedeutung der Lobbyarbeit in Deutschland und Europa: „Dieses Druckausüben ist ja auch nochmal ganz wichtig“ (Elif).

Die Kandidatur des ehemaligen Vorsitzenden der AABF und jetzigen Vorsitzenden der Alevitischen Union Europa, Turgut Öker, als unabhängiger Kandidat im ersten Bezirk Istanbuls bei der Parlamentswahl 2011 wurde von den meisten Jugendlichen befürwortet, und sie bedauerten, dass er nicht ausreichend Stimmen durch die alevitischen Wähler erhalten habe.

Generell grenzten die jungen Aleviten sich aber auch deutlich von den älteren Generationen und der AABF ab und hielten sich insgesamt für progressiver und offener für unterschiedliche Meinungen. Die Reise unterstützte zudem ihr Bedürfnis, selbst Verantwortung zu übernehmen.

Fazit und Ausblick

In Bezug auf die von Karin Vorhoff angesprochene Warnung, dass die fehlende Schrifttradition dazu führen könne, dass „während der nunmehr erfolgenden Verschriftlichung viele unreflektierte und unterschiedliche Interpretationen des Alevitentums festgehalten würden“27, ist der beschriebene Prozess möglicherweise von großer Bedeutung. Denn durch die institutionalisierten Strukturen und die Größe des BDAJ hat die Jahrgangskohorte der Jugendlichen eine bedeutende Reichweite, die es in dem Umfang nur in der deutschen Diaspora gibt. Die Interpretation der jungen Erwachsenen aus ihrer westeuropäisch sozialisierten Perspektive heraus könnte somit für die zukünftige Entwicklung des Alevitentums eine große Rolle spielen.

Dabei setzen die Teilnehmenden sich weniger für eine dogmatische Bestimmung des Alevitentums ein. Der implizit formulierte Wunsch nach Etablierung des kulturellen Gedächtnisses und das Forcieren politischer Anerkennung sind ihnen am wichtigsten. Sie wollen sich für ein selbstbewusstes Alevitentum engagieren, etwas bewirken und verändern. Diese Beobachtung entspricht dem, was Massicard über die Vereinsvorstehenden der AABF sagt: Ihr wichtigstes Ziel sei, institutionelle Anerkennung für das Alevitentum zu erlangen – ob dies nun im Rahmen einer religiösen, kulturellen oder einer anderen Dimension geschieht, sei dabei zweitrangig.28

Trotz religionspolitischer Vorteile in der Diaspora wissen die Jugendlichen durch ihre Position als „Menschen mit Migrationshintergrund“, was Diskriminierung bedeutet und dass es für Migrantenselbstorganisationen schwieriger als für autochthone Organisationen ist, gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten und als gleichberechtigte politische Akteure wahrgenommen zu werden.29 Dieser Hintergrund prägt sicherlich auch die auf der Reise häufiger gezeigte Ablehnung einer Exklusivität des Alevitentums, die Betonung der Pluralität und den Einsatz als Minderheit für andere Minderheiten. Für die Jugendlichen scheint dabei der politische Weg durch die große und einflussreiche Organisation BDAJ der Weg zu sein, der am ehesten Erfolg verspricht.

Die Studie zeigt, dass die jungen Aleviten aus der Diaspora sich zwar einerseits schwertun, das Verhalten der Aleviten in der Türkei nachzuvollziehen, und dass das Verhältnis zwischen den beiden Gruppen teilweise sehr konfliktgeladen ist. Andererseits gibt es eine große Unterstützung zwischen Aleviten aus der Diaspora und Aleviten aus dem Ursprungsland, die vor dem Hintergrund des immer autoritärer werdenden türkischen Regimes, unter dem vor allem Minderheiten und Regierungskritiker leiden, eine hohe Bedeutung hat.

An die Interaktion zwischen Herkunftsland und Diaspora werden zudem in Zeiten der anhaltenden Ausbreitung islamistischer gewalttätiger Gruppierungen im nationalen wie auch im internationalen Kontext hohe Erwartungen gestellt, bei denen die Aleviten eine wichtige Rolle spielen könnten.

Über die in diesem Beitrag dargestellten Aspekte hinaus gab das untersuchte Material Hinweise auf weitere interessante Themen: beispielsweise den Umgang mit Gender-Fragen, die Untersuchung der performativen Praxis an den einzelnen Stationen der Reise oder die Frage nach der Rolle der Aleviten im Kemalismus.


