Spirituelles Coaching?
Möglichkeiten und Grenzen einer populären Beratungsform
Deepak Chopra tut es, Anselm Grün auch.1 Spirituelles Coaching wird mit den Lehren Bhagwans (Oshos) begründet,2 aber auch der Dalai Lama gibt Managern Ratschläge.3 Diesbezügliche Anleitungen in der Zen-Tradition4, in transpersonaler5, integraler6, franziskanischer7, benediktinischer8 oder evangelikal-charismatischer Spiritualität9 liegen neben vielen anderen vor. Die Nachfrage von Firmen und Privatpersonen nach Sinn- und Werteorientierung und ethischer Führung ist hoch, deshalb florieren Ausbildungsinstitute mit spirituellen Coaching-Angeboten.10 Der von dem Benediktinermönch und Zen-Meister Willigis Jäger gegründete Benediktushof hat im Jahr 2013 eine eigenständige „Akademie für Führungskompetenz“ ins Leben gerufen, die ausdrücklich „Führung und Spiritualität zusammenführen“ möchte.11 Aber nicht nur buddhistisch geprägtes Coaching ist gefragt. In den letzten 15 Jahren fand achtmal der evangelikal geprägte „Kongress christlicher Führungskräfte“ unter dem Dauermotto „Mit Werten in Führung gehen“ statt, der damit bisher insgesamt mehr als 20 000 Teilnehmer erreicht und in diesem Milieu zu einer stabilen Netzwerkbildung geführt hat.12
„Die Manager entdecken plötzlich die Ethik“, bilanzierte kürzlich ein großes Wirtschaftsmagazin und belegte mit zahlreichen Beispielen, dass kirchliche Ratschläge von zunehmend mehr Führungskräften in Anspruch genommen werden.13 Die Münchener Jesuiten-Hochschule hat im letzten Jahr das „Institut für Philosophie und Leadership“ ins Leben gerufen14 – und manche Geschäftsführung berichtet stolz davon, dass Jesuitenpater ihre Topmanager coachen.15 Schon vor zehn Jahren hat die Synode der hannoverschen Landeskirche zwei Pfarrer für das Projekt „Spiritual Consulting“ freigestellt. In kleinen Gruppen werden Manager zum Pilgern angeleitet und ziehen sich zur Burnout-Prophylaxe in die Stille und den Gebetsrhythmus von Zisterzienserklöstern zurück.16
Manchen ist diese kirchliche Präsenz beim spirituellen Coaching ein Dorn im Auge. Uwe Peter Kanning, Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Osnabrück, sieht es als einen Rückfall in voraufklärerische Zeiten, wenn Kunden blind einer Autorität vertrauen, die von sich behauptet, „die ewigen Wahrheiten in den Schriften des Christentums gefunden zu haben“.17 Aber, so fragt er zynisch nach, „wird in Reihen der katholischen Kirche etwa ein Führungsverhalten gelebt, das uns am Beginn des 21. Jahrhunderts allen Ernstes als Vorbild dienen kann?“18 Zudem kritisiert er, dass „hohe Kirchenämter bevorzugt mit Greisen besetzt“ seien. Die Qualität des Führungsverhaltens, so würden empirische Studien belegen, hänge aber weder von der Erfahrung noch vom Alter ab. Kanning kritisiert in seinem neuen Buch19 in fünf Kapiteln aktuelle Methoden der Personalentwicklung, die er allesamt als unseriös und vorwissenschaftlich einstuft: Outdoor-Trainings, pferdegestütztes Coaching20, Neuro-Linguistisches Programmieren, Organisationsaufstellungen sowie esoterisch-spirituelles Coaching. In diesen Verfahren werde außer viel heißer Luft und einem offensiven Marketing kaum etwas geboten. Im günstigsten Fall erwarte den Teilnehmer nutzloses Entertainment, im ungünstigen Fall Verdummung. Trotz solcher Warnungen liegt spirituelles Coaching voll im Trend.
