Heidi Josua

Spaß-Islam und Geschlechtertrennung

Der Islam des Pierre Vogel

Spaß und Islam? Manche halten das für unvereinbar – nicht so Pierre Vogel (Jahrgang 1978). Der „Superstar einer neuen Welle radikaler islamischer Frömmigkeit“1, ein ehemaliger Boxer2, der vor acht Jahren zum Islam konvertierte und nach einem Aufenthalt am Spracheninstitut der Umm al-Qura Universität in Mekka3 seit drei Jahren als Wanderprediger überall in Deutschland unterwegs ist, füllt mit seinem Charisma ganze Hallen mit Hunderten von Jugendlichen. Die Zuhörer und Zuschauer per Internet sind ein Vielfaches davon, nach eigenen Angaben bis zu 20 000 Besucher pro Tag. Die Auswirkungen dieser Tätigkeit werden nicht nur in Info-Ständen, Kundgebungen und Protestaktionen in vielen Städten sichtbar, sondern zeigen sich bei Schülern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in teils massiv verändertem Verhalten.

Im Folgenden geht es um einige einführende Beobachtungen zu dieser neuen Da’wa-Bewegung, die bei Veranstaltungen in Baden-Württemberg4 sowie auf der Internetseite der Bewegung (www.einladungzumparadies.de) gemacht wurden.

Heterogenes Publikum

Pierre Vogels Veranstaltungen sind beileibe keine innerislamische Angelegenheit: Die streng nach Geschlechtern segregierten Besucherinnen und Besucher5 – sie sitzen säuberlich getrennt durch den Mittelgang, Kleinkinder wechseln auf der Suche nach ihren Eltern verstört zwischen beiden Seiten – wirken wie eine Mischung aus Diskogängern (Szeneklamotten, Tattoos, schrille Frisuren), Konfirmandengruppe und saudischen Moscheebesuchern (Kopfbedeckungen und Schleier in allen Variationen, Tschadore, für die Männer weiße, knielange Hemden, Häkelmützen und Vollbart). Es lassen sich drei Besuchergruppen ausmachen: die eigene Klientel, die das Treffen organisiert, oft aus unterschiedlichen Moscheegemeinden vor Ort, die durchweg dem ultrakonservativen religiösen Spektrum zuzuordnen sind; säkularisierte muslimische Jugendliche der zweiten oder dritten Generation, häufig auf der Suche nach klarer Identität und der wahren Religion; Nichtmuslime unterschiedlicher Nationalität.

Veranstaltungsorte sind meist nicht Moscheen, sondern Hallen (Gemeindehallen, private Festhallen), wodurch zum einen die Schwelle für Nichtmuslime niedrig gehalten wird und zum anderen über die organisierten islamischen Gruppen hinaus gewirkt werden kann.6

Kumpeltyp und Prediger

Mit rheinischem Zungenschlag und in der Sprache Jugendlicher, kumpelhaft-charismatisch und missionarisch-predigend zugleich, widerlegt Pierre Vogel alias Abu Hamza, im roten und nach der Sunna handbreitlangen Vollbart, stets mit knielangem Gewand oder Mantel und Häkelmütze gekleidet, scheinbare Vorurteile gegenüber dem Islam: „Im Islam ist Spaß erlaubt. Verboten ist nur verbotener Spaß.“ Was dieser verbotene Spaß ist, bleibt zunächst unklar. Geschickt kokettiert Vogel mit dem negativen Image des Islam und führt es ad absurdum: Schläfer, das seien doch nicht die Muslime, sondern schlafende Lkw-Fahrer auf der Autobahn, auf deren Konto so viele Todesfälle gingen. Und die wahren Selbstmordattentäter seien ebenfalls keine Muslime, sondern die Menschen, die an den Folgen des Rauchens sterben. Muslimische Frauen gehen drei Schritte hinter dem Mann? Das sei nicht Frauendiskriminierung, sondern geschehe, weil Frauen immer durch Schaufenstergucken aufgehalten würden. Mit solchen „Richtigstellungen“ hat Vogel die Lacher auf seiner Seite und dem Islam sein böses Image genommen. Da er weiß, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, grüßt er die anwesenden Schlapphüte und distanziert sich regelmäßig und geschickt von Aussagen, die strafrechtlich relevant werden könnten, etwa von Gewalt oder Holocaustleugnung. Freundlich grinsend kann er dann innehalten und sein Publikum fragen: „War das grad eine Hasspredigt?“