Martina Loth, Münster


Anmerkungen

  1. https://kurdische-gemeinde.de/die-kurdische-gemeinde-deutschland-e-v-erinnert-anlaesslich-des-25-jahrestag-an-das-massaker-von-sivas-und-gedenkt-der-opfer  (Abruf: 11.7.2018).
  2. Eine ausführliche Fassung dieses Beitrags erschien unter dem Titel „Reform durch die Diaspora? Jugendliche Aleviten aus Deutschland auf der ‚Sivas-Gedenktour 2013‘“, in: Burcu Doğramacı et al. (Hg.), Junge Perspektiven der Türkeiforschung in Deutschland, Bd. 2, Wiesbaden 2016 179-202.
  3. Vgl. u. a. Handan Aksünger, Jenseits des Schweigegebots. Alevitische Migrantenselbstorganisationen und zivilgesellschaftliche Integration in Deutschland und den Niederlanden, Münster 2013; Friedmann Eißler, Aleviten in Deutschland. Grundlagen, Veränderungsprozesse, Perspektiven, EZW-Texte 211, Berlin 32017; Esra Özyürek, „The Light of the Alevi Fire Was Lit in Germany and then Spread to Turkey“. A Transnational Debate on the Boundaries of Islam, in: Turkish Studies 10/2 (2009), 233-253; Martin Sökefeld (Hg.), Aleviten in Deutschland. Identitätsprozesse einer Religionsgemeinschaft in der Diaspora, Bielefeld 2008; Krisztina Kehl-Bodrogi, „Was du auch suchst, such es in dir selbst“. Aleviten nicht (nur) in Berlin, Berlin 2002.
  4. Vgl. Elise Massicard, The Alevis in Turkey and Europe, London/New York 2013, 185.
  5. Vgl. u. a. Martina Loth, Wird die alevitische Jugend das Alevitentum reformieren? Eine Generation auf der Suche nach einer Neuformulierung, in: Klaus Kreiser et al. (Hg.), Junge Perspektiven der Türkeiforschung in Deutschland, Bd. 1, Wiesbaden 2014, 227-245.
  6. Béatrice Hendrich, Über einen (möglichen) Umgang der Wissenschaft mit der (schwierigen) Geschichte der Aleviten, in: Angelika Hartmann (Hg.), Geschichte und Erinnerung im Islam, Göttingen, 239-253, 239.
  7. In der türkischen Stadt Sivas wurde das Hotel Madımak, in dem eine alevitische Kulturveranstaltung stattfand, von einer zuvor in einer Moschee aufgehetzten Menschenmenge in Brand gesteckt. Dabei starben 37 Menschen, von denen die meisten Aleviten waren.
  8. Avrupa Alevi Gençler Birliği (AAGB).
  9. Im Sommer 2013 kam es im Istanbuler Gezi-Park am Taksimplatz zu Protesten gegen den Plan der Regierung der AKP (Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei), einen der letzten grünen Plätze in der Stadt umzubauen. Diese ließ Ministerpräsident Erdoğan von der Polizei mit exzessiver Gewalt niederschlagen. Die Proteste verbreiteten sich daraufhin in 78 Städten der Türkei, und Solidaritätskundgebungen fanden in zahlreichen Städten weltweit statt. Erdoğan reagierte, indem er zunehmend Wasserwerfer und Tränengas einsetzen ließ und eine große Anzahl Protestierender, Mitglieder der türkischen Anwalts- und Architektenkammer und weitere Unterstützer der Protestbewegung verhaften ließ (vgl. Bülent Gökay/Ilia Xypolia [Hg.], Reflections on Taksim – Gezi Park Protests in Turkey [A Journal of Global Faultlines Publication], Keele University, England, 2013, 58-68).
  10. AABF: Almanya Alevi Birlikleri Federasyonu.
  11. Website des BDAJ, Stand 30.10.2017.
  12. Im Folgenden werden die in Anlehnung an die „Grounded Theory“-Methode nach den amerikanischen Soziologen Barney Glaser und Anselm Strauss herausgearbeiteten Kategorien erläutert und analysiert.
  13. Namen der Teilnehmenden anonymisiert.
  14. Béatrice Hendrich, Alevitische Geschichte erinnern – in Deutschland, in: Sökefeld (Hg.), Aleviten in Deutschland (s. Fußnote 3), 37-64, 44.
  15. Nur wenige Teilnehmende waren bereits vor der Gedenktour mit ihren Eltern in Sivas gewesen.
  16. Benedict Anderson, Imagined Communities. Reflection on the Origin and Spread of Nationalism, London 1983, 124.
  17. In der Stadt Çorum fand ebenfalls ein Pogrom mit vielen alevitischen Opfern statt (1980).
  18. Hendrich, Alevitische Geschichte erinnern (s. Fußnote 14), 42.
  19. Vgl. Reinhard Hess, Alevi Martyr Figures, in: Turcica 39 (2007), 253-290, 253f.
  20. Die zunächst von Erdoğan verwendete Bezeichnung der Protestierenden der Gezi-Bewegung, çapulcu („Plünderer“, „Gesocks“), gebrauchten die Protestierenden kurz darauf als Eigenbezeichnung, um sich über den Ministerpräsidenten lustig zu machen, ihn sozusagen mit seinen eigenen Waffen zu schlagen.
  21. Hendrich, Alevitische Geschichte erinnern (s. Fußnote 14), 43.
  22. Vgl. Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006, 75.
  23. Berühmter alevitischer Dichter, geb. ca. 1480, zur Zeit des Osmanischen Reichs. Er wurde hingerichtet, weil seine Gedichte und Lieder angeblich zu Aufständen geführt hatten.
  24. Vgl. Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit (s. Fußnote 22), 79.
  25. Cumhuriyetçi Eğitim ve Kültür Merkezi Vakfı, kurz Cem-Vakfı (Republikanisches Stiftungszentrum für Bildung und Kultur). Die Cem-Vakfı hat auch eine Vertretung in Deutschland; vgl. Andreas Gorzewski, Das Alevitentum in seinen divergierenden Verhältnisbestimmungen zum Islam, Bonner Islamstudien, Bd. 17, Berlin 2010, 57f.
  26. Vgl. Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit (s. Fußnote 22), 79.
  27. Karin Vorhoff, Alevitische Identität in der Türkei heute, in: Ismail Engin/Erhard Franz (Hg.), Aleviler/Alewiten, Bd. 1: Kimlik ve Tarih/Identität und Geschichte, Hamburg 2000, 59-74, 59f.
  28. Vgl. Massicard, The Alevis in Turkey and Europe (s. Fußnote 4), 197.
  29. Vgl. Gökçe Yurdakul, From Guest Workers into Muslims. The Transformation of Turkish Immigrant Associations in Germany, Newcastle upon Tyne 2009, 9f.