Coaching zwischen Professionalisierung und Wildwuchs
Auf dem gesamten Feld von Beratung und Psychotherapie ist seit einigen Jahren eine Öffnung für spirituelle Themen und Fragen festzustellen.21 Neu an diesem „spiritual turn“ ist jedoch vor allem die ernsthafte wissenschaftliche Auseinandersetzung damit. Die Neigung zu einer unkritischen Übernahme esoterischer oder anderer weltanschaulicher Glaubenssätze von selbsternannten Coachs ist zwar nach wie vor hoch – das war aber vor zwanzig Jahren auch schon der Fall. Bemerkenswert ist jedoch die Tatsache, dass trotz der enormen Professionalisierung, den der Coaching-Markt in den letzten zwei Jahrzehnten erlebte, das Interesse an spirituellem Coaching nicht abreißt und auch wissenschaftlich diskutiert wird.22 Der Markt ist also von einer hohen Ausdifferenzierung geprägt. Auf der einen Seite steht die akademische Professionalisierung, die sich etwa in mittlerweile fünf akkreditierten Master-Studiengängen „Coaching“ niedergeschlagen hat.23 Hier wird über die „Einbettung von Spiritualität in der Profession des Coaching und der Beratung“ diskutiert.24 Andererseits gibt es zahllose Angebote wie das von David und Jasmin, die selbst einen spirituellen Weg gehen und spirituelles Coaching mithilfe von „Energiearbeit“ und des „Spiegelgesetzes“ anbieten.25
Es gilt also zu unterscheiden, ob ein Business-Coach mit akademischem Abschluss die Fähigkeiten zur strategischen Organisationsentwicklung unter Einbeziehung spiritueller Werte und Ressourcen verbessern hilft oder ob sich ein selbsternannter Coach um die Begleitung und Unterstützung bei der individuellen Sinnsuche kümmert. Die unübersichtliche und zum Teil widersprüchliche Methoden- und Zielvielfalt, die sich hinter dem Zauberwort Coaching verbirgt, gilt es aufzuschlüsseln; es muss präzise differenziert werden, sonst sind Missverständnisse unvermeidlich.
Coaching wird von vielen als ein Kommunikations-Zaubermittel angesehen. Ursprünglich und im engeren Sinn werden darunter gezielte Trainingsmaßnahmen der Personalentwicklung gefasst. Populärer ist jedoch der weitere Wortsinn des Coachings als Lebensberatung für alle Fälle.
Zur Konfliktträchtigkeit von spirituellem Coaching
Dass das Scharlatanerie-Problem auf dem Feld des Business-Coachings in den letzten zehn Jahren zurückgegangen ist, wie renommierte Anbieter behaupten, mag für etablierte Firmen zutreffen.26 Die Professionalisierung der etwa 300 Coaching-Ausbildungsinstitute in Deutschland ist fortgeschritten, und überprüfbare Qualitätsstandards wurden festgelegt. Intensiv hat man sich im Business-Coaching mit den Guru-Fallen und mit schwarzen Schafen in den eigenen Reihen beschäftigt. Schon 2005 hatte eine von der Deutschen Gesellschaft für Supervision (DGSv) in Auftrag gegebene Studie ein „Scharlatanerie-Problem“ diagnostiziert und auf die Qualitätsprobleme dieser Branche hingewiesen sowie Professionalisierungsempfehlungen gegeben.27 Im Jahr 2010 hat der Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP) nach einem fünfjährigen Beratungsprozess ein eigenes Coaching-Zertifikat verabschiedet. 2011 hat der Fachverband für Supervision praktische Hinweise zur Unterscheidung von Supervision und Coaching vorgelegt.28 Gänzliche Entwarnung kann aber nicht gegeben werden, weil nach wie vor über zwanzig Coaching-Verbände in Deutschland um die Marktherrschaft konkurrieren und eigene Zertifikate verleihen. Ein übergreifender Berufsverband mit verlässlichen Kriterien und verbindlichen Ethik-Richtlinien fehlt bis heute.
Der schon zitierte Organisationspsychologe Kanning vergleicht den Entwicklungsstand auf dem Coaching-Markt mit der Psychoszene der 1980er Jahre.29 Der Wildwuchs an Therapieschulen und selbsternannten Therapeuten sei dort inzwischen durch gezielte Forschungen und gesetzliche Regelungen eingedämmt worden. Um auch im Coaching zukünftig die Spreu vom Weizen zu trennen, empfiehlt er ein analoges Vorgehen. Und tatsächlich geht die aktuelle Entwicklung auch in diesem Feld in Richtung Professionalisierung, einer Zunahme wissenschaftlicher Forschung und Akademisierung.