Im Plauderton holt er die Jugendlichen in ihrer Situation ab, zerstreut Zweifel und wirbt für den Islam: „Glücklich ist man, wenn man zum wahren Islam zurückkehrt.“ „Mit dem Koran wirst du glücklich sein, weil das deine Natur ist.“ Deshalb solle jeder dem Vorbild Jesu folgen, der vor Gott niederfiel – Jesus in Gethsemane wird zum Vorbild für das islamische Gebet. Im Laufe der Veranstaltung wird dann der Ton schärfer. Vogel bietet einen Rundumschlag gegen Journalisten, die ihn angreifen und Lügen über ihn verbreiten würden, gegen Kommunalpolitiker, die ihm Hallen verweigern, sowie gegen die Islamverbände, die allesamt feige und verlogen seien, weil sie im Dialog behaupteten, auch Juden und Christen kämen ins Paradies. Sie seien verschlafen, weil sie selbstgenügsam nur in ihren Moscheen wirken, und sie würden ihn nicht mögen, weil er ihre Lügen entlarve.

Inzwischen ist der Ton schneidend und scharf geworden, und die Koranverse prasseln wie Schwerthiebe auf die nieder, die angeblich vom Buch Gottes abgewichen sind. Mit einem Mix aus Bibel- und Koranzitaten „beweist“ Vogel, dass die Bibel nicht von Gott ist, sondern Ergebnis der Recherche von Menschen (Lk 1,1-3); er „widerlegt“ Trinität und Gottessohnschaft Jesu. Zugleich sagt er: Wenn ein Christ Muslim werde, könne er alles mitnehmen, etwa seine Liebe zu Jesus und Maria, er müsse lediglich einige wenige „Korrekturen“ vornehmen. Jedoch sage Sura 3,85 eindeutig, dass nur der Islam rette, Juden und Christen aber ins Höllenfeuer gingen. Die Rettung sei ganz einfach: Gott ist ein einziger, er hat keinen Sohn. Die Art und Weise der Verwendung von Bibelstellen, um die naturwissenschaftlichen und theologischen Widersprüche in dieser „verfälschten Offenbarungsschrift“ aufzuzeigen, erinnern an das Vorgehen der Zeugen Jehovas und an den kürzlich verstorbenen südafrikanischen Propagandisten Ahmad Deedat, dessen Schriften unter den Anhängern lobende Zustimmung erfahren. Immerhin räumt der Ex-Boxer mit einer oft gehörten Fehlinformation auf: Islam bedeute nicht Frieden, wie alle Islamverbände sagten, sondern Hingabe, Ergebung.

Konversionen

Ein zweistündiger Vortrag, der sich rhetorisch geschickt steigert und mit zahlreichen arabischen Koran- und Hadithzitaten durchsetzt ist, mündet schließlich in den obligatorischen Bekehrungsaufruf: „Ist hier heute jemand, der den Islam annehmen will? Was hindert dich, die Schahada (islamisches Glaubensbekenntnis) zu sagen? Sag nicht ‚morgen‘, sondern ‚heute‘. Vielleicht ist es morgen zu spät.“ Oder, wenn sich keiner meldet: „Ach komm, wirklich niemand hier?“ Und schon werden Jugendliche auf die Bühne begleitet, wo sie Wort für Wort die Schahada nachsprechen, manche stammelnd, manche so fließend, dass es Fragen aufwirft. Bei jeder Veranstaltung treten bis zu zehn Jugendliche öffentlich zum Islam über, von den anwesenden Männern (Frauen erheben ihre Stimme nicht) mit donnerndem „Allahu akbar!“ begrüßt. Der neue Bruder wird danach von allen anwesenden Männern beglückwünscht und umarmt, desgleichen die neue Schwester von den Frauen, die sie manchmal gleich mit einem Tuch zur islamisch korrekten „Bedeckung“ versorgen.