Das zweite große Problem ist der weite, unscharfe Coaching-Begriff mit dem Ziel umfassender Lebensberatung – heute ist „Life-Coaching“ sehr gefragt. Wenn das eigene Leben als Projekt und Unternehmung aufgefasst wird, das ständig neu erfunden werden will – ist hierbei nicht Unterstützung hilfreich? Und weil es im Leben nicht nur um Geldmaximierung, sondern um Sinn und Werte geht, erfüllen spirituelle Coaching-Angebote spezifische Bedürfnisse, die anderswo übersehen werden. Gerade bei Life-Coaching-Angeboten besteht die Gefahr, dass sie nicht behutsam und zurückhaltend mit der spirituellen Dimension umgehen, weil die Beratungsziele eines Life-Coachings meist vager und offener sind als die Veränderungsprozesse bei der Personalentwicklung.
Auch wenn im Business-Coaching durchaus eine Sensibilität für missbräuchliche Beratungen besteht, belegen mehrere aktuelle Veröffentlichungen, dass das Scharlatanerie-Problem auf dem Coaching-Markt noch nicht gelöst ist.30 Erfahrungen wie die folgende werden deshalb von kirchlichen und staatlichen Weltanschauungsbeauftragen nach wie vor gemacht:
„… Ihr kritisches Informationsmaterial hat mich vor größerem Schaden bewahrt und mir die Kraft gegeben, mich gegen höchst intensiven manipulativen Kontakt mit solch einem beschriebenen charismatischen Coach zu wehren und das Coaching nicht wie geplant dieses Wochenende in S. zu beginnen. Diese individuellen Coachings sind sozusagen die Einstiegsdroge zum gesamten Coaching-System dieses Anbieters und spielen mit den Sehnsüchten der Menschen, indem sie den Interessenten massiv schmeicheln, um ihn sozusagen als Freund zu gewinnen, der später Kunde wird. Nach meiner Erfahrung ist das Gehirnwäsche und Manipulation in massiver Form!
Ob dieses Training zur bekannten, aus den USA stammenden Sekte gehört, weiß ich nicht. Weil das gesamte System aber aus Amerika stammt, ist das gut möglich.
Bitte warnen Sie die Leute weiterhin sofort und ganz deutlich, sich unter gar keinen Umständen auf ein fragwürdiges Coaching einzulassen mit derartigen Heilsversprechen. Und sollte schon eine psychische Abhängigkeit existieren, sollte ganz schnell psychologische Hilfe bei einem neutralen Profi oder Freunden eingeholt werden.
Gefährlich sind besonders die individuellen Coachs, die anscheinend unabhängig arbeiten. Es gibt auch günstige Einzelkurse zum Einstieg mit verlockenden Titeln und das System dockt direkt an den unerfüllten Sehnsüchten an. Zum Beispiel an dem meist unerfüllten Wunsch, einmal schmeichelhafte Worte zu hören und gelobt und anerkannt zu werden und einen glamourösen Freund zu haben, der einem unterstützend und die eigenen Potentiale aktivierend zur Seite steht – anscheinend! Das wird aber nur vorgespielt! Mein Glück war, das erkannt zu haben und dem Coach das unmittelbar zu verstehen gegeben zu haben, worauf sie die Kommunikation mit einer kurzen Mail umgehend abbrach. Mit herzlichen Grüßen ...“31
Typisch ist die Vermutung einer Nähe zu Scientology, die aber hier wie in den meisten Fällen nicht zutrifft. In fragwürdigen Coachings wird jedoch in ähnlicher Weise das Erlernen bestimmter Techniken versprochen, die dazu befähigen sollen, eigene Ziele durchzusetzen und Glück, Erfolg und Reichtum zu erwerben. Derartige Seminare entfalten ihre Wirksamkeit durch eine brisante Mischung aus feinfühlig gesteuerter Gruppendynamik und unreflektierten Parolen des Positiven Denkens. Häufig wird unterschätzt, dass ein soziales System durch die Anwendung weniger Methoden stark beeinflusst werden kann und der oder die Einzelne unter einen massiven Konformitätsdruck geraten kann. Auf dem florierenden Coaching-Markt werden darüber hinaus zahlreiche Versprechen des Positiven Denkens verbreitet, die schnell in eine problematische Machbarkeitsideologie umschlagen können.
Erschwerend tritt hinzu, dass die Grenzen zwischen Anbietern esoterischer Lebenshilfe und dem Erfolgstraining zunehmend verschwimmen. Dazu ein Beispiel: Im Jahr 2012 gab die in Baden-Baden ansässige Firma „Life Trust“ das Motto „Reich ist gut“ aus und propagierte die „Kunst des Reichwerdens“. Eindringlich empfiehlt das Leiter-Ehepaar die Methoden des umstrittenen „Money-Coachs“ Bodo Schäfer, dessen DVD-Set sie besonders günstig vertreiben würden. Schäfer verspricht den Newsletter-Abonnenten von Life Trust: „Wenn Sie sich an mein System halten und dennoch nicht innerhalb von drei Monaten wenigstens 20 Prozent mehr verdienen, erstatte ich Ihnen innerhalb von 100 Tagen den vollen Kaufpreis zurück.“ Solche Koalitionen zwischen esoterischer Lebenshilfe, Erfolgstrainern und Coaching-Anbietern belasten die Bemühungen dieser Branche um Seriosität.
Die Grenzen zwischen einem fachlich begründeten Vorgehen und ideologischer Beeinflussung sind fließend. Coaching kann helfen, Kommunikationsprozesse zu fördern, Strukturen zu klären und Entwicklungsprozesse anzustoßen. Aber dieses professionelle Hilfsangebot konkurriert mit vielen anderen Angeboten – bis hin zu medialem oder schamanischem Coaching. Eine fachlich begründete Beratung hat immer ein klar begrenztes und damit überprüfbares Beratungsziel im Blick. Demgegenüber versprechen spirituelle Coaching-Angebote, optimale Selbstentfaltung, neue Selbst(er)findung und Sinnerfüllung möglich zu machen und auch existenzielle Lebensfragen beantworten zu können.
Kürzlich hat der Bankmanager Viktor Lau ein „Schwarzbuch Personalentwicklung“ vorgelegt, in dem er der Weiterbildungsbranche trotz aller Professionalisierung fehlende Fachkenntnisse vorwirft. Aus seiner Sicht stehen viele Trainer im Bann eines verbreiteten Esoterik-Glaubens. Das sei eine „durch nichts zu rechtfertigende Zeitverschwendung oder – gefährlicher – Geist- und Denkverschmutzung“.32 Lau plädiert dafür, psychologische Hilfsmittel streng zielorientiert einzusetzen. Lernmethoden und Trainingskonzepte seien keine Weltanschauungen oder Ideologien. Umfassendere psychotherapeutische Konzepte gehörten schon gar nicht in personalwirtschaftliche Verfahren. Unverblümt werden solche Anbieter als „Spinner im Nadelstreifen“ abqualifiziert, deren Gefährlichkeit nicht zu unterschätzen sei: „Die waghalsige Kompilation unterschiedlichster wissenschaftlicher, halbwissenschaftlicher und esoterischer Modelle und Thesen spiegeln fachliche Autorität vor – wo keine ist.“ Dieses Vorgehen dient nach Lau der Versicherung nach innen und der Abschottung nach außen – „eine der wesentlichen Immunisierungsstrategien der Managementesoterik“.33
Neben akademisch-professionell Ausgebildeten sind also auf dem Coaching-Markt immer noch „Managementesoteriker“ tätig, die erhebliche Konfliktpotenziale mit sich bringen. Hat aber die Einbeziehung der spirituellen Dimension im Rahmen eines professionellen Coachings überhaupt eine Berechtigung?
Professionelles Coaching und die spirituelle Dimension
Auf den ersten Blick scheinen Spiritualität und Religiosität nichts mit der Arbeitswelt und der Personalentwicklung zu tun zu haben. Treffen hier nicht zwei unvereinbare Welten aufeinander? Wo berührt sich die konsumgesteuerte Welt der Gewinnmaximierung mit der meditativen Welt des still betrachtenden Geistes? Während die materielle Welt von den Prinzipien der Leistung, des Wettbewerbs und harter ökonomischer Gesetze beherrscht wird, gehören im Bereich von Religion und Spiritualität inneres Wachstum, Vertrauen und Loslassen zu den wesentlichen Zielen.
Allerdings setzt sich zunehmend die Einsicht durch, dass auch in der Arbeitswelt Werte, die Moral und das menschliche Grundbedürfnis nach Sinn und Bedeutung relevant sind. Zahlreiche Indizien weisen auf ein steigendes gesellschaftliches Interesse an ethisch-moralischer Orientierung hin. Deshalb sind religiös-spirituelle Ratgeber unterschiedlichster Provenienz – von christlichen über esoterische bis zu buddhistischen – zu Bestsellern geworden. Umfragen belegen, dass im Zuge des Wertewandels Reichtum und Besitz ihr Monopol als höchstes Gut verloren haben. „Mit Geld kann man kein Glück einkaufen“, lautet eine viel zitierte Wahrheit.