Die Konversionen werden im Stile von Erfolgsmeldungen per Video dokumentiert und ins Internet gestellt, sogar Konversionen per Telefon – sowohl in Pierre Vogels Büro als auch unterwegs im Auto. Bei Konversionen von Frauen jedoch bleibt die Kamera aus, manchmal erscheint das Standbild einer roten Rose.7 Ob diese Jugendlichen wissen, was sie erwartet? Keiner erklärt ihnen zum Zeitpunkt ihres Übertritts die Risiken und Nebenwirkungen ihres Schrittes, der irreversibel ist.

„Wahrer“ Islam

Über die Richtung, in das sich das neue Leben bewegen wird, erfährt man in der Literatur am Büchertisch. Dort sind nicht nur die Anweisungen zum rechten Muslimsein nachzulesen, sondern es wird auch das Unwerturteil über die Gesellschaft deutlich formuliert: Da ist von „abscheulichen Gewohnheiten ... der verkommenen Frauen aus Europa“8 die Rede, ebenso tritt ein kaum verfassungskonformes Frauenverständnis zutage: Es sei die „Pflicht“ einer Ehefrau, ihren Mann „zu bedienen, denn ihr Ehemann wird in Allahs Buch namentlich als ihr Herr bezeichnet und sie ist eine Gefangene bei ihm“.

Verstören muss auch ein Video auf der Internetseite, in dem eine Achtjährige namens Safiya im schwarzen Tschador vorgeführt wird, die perfekt den Koran rezitieren kann. Pierre Vogel freut sich sichtlich an diesem Beispiel mustergültiger islamischer Erziehung und fragt sie, ob sie denn immer islamisch gekleidet sei. Sie sagt, es dauere nur noch wenige Tage, dann sei sie neun Jahre alt und dürfe ständig den hidschab tragen, sie freue sich sehr darauf. „Und niqab (Gesichtsschleier)?“, fragt Pierre Vogel. „Nicht wahr, wenn du 18 bist!“ Sie nickt strahlend.

Machte vor einigen Jahren Amir Zaidan mit seiner sogenannten „Kamelfatwa“ (einer alleinreisenden Frau sei nur die Entfernung einer per Kamel zurückgelegten Tagesreise gestattet, also ca. 81 km) Furore und löste allgemeine Empörung aus, so übertrifft Pierre Vogel dies noch. Auf der Fatwa-Seite des mit ihm verbundenen Islamischen Bildungs- und Kulturzentrums Braunschweig wird erklärt, dass eine Frau ohne einen Mahram (einen in einem bestimmten Verwandtschaftsverhältnis stehenden, nicht heiratbaren Mann) das Haus überhaupt nicht verlassen darf – natürlich nicht, um sie zu unterdrücken, sondern ausschließlich zu ihrem Schutz vor Vergewaltigung und ähnlichen Übeln, die mitten in Deutschland allerorten auf eine Frau lauern.

In Vorträgen wird die Ehe Muhammads mit der neunjährigen Aischa gepriesen9 (die Tatsache, dass die meisten Frauen Muhammads Witwen oder Geschiedene waren, scheint wohl weniger attraktiv und nachahmenswert); Frauen müssen das islamisch verbriefte Recht ihres Mannes auf Polygamie akzeptieren. Auf Musik ist zu verzichten. Wer sich für diesen Islam entscheidet, muss sein ganzes Leben umkrempeln.

Virtuelle Anhänger

Ganz im Gegensatz zu einem Islamverständnis, das sich in Bezug auf Kleidung und Verhalten peinlich genau an der Zeit des Propheten Muhammad im Arabien des 7. Jahrhunderts orientiert, nutzt Pierre Vogel die modernen Medien und das mediale Verhalten der Jugendlichen. So betreibt er eine äußerst professionelle Internetseite10, auf der u. a. Videos seiner Auftritte, Koranrezitationen, Vorträge, Seminare sowie Konversionen zum Islam zu finden sind. Hinzu kommt ein Live-Stream der Veranstaltungen, wodurch die Reichweite enorm vergrößert wird.