Nach Einschätzung von Kulturwissenschaftlern erzeugt die Lebenshaltung „Konsumismus“ mittelfristig ein Sinnvakuum. Die subjektive Lebenszufriedenheit speist sich nämlich schon lange nicht mehr aus materiellem Reichtum oder Besitz. Gerade in der jüngeren Generation werden heute Selbstbestimmung und Geborgenheit in sicheren sozialen Beziehungen als die wichtigsten Lebensziele verfolgt. Hier kommen existenzielle Fragen und spirituelle Bedürfnisse zum Vorschein, die auch im Rahmen eines professionellen Coachings zum Thema werden können. Insofern sollten Coachs darauf vorbereitet sein, professionell mit Sinnfragen und spirituellen Bedürfnissen umzugehen.
Professionelles Coaching findet unter klar definierten Bedingungen statt. Ein Coach trifft sich mit einem Coachee (= die Person, die Coaching wünscht) zu 10 bis 15 Einzelgesprächen, die jeweils etwa eineinhalb bis zwei Stunden Zeit in Anspruch nehmen und sich über einen Zeitraum von sechs bis neun Monaten erstrecken. Üblicherweise sucht der Coach dabei die Führungskraft an ihrem Arbeitsplatz auf. Die Kosten für eine solche Beratung, die meist vom Arbeitgeber übernommen werden, liegen im Durchschnitt bei 3000 bis 6000 Euro.34 Typische Coaching-Themen sind die Verbesserung sozialer Kompetenzen sowie von Management- und Führungskompetenzen, der Abbau von Leistungs-, Kreativitäts- und Motivationsblockaden oder Lösungsmöglichkeiten für akute Konflikte. Doch auch der Umgang mit Stress im Job und die Work-Life-Balance können wichtige Themen sein. Auch wenn man professionelles Coaching eng fasst und auf gezielte Personalentwicklung eingrenzt, ist nicht auszuschließen, dass existenzielle Fragen oder spirituelle Themen zur Sprache kommen.
Eine wesentliche Voraussetzung für eine Einbeziehung von Spiritualität im Coaching sollte darin bestehen, dass der Coachee selbst diesbezügliche Fragen einbringt. Viele Coachings werden den spirituellen Bereich nicht berühren. Aber wenn Sinnfragen virulent sind, die Arbeitskraft durch einen Trauerprozess eingeschränkt ist oder ethische Konflikte belastend wirken, darf ein professionelles Coaching diesen Fragen nicht ausweichen.
Hier können vielleicht Anregungen aus der Psychotherapie hilfreich sein. Die britische Fachgruppe „Psychiatrie und Spiritualität“ im „Royal College of Psychiatrists“ hat 2011 ein Positionspapier zum professionellen Umgang mit Spiritualität verabschiedet.35 Darin verpflichten sich die Mitglieder, den religiösen oder spirituellen Bindungen ihrer Patienten mit einfühlsamer Achtung und mit Respekt zu begegnen. Klinisch Tätige sollen keine religiösen oder spirituellen Rituale als Ersatz für professionelle Behandlungsmethoden anbieten. Es wird aber auf die Bewältigungskraft von Spiritualität hingewiesen, durch die Hoffnung und Sinn vermittelt werden können. Zwischen den beiden zuletzt genannten Punkten besteht ein Spannungsverhältnis. Keinesfalls sollen spirituelle Methoden das professionelle Handwerkszeug ersetzen. Darauf weisen auch die oben zitierten Kritiker der „Managementesoterik“ mit Nachdruck hin. Relativ neu sind jedoch die Hinweise auf die Bewältigungskraft von Spiritualität, deren Bedeutung in der Psychotherapie zunehmend erkannt wird.36
Auch in einem Coaching kann die persönliche Suche nach Sinn oder das Eingebundensein in einen größeren Zusammenhang zum Thema werden. Allerdings versagen hier die klassischen psychotherapeutischen Hilfsmittel. Existenzielle Fragen können nicht wissenschaftlich, sondern nur „gläubig“ beantwortet werden. Eine Weltanschauung liefert eine Deutungsfolie und einen Sinnhorizont, die Trost, Hoffnung und Halt angesichts der Absurditäten und des Leidvollen dieser Welt anbieten. Allerdings erfordert die Vielfalt der Sinnangebote in einer pluralistischen Gesellschaft die Festlegung auf eine Variante, um durch ihre spirituelle Praxis konkrete Bewältigungshilfe zu erleben.
Neben der Voraussetzung, keine professionelle Methode ersetzen zu wollen, ist als zweite Voraussetzung für eine legitime Einbeziehung von Spiritualität die weltanschauliche Transparenz zu nennen. Es ist nützlich, den religiös-spirituellen Hintergrund eines Coaching-Anbieters zu kennen. Normalerweise wird ein Coachee sich einen Anbieter mit ähnlichem Weltbild aussuchen, weil die Weltbild-Passung das Arbeitsbündnis stärkt und im Fall von existenziellen Fragen das gemeinsame Weltbild die Verständigung erleichtert. Gerade kirchliche Anbieter haben hier einen immensen Vorteil, weil bei ihnen die weltanschauliche Verortung transparent und klar ist.
Coaching in der Kirche – Chancen und Gefahren
Kirche und Diakonie haben Führen und geistliches Leiten zu einem Kernanliegen gemacht, um den aktuellen Herausforderungen der Überalterung, des Mitgliederschwundes und der zunehmenden religiösen Indifferenz zu begegnen.37 Entscheidende Anstöße dazu lieferte das 2006 von der EKD herausgegebene Impulspapier „Kirche der Freiheit“, das die Reformbemühungen in den Landeskirchen bündeln und perspektivisch fortführen sollte. Es wurden Kompetenzzentren eingerichtet und jährliche thematische Schwerpunkte in der Reformationsdekade bis zum Jubiläumsjahr 2017 festgelegt. Allerdings wurde vielfältig kritisiert, dass der eingeforderte „Mentalitätswandel“ den Ortspfarrer massiv unter Druck setze, weil die Initiative dem gesellschaftlichen Trend zur ständigen Optimierung folge. Die wohl profilierteste Kritikerin, die Bochumer Theologieprofessorin Isolde Karle, diagnostizierte einen „Reformstress“, weil die EKD religionssoziologische Befunde falsch interpretiere, ihre Veränderungsstrategien nach marktwirtschaftlichen Kriterien ausrichte und geistliche und theologische Aspekte vernachlässige.38 Das Impulspapier folge konzeptionell nicht primär theologischen Einsichten, sondern den Vorgaben strategischer Managementberatung: Coaching statt geistliche Führung. Ein anderer Kritiker fasst zusammen: „Das Impulspapier benennt zwar deutlich die Probleme. Es orientiert sich jedoch mit seinen am Mitgliederwachstum orientierten Zielen nach wie vor an den alten Idealen einer Mehrheitskirche, überschätzt die Einflussmöglichkeiten der kirchlichen Arbeit und führt mit einem realitätsfernen Aktivismus nur noch stärker in Überforderung und Resignation. Mithilfe von marketing- und milieuorientierten Konzepten lassen sich zwar Beteiligungszahlen steigern. Auf diese Weise kann aber nur das Teilnahmeverhalten überdurchschnittlich stark der Kirche verbundener Menschen intensiviert werden. Kirchlich Distanzierte oder Kirchenferne lassen sich damit nicht erreichen.“39
Eine Organisation wie die evangelische Kirche, die über 10 Milliarden Euro Einnahmen im Jahr verfügt,40 ist ohne Zweifel gut beraten, sorgfältige und bestmögliche Personalführung zu betreiben. Insofern ist es naheliegend und plausibel, dass manche Landeskirchen mit einem eigenen Coaching-Beirat und Coaching-Pool professionelles Coaching für Führungskräfte der Landeskirche anbieten.41 In dieser Richtung sind zahlreiche praktische Initiativen entstanden und nützliche Anregungen gegeben worden, wie durch professionelles Coaching kirchliches Führungsmanagement verbessert werden kann.42
Allerdings warten kritische Rückfragen noch auf Antwort, etwa die, ob theologische Begründungen und Argumente der ökonomischen Rationalität untergeordnet werden sollten.43 Die Spannungen zwischen religiösen und betriebswirtschaftlichen Zielen und Methoden dürfen in der Kirche nicht verwischt werden, hier bedarf es einer sorgfältigen Differenzierung. Christoph Meyns benennt die Gegensätze schlagwortartig mit Aktivismus statt Vertrauen, Tausch statt Geschenk, Nutzen statt Wahrheit und Hierarchie statt Netzwerk.44 Geistliche Führung ist anderen Werten verpflichtet und verfolgt andere Strategien als marktwirtschaftliches Kalkül. Professionelles Coaching zur Verbesserung kirchlichen Leitungshandelns ist wünschenswert, eine unreflektierte Übernahme des ökonomischen Weltbildes mit seinen Methoden wird sich langfristig als Gefahr für die kirchliche Identität erweisen.45