In einem der fast täglich wechselnden Tagesvideos ruft er dazu auf, 60 000 Euro zu spenden, um ein Moscheegebäude in Hannover zu kaufen. Ansonsten, so droht er, würden evangelikale Christen das Haus kaufen, und die seien „die härtesten Missionierer gegen die Muslime“. Diese hätten es fertiggebracht, dass es heute in Bangladesch fünf Millionen Christen gebe, nachdem es vor 20 Jahren nur 100 Christen gewesen seien. Auf Arabisch wirbt er um arabische Spender, um eine Diskothek in Mönchengladbach kaufen und in eine Moschee umbauen zu können.

Per Internet werden Veranstaltungen organisiert, und es wird zu einem selbstbewussten, nach außen sichtbaren Leben als Muslim ermutigt. Breiten Raum nehmen Aufrufe zu Demos ein sowie Klagen über die zunehmende Islamophobie, mit denen eine Selbstviktimisierung betrieben wird.11 So möchte Vogel gern 5000 Muslime aktivieren, die überall dort protestieren, wo Muslime unterdrückt werden. Wenn sie das jedes Wochenende an einem anderen Ort machen, würde sich das herumsprechen, „und dann werden die sagen: Bloß nicht die muslimischen Mädchen (wegen ihres Kopftuchs) rauswerfen, sonst steht morgen die new Muslim army vor der Tür“. Diese Proteste sollen „friedlich, aber zornig“ sein.

Propagandistisch geschickt nutzt er Vorfälle wie den Mord an der Ägypterin Marwa al-Sharbini in Dresden Anfang Juli 2009, um ein düsteres Bild zu zeichnen: „Das war kein Einzelfall, das war der ERSTE Fall“, denn es gebe „1% der Bevölkerung, die wollen alle Muslime abschlachten“. Er war der erste, der die Nachricht auf seine Internetseite setzte und sogleich für sich vereinnahmte, indem er medienwirksam eine Totenfeier („die größte dschanaza [islam. Begräbnis] in Deutschland“) und Demo „für unsere Heldin, Märtyrerin“ ankündigte, die er zur Kundgebung gegen die Diskriminierung muslimischer Frauen (wegen des Kopftuchs) werden ließ.

Gesellschaftliche Auswirkungen

Es wird deutlich, dass Pierre Vogel keineswegs nur an freier islamischer Religionsausübung gelegen ist. Innerislamisch geht es ihm um eine Rückkehr zum „wahren“ Islam. Noch ist nicht klar, ob er damit bewusst einen Gegenpol zu den etablierten Moscheegemeinden im Sinne einer Alternative setzt oder aber sie von innen heraus erneuern will, indem er sich radikal an den salaf as-salih (den Altvorderen der Prophetenzeit) orientiert. Den meisten türkisch dominierten Gemeinden ist dieser salafistische Islam saudischer Prägung suspekt, und auch innerhalb der Milli Görüs gibt es neben Befürwortern auch Ablehnende.

Im Sommer 2009 richtete Pierre Vogel auf seiner Internetseite eine „Schwarze Liste“12 ein, de facto ein Aufruf zur Denunziation. Es sollten Moscheen gemeldet werden, die keine Predigt in deutscher Sprache anbieten, die keine oder nicht genügend da’wa (islamische Mission) machen, etwa keine Flyer für Vogel-Veranstaltungen verteilen lassen oder Frauen keine angemessenen Räume zur Verfügung stellen. Indem er auf diese Weise Moscheegemeinden an den Pranger stellte, zu ihrem Boykott aufrief, um durch diesen Druck eine Richtungsänderung bis hin zur Absetzung von Vorständen und eine „Übernahme“ dieser Moscheen zu erreichen, machte er sich zum Richter über die Rechtgläubigkeit anderer Muslime. Durch dieses takfir (= andere zum Kafir, also Ungläubigen, erklären) werden die „Ungläubigen im Innern“ identifiziert;13 in der islamischen Welt schließt dies häufig auch den dschihad gegen die Ungläubigen selbst ein. Da manche Moscheen fälschlicherweise beschuldigt wurden, wurde diese Liste im August 2009 eingestellt.