Fragwürdig ist auch, wenn spirituelles Coaching in der Kirche als postmoderne Seelsorgeform mit enormen Versprechen vorgestellt wird. Die Kieler Praktische Theologin Sabine Bobert vermittelt in ihren Coaching-Seminaren drei Übungen zur Selbsterkenntnis und zur Befreiung des Geistes, die als „Schlüssel zur Lebenswende“ dienen sollen.46 Die Verwendung des Coaching-Begriffs für diese markenrechtlich geschützte Seelsorgeform ist irreführend, weil hier nicht auftragsorientiert vorgegangen wird, sondern der Coach als Seelenführer fungiert.47 Darüber hinaus könne ein Teil der Übungen, das mantrische Beten, enorme Selbstheilungskräfte aktivieren. In ihrem Buch lässt Bobert mehrere Teilnehmer von MTP-Kursen von ihren Heilungserfahrungen berichten, die damit auch schwere seelische und körperliche Störungen überwunden hätten.48 Während ein professioneller Coach als „Ressourcen-Detektiv“ arbeitet, soll ein „mentaler Coach“ nach Bobert den Coachee auf seinem mystischen Weg, „Gott in sich zu finden“, begleiten und damit „zur Evolution des menschlichen Bewusstseins“ beitragen.49 Ein derartiges „spirituelles Coaching“ verfehlt unter der Prämisse einer universalreligiösen Mystik das Ziel geistlicher Begleitung, die persönliche Gottesbeziehung des Glaubenden zu vertiefen.
Michael Utsch
Anmerkungen
1 Vgl. Deepak Chopra, Mit dem Herzen führen. Spiritualität und Management, Burgrain 2012; Anselm Grün, Menschen führen – Leben wecken, München 2009.
2 Vgl. Klaus Horn, Spirituelles Coaching. Bewusstseins-Entwicklung mit menschlichem Maß, Berlin 2007.
3 Vgl. Dalai Lama, Führen, gestalten, bewegen: Werte und Weisheit für eine globalisierte Welt, Frankfurt a. M. 2008.
4 Vgl. Anna Gamma, „Das kann doch nicht alles gewesen sein“. Lehrgang und Modell am Lassalle-Institut Zen. Ethik. Leadership, in: Markus Hänsel (Hg.), Die spirituelle Dimension in Coaching und Beratung, Göttingen 2012, 338-353.
5 Vgl. Joachim Galuska (Hg.), Die Kunst des Wirtschaftens, Bielefeld 2011.
6 Vgl. Sylvia K. Wellensiek, Handbuch Integrales Coaching, Weinheim 2010.
7 Vgl. Helmut Schlegel, Spiritual Coaching. Führen und Begleiten auf der Basis geistlicher Grundwerte, Würzburg 2007.
8 Vgl. Abtprimas Notker Wolf / Schwester Enrica Rosanna, Die Kunst, Menschen zu führen, Reinbek 2007.
9 Vgl. Paul Donders, Wertvoll und wirksam führen, Münsterschwarzach 2011.
10 Vgl. www. lassalle-institut.org (Zen-Spiritualität) oder www.expand.eu (evangelikale Spiritualität). Die in diesem Beitrag angegebenen Internetadressen wurden zuletzt abgerufen am 27.5.2014.
11 Vgl. www.benediktushof-akademie.de.
12 Vgl. die Hinweise zum 9. Kongress in Hamburg im Februar 2015, www.fuehrungskraeftekongress.de.
13 Vgl. Evelyn Finger/Rüdiger Jungbluth/Sabine Rückert, Die Moralapostel, in: Handelsblatt vom 19.1.2014.
14 Vgl. www.hfph.de/forschung/institute/leadership.
15 Vgl. die Angebote von Pater Benno Kugler SJ unter www.we-wi-we.de.
16 Vgl. www.spiritual-consulting.de.
17 Uwe Peter Kanning, Coachings zwischen Profession und Konfession, in: Coaching-Magazin 2/2013, 46-48, hier 47.
18 Ebd.
19 Uwe Peter Kanning, Wenn Manager auf Bäume klettern. Mythen der Personalentwicklung und Weiterbildung, Lengerich 2013.
20 Ein Online-Artikel des NDR titelte treffend: „Horsesense: Kann der Boss vom Ross lernen?“, www.ndr.de/nachrichten/Horsesense-Kann-der-Boss-vom-Ross-lernen,horsesense101.html.