Auch bislang eher säkulare Muslime entdecken bei Pierre Vogel den Islam, den ihnen ihre Eltern „vorenthalten“. Wenn Aleviten sich dafür entscheiden, sprechen sie sogar die schahada, ganz so, als wären sie vorher gar keine Muslime gewesen.14

Die Abgrenzung zur unislamischen Mehrheitsgesellschaft wird bewusst zelebriert, augenfällig durch islamische Kleidung, die offensiv zur Schau gestellt und daraus folgende Diskriminierung sorgfältig registriert und als Ausgrenzung seitens der dekadenten Gesellschaft verstanden wird, die eher zu wenig Verhüllung als zu viel verkrafte. Für manche Jugendliche ist es ein radikaler Bruch mit einem Leben voller Alkohol, Drogen, Sex – und Pierre Vogel erzählt gern von seiner eigenen Vergangenheit und lebt diesen Weg authentisch vor.

Bei den nichtislamischen Jugendlichen ist eben nicht der ganz normale, gut mit dem Alltag in Deutschland zu vereinbarende Islam angesagt. Wer als Konvertit sein Leben ändert, der tut es zumeist radikal, in dieser strengen, am Wortlaut des Korans orientierten Richtung.

Pierre Vogel lässt keinen Zweifel an seinem Ziel, nämlich „83 Millionen Menschen in Deutschland zum Islam einzuladen“. Zwar lässt er sich angesichts der wachsamen Augen und Ohren des Staates selbst nicht zu eindeutigen Aussagen in Bezug auf die Demokratie hinreißen. In seinem Blog15 aber wird unwidersprochen darüber diskutiert, ob man etwa zur Wahl gehen darf, was überwiegend abgelehnt wird, da eine Demokratie ein System mit von Menschen gemachten Gesetzen sei. Wenn Menschen über Menschen bestimmten, sei dies schirk (= Beigesellung eines Wesens neben Gott). Wer einen muschrik (= Beigeseller, Polytheist) wähle, begehe selbst Beihilfe zum schirk. Auch die Einführung der Scharia wird diskutiert.

Warum gerade Pierre Vogel?

Warum lockt gerade diese strengste, kompromisslose Form des Islam die Jugend in Scharen, warum gerade der absolute Gegenentwurf zum Pluralismus, zur individuellen Lebensgestaltung, zur persönlichen Freiheit? – Vielleicht, weil sie so kompromisslos ist? Muslimische Jugendliche, die sich von ihrer Elterngeneration abgrenzen wollen, können dies durch absolute Säkularisierung tun – oder aber durch eine Abwendung von dem angepassten, auf Unauffälligkeit bedachten Islam der Eltern mit ein bisschen Beten und vielen Kompromissen mit der deutschen Umwelt.

Ein wichtiger Punkt ist auch, dass Pierre Vogel und andere Prediger dieser Richtung anbieten, was in deutschen Moscheen Mangelware ist, nämlich Islam in deutscher Sprache, und zwar nicht auf akademischem Niveau, sondern in auch für einfache Jugendliche verständlicher Form. In den meisten Moscheen wird dagegen allein in den Heimatsprachen gepredigt, und die Import-Imame haben oft keine Ahnung vom Leben in Deutschland.

Schließlich ist es eine eindeutige, überschaubar dualistische Weltsicht: Gut und böse, richtig und falsch, islamisch und unislamisch sind klar definiert. Die einfachen Wahrheiten, eindeutigen Zuordnungen und strengen Regeln vermitteln Orientierung und bieten orientierungslosen, zwischen den Generationen und Kulturen zerrissenen Jugendlichen Halt.

Spaß-Islam? Sobald Jugendliche erst einmal in dieser konservativen, streng religiös ausgerichteten Jugendsubkultur eingebunden sind, ist Schluss mit lustig. Uniformierte Kleidung, die das ganze Leben reglementierenden Ge- und Verbote, Rückzug der Frauen aus dem sichtbaren Lebensbereich, Selbstvergewisserung durch Dämonisierung der Umwelt und Selbstviktimisierung bedeuten eine starke Abgrenzungstendenz zu allem Nicht-Islamischen.

Der Verfassungsschutz einiger Bundesländer führt Pierre Vogel in seinen Berichten auf und wirft ihm vor, die Radikalisierung von Muslimen voranzutreiben.16 Auch wenn er selbst sich verbal von Gewalt distanziert, bereitet diese Islaminterpretation doch auch die ideologische Grundlage der gewaltbereiten und terroristischen multinationalen Dschihad-Gruppen, die ihre Anhänger aus den nicht gewaltorientierten salafistischen Netzwerken rekrutieren. Doch bereits die ausgrenzende, andere dämonisierende Weltsicht wirkt zutiefst gesellschaftsspaltend und dient nicht dem friedlichen und konstruktiven Miteinander. Die „Zeit“ hat Pierre Vogel zu Recht als den „Rattenfänger der Neuzeit“ bezeichnet.


Heidi Josua, Weissach im Tal


Anmerkungen

1 Julia Gerlach, Die lässigen Gehirnwäscher, in: Die Zeit vom 4.10.2007.

2 Vgl. www.boxrec.com.

3 Er studierte am Institute of Arabic Language for Non-Native Speakers.

4 19.7.2008 in der Stadthalle Rudersberg, 26.7.2008 in Stuttgart-Wangen.

5 Am 25.11.2007 in der städtischen Hepper-Halle in Tübingen mussten Frauen sogar einen separaten Eingang benutzen. Einzig eine Gruppe von Terre des Femmes demonstrierte vor der Halle. Als Nachspiel wurden die Veranstalter zu einem Gespräch mit dem Oberbürgermeister der Stadt, Boris Palmer, zitiert. Der Städtetag protestierte gegen die „islamische Apartheid“.

6 Im Fall Rudersberg war die Stadthalle von einer türkischstämmigen Frau zu einer „Informationsveranstaltung über den Islam“ gemietet worden; es gab keinerlei Hinweise auf den Referenten. Erst am Vortag wurde bei der Stadtverwaltung bekannt, dass Pierre Vogel kommen würde. Eine als islamkritisch bekannte Gruppe drängte, die Vergabe der Halle zurückzunehmen. Für die Veranstaltung am 26.7.2008 war ursprünglich das Forum Ludwigsburg gemietet. Nach zahlreichen Protesten zog sich die juristische Auseinandersetzung über die ganze Woche vor der Veranstaltung hin; erst Stunden vor Beginn stand der neue Ort Stuttgart-Wangen fest.

7 Andere Möglichkeit: völlige Verschleierung einschließlich des ganzen Gesichts (www.einladungzumparadies.de/videos/kategorien/frau-und-familie/schwester-mit-burka-spricht-ueber-rassismuss-530.html#530) oder von hinten  (www.einladungzumparadies.de/videos/neueste-videos-vortraege/interview-mit-schwester-aus-frankfurt-09-08-09-780.html#780).

8 „Umgangsformen für Heirat und Ehe in der reinen Tradition des Propheten“, 56 und 74.

9 Verfassungsschutz entdeckt islamistisches Netzwerk, in: Die Welt vom 24.4.2008.

10 „Einladung zum Paradies“. Es gab Vorgängerversionen, z. B. „Die wahre Religion“, diese wurde inzwischen von anderen Betreibern übernommen.

11 Dafür gibt es zahlreiche Beispiele, wie Muslimen angeblich die Grundrechte vorenthalten werden.

12 www.einladungzumparadies.de/videos/neueste-videos-vortraege/abu-hamza-pierre-vogel-ueber-die-schwarze-liste-von-ezp-755.html#755.

13 Vgl. auch www.ufuq.de/newsblog/208-konservative-muslime-kn-mit-pierre-vogel-nichts-anfangen.

14 Gespräch am 19.6.2009.

15 www.hetzegegenislam.de/index.php?/archives/3-Am-30.08.09-sind-Kommunalwahlen-sollten-Muslime-waehlen-gehen.html, vgl. einige Einträge vom 27.8.2009.

16 Vgl. z. B. den Verfassungsschutzbericht 2007 des Landes Schleswig-Holstein.