21 Vgl. Michael Utsch, Postmaterialistische Wissenschaft?, in: MD 2/2014, 54-58.
22 Vgl. Markus Hänsel (Hg.), Die spirituelle Dimension in Coaching und Beratung, Göttingen 2012.
23 Vgl. Heidrun und Frank Strikker, Akademisierung im Business-Coaching, in: Coaching-Magazin 2/2013, 36-41.
24 Markus Hänsel, Die spirituelle Dimension als sinnstiftender Möglichkeitsraum im Coaching, in: ders. (Hg.), Die spirituelle Dimension in Coaching und Beratung, Göttingen 2012, 27-62, hier 35.
26 Vgl. „Zauberwort Coaching“, SWR2-Sendung am 25.4.2014, Manuskript unter www.swr.de.
28 Vgl. www.dgsv.de/wp-content/uploads/2011/06/sv_u_coaching.pdf.
29 Vgl. Uwe Peter Kanning, Coachings zwischen Profession und Konfession, in: Coaching-Magazin 2/2013, 47.
30 Neben dem „Klassiker“ von Bärbel Schwertfeger (Der Griff nach der Psyche. Was umstrittene Persönlichkeitstrainer in Unternehmen anrichten, Frankfurt a. M. 1998) sind kürzlich erschienen: Klaus Werle, Die Perfektionierer. Warum der Optimierungswahn uns schadet, Frankfurt a. M. 2010; Erik Lindner, Coachingwahn. Wie wir uns hemmungslos optimieren lassen, Berlin 2011; Viktor Lau, Schwarzbuch Personalentwicklung. Spinner im Nadelstreifen, Stuttgart 2013.
31 Anonymisierte E-Mail an die EZW.
32 Viktor Lau, Schwarzbuch Personalentwicklung (s. Fußnote 31), 14.
33 Ebd., 17.
34 Vgl. Christopher Rauen/Julia Eversmann, Coaching, in: Hans Schuler/Uwe Peter Kanning (Hg.), Lehrbuch der Personalpsychologie, Göttingen 2013, 563-606.
35 Vgl. www.rcpsych.ac.uk/pdf/28.04.11%20SCPPE%20Enc%2005.pdf.
36 Vgl. Michael Utsch/Raphael Bonelli/Samuel Pfeifer, Spiritualität und Psychotherapie, Berlin 2014.
37 Vgl. EKD (Hg.), Geistlich Leiten – Ein Impuls, epd-Dokumentation 6/2012, www.kirche-im-aufbruch.ekd.de/images/2012_02_03__Geistlich_leiten_.pdf.
38 Vgl. Isolde Karle (Hg.), Kirche im Reformstress, Gütersloh 2010; vgl. auch das Themenheft der Zeitschrift „Evangelische Theologie“ 2/2013 zum weiterführenden Forschungsprojekt zum Vergleich verschiedener Reformprozesse in katholischen Bistümern, evangelischen Landeskirchen und protestantischen Freikirchen bzw. freien Gemeindebünden.
39 Christoph Meyns, Kirche in Veränderung, in: Deutsches Pfarrerblatt 7/2013, 405-408, hier 408.
40 Vgl. EKD (Hg.), Evangelisch in Deutschland. Zahlen, Fakten, Entwicklungen, Hannover 2013, 37.
41 Zum Beispiel die württembergische und die badische Landeskirche.
42 Vgl. Annegret Böhmer, Coaching in der Kirche, in: Wege zum Menschen 61 (2009), 327-342; Elke Berninger-Schäfer, Coaching im Kontext Kirche, in: Pastoraltheologie 100/2011, 135-148; Adelheid Fiedler, Gott im Coaching?, Kassel 2013.
43 Vgl. Christoph Meyns, Kirchenreform und betriebswirtschaftliches Denken. Modelle – Erfahrungen – Alternativen, Gütersloh 2013, 143ff.
44 Vgl. ebd., 162ff.
45 Meyns (ebd.) schlägt die Systemtheorie zur Verbindung der religiösen und betriebswirtschaftlichen Rationalität vor.
46 Vgl. Sabine Bobert, Mystik und Coaching mit MTP – Mental Turning Point®, Münsterschwarzach 2011, 20.
47 „MTP steht für ‚Mental Turning Point®‘ – ‚mentaler Wendepunkt‘“ (ebd.). „Sie können die Leistungsfähigkeit Ihres Gehirns durch MTP-Techniken nachhaltiger steigern als durch chemische Unterstützung“ (ebd., 23). „Die MTP-Übungen erschließen Menschen ihr wahres Selbst als Heilungsquelle“ (ebd., 24).
48 Ebd., z. B. 152f und 172f.
49 Ebd., 